Ein Fest in einem anderen Land, in einer anderen Tradition, in einer anderen Familie und doch als Teil des Ganzen. So würde ich meine Ostererfahrung hier in Russland beschreiben. Einen österlichen Vorlauf gab es nicht: Kein Karfreitag und am Samstag war ein normaler Schultag. Als ich aber nach Hause kam, waren die Vorbereitungen schon im Gange. Die Wohnung wurde geputzt, die Eier gefärbt und der am Vortag gebackene Kuchen sollte eine Schokoladenglasur bekommen. Als ich in die Küche kam, wurde die Schokolade gerade in einer Pfanne über der Flamme erhitzt. Nach dem Umbau in ein Wasserbad war es schwer, die Schokolade richtig flüssig zu bekommen, da sie angebrannt war. Aber mit etwas Butter statt Milch schafften wir auch das und der schwammartige Kuchen ließ sich leidlich glasieren. Aber als dann bunte Zuckerstreusel als Krönung hinzukamen und alle Kuchen und Eier auf dem Tisch versammelt waren, entstand auch bei mir ein Festgefühl.
Am späten Nachmittag fuhren wir dann zu einer Kirche und mir war nicht ganz klar, was dort passieren sollte. Weil das Osteressen gesegnet werden sollte, traf man auf dem Parkplatz viele Menschen, die meist diverse Tüten bei sich hatten. Nachdem die Männer die Kopfbedeckung abgesetzt und die Frauen ein Tuch umgeschlungen hatten, betraten wir die Kirche. Vor dem Tor hatten sich viele BettlerInnen versammelt, die auch (vor allem) mit Essen reichlich bedacht wurden. Da kam es noch zu einem witzigen Zwischenfall: Der kleine Wasja ging zielstrebig zu einer älteren Frau und nahm das Geld aus ihrer Schale. Das nahm die Frau ihm aber nicht übel, sondern lachte und segnete ihn – natürlich bekam sie das Geld zurück…
Der Kircheninnenraum ist von einem Gang umgeben und während wir dort entlang gingen, wunderte ich mich schon, warum die Menschen das Essen auf Tische stellten und dann daneben Position bezogen, als wollten sie es bewachen. Nach einem kurzen Besuch im Innenraum suchten auch wir uns einen freien Tisch. Hier wurde dann alles aufgebaut und mit Kerzen bestückt. Als der kraftvolle Gesang der Geistlichen näher kam, wurden alle Kerzen entzündet. Die Geistlichen (ihren genauen Status kenne ich nicht) kamen zu dritt: der erste versprengte große Mengen Weihwasser auf die Gemeinde und das Essen, manchmal so viel, dass man unter einem Schwall kalten Wassers zusammenzuckte. Kinder wurden vorgeschoben, die wassergetränkt in Geschrei ausbrachen. Der zweite trug eine Tablett voll Osterkuchen – eine Spende der Gläubigen. Der dritte sammelte auf einem ebenso großen Tablett die übliche Form von Spenden ein…
Nachdem die Segnung vorüber war, wurden die Speisen in aller Eile eingepackt, denn der Platz musste für die nächsten freigemacht werden.
Viele Menschen stellten sich nun an, um eine Ikone zu küssen und zu beten – manche fielen vor ihr auf die Knie, andere krochen die letzten Meter dorthin. Kleine Kinder wurden an sie gedrückt und alle küssten sie und legten die Stirn an die über und über mit Blumen geschmückte Darstellung Jesu. Wir „Kinder“ waren auf dem Turm der Kirche gewesen und hatten auf den Stadtteil „Peterhof“ geguckt – auch das Delta der Neva war zu erahnen. Hier gab es viele alte Ikonen, viele Pflanzen und auch Informationen zur Geschichte der Kirche. Die Bilder von der Zeit der Belagerung (dazu in einem anderen Artikel mehr) und der Sowjetzeit machen die wechselvolle Geschichte des Glaubens und der Kirche hier in Russland deutlich. Der Stadtteil „Peterhof“ lag mitten im Kampf-/Belagerungsgebiet, sodass auch die Kirche stark beschädigt wurde. Das Erschreckendste aber ist, dass zwischen den Bildern, die 1944 aufgenommen wurden und denen, die 1980 entstanden, kein Unterschied bestand. Es waren nur Birken im zerbrochenen Mauerwerk gewachsen.
Nach dem Kirchenbesuch kam die Familie der Tante und eine Nachbarin mit, um gemeinsam zu essen. Da die Küche für uns schon zu fünft recht eng wurde, nahmen alle zehn im Wohnzimmer Platz. Es gab gekochte und zerstampfte Kartoffeln, einen Salat aus Kohl, Zwiebeln, Erbsen und Paprika, Brot, Orangen und Osterkuchen. Dazu bekamen alle, die älter als zehn Jahren waren, ein kleines Glas Wein zum Anstoßen und es wurden Wünsche ausgesprochen. Das obligatorische Teetrinken nach der Mahlzeit mussten wir in zwei Etappen machen, da nicht genug Becher da waren. Fast bis Mitternacht waren die Gäste da – die Kinder wurden immer müder und deshalb lauter und ruppiger – ein normales Familienfest eben…
Gemeinsam mit der Nachbarin haben wir noch einen Teil des Ostergottesdienstes in Moskau im Fernsehen geschaut. Die Kirche voller stehender Menschen mit Kerzen // Putin mit beinahe steifen Lippen beim Osterausruf: „христос воскресе“ (christos woskres=Christus ist auferstanden), der sehr oft wiederholt und aufgegriffen wurden // Geistliche, die im Eilschritt weihrauschschwenkend um die Ikone ziehen // ein Chor, der schief singt // andächtige Menschen.
Am Sonntagmorgen aßen wir zum Frühstück neben dem Osterkuchen auch etwas Osterquark: Entwässerter Quark mit Rosinen und Orangengeschmack. Und danach galt es, mein ganzes Gepäck in die Stadt, in mein Zimmer zu schaffen…
Christos waskresje! Frohe Ostern!
Hanna, ich finde es herrlich, deinen Blog zu lesen. Das ist fast wie Kurzurlaub! Vielen Dank!
Danke! Auch für mich fühlt es sich im Moment – wie man ja auch lesen kann – mehr wie Urlaub als nach Arbeit an… Und morgen kommt das große Finale dieser „Touristenwoche“…