Hallo zusammen!
Eigentlich sollte ich erst von meiner „Heimatstadt“ Gyumri berichten, bevor ich mich irgendeiner anderen Stadt widme, doch Gyumri und ich hatten einen schwierigen Start. Deswegen erhält Yerewan als Hauptstadt Armeniens hiermit den Vorzug. Heute wird es ein bisschen informativer und weniger persönlich, aber ich halte es für wichtig, auch Allgemeines über Armenien zu erzählen.
Es ist schon über eine Woche her, als meine Mitbewohnerin Dana und ich uns aufgemacht haben, um uns mit den anderen Armenien-Freiwilligen und den beiden Koordinatoren für Deutschunterricht in Armenien im Goethe-Institut in Yerewan zu treffen. Das Goethe-Institut ist hierbei ein Sprachlernzentrum mit einer deutschen Bibliothek und jeder Menge netter Leute. Dazu gehören auch die beiden Koordinatoren Benjamin und Yves. Nachdem sie uns herzlich willkommen geheißen und uns jede Menge Tipps und Tricks für Armenien und unsere Arbeit an den Schulen mit an die Hand gegeben hatten, haben sie uns zum Essen eingeladen. Für uns alle war es das erste Mal „echtes“ armenisches Essen und hat uns so gut geschmeckt, dass wir keine Reste übrig gelassen haben. Das Thema „Essen“ möchte ich hier allerdings gar nicht so sehr vertiefen, da das einen eigenen Artikel verdient. 😊
Netterweise durften wir uns für das Wochenende bei Nila, Lilly und Mia einnisten, die in Yerewan wohnen. So ging es am nächsten Tag ausgeruht zum Wandern (aufmerksame Leser meines Blogs werden jetzt wissen, wie lange das schon her ist). Worauf ich aber eigentlich hinaus will, ist der Sonntag: Da haben die drei Yerewan-Mädels und ich nämlich an einer Free-Walking-Tour durch Yerewan teilgenommen.
Wer das Konzept einer Free-Walking-Tour nicht kennt, dem sei hier eine kurze Erklärung gegeben: Free-Walking-Touren werden meist von Einheimischen angeboten, die dann einen Insider-Blick auf die Stadt oder den Ort geben können. Hierbei gibt es keinen vorher festgelegten Preis, sondern man soll am Ende der Tour selbst entscheiden, wie gut es einem gefallen hat und wie viel man bereit ist, zu zahlen. Dementsprechend wird diesen Touren nachgesagt, dass sich die Guides extra viel Mühe geben, um gutes Geld zu verdienen. Außerdem sind sie so für alle Menschen, unabhängig des Einkommens, verfügbar.
Es war das erste Mal, dass ich an so einer Tour teilgenommen habe, und ich war so begeistert, dass ich für meine Mitbewohnerin und mich am folgenden Wochenende auch für Gyumri so eine Tour gebucht habe. In Yerewan waren wir eine bunt gemischte Truppe aus vielen verschiedenen Ländern und unser Guide hat uns mit jeder Menge Informationen über Kultur, Politik und Geschichte sowie Insider-Wissen versorgt. Doch bevor ich darauf im Detail eingehe, hier grundsätzlich ein paar Infos über Yerewan:
Ob Eriwan, Yerewan, Jerewan oder Yerevan – gemeint ist immer die Hauptstadt Armeniens, die mit über einer Millionen Einwohnern die mit Abstand größte Stadt des Landes ist. Aber nicht nur das: Gegründet ca. 782 v.Chr. ist Yerewan sogar 26 Jahre älter als Rom und zählt damit zu den ältesten Städten der Welt. Erste Siedlungsspuren reichen sogar noch weit bis ins 4. Jahrtausend v.Chr. zurück. Immer wieder von unterschiedlichen Herrschern und Ländern besetzt gewesen, ist das Stadtbild heute besonders nachhaltig von der Sowjetzeit geprägt:
Viele Kirchen unterschiedlichster Glaubensgemeinschaften wurden während dieser Zeit vernichtet und der Architekt Alexander Tamanjan erschuf die „rosafarbene Stadt“. So wird Yerewan seither genannt, da er für viele Gebäude rosa Tuff verwenden ließ, als er die Stadt neu designte. Die Veränderungen, die aus dieser Zeit stammen, lassen Yerewan im Vergleich zu Guymri deutlich moderner wirken und sind ein wahrer Schauplatz sowjetischer Baukunst. Das bedeutet aber leider auch, dass aus den vorherigen Epochen nur wenig übrig geblieben ist.
Meine Highlights der Free-Walking-Tour waren die versteckten Orte, die ich allein so nie entdeckt hätte und die richtige Überraschungen waren. Da war zum einen ein Co-Working-Space mit Café und einer Galerie in einem Hinterhof, der super gemütlich aussah:
Oder auch ein weiterer Hinterhof mit einem Restaurant und Garten, zu dem man nur gelangt, wenn man einen Souvenir-Shop durchquert:
Außerdem gab es noch einen Brunnen inklusive Regenbogen sowie einen Hogwarts-Express-Coffee-Shop, den ich hier nicht erwartet hatte :
Witziger Weise erzählte unser Guide uns bei Gelegenheit, dass Armenierinnen und Armenier nichts lieber täten als zu „gossipen“. Es sei neben Schach so etwas wie ein Nationalsport. „Gossipen“ kann hierbei am besten mit „tratschen“ übersetzt werden. Andere Leute und deren Angelegenheiten seien hier das Hauptgesprächsthema. Im Zuge dessen wurde es leider aber auch ernst: Unser Guide erinnerte uns daran, dass Homosexualität in Armenien zwar nicht mehr strafbar, aber immer noch gesellschaftlich geächtet sei. Auch im Bezug auf Heirat sei das Land eher konservativ eingestellt. Mit einem Augenzwinkern erzählte er uns folgende Anekdote: Wenn eine Frau heiraten solle, bekäme sie in der Nacht von ihren Verehrern Besuch. Sie brächten Geschenke mit und anhand derer suche die Frau sich dann ihren Ehemann aus. Warum bei Nacht fragt ihr euch vielleicht? Nun, ich habe eben das Getratsche erwähnt; damit die Verschmähten nicht selbst zum Tratsch der Woche werden.
Nach all den Eindrücken ist mein Fazit zu Yerewan: Es ist eine faszinierende Stadt mit vielen schönen, wenn auch manchmal sehr versteckten Ecken, in der es viel zu erleben und zu entdecken gibt. Aber es ist eben auch eine Millionenstadt, in der das großstädtische Verkehrschaos Alltag ist und in der es neben all dem Schönen auch arme Wohngegenden gibt. Ein Leben im Zentrum ist lediglich den Reichen vorbehalten und viele Yerewanerinnen und Yerewaner leben außerhalb.
Als Hauptstadt versprüht Yerewan einen Drang nach Modernität und orientiert sich eher am „Westen“. Deswegen war es für mich hier leichter als in Gyumri anzukommen, da sich diese Stadt an vielen Orten „europäischer“ anfühlt und man als Ausländer eher in der Masse untergeht. Dennoch habe ich auch Gyumri lieben gelernt und freue mich schon sehr darauf, euch bald von meiner „Heimatstadt“ zu berichten.
Zum Abschluss gibt es noch ein paar Bilder meiner Mitfreiwilligen Nila aus Yerewan.
Bis bald! 🙂