Schulalltag – Lächeln, Druck und Herzlichkeit

Hallo zusammen! 🙂

Ich möchte diesen Beitrag mit einer Frage starten, die euch bestimmt interessiert: Wie ist mein Schulweg? Die Antwort für die ersten drei Tage lautet: Marschrutka-Fahren, mich verlaufen, Schule, mich verlaufen, Marschrutka-Fahren. Das Photon-Gymnasium (die Schule, an der ich als Assistenzkraft im Deutschunterricht arbeite) liegt etwas außerhalb von Gyumri in einem Wohnviertel. Alle Straßen und Gassen sahen für mich am Anfang gleich aus. Dementsprechend bin ich die ersten Tage trotz Google Maps von der Haltestelle zur Schule und wieder zurück geirrt.

Mittlerweile habe ich aber der Weg herausgefunden und weiß, dass ich eigentlich nur zweimal abbiegen muss, wenn ich an der richtigen Haltestelle aussteige. Die Schule selbst hat (ganz dem Namen entsprechend) einen mathematisch-naturwissenschaftlichen Schwerpunkt und geht von der 5. bis zur 12. Klasse. Das ist für eine armenische Schule nicht selbstverständlich, wie wir Armenien-Freiwillige sehr schnell feststellen durften, als wir uns über unsere Einsatzstellen unterhalten haben. Nila ist beispielsweise an einem College, wo nur Schülerinnen und Schüler der Klassen 10, 11 und 12 sind, während Danas Schule die Klassenstufen 3 bis 10 umfasst. Als wir unsere Koordinatoren danach gefragt haben, hat uns Benjamin erklärt, dass das in ganz Armenien so ist. Es gibt kein einheitliches Schulsystem, sondern jede Schule hat im Laufe der Zeit selbst über die „Form“ entschieden. Meine Schule folgt hierbei dem Schulsystem, was ich selbst auch aus Deutschland kenne.

Am Photon Gymnasium gibt es ca. 900 Schülerinnen und Schüler sowie um die 70 Lehrkräfte. Damit ist die Schule ganz schön groß und ich habe es tatsächlich auch schon geschafft, mich in der Schule zu verlaufen. Mir ist aber zum Glück aufgefallen, dass der Raum, vor dem ich stand, nicht der sogenannte „Deutschraum“ war. Das ist der Raum, in dem die Oberstufe (also 10. bis 12. Klasse) Deutsch hat:

Generell ist es hier so, dass die Schülerinnen und Schüler ab der 5. Klasse Englisch, Deutsch und Russisch lernen. Je nach Schulform werden einzelne Sprachen auch schon früher unterrichtet. Ich finde es ziemlich krass, dass die Schülerinnen und Schüler vier Sprachen mit drei unterschiedlichen Alphabeten gleichzeitig lernen müssen. Später können sie sich dann für ein oder zwei Sprachen entscheiden.

Der Unterricht in den 5. und 6. Klassen ist teilweise recht mühsam, da sie gerade erst mit dem Deutschlernen beginnen und ich kein Armenisch kann, was super nützlich wäre, um ihnen entsprechende Hilfen zu geben. Da mein Sprachkurs aber erst nächsten Monat beginnt, laufen meine Hilfen vorerst mit Händen und Füßen ab. Meistens zeige ich auf den Fehler und male auf, was stattdessen richtig wäre. Besonders viel Spaß hatte ich in meiner allerersten Stunde in einer fünften Klasse: Sie haben das Alphabet gelernt und die Lehrerin hat mich gebeten, ein Lern-Lied rauszusuchen. Also haben wir alle zusammen den ABC-Song gesungen. Auch beim Lernen der Zahlen oder des Genitivs habe ich mich schon durch kleinere Spiele wie Tic-Tac-Toe (selbstverständlich auf das Thema und die Klasse angepasst) einbringen können.

Meine erste richtige eigene Aufgabe: Tic-Tac-Toe auf das Bilden des Genitivs angepasst.

Eine weitere unerwartete Aufgabe: Die Klassenarbeitshefte der Schülerinnen und Schüler zu beschriften.

Ansonsten übernehme ich weitestgehend kleinere Aufgaben, wie zum Beispiel in Arbeitsphasen rumzugehen und Fehler zu korrigieren. Richtig „wichtig“ werde ich erst, wenn es für die älteren Schülerinnen und Schüler auf die DSD-Prüfungen zu geht. „DSD“ steht für „Deutsches Sprachdiplom“ und ermöglicht den Absolventen, in Deutschland eine Ausbildung zu machen oder zu studieren. Die Prüfung besteht aus vier Teilen: Hörverstehen, Leseverstehen, mündliche Kommunikation und schriftliche Kommunikation. Die mündliche Kommunikation inkludiert hierbei eine fünfminütige Präsentation, bei deren Vorbereitung ich die Schülerinnen und Schüler bald bestmöglich unterstützen möchte. Bis dahin gehe ich mit den beiden Deutschlehrerinnen mit, von denen eine meine Ansprechpartnerin ist und die beide mit Vornamen „Hasmik“ heißen. Die zwei sind super lieb und haben mich sehr schnell aufgenommen und in den Unterricht integriert. Mittlerweile weiß ich dank ihnen, wann ich mich wie am besten einbringen kann. Manchmal bitten sie mich auch, z.B. Arbeitsblätter für den Unterricht Zuhause vorzubereiten.

Anfangs haben mich gleich mehrere Dinge in der Schule irritiert, die ich so aus Deutschland nicht gewohnt war: Zum einen sind das die Stundenzeiten oder viel mehr die (nicht vorhandenen) Pausenzeiten. Eine Stunde dauert 45 Minuten und dazwischen gibt es immer 5 Minuten Pause. Selbst vor dem Nachmittagsunterricht sind es nur fünf Minuten. Die Schule beginnt als um 9:00 Uhr und endet um 14:45 Uhr nach der siebten Stunde. Am Photon findet auch samstags Unterricht statt. Als wäre das nicht schon anstrengend genug, haben die Kinder nach der Schule wenig Freizeit, da die meisten nachmittags Nachhilfe haben oder einem Hobby nachgehen. Zum Thema „Hobby“ wurde mir nur gesagt, dass armenische Kinder nichts ausschließlich zum Spaß machen würden, sondern dass immer auch Bestleistungen erwartet werden würden. Diese Einstellung lässt sich auch am Aufstehen im Unterricht (wenn montagmorgens die Nationalhymne gesungen wird,  eine Lehrkraft den Raum betritt oder man etwas sagt) und am härteren Ton feststellen. Ich bin schon das ein oder andere Mal aufgrund von Lautstärke oder Tonfall der Lehrkraft zusammengezuckt. Das bessert sich zwar nach den ersten Stunden, wenn „Gehorsam und Disziplin“ da sind, aber es kam mir dennoch sehr befremdlich und wenig „pädagogisch wertvoll“ vor.

Was mir dann jedoch erzählt wurde, hat den Umgang der Lehrkräfte mit den Schülerinnen und Schülern zumindest etwas verständlicher gemacht:

Armenische Lehrerinnen verdienen im Schnitt nur um die 260 Euro, was vorne und hinten nicht zum Leben reicht. Deshalb müssen viele von ihnen privat Nachhilfe geben und arbeiten dementsprechend nach der Schule weiter. Dazu kommt bei Frauen mit Kindern noch, dass Care-Arbeit hier größtenteils reine Frauensache ist. Diese Frauen arbeiten also quasi nur dann nicht, wenn sie schlafen. Natürlich ist das nicht bei allen so, aber dass das die Lebensrealität vieler armenischer Lehrerinnen ist, hat mich wirklich erschüttert. Was mich ebenso erschreckt hat, war der Grund, warum die Lehrkräfte hier so sehr auf Ruhe in den Klassen bedacht sind: Es kann nämlich jederzeit sein, dass die stellvertretende Schulleiterin hinter der Tür steht und lauscht. Sollte es dann zu laut sein, wird man direkt zur Schulleiterin zitiert und muss sich erklären. Ganz schön heftig.

Trotz des scheinbar immensen Drucks unter dem die Lehrkräfte stehen, laden mich meine beiden Deutschlehrerinnen in den Pausen immer wieder auf Kekse und eine netten Schnack im Deutschraum ein. Was mir auch gleich am ersten Tag aufgefallen ist, ist, dass sowohl die Lehrkräfte als auch die Schülerinnen und Schüler immer sehr schick angezogen sind. Manche sogar mit hochhakigen Schuhen und fast alle mit Bluse und Hemd. Das scheint allerdings kein k.o.-Kriterium zu sein, da ich auch weniger schick angezogen von den mir begegnende Lehr- und Reinigungskräfte immer herzlich gegrüßt werde.

Besonders überrascht hat mich ein Lehrer, der morgens immer in Militäruniform am Eingang steht und von dem ich mich zunächst etwas eingeschüchtert gefühlt habe. Nach meinem dritten Tag und dem dritten freundlichen „Hallo“ meinerseits hat er mir doch tatsächlich anstatt eines bloßen Zunickens ein super nettes „Guten Tag!“ entgegengebracht. Er hat mir dann erklärt, dass er ein Jahr in Deutschland stationiert war und ein ganz bisschen Deutsch spricht. Ich habe mich richtig gefreut und werde seitdem jeden Tag von ihm in meiner Muttersprache begrüßt. Ab und zu erkundigt er sich dann noch nach meinem Wohlbefinden. Ich habe ihn völlig falsch eingeschätzt und finde es umso wertvoller, dass er mich eines Besseren belehrt hat und mir jetzt den Morgen versüßt.

Auch mit den Schülerinnen und Schülern hatte ich schon richtig goldige Momente. Immer wenn ich die Flure entlang laufe, bekomme ich haufenweise „Hallo´s“ von allen Seiten zu hören und sehe überall strahlende Grinsen. Eine paar Fünftklässlerinnen haben mir sogar nach der Stunde Zettel zugesteckt, die ich wirklich sehr süß fand:

Hier an der Schule sind die allermeisten wirklich sehr lieb zu mir. Es motiviert mich und gibt mir Kraft, hier so freundlich aufgenommen worden zu sein. Ich merke zwar, dass die Arbeit an sich für mich nichts Dauerhaftes ist, aber ich kann die Zeit hier richtig genießen und blicke voller Vorfreude auf die weiteren Monate.

Zum Ende dieses Beitrags möchte ich euch folgende zwei lustige Situationen nicht vorenthalten, die beide frisch aus dem heutigen Unterricht in einer siebten Klasse stammen:

  1. Ich habe heute alleine mit einem Schüler gearbeitet, der gerade frisch mit dem Deutschlernen angefangen hat und deshalb im Unterricht mit Sprachniveau A2 nicht so richtig mitkommt. Während er dabei war, ein paar Zahlen aufzuschreiben, habe ich mit halbem Ohr dem Unterricht zugehört, als plötzlich folgender Satz fiel: „Er ist ein fishmaker.“ Ich bin kurz über das „fishmaker“ gestolpert, dachte mir aber nichts weiter dabei, weil ich sowieso nicht richtig aufgepasst hatte. Als die Deutschlehrerin den Satz jedoch korrigiert, fiel es mir (Achtung, Wortspiel) wie Schuppen von den Augen: Nicht „fishmaker“, sondern „Feinschmecker“! Darauf wäre ich im Leben nicht gekommen.
  2. Noch bevor der Unterricht angefangen hat, hat mir ein Schüler einen Muffin geschenkt. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Witzigerweise war er aber an dem Tag nicht der einzige gewesen: Schon auf dem Hinweg zur Schule hatte mir eine Schülerin ein Bonbon abgegeben. Ich muss wohl sehr hungrig ausgesehen haben, dass gleich mehrere Schülerinnen und Schüler ihr Essen mit mir teilen.

Jetzt habe ich aber wirklich genug geschrieben, obwohl es noch so viel mehr zu erzählen gibt. Bestimmt kommt irgendwann noch ein zweiter Teil, wenn ich etwas länger an der Schule gearbeitet habe. Dennoch wollte ich euch diesen Einblick nicht vorenthalten, da meine Arbeit einen großen Teil meines Tages einnimmt. Demnächst kommt dann auch der angekündigte Artikel über Gyumri, versprochen.

Bis bald! 😊

Ein Gedanke zu „Schulalltag – Lächeln, Druck und Herzlichkeit

  1. Miriam

    Hey,
    ich finde es echt krass, dass es in Armenien gar kein festes Schulsystem gibt. Das wusste ich vorher gar nicht und kann mir das dementsprechend gar nicht richtig vorstellen, dass jede Schule einfach so sein eigenes Ding durchzieht.
    Außerdem war ich sehr geschockt darüber, dass Lehrer in Armenien nur so wenig verdienen. Das ist bei uns ja ganz anders.
    Aber es freut mich sehr, dass du dort so herzlich aufgenommen wurdest und dir deine Arbeit dort gefällt. Ich bin mir sicher, dass du noch viele weitere Erfahrungen und Erinnerungen an der Schule sammeln wirst und bin gespannt auf weitere Berichte aus deinem Arbeitsleben!
    Deine Miriam

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