An einem äußerst trüben Tag fuhren wir zum „Kongress-Palast“. Wo früher der Zarensohn Alexander wohnte, tagt heute das russische Parlament, wenn es in St. Petersburg weilt. Die meiste Zeit des Jahres werden die Empfangsräume und das Büro des Präsidenten und die weitläufigen Gartenanlagen allerdings gepflegt. Und Besucher verirren sich nur selten hierher.
Der Eindruck der Verschwendung, der die triste Stimmung nicht wett machen konnte, drängte sich uns förmlich an allen Ecken auf. „Hier der Aufzug des Präsidenten“ – „Hier der Empfangssaal, einer russischen Offiziersmesse nachempfunden“ – „Hier der inoffizielle Speiseraum mit holländischen Kacheln aus der Zeit Peters des I. Dieser Raum wird ungefähr zweimal in Jahr genutzt“…
Worauf die Fremdenführerin besonders stolz war, war die Galerie der Fotos von einem G8-Gipfel, der hier stattgefunden hatte. Auf die Fotos schien sie stolzer, als auf das Ereignis an sich. Sie konnte auch nicht verstehen, dass die österreichischen Gäste bei Anblick von Frau Merkel in Verzückung gerieten.
Die Bilder vermitteln ein besseres Bild von der Anlage, als meine Beschreibungen es könnten. Sicher hat das Wetter einiges dazu beigetragen, aber wir waren alle fassungslos über das Gesehene. Das ganze Jahr über werden hier viele ältere Damen beschäftigt – sie bewachen die verlassenen Räume. Das Militär hat einen eigenen Stützpunkt vor Ort, sodass man aus manchen Perspektiven nicht fotografieren darf – es könnte sein, dass ein Gebäudeteil abgebildet würde. Der Park wird von einer Gärtenerkolonne gepflegt – für die seltenen Fotos nach Großveranstaltungen. Das Büro des Präsidenten wird bewacht – auch ohne Präsident. Kunstschätze werden regelmäßig abgestaubt – auch wenn sie niemand betrachtet.
Ich weiß auch, dass die deutsche Demokratie Wert auf standesgemäße Repräsentation legt. Dennoch scheint es mir, als sei das Arbeiten Hauptbestandteil der Gebäudeplanung, der dann noch die richtige Menge Eleganz beigemischt wird. So hat sich jedenfalls das Bundeskanzleramt am Tag der offenen Tür präsentiert. Vielleicht entsteht der Eindruck auch dadurch, dass hier in Russland die Architektur und das Lebensgefühl einer Epoche vermittelt, die eigentlich der jetzigen Regierungsform widerspricht. Aber so kommt es dann, dass sich ein Präsident wie ein Zar gibt…