Ich bin nicht verstummt, nicht abgereist und auch nicht krank! Warum ich aber trotzdem seit Wochen nichts mehr geschrieben habe, sei hiermit kurz erläutert: Vom 11. Mai bis zum 18. Mai hatte ich hohen Besuch aus Hannover. Mit meinen lieben Eltern hatte ich eine wunderbare Woche, die auch die wettertechnisch die sonnigste war, die ich bis jetzt hier erlebt habe. Von diesen ereignisreichen Tagen, an denen ich ein Mehrfachleben als Tochter, Touristin, Stadtführerin und Freiwillige in der Schule spielte, werden die Herrschaften selbst berichten – der Text sei in der Produktion, ließen sie verlauten… Ich werde dann noch die Fotos ergänzen, ganz nach dem Motto: Alles zu seiner Zeit!
Vom 21. Mai bis zum 25. Mai war dann das Zwischenseminar in St. Petersburg und Umgebung. Auch hier wurden wir mit Sonne verwöhnt, sodass wir schon nach zwei Tagen in einem sehr schönen Seminarhaus in Strelna, einem Vorort St. Petersburgs, gebräunt in die Stadt zurückkehrten. Nachdem am Mittwoch der Besuch in Peterhof den Auftakt gemacht hatte, waren die „Stadttage“ dann mehr kulturell geprägt: Stadtführung und Erkundung auf eigene Faust, Ballettbesuch… Natürlich wäre ich auch gerne und sofort in andere Städte gereist, doch die Rolle als „Gastgeberin“ war auch eine angenehme…
…die ich dann noch ein bisschen zur Perfektion getrieben habe: Zwei Nächte lang haben meine baltischen Nachbarinnen Laura und Sabrina aus Riga bzw. Vilnius bei mir geschlafen. Gemeinsam mit den „Belarussinnen“ Annemarie und Michaela haben wir drei weitere schöne, urlaubige Tage erlebt: Gemeinsames Kochen, Brücken bei Nacht anschauen, gefährliche Kirchtürme besteigen, picknicken, spazieren…
Am Mittwochabend (30. Mai) haben wir uns dann wieder auf den Weg gemacht: Die Vier jeweils „nach Hause“ und ich zum Sprachkurs. Nach der nunmehr fünften Unterrichtseinheit merke ich besonders beim Verstehen deutliche Fortschritte. Waren die Sätze vorher eher Melodien ohne Punkt und Komma, erkenne ich jetzt nach und nach grammatikalische Strukturen und kann so manchmal den Charakter einen Satzes erfassen, auch wenn mir zum Verständnis noch fast alle Wörter fehlen. Dass sprachliche Fortschritte auch so ihren Haken habe können, habe ich gestern erlebt: Meinen kleinen, bescheidenen Einkauf konnte ich nur mit 500 Rubeln bezahlen, was die Kassiererin geärgert hat oder ihr besonders Mühe bereitet hat. Das hat sie mit einem langen Wortschwall zum Ausdruck gebracht, den ich nicht verstanden habe – worum es aber ging, war eindeutig. Die wiederholt gestellt Frage konnte ich nur mit Я не понимаю по русскии (ja ne panimaju pa russki=Ich verstehe kein Russisch) beantworten, was sie auch gleich zum Verstummen brachte. Als sie mir dann das Wechselgeld gab und mit einem 100-Rubel-Schein wedelte, erinnerte ich mich an das soeben Gelernte: У меня не ест сто рублей (u menja ne jest sto rubljei=Ich habe nicht 100 Rubel). Hätte ich das mal nicht gesagt: Die Frau hielt meine erste Russische Aussage für völlige Quatsch und mich für (etwas) dumm. Nach mir hat sie die Kasse geschlossen…
Das Gute am vermehrten verstehen habe ich dann heute (31. Mai) erlebt. Gegen 21:00 Uhr klopfte meine Vermieterin an der Tür und sagte, Andrej (der neue Mieter eines Raumes, der während der „Datscha-Zeit“ vermietet ist) wolle mir etwas erzählen. Da seine Frau, die auch anderswo wohnt, noch arbeiten musste und sein Geburtstag war, wollte er wenigstens ein wenig Konversation betreiben (und seine Neugier stillen). So haben wir ein dreisprachiges Gespräch geführt, in dessen Verlauf ich nicht mehr wusste, ob Englisch oder Russisch sprechen. Andrej war in den Neunziger Jahren für 2 Jahre in Deutschland in Eberswalde und besonders begeistert, dass ich weiß, wo dieser Ort liegt. Er mag Deutschland sehr, hat aber teilweise seltsame Ansichten und ist während des Gesprächs permanent von einem zum anderen Thema gesprungen. Der Transfer vom deutschen Schulsystem zum Satz „Gott sieht alles.“ war für mich nur schwer nachvollziehbar, sodass ich Marina nach der Übersetzung fragen musste, obgleich ich diese Aussage verstanden hatte. Die Unterhaltung war wirklich interessant und auch sehr unterhaltsam.
Nun sammle ich die Scherben meines Projektes auf und versuche, alles zum Besten zu kehren. Bis Freitag nächster Woche findet in der Schule noch der „Sommerkurs“ statt, in dem die SchülerInnen der 10. Klasse für die DSD2-Prüfungen üben und lernen. In dieser Zeit bin ich also noch offiziell beschäftigt, auch wenn ich im Moment nur große Kopieraktionen und eine Inventur der Lehrmittel mache. Was danach beschäftigungsmäßig kommt, ist noch unklar, aber ich weiß, wen ich am 17. Juni in die Arme schließen werde… Wie ich mich jetzt schon freue!
Soweit diese kurze Statusmeldung. So schnell wie möglich sollen hier am Wochenende Bilder und Texte folgen. Und viele persönliche Nachrichten werden auch auf den Weg geschickt werden – hoffentlich nicht nur virtuell…
Nach knapp 100 Tagen in St. Petersburg rückt das Ende zwar schon spürbar näher, trotzdem kommt jetzt mit den freien Tagen, den Weißen Nächten und der warmen Sonne eine Zeit, auf die ich mich sehr freue und Hannover und das Nachbereitungsseminar (und alles weitere sowieso) sind noch ganz fern. Aus dieser Ferne versende ich hier nun viele Grüße an alle Welt/alle LeserInnen/alle Freiwilligen und alle, die ich sonst noch meine…