Archiv der Kategorie: Erlebte Geschichten

Ein Stadtrundgang

Sarajevo im Portrait – Zusammengefasst aus der ersten Woche Observation

Das ist alles verdammt viel geworden, Absätze überspringen geht bestimmt auch…

 

Es war kalt heute Nacht. Es ist Mitte September und der Himmel ist strahlend blau, die Luft sehr kalt, die Sonne jedoch schon recht warm. Bergklima. Wir warten auf die Tram Richtung Innenstadt. Sarajevo hat sieben verschiedene Linien, massenhaft Busse. Fahrpläne gibt es nur auf dem Touri-Info Stadtplan,  Abfahrtszeiten gibt es scheinbar, nur für uns noch nicht zugänglich. Die Haltestellen haben Namen, sind jedoch nicht beschriftet.

Die Tram ruckelt von uns aus Richtung Stadt. Aus unserer Plattenbausiedlung heraus, führt die Strecke bald am Fluss Miljacka entlang, ein in Bosnien eher unbedeutsamer Fuss. Die Sonne spiegelt sich im Wasser, sodass man die eigentliche Bräune nicht sieht. Die Miljacka ist entlang der Stadt kanalisiert. Außerdem wurde der Strom durch ein terrassenartiges Anlegen des Flussbettes gehemmt, die Fließgeschwindigkeit reduziert. An jedem dieser Stufen befindet sich ein Strudel, durch das herabfallende Wasser. Hier kann man bunte Plastikteile und -flaschen beobachten, die durch den Strudel gegen die Stufe der jeweils höheren Terrasse gedrückt werden…

Insgesamt ist die maximal 50 Zentimeter tiefe und im Durchschnitt etwa 5 bis 10 Meter breite Miljacka von Bäumen gesäumt und besitzt zumeist eine Promenade, Richtung Stadtkern sogar Bänke, die sich später mit Cafés abwechseln. Egal wie dreckig oder sauber – ein Fluss ist und bleibt irgendwie Naturressource und Lebensquelle einer Stadt und sollte deshalb auf keinen Fall fehlen.

Die Architektur ändert sich bis hin zur Altstadt überraschenderweise wenig. Im Tal entlang der Miljacka stehen Platten wie die unsere, neuere moderne Glaspaläste welche unerwartet viele Kaufhäuser beherbergen. Man kann verschiedene Fakultäten aus den Fenstern sehen, sofern der seltene Fall auftritt, einen freien Sitzplatz gefunden bekommen zu haben. Man passiert das Parlamentsgebäude (Glas-Beton-Kombination der 80er) das alte Museum (Habsburger Stil) sowie das Neue. Auf der Südseite des Flusses erahnt man die Skenderija, die Olympische Halle von 1984, welche man unter den ganzen Werbeplakaten kaum noch sieht.

Einschusslöcher nimmt man schon kaum noch wahr. Große, kleine, Durchschüsse oder nur abgeplatzter Putz. Selbst wieder verputzte Schäden sind noch zu erkennen. Ruinen nehmen stadteinwärts potentiell ab.

Trotz dieser groß- und smogstadtähnlichen Atmosphäre ist die Luft erstaunlich frisch. Man reicht jedes Auto. In Hamburg ist die Luft so dreckig, dass man kein einziges Auto individuell “erriecht“. Sarajevo hat abgesehen vom Altstadtkern erstaunlich viel Grün. Finde ich. Der Erholungscharakter wird außerdem durch die allgegenwärtigen Bergketten gestärkt. Vom mittigen Miljacka-Tal ziehen sich die Berge hoch, die naheliegenden Skiberge erreichen eine Höhe von circa 1600 Metern (Sarajevo selbst liegt auf 500 Metern), das nächste Massiv 30 Kilometer südlich der Stadt ragt über 2000 Meter in den Himmel. Vom Tal hinauf ziehen sich teils schmucke, teils ärmliche Einfamilienhäuser entlang enger Gassen und dicht gepackt die Hänge hinauf. Was man von fast überall sieht, sind bewaldete Bergkuppen, schließlich zieht sich die Babauung einer 500.000 Einwohner Stadt nicht bis in die Gipfel.

Wir steigen nahe der Altstadt aus. Obwohl wir mitten in der Stadt wohnen (Geographisch) dauert es mit der Tram doch seine 15 bis 20 Minuten bis zur Baščaršija (viel Spaß beim aussprechen). Diese liegt nämlich am östlichen Ende der Stadt. Die muffige Parfumluft der doch schon recht extrem aufgetakelten Bosnierinnen hinter sich lassend, wird man nicht selten vom Chor der Muazzins begrüßt. Wie wir gerade gestern gelernt haben, ist der fünf Mal am Tag zu hörende Gesang eigentlich kein Gesang, sondern ein Aufruf zum Gebet. Frauen haben in der Moschee separate Gebetszonen hinter den Männern nur, damit sich die Kerle aufs Gebet konzentrieren, nicht wegen der gesellschaftlichen Stellung. Als wir gestern die Kaisermoschee besuchten kamen wir gerade pünktlich zur moslimischen Hochzeit. Kurz danach führte uns der hiesige Muazzin in seinem Gebetshaus herum. Sehr lieblich und herzlich versucht er, uns vom Koran zu überzeugen, erzählt Geschichten und lacht unglaublich viel. Der Islam sei ein friedlicher Glaube, die fünf Gebete sind, um den inneren Frieden zu finden und sich von kleinen Sünden reinzuwaschen. Damit man später ins Paradies kommt. Es gibt nur einen Gott, und das ist Allah.

Juliane wickelt sich ihren Schal vom Kopf und wir machen uns auf zur Baščaršija. Heraus aus den Habsburger Bauten und den halb vergammelten Platten findet man sich in einem Gassenlabyrinth wieder. Die vielen Minarette sind zur Wiedererkennung nicht förderlich, insofern erfüllen die Berggipfel ihren Orientierungssoll. Es riecht nach Nüssen, gegrillten Čevapčići und Burek sowie dem supergenialen bosnischen Kaffee. Alles ist voll mit kleinen Läden, die die Gassen säumen. Ein altes Handwerksviertel.

Genauso schnell wie man drin ist, findet man den Ausgang aus dem Herzen Sarajevos. Läuft man Richtung Osten kommt man am Rathaus vorbei, ein unglaublich beeindruckender osmanischer Bau, welcher momentan renoviert wird. Nördlich liegt der sogenannte Taubenbrunnen, bekanntes Fotomotiv. Weiter Stadteinwärts kommt man zu einer recht westlichen Shoppingmeile, wo sich Klamottengeschäfte jedoch glücklicherweise mit Moscheen, Shishabars und Kaffeestuben ablösen.

Ich schreibe hier viel von Moscheen. In Sarajevo gibt es eine Synagoge, katholische sowie serbisch-orthodoxe Kirchen. Dennoch besteht die Bevölkerung wohl zu 80 Prozent aus Bosniaken (bosnische Muslime) und das merkt man auch. Kopftücher sind recht präsent, selbst auf Fahrrädern kamen uns schon einige entgegen. Heute habe ich zum ersten Mal Glockenleuten gehört, es ist Sonntag.

Mit der Dämmerung (hier schon um 19:30h) begeben wir uns in eine Čevapdjinica, essen gehen ohne Fleisch ist hier undenkbar. Egal was man bestellt, man braucht keine Angst haben nicht satt zu werden. Selbst wenn der bestellte Teller nur 4 KM (2 Euro) kostet. Generell scheint man mit 5 Euro inklusive Trinkjoghurt in Sarajevo gut durchzukommen.

In den Shishabars trifft sich Samstagabends das typische Clientée. Studenten und Schüler mit den gleichen Smartphones wie wir. Aufgemotzt wir für die dickste Party läuft man hier abends rum, sodass nocheinmal mehr auffällt, dass wir nicht bosnisch sind. Der Blondheit wegen wird man schon angeguckt.

Wir nehmen die Tram zurück nach Hause. Das Abstempelsystem funktioniert wie in Kassel, Ticket beim Fahrer kaufen und in der Tram selbst abstempeln. Einfache Fahrt: 1,80 KM. Zehnerkarte: 12, 80 KM. Eine Monatskarte gibts per Antrag und massenhaft Schreibarbeit für 52 KM.

Der Fahrstuhl fliegt 27 Sekunden in den 12 Stock zu unserer Heimatoase. Den rauchenden Nachbarn im Treppenhaus wünscht man eine gute Nacht mit den paar Brocken bosnisch die man schon kann. Lichtermeer unterhalb unserer 2-Zimmer-Wohnung. Nachts macht man alle Fenster zu, sonst ist es zu laut zum Schlafen. Ein letzter Zug pfeift Tiere und Menschen von den Gleisen, Straßenhunde heulen. Von oben betrachtet gleicht das ganze nurnoch Miniaturwunderland.

Mit Eurojoker Richtung Süd-Osten

Ich befinde mich in einem blau-weiß bemalten Nachtzug, hinter mir klappt München schon die Bürgersteige hoch. Nach drei Anläufen passt mein Rucksack ins Abteil, nach 4 dann auch der Koffer. Der vordere Teil des Zuges fährt nach Budapest, der hintere (hoffentlich) nach Zagreb.Im Abteil befinden sich abgesehen von meinen Schleppankern zwei Amerikanerinnen, Mutter und Tochter auf dem Weg nach Slowenien, sowie Ivan, ein Kroate aus Split mit Arbeit in Freiburg. Die zwei restlichen, unbesetzten Betten gehen für mein Gepäck drauf.

Kurz bevor meine Augen zufallen kommt der Schaffner und sammelt die Tickets ein. Ob ich das Meine denn wiederbekomme, frage ich auf Englisch. Schließlich brauche ich das als brav-strukturierter „kulturweit“-Freiwilliger für die spätere Abrechnung. Ivan übersetzt. Der gute Schaffner guckt mich großväterlich an, klopft mir auf die Schulter und gibt mir über Ivan zu verstehen, dass die Fahrt ja noch nicht vorbei sei… Auf deutsch: Das Ticket wird es wohl beim Ausstieg zurückgeben.

Die Passkontrolle am folgenden Morgen. Der Schaffner verteilt Wasserflaschen, an Ivan und mich (die Amerikanerinnen sind bereits ausgestiegen) während der Zug durch die im Morgennebel versteckten Berge bummelt. An der „Grenzka“. Grenzbeamtin eins dreht meinen Pass einmal um die eigenen Achse, schielt auf das EU-Siegel und gibt ihn mir wortlos zurück. Ivan darf seinen kleinen Rucksack komplett ausleeren. Als er seine Unterwäsche wieder zusammenfaltet sagt er, dies würde ihm jedes Mal passieren. Eine zweite Kontrolle kommt und diesmal mit Verstärkung. Ivan scheint klarzustellen, dass der folgende Akt eher überflüssig sei. Beamtin eins kommt und nach fünf Minuten Konversation scheint sie seine These zu bestätigen. Ich gebe der zweiten Beamtin meinen Pass. Sie spielt ein wenig mit den Seiten,  schielt mir kurz in die Augen und geht daraufhin mit einem Grußwort. Ich betrachte meinen Gepäckhaufen und überlege, wieviel Illegales ich drain jetzt hätte verstecken können, und das anscheinend nur, weil mein Pass rot ist. Ich gucke beschämt in die Ecke, weiß nicht, wie ich mich dem guten Ivan gegenüber verhalten soll. Es sei seit dem EU-Beitritt wohl nicht anders als vorher, meint dieser.

Ich frage den Schaffner, ob er mir sagen kann wo und wann mein Zug nach Sarajevo fährt. Er grinst mich breit an und bestätigt. Kurz darauf kommt er mit einer weiteren Wasserflasche an, und gibt sie mir. Drei andere Mitfahrer stehen um mich herum. Wieder der Eurojoker oder weil sich meine Erkältungsnase echt beschissen anhört? Oder weil ich ja noch weiter nach Sarajevo muss und die anderen nicht?

Angekommen in Zagreb verabschiede ich mich von Ivan, der steigt jetzt in den Bus um seine Familie im Süden zu besuchen. Der Schaffner nimmt mich quasi an die Hand, und bringt mich einmal über den Bahnsteig auf die andere Seite, von wo aus mein Zug nach Sarajevo fährt…