Athen ist Kosmos. Die Metropole ist zu gleich Touristenmagnet und Wohnort von rund 4,5 Millionen Menschen. Hier kongruiert als Baustoff Marmor mit Beton und doch glänzen beide in der Sonne um die Wette. Stille ist nur an wenigen Orten zu finden und wenn man sie dann doch erlebt, ist man immer wieder überrascht: Athen hat unglaublich viele schöne Orte.
Athen ist bergig. Nicht selten läuft man keuchend und außer Atem durch kleine Straßen oder es geht auf dem Weg zum lokalen Supermarkt auf und ab. In die Fußwege sind dann manchmal Treppen eingebaut. Wenn nicht muss man auf ein gutes Profil der Schuhe setzten oder man rutscht in der Waagerechten den Hügel hinunter. Das war natürlich übertrieben, aber bei Marmor bin ich immer noch sehr vorsichtig. Als ich in den Anfangswochen viel zu Fuß unterwegs war, da ich die Systematik der öffentlichen Verkehrsmittel noch nicht ganz verstanden hatte, dachte ich oft an den Streit zwischen Athene und Poseidon wer von beiden der Schutzpatron der Stadt werden sollte. Es mag vielleicht weit her geholt sein oder ich bin ganz eingenommen von der antiken Atmosphäre der Stadt, aber als ich dann so über die hügligen Straßen streifte, dachte ich oft an die Mythologien, an Herakles, an Prometheus, an die Großen Götter und sah die antiken Griechen in Toga auf den Plätzen diskutieren. So versuchte ich mir den Aufbau der Stadt zu erklären. Es scheint als wäre die Stadt während des Streits dauerhaft in Aufruhr und Dynamik gewesen, bedingt durch die zwei pathetischen Götter. Es traf Weisheit auf Meereskraft und die Stadt wölbte und dehnte sich unter der gebalten Energie. Als der Streit belegt war und Athene gewann, kam die Polis zur Ruhe, aber die Wellenberge blieben bestehen.
Athen ist die Welt der Cafés. Hier findet man an jeder Ecke ein kleines bis großes Kaffeehaus, dass mit herrlichem Duft zum Anhalten und zur Ruhe kommen einlädt. Entspannte Plaudereien im Zigarettenqualm trifft auf lärmenden Verkehr entlang der Straße. Und trotzdem scheint es so, als würde es keinen stören: das Hupen, das Knattern der Motorräder und die vorbei rauschenden Busse. Ganz im Gegenteil. Die Stühle im Café sind so ausgerichtet, dass man mit den Beinen in Richtung Kosmos sitzt. Da wo das Leben ist, da wo die Menschen sind, da wo es Neuigkeiten gibt.
Nicht zu übersehen sind die älteren Herrschaften. Im langsamen Schritt betritt man(n) sein Stammlokal, grüßt höflich in die Runde mit „Γεια σας!” und setzt sich dann entweder an einem leerem Tisch oder zu anderen. Nun wird aus dem Fenster geschaut oder fröhlich drauf los gequatscht. Worüber genau, weiß ich nicht, aber es macht Spaß ihnen zu zuhören. Nach kurzer Zeit kommt die Bedienung und bringt den Kaffee, den man immer trinkt. Ein Stammgast hat nun mal ein Stammgetränk. In einem Café zu sitzen und alles auf sich wirken zu lassen ist etwas ganz besonderes und schönes, bedingt durch eine andere Sprache, die durch den Raum schwingt, als auch alle andere Geräusche, wie der Wind in den Blättern, spielende Kinder im Hintergrund, das Klimpern von Tassen und das Zischen der Kaffeemaschine.
Athen lebt von Märkten. Jeden Dienstag ist bei mir im Viertel vom Morgen bis zum frühen Nachmittag der Wochenmarkt, Λαϊκή. Schon früh um sieben hört man muntere Gespräche, schreiende Männer und das Klimpern der sich aufbauenden Stände. Ab um acht geht es dann los. Die ersten Kunden streifen durch die eng an eng stehenden Angebote und schauen nach den besten Preisen. Hier gibt es alles von Fisch, Zucchini, Aubergine, Banane, frisch gepressten Granatapfelsaft, über Nüsse, Gewürze, Süßigkeiten bis zu Putzmittel, Küchenmittel und Kleidung. Und das alles zum kleinen Preis. Laut wird von jedem Stand gerufen, was gerade verkauft und für wie viel. „50cent pro Kilo für die Auberginen“ „drei Salate für 50cent“ „Kartoffeln, hier!“. Und wenn man sich dann einen der vielen Stände aussucht, wartet man keine Sekunde und es liegt eine Plastiktüte vor dir. Nun kann jeder nach Belieben diese füllen, gibt sie zurück zum Verkäufer, es wird gewogen und bei 2,13€ wird abgerundet auf zwei. Mit dem anbrechenden Nachmittag ist fast alles Gemüse verkauft und man versucht nochmal so viel los zu werden, wie möglich. Nicht selten werden für ein griechischen Gruß und mein deutsches Aussehen freundschaftlich das ein oder andere Gemüse/ Obst als Geschenk eingepackt. Am frühen Abend hört man dann wieder das Klimpern der Stangen, Transporter die all ihre Sachen einpacken und ganz zum Schluss die Müllabfuhr die Straßen reinigen. So als wäre nichts gewesen und trotzdem so viel Leben für die Stunden des Tages.
Athen ist touristisch. Besonders beliebt sind der Syntagma-Platz, die Aussicht vom Lycabettus und das Wahrzeichen überhaupt, die Akropolis. Oft bin ich an diesen Orten noch nicht gewesen. Nun gut, die Aussicht vom Berg Lycabettus ist schon eine Klasse für sich und von hier hat man auf jeden Fall den besten Blick auf die Stadt und den Sonnenuntergang, aber die Akropolis habe ich bis jetzt nur einmal besichtigt und das in der letzten halbe Stunde als sie schließen wollte, also werde ich das nochmal ganz in Ruhe nachholen. Am Syntagma-Platz befindet sich das Parlament und vor diesem patrouillieren die Präsidialgarde in traditioneller Weise. Sie führen wie einen Tanz auf und ahmen Pferde nach indem sie mit ihren Schuhen auf dem Marmor entlang streifen. Es sind immer zwei, die simultan ihren Dienst leisten. Es handelt sich bei den Evzonen noch heute um ein Eliteregiment mit Wach- und Repräsentationsaufgaben. Sie sind gekleidet mit Rock mit 400 Falten. Jede Falte repräsentiert ein Jahr der türkischen Besatzung vor dem Jahr 1821. Die Griechen verkleideten sich damals als Ottomanen und wagten den Aufstand. Heute erinnert die Uniform an diese Zeit und dem Kampf heraus aus der Invasion.
Wirklich touristisch fühle ich mich nicht mehr. Im Supermarkt kann ich mittlerweile Einkaufen ohne englisch zu sprechen und es hat sich ein Alltag und eine Routine in meinem Athener Leben entwickelt. Früh im Bus bin ich bestimmt die einzige Nicht-Griechin und auch in meinem Wohnviertel sehe, beziehungsweise höre ich selten deutsch, französisch oder englisch. Eines Morgens wartete ich an der Bushaltestelle auf den Bus. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt meine Haare wachsen lassen und konnte sie oben auf dem Kopf zu einem kleinem Zopf binden. Meistens höre ich Musik mit Over-Ear Kopfhörern, man sieht also offensichtlich, dass ich nur schwer Stimmen höre. Trotzdem steht auf einmal eine Frau vor mir, schaut mich an und ich sehe, dass sie mit mir spricht. Ich nehme die Musik von den Ohren und merke, wie sie auf griechisch voller Elan und Freude mir etwas sagen will. Ich erkläre ihr, dass ich kein griechisch spreche, woraufhin sie schnell zu Englisch wechselt und meint: „You look like Brad Pitt! Google it! You look like him. Where are you from? Germany?“ Völlig perplex nahm ich das Kompliment an und freute mich über die Offenheit der Griechin mir dies mit Enthusiasmus mitzuteilen. Diese Begegnung hat mich noch den ganzen Tag grinsen lassen und auch jetzt noch, gut einen Monat her, schenkt es mir ein Lächeln auf die Lippen.
Wie man sieht hat Athen unglaublich viel zu bieten. Es sind eben nicht nur die archäologischen Stätten und Antiken Wahrzeichen, sondern viel mehr die Menschen, die diese Stadt heute ausmachen. Und ich bin froh, froh dabei zu sein!