Hallo zusammen! 😊
Woran denkt ihr, wenn ihr „Armenien“ hört? Vielleicht herrscht erstmal ziemliche Leere im Kopf. Zumindest war es bei mir so. Lediglich die armenische Flagge blitzte vor meinem inneren Auge auf, als ich das Platzangebot von kulturweit für Armenien erhielt. „Armenien“, dachte ich. „Nicht mehr Europa, aber auch nicht allzu weit weg.“ Was genau mich erwarten würde, wusste ich jedoch nicht. Dennoch habe ich nicht gezögert und wage jetzt den Sprung ins „Ungewisse“. Selbstverständlich habe ich mir den Wikipedia-Artikel über Armenien durchgelesen, einen Reiseführer gekauft und einzelne Erfahrungsberichte verschlungen, doch so richtig vorbereitet fühle ich mich auf mein Jahr hier nicht. Ein ganzes Land kann man schließlich nicht aus der Entfernung kennenlernen.
Wenigstens der Wetterbericht für Gyumri, die zweitgrößte Stadt Armeniens mit ca. 100000 Einwohnern und mein baldiges Zuhause, hat mir beim Packen gute Dienste geleistet. Bis zu dem Moment als ich realisiert habe, dass man Kleidung von -20 Grad Celsius bis +30 Grad Celsius unmöglich in einen Koffer + Handgepäck packen kann. Ich reise jetzt mit zwei Koffern und einem großen Rucksack, doch aussortieren musste ich dennoch ordentlich. Besser habe ich mich erst gefühlt, als ich erfahren habe, dass es nahezu allen Mitfreiwilligen genauso ging; unabhängig davon, in welche Weltregion es geht. Packen ist einfach eine Kunst für sich.
Genauso ist es Reisen: Die Bahnfahrt nach Berlin lief überraschenderweise problemlos und so waren wir überpünktlich drei Stunden vor Abflug am Flughafen. „Wir“ sind übrigens meine Mitbewohnerin Dana und die drei Freiwilligen in Yerewan Nila, Lilly und Mia. Der sechste Armenien-Freiwillige Samuel war schon den Tag zuvor geflogen. Nun standen wir also in Berlin am Flughafen und mussten feststellen, dass wir so pünktlich waren, dass wir noch eine geschlagene Stunde darauf warten mussten, dass der Check-In öffnete. Diese Stunde wurde u.A. dafür genutzt, um sich wiederholt Sorgen darüber zu machen, ob unser Gepäck die Gewichtsvorgaben einhalten oder ob es Probleme geben würde. Es gab keine Probleme; weder beim Check-In noch beim Sicherheitscheck. Ebenso problemlos verlief auch unser erster Flug von Berlin nach Warschau, der so schnell vorbei war, dass ich, die eigentlich nur kurz die Augen zu machen wollte, gefühlt nichts vom Flug mitbekommen habe. In Warschau angekommen rätselten wir, ob wir unser Gepäck abholen müssten oder ob es ohne unsere Mithilfe umgeladen werden würde. Nichts zu tun, stellte sich als richtig heraus. Wir hatten uns gerade etwas zum Abendessen geholt, als uns folgende Nachricht erreichte: Unser zweiter Flug von Warschau nach Yerewan hatte anderthalb Stunden Verspätung. Grundsätzlich nicht das Problem, aber Dana und ich mussten an dem Tag noch weiter nach Gyumri reisen und da der Zug nur dreimal am Tag fährt, wollten wir unbedingt den ersten um acht Uhr bekommen. Bei einer halben Stunde Fahrt vom Flughafen zum Bahnhof, Ticket lösen, Gepäckabholung und dem Kauf einer SIM-Karte klang Landung um sechs Uhr doch etwas sportlich. Spoiler: Wir haben es geschafft. Das wäre allerdings ohne zwei super liebe und hilfsbereite Armenier nicht möglich gewesen.
Zuerst half uns die Vermieterin von Lilly, Nila und Mia und besorgte uns ein Taxi. Sie war eigentlich nur gekommen, um die drei abzuholen, aber nahm sich sofort auch unserer an. Im Taxi ging es dann einmal quer durch Yerewan, das gerade malerisch in das Licht des Sonnenaufgangs getaucht wurde. Unter anderen Umständen hätte ich das bestimmt mehr genießen können, aber nach 21 Stunden auf den Beinen und Zeitdruck im Nacken waren Müdigkeit und Anstrengung einfach stärker. Kaum waren wir am Bahnhof abgesetzt worden (der im Vergleich zu den meisten deutschen Bahnhöfen, die ich kenne, übrigens sehr imposant und schön aussah), wollte ich uns über die Seite, die mir die Vermieterin empfohlen hatte, online Tickets buchen. Nach ungefähr fünf Minuten war ich komplett verzweifelt. Das hatte anscheinend ein in der Nähe wartender Taxifahrer gesehen und sprach uns auf Englisch an. Nachdem wir ihm unsere Situation erklärt hatten, nahm er uns jeweils einen Koffer ab und führt uns ins Bahnhofsgebäude zu einem Schalter. Dort erklärte er der dahinter sitzenden Frau, was wir brauchten. Anschließend gab er uns seine Handynummer mit, falls wir weitere Hilfe oder in Yerewan jemals einen Taxifahrer bräuchten. So bekamen wir doch noch unseren Zug und konnten auf der dreistündigen Fahrt etwas die Augen zu machen. Jedoch erst, nachdem wir uns ausgiebig mit einem armenischen Ehepaar aus den USA über Gyumri und Armenien unterhalten hatten. Besonders zwei Aspekte sind mir dabei im Gedächtnis geblieben, die ich euch nicht vorenthalten möchte:
Zum einen erzählte die Frau, dass sie in Gyumri aufgewachsen sei, ihre Heimatstadt heute aber nicht wiedererkennen würde. Grund hierfür sei das schwere Erdbeben, das Gyumri am 07.12.1988 erschüttert und in weiten Teilen beschädigt hat. Das Stadtbild wurde nachhaltig verändert und die Wiederaufbauarbeiten dauern bis heute (über dreißig Jahre später) immer noch an. Die Frau erklärte, dass von ihrer Schule und ihre Wohngegend damals nicht viel übrig geblieben sei. Lediglich das Stadtzentrum habe weitestgehend überlebt. Dennoch versprach sie uns, dass wir Gyumri lieben würden, da die Menschen mit ihrer ansteckenden Herzlichkeit die Gleichen geblieben seien.
Außerdem gab sie uns noch einen Tipp mit auf den Weg: Dass wir unbedingt Aprikosen essen müssten. Diese würden nirgendwo besser schmecken als hier und seien so etwas wie die Nationalfrucht. Es hätte schließlich einen bestimmten Grund, warum die unterste Farbe der armenischen Flagge kein gewöhnliches Orange, sondern ein strahlendes Apricot sei. Das habe ich zum Anlass genommen, um die Bedeutung der Farben der armenischen Flagge zu recherchieren. Hier meine Ergebnisse: Das Rot steht für das Blut, dass im Kampf um die armenische Unabhängigkeit geflossen ist und geopfert wurde. Das Blau symbolisiert den blauen Himmel Armeniens und das Orange bedeutet den Segen, der durch die harte Arbeit der armenischen Bevölkerung beschert wird. Je nachdem, wo man guckt, kann es auch nur für die harte Arbeit stehen. Ich habe zwar nichts über Apricot gefunden, aber finde es trotzdem eine schöne Anekdote, zumal Aprikosen neben Granatäpfeln tatsächlich die Nationalfrüchte Armeniens sind.
So, da dieser Eintrag schon sehr lang ist und ich generell häufig dazu tendiere, zu viel zu schreiben, schließe ich an dieser Stelle. Nächstes Mal soll es dann damit weitergehen, wie die Ankunft in Gyumri verlief und warum ich die Phrase „armenische Gastfreundschaft“ nicht ganz passend finde.
Bis bald! 😊