Vor etwa einem halben Jahr erreichte mich die Zusage für eine Stelle als kulturweit-Freiwillige am Goethe Institut Lomé. Lomé ist die Hauptstadt Togos, eines kleinen afrikanischen Landes, umgeben von Ghana, Burkina Faso, Benin und dem Golf von Guinea. Ich war noch nie in Westafrika. Bis heute habe ich mein Wissen und meine Eindrücke zu Westafrika unter anderem aus verschiedenen Romanen westafrikanischer Autoren zusammengelesen, zu großen Teilen aus den Büchern meiner Lieblingsautorin Chimamanda Ngozi Adichie.
Gerade deshalb möchte ich diesen Blog gerne mit den Worten der nigerianischen Autorin eröffnen. Eine ihrer Reden begleitet mich nun seit vielen Jahren: Es geht um die Gefahr der einen, einzigen Geschichte.
The Danger of a Single Story
Ich stamme aus einer konventionellen, nigerianischen Familie der Mittelklasse. Mein Vater war Hochschullehrer. Meine Mutter war Verwaltungsangestellte. Und bei uns lebten, wie es die Norm war, Bedienstete, die oft aus den umliegenden Dörfern kamen. In dem Jahr, in dem ich acht wurde, bekamen wir einen neuen Hausdiener. Sein Name war Fide. Das einzige, was meine Mutter uns über ihn erzählte, war, dass seine Familie sehr arm war. Meine Mutter schickte Süßkartoffeln und Reis und unsere alten Kleider zu seiner Familie. Und wenn ich mein Abendessen nicht aufaß, sagte meine Mutter: „Iss dein Essen auf! Ist dir nicht klar, dass Menschen wie die Familie von Fide nichts haben.“ Deshalb hatte ich großes Mitleid mit Fides Familie.
Dann, an einem Samstag, besuchten wir sein Dorf. Und seine Mutter zeigte uns einen wunderschön geflochtenen Korb aus gefärbtem Bast, den sein Bruder gemacht hatte. Ich war überrascht. Es wäre mir wirklich nicht eingefallen, dass jemand aus seiner Familie irgend etwas herstellen könnte. Alles was ich über sie gehört hatte war, wie arm sie waren, so dass es für mich unmöglich geworden war, sie als irgend etwas anderes zu sehen als arm. Ihre Armut war die einzige Geschichte von ihnen, die ich kannte.
Jahre später dachte ich daran, als ich Nigeria verließ, um in den USA zu studieren. Ich war 19. Meine amerikanische Zimmergenossin war mit mir überfordert. Sie fragte mich, wo ich so gut Englisch zu sprechen gelernt hatte, und war verwirrt als ich ihr sagte, dass in Nigeria zufälligerweise Englisch die Amtssprache ist. Sie fragte, ob sie das, was sie meine „Stammesmusik“ nannte, hören dürfe, und war dementsprechend sehr enttäuscht, als ich meine Kassette von Mariah Carey hervorholte. […] Sie nahm an, dass ich nicht wusste, wie man einen Herd bedient.
Was mich wirklich betroffen machte: Sie hatte Mitleid mit mir, bevor sie mich überhaupt gesehen hatte. Ihre Grundhaltung mir gegenüber als Afrikanerin, war eine Art gönnerhaftes, gut meinendes Mitleid. Meine Zimmergenossin kannte nur eine einzige Geschichte über Afrika. Eine einzige verhängnisvolle Geschichte. Diese einzige Geschichte enthielt keine Möglichkeit für Afrikaner, ihr in irgendeiner Weise ähnlich zu sein. Keine Möglichkeit für vielschichtigere Gefühle als Mitleid. Keine Möglichkeit für eine Beziehung als gleichberechtigte Menschen. […]
(Quelle: https://www.ted.com/talks/chimamanda_adichie_the_danger_of_a_single_story/transcript?language=de)
Ich leihe mir Chimamanda Adichies Worte, weil ich sie wichtig finde. Wichtig für mich, wenn ich nach Togo fahre, um dort als FSJlerin zu arbeiten, mit einer Gastfamilie zu leben, Freunde zu finden und zu reisen. Wichtig auch für euch, wenn ihr meinen Blog lest. Eigentlich immer wichtig, weil wir alle viel zu oft nur eine einzelne Geschichte von etwas haben.
Ich erzähle die Welt, wie ich sie erlebe
Jetzt, zwei Tage vor meiner Ausreise, habe ich das Vorbereitungsseminar von Kulturweit in der Nähe Berlins fast geschafft. Neben vielen praktischen Infos, Erfahrungsaustausch, neuen Strategien und einem Schub an Motivation, sowie unglaublich großer Vorfreude packe ich sehr, sehr viele Fragen in meinen Koffer und nehme sie mit.
Vielleicht kann ich diesen Fragen während meines sechsmonatigen Aufenthalts nachgehen. Sehr gerne nehme ich auch euch mit auf meine Reise. Mit Texten und Fotos werde ich versuchen, meine Erfahrungen zu teilen. Ich werde versuchen, viele Geschichten zu erzählen. Die Perspektive zu wechseln. Und doch: Ich kann nur erzählen, wie ich meine Kulturweit-Zeit erlebe. Es wäre wunderbar, wenn wir das im Kopf behalten.
Eure Eva
Und: Schaut euch gerne doch Adichies ganze Rede an, zu finden unter http://www.ted.com/talks/chimamanda_adichie_the_danger_of_a_single_story