Archiv des Autors: Ajke Encijan

Demokracija?

Auf der Suche nach einem Schlüsselmacher. Wolkig grau. Schietwetter. Nach drei Wochen Sonne und 20 Grad kann man sich nicht beschweren. Nein, man sollte Luftsprünge machen. Eine Straßenecke weiter. Am sprunghöhepunkt. Die Demowolke. Nich viele, aber immerhin einige. Wie die Fußballmasse vom WM-Einzug quetscht diese sich durch die Straßen. Genauso laut, nur aus anderem Grund. Was auf den Bannern steht – keine Ahnung.

Weiter den gewohnten 34-Minuten-Arbeitsweg vom Gimnazija Obala nach Hause. Weiter am Fluss entlang. Weiter an den gewohnten Zeltburgen vorbei. Ja, Zeltburgen. Auch die Banner sagen mir nicht viel. Und fotographieren und zu Hause übersetzen, wenn gerade das Fernsehen einen Mann in Gummistiefeln, Wollmütze und Handschuhen interviewt… Nein, danke. Nach dem fünften Mal passieren (auch schon relative drei Wochen her) hab ich mal nachgefragt. Beim Sprachkurs. Die antwort sah im Groben folgendermaßen aus:

„Das sind bosniakische (muslimische) Familien aus einem Dorf aus der Republika Srpska. In dem Dorf leben zu bestimmt 99 % Moslems. Nun gehen die alle auf eine Schule, wo aber nur serbisch und somit das kyrillische SChriftbild vermittelt wird. Die werden nur von serbischen Lehrern unterrichtet und ihnen wird verboten, die bosnische Sprache zu benutzen. Deswegen sind die hier. Und ich meine, die haben jedes Recht zu protestieren. Die fühlen sich eben bosnisch und nicht serbisch. Die Kinder gehen eben aus Protest seit dem Schulanfang nicht zur Schule.“

Und sitzen am Autoreifen. Spielen Karten. Oder mit Hunden. Seit einiger Zeit wird das dortige Flussufer auch von zwei Dixiklos gesäumt. Eins ist gelb, das andere blau. Die sieht man auch von der anderen Seite. Wie sie durch die Bäume schimmern, sich im Wasser spiegeln.

Ob die Erfolg hatten? Ob die Demonstrationen hier etwas bringen? Ob die Medien schweigen, kann ich mit meinem Bruchbosnisch nicht sagen. Jedenfalls sind die wohl äußerst neutral (so in etwa muss sich ein mir erzählter Dialog abgespielt haben):

„Wer macht hier eigentlich die Zeitungen?“ „Unabhängige“
„Und wie finanzieren die sich?“
 „Die eine zahlt glaub ich so ein Politiker“

 

Wo die deutschen Lehrer tagen…

Banja Luka.                                  zum vierten mal                                           25. – 27.10.13

DaF – Unterricht zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

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In Kooperation mit dem BHDLV (bosnisch-herzegowinischen Deutschlehrerverbands), dem DLVRS (Deutschlehrerverband der Republika Srpska) und dem Goethe-Institut.

BAM! Klingt offiziell, klingt teuer, klingt wichtig, klingt gut. Also hin da. Voller Erfolg? Essenstechnisch bestimmt. Der Erfahrung wegen sowieso. Insgesamt?

Freitagabend fiel der Startschuss. Kinder singen von Papa-Maus mit großen Ohren, andere Kinder führen Loriot auf. Es wird viel geredet und viel gegessen, sich viel vorgestellt. Wir vier Freiwilligen treffen fleißig Leute, die wir schon kennen, setzen uns fleißig an fremde Tische, um neue Leute kennenzulernen und hören fleißig aufmerksam den Reden zu.

Samstag. Workshoptag. Man soll sich austauschen, neue Methoden kennenlernen. Ein Puzzle zur Landeskunde Deutschlands hab ich schon gemacht, also doch lieber das zu Bosnien-Herzegowina. Oder die Grammatik Übung da zu Präpositionen, da kann man bestimmt was von mitnehmen. ein halbes Huhn im Brötchen gibts zum Mittag, bei wunderbarster Sonne, dann der fließende Übergang zum Workshop zwei: Comics im DaF-Unterricht. Wir haben alles mögliche gemacht, über Wagner, Mozart, Siegfried, … Nur leider recht wenig über Comics.

Was sich hier jetzt recht motzig anhört ist aber eigentlich doch recht sinnvoll. Wenn ich hier Schülern eine Frage stelle wie:

„Glaubt ihr, dass… ?“, „Was denkt ihr über… ?“, „Warum meint ihr …?“, „Wieso“, „Weshalb… ?“

Das ist ein No-go. Funktioniert einfach nicht. Das eigentständige Lernen, was wir von oben nach unten, von hinten nach Vorne in unsere Hirnzellen eingeboxt bekommen, wird hier nicht gelehrt. Und das liegt am Unterrichtsverfahren.

Im Workshop 1 gab es Beispiele zum Stationenlernen. An der Nummer acht lag ein Lückentext zum Schubladendenken der Kulturen. „Ich will … schlafen, … aufwachen, … frühstücken,…“ (türkisch, italienisch, spanisch, englisch, … zum Einsetzen). Danach sollte man sich über sein Denken in einer Gruppe austauschen,

Bei der Besprechung kam von einer Lehrerin doch glatt: „Ja, da hinten bei der Station, einiges hatten wir da richtig, aber auch sehr viel falsch.“ Falsch? Wenn ich türkisch träume und lieber französisch mit Croissant frühstücke als englisch mit Ekelbohnen, wie der Originaltext hergibt, ist das doch nicht falsch!

Wenn aber selbst viele Lehrer so denken, wie sollen dann die Schüler anfangen, kritisch über Dinge zu urteilen.

Auch, wenn mir viele der vorgestellten Methoden bekannt waren, war mir doch neu, dass auch Lehrer Schüler sind. Ihr ganzes Leben lang.

Wir schließen ab mit einem Essen (versteht sich) und vorgestellter Poetry-Slammerei von bosnischen Schülern auf Deutsch. Das Programm geht bis Sonntag um 14 Uhr. Um 11 sind alle weg. Schließlich wurden die Teilnahmebestätigungen schon am Vortag ausgeteilt…

Banja Luka Bilder

Banja Luka

Die halbe Serbenstadt. Und das ist natürlich politisch unkorrekt ausgedrückt. Wir kommen nachts an. Per Bus. Sinn des Besuchs: 4. Deutschlehrertagung des Staates Bosnien und Herzegovina.

Des Bus hält, schmeißt uns raus, fährt wieder los. Wir biegen erstmal unsere Beine, nach hinten, nach vorne. Mit viel Schwung den Rucksack auf den Rücken… Wir wollen zu Leonie, ihre Straße ist wie alles hier (noch) recht unaussprechbar. Taxi. Oder Taksi wie man hier sagt. Fahrer eins weiß wo die Straße ist. Fahrer eins ruft die Zentrale an, weil er nicht weiß, wo die Straße ist. Fahrer zwei kommt und weiß nicht wo die Straße ist. Fahrer drei kommt und weiß nicht wo die Straße ist. Fahrer vier schläft, hinten in der Ecke vom Parkplatz. Vielleicht hätte der es ja gewusst…

Als wir dann bei Leonie waren die Erklärung: In der Republika Srpska, wovon Banja Luka die Hauptstadt ist, wurden seit dem Krieg viele Straßennamen geändert. Selbst ganze Dörfer heißen mal eben anders. Was früher Tito-Straße hieß wird nun nach serbischen Helden benannt, ohne dass die Taksifahrer den genauen überblick hätten.

Republika Srpska? Bosnien und die Herzegowina sind seit dem Krieg in zwei (eigentlich drei) Teile geteilt, demnach, wo die Fronten des Krieges verliefen. Die Republika Srpska war der serbisch besetzte Teil, die bosnisch-kroatische Föderation der Rest, also die kroatischen und bosniakischen Gebiete. Ein kleiner Teil, Brčko, wird von allen drei Volksgruppen verwaltet.

Man merkt schon recht deutlich den serbischen Einfluss in der Stadt. „Ich kann nicht so gut serbisch“, sagt uns Leonie. Bei uns in Sarajevo spricht man bosnisch, bei Tereza in Mostar kroatisch. Alles im geografischen Bosnien-Herzegovina.

Im Zentrum strahlt uns die neue orthodoxe Kirche an, verschwindend klein wirkt die Moschee, ein paar Straßen weiter, die im Krieg komplett zerstört wurde. Nun klettern Arbeiter auf Holzbalkengerüsten. Der Wiederaufbau. Wer hier irgendwann mal hineingeht, frage ich mich.Denn so wie Sarajevo muslimisch und die Herzegovina katholisch ist, ist die Republika und mit ihr Banja Luka durchweg serbisch orthodox. Hier wurde kaum der WM-Einzug des Staates BOSNIEN-Herzegovina gefeiert. Ich habe sogar Munkeleien gehört, dass die Republika ihr eigenes Team aufstellen will…

Das geht? Das geht. So halb. Da hat jemand im Friedensabkommen nämlich nicht gut aufgepasst. Schon allein begrifflich ist eine Republik autonomer als beispielsweise die Föderation. Die Republika stellt einen Präsidenten, die Föderation zwei. Gemeinsam wird wohl irgendwo Politik gemacht.

Dieses Land ist geteilt. Durch den Krieg. Die Linien wurden entland der Frontlinien gezogen, egal wer wo wie mit wem war und ist. Im Krieg ging es laut Buch und Meinung wohl nicht um Religion in erster Linie. Es ging um Gebiete. Serbien wollte ein Großserbien, und Kroatien sagt zur Herzegowina schließlich nicht nein. Die unterschiedlichen Religionen waren Teil des Konflikts, aber nicht der Auslöser.

Wir laufen in der Sonne am Vrbas entlang, lassen die Füße ins Wasser baumeln. Die Kriegspassage hatte ich gerade in meinem klugen Buch gelesen. Wir essen getrocknete Feigen, Granatapfel und Brot mit Käse. Der Himmel ist blau, die Blätter gelb, das Wasser klar, die Luft kalt. Die gleiche Luft wie in Sarajevo.

Fotos zu Banja Luka gibt es hier.

Mostar Bilder

Mostar

Drtittgrößte Stadt. Herzegovina. DIE Touristenstadt BiHs, aufgrund der Nähe zur Kroatischen Küste. Und hat man schonmal wegen Bajram frei, verschlägt es einen auch mal hierhin.

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Ankunft am Bahnhof. Bekannt als die schönste Zugstrecke überhaupt, entlang des Flusses Neretva.  9:30 h, nach knappen drei Stunden Fahrt. Die Luft ist feuchtwarm. Palmen am Straßenrand. Die Berger ringsherum kahl. Karst. Keine Bewaldung wie rundum Sarajevo.

Wir treffen Tereza, die hiesige Freiwillige, wo wir (geplant) drei Nächte bleiben. Stadtrundlauf. Es regnet viel und unberechenbar um diese Jahreszeit. Die Stadt ist erstaunlich sauber, wir laufen von Tereza Richtung Innenstadt. Hier in der Herzegovina wird wohl das Geldgefälle zwischen dem nahe gelegenen Kroatien und dem Rest von Bosnien und Herzegowina genutzt, um an Geld zu kommen. Das macht sich bemerkbar. Alles ist etwas teurer, für die Kroaten aber immernoch günstig genug. Baum an Baum, Allee hinter Allee bis hinunter zum Fluss. Tereza lacht, als wir von der Grüne des Städchens sprechen.

Baustelle Richtung alte Brücke, die auf jedem Reiseführer klebt. Der Bürgersteig wird mit hochglanzweißem Stein neu bezogen. Auf einmal wechselt die Atmosphäre. Es riecht nach Orient. Die Architektur ist anders. Während des Krieges war die Stadt in zwei Teile geteilt, die kroatische und die bosniakische Seite. Wir kommen von der kroatischen. Man merkt das. Laut meinem klugen Buch und Tereza waren 60 Prozent der mostarischen Jugendlichen noch nicht auf der jeweils anderen Seite. Es gibt zwei Universitäten, genug Schulen für jede Seite, eben alles zwei mal. Logisch, warum man die alte Brücke von der einen Seite zur anderen während des Krieges gesprengt hat…

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Es gibt andere Supermärkte als bei uns. Kroatische eben. Hier sagt auch jeder, er spreche kroatisch. Nicht bosnisch. Wo in Sarajevo der Islam groß ist, ist es hier der Katholizismus. Und am Samstagabend ist tote Hose…

MEDUGORJE – eine katholische Wallfahrt…

Eine halbe Stunde Busfahrt von Mostar befindet sich ein Berg, auf dem vor nicht allzulanger Zeit die Mutter Maria einigen Kindern erschienen sein soll. Wir schenken dem mal einen Glauben und pilgern per Bus dort hin. Die hier heiße Herbstsonne erleuchtet eine (eine) Straße, mit neu errichteter Kirche am Ende. Geleitet von Plastikarmbändern, Trödelkram von der Mutter Maria und Industriehonig (900 Gramm = 4 KM?!) wagen wir drei Schritte in die nicht wirklich bombastische Kirche.

Der Wallfahrtsort ist touristenankurbelnd und somit gut für die Region. Der Walfahrtsort ist aus dem Vatikan jedoch nicht anerkannt. Ob hier kirchliche Werbung gemacht wird…?

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Weitere Fotos aus Mostar, von der Buna-Quelle und den Kravice-Wasserfällen gibt es hier.

Monatsbilanz

Und wie die Zeit vergeht… Hier der Versuch eines halbwegs knappen Résumés.

Zwei Schulen, sechs Lehrer, acht Klassen, über 180 Schüler. So langsam geht die Hospitationsphase vorbei, man pendelt sich ein. Die Anfangseuphorie „Oh guck mal, ein Blonder!“ ebbt so langsam auf beiden Seiten ab. Und das ist nicht unbedingt etwas schlechtes.

Sowas ist nämlich auf die Dauer ganz schön anstrengend. Auf meinem Stundenplan sammeln sich insgesamt 19 Schulstunden beziehungsweise 18, da Schichtunterricht. Klingt wenig. Wenn man die dreiviertel Stunde Fahrtzeit für eine Strecke zur Schule mit einberechnet sind das schon ein paar mehr Minuten, und wenn man die vier Stunden dazurechnet, die ich gestern zur Vorbereitung einer Doppelstunde zum Thema „Graphiken beschreiben“ gebraucht habe, komme ich denke ich mal auf mein Soll von 30 bis 40 Wochenstunden.

Alle sechs Lehrer sind top. Bei den einen schmeiße ich die komplette Vorbereitung auf das DSD, bei den anderen schreib ich mal was an die Tafel… oder wir spielen. Man macht sich echt Freunde mit Lockerungsspielen, hierbei nochmal vielen Dank an die Teamer vom Vorbereitungsseminar. Lachen rettet eben Welten.

Und dennoch hilft das nicht immer. Ich hätte NIE gedacht, dass ich soetwas in meinem Leben mal von mir geben würde, aber guter Unterricht liegt definitiv nicht nur am Lehrer. Es kommt auf die Schüler, die Gruppengröße, die gewischte Tafel, das Wetter, die Uhrzeit, den Wochentag, die Farbe meines Pullovers und die Jahreszeit an. Gefühlt. Man kann sich noch so gut vorbereiten, in der einen Klasse klappt das Konzentrationsspiel, in der anderen überhaupt nicht. Dementsprechend kann ich mittlerweile (hätte ich auch nie gedacht, dass ich sowas mal veröffentliche) auch sehr gut lehrerliche Stimmungsschwankungen nachvollziehen.

Gestern hatte ich drei Stunden. In der ersten Klasse hatte ich eher wenig zu tun, Mails vom Lehrer Korrektur lesen, den Kids über die Schulter gucken. Die vierte Klasse danach schreibt in weniger als zwei Monaten DSD. Der Aufsatz umfasst (typisch Deutsch eben) die Aufgabenfelder Wiedergabe, Erörterung sowie Bewertung, eigene Meinung. Die Inhaltsangaben die ich mir durchgelesen habe würde fast jeder Lehrer in Deutschland mit viel Schnauben in die Ecke werfen (so ungefähr). Also hatte ich die zwei Stunden genutzt, denen unsere tolle 5-Schritt-Methode mit lesen, unterstreichen, Sinnabschnitten bla bla bla… Kam nicht so gut an und hat auch in Etwa das dreifache meiner geplanten Zeit eingenommen. Was man nicht alles für gute Ergebnisse tut. Ist eben wirklich irgendwo Selbstreflektion.

Heute hatte ich vier Stunden an der gleichen Schule, zwei in der zweiten DSD-Klasse, zwei in der dritten. Wir wollten über Lebensunterschiede von Deutschland zu Bosnien sprechen, ich hatte ne schnieke Powerpoint gemacht… ohne Beamer natürlich weniger erfolgversprechend. Also alles mündlich, der Schülerfokus hat mich eher durchlöchert als in die Ecke gestellt. Man kann hier schon von Begeisterung sprechen. Die dritte Klasse danach war todmüde, Freitag, letzte Stunden. Aber auch hier machen alle mit, die lieben mich, ich liebe sie. Die spielen die Spiele auch immer richtig. Und das bei einem solch trockenen Thema wie den oben genannten Graphikbeschreibungen. Da haben sich die vier Stunden Vorbereitung gelohnt. Und irgendwie grinst man dann den ganzen Weg nach Hause…

Bosnien auf Goldkurs – Der WM-Einzug

Vor einer Woche, 4:1 gegen Lichtenstein. 0:1 gegen Littauen am Dienstag. Damit ist dieses wunderschöne Land mit gelben Sternen auf blau mit 25 Punkten Qualifikations-Erster der Gruppe G. Punktemäßig auf Platz vier.

In Sarajevo war am Dienstag angeblich die Hölle los. „As if they just won the whole championship! The first time in our entire history!“, so meine Sprachlehrerin gestern. Wir waren in Mostar, in der Herzegovina. Hier wurde nicht ganz so ausgiebig gefeiert. Das Spiel am letzten Freitag war für mich als über Fußballbegeisterten (…) schon spannend genug. Leinwandübertragung in der Innenstadt. Eine Stunde nach Abfiff in der Bar knallt es draußen wie Hölle. Alles dreht sich um, und weil die ausländischen Deppen sich mal wieder nicht zu schnell zurückdrehen, flogender Kommentar der Kellnerin:

„Don’t worry, the war’s not restarting. We just won.“

Das „we“ bleibt dann doch irgendwie hängen. Dass in einem Land, welches noch vom Friedensabkommen von vor 18 Jahren und drei Präsidenten regiert wird, von „uns“ gesprochen wird, kann man sich als problemorientierter Deutscher ja schonmal garnicht vorstellen. Eine Schülerin postet auf facebook etwas wie „The whole of Bosnia finally united“ mit etwa 30 likes. Ob in Bosnien das Sommermärchen 2014 ansteht?

Ein aus meiner Sicht recht informativer Artikel zur Hintergrundaufklärung:

http://www.taz.de/Fussball-in-Bosnien-und-Herzegowina/!125783/

POPIS – Die Volkszählung

Es ist Volkszählung in Bosnien. Die erste seit 1991. Erster bis fünfzehnter Oktober. Seit zwei Tagen rennen Beauftragte mitsamt zwei Kilo Papier an Informationen und Auswertungsbögen durch die Stadt und Fragen ab. Systematisch. Unser Haus von unten nach oben.

Es klingelt um sechs Uhr nachmittags. Gestern. Glücklich, dass uns überhaupt jemand erwischt. Der gute Mann lacht fröhlich und drückt sich sein Bosnisch in Wellen fliegend aus. Wir geben unser bestes aus Brocken Kuchen zu backen. Beziehungsweise ihm einen Kuchen zu backen, was WIR hier tun. Und dass wir keine Bosnier sind, keine fünf Kinder im Hinterzimmer haben die er bitte mitzählen soll. Ein Schüler meinte neulich, dass die selbst dokumentieren müssen wenn jemand angeblich vom Mars komme.

Der Zähler holt Stift und Papier samt dickem Ankreuzbogen und Übersetzungspapieren aus seiner Tasche. Mechanisch dürfen wir auf „Njemački“ (Deutsch) zeigen. Es wird geblättert, vor zurück und wieder vor, wir zeigen hier und da…

„Ambasada?“ ist das letzte. Jaja, die Botschaft weiß, dass wir hier sind!

Schulterklopfen, als hätten wir seinem Sohn über die Straße geholfen. Händeschütteln wie nach Abschluss des Dayton-Vertrags und wieder sind wir alleine. Gezählt.

 

Heute gehe ich auf dem Nachhauseweg nach zwei Stunden am Gymnasium Obala und Gemüsemarkt Großeinkauf an unserer örtlichen Kopirnica vorbei, wo ich noch eine Mark Schulden für Kopien hatte. Das Mädel, die für ihren Vater den Laden schmeißt, bevor die Uni anfängt, begrüßt mich freundlich, wir reden über das kommende Wochenende, das Wetter, meine Schulden und Ćevapi.

Ob die bei uns denn schon gezählt hätten. Ja, sag ich. Es folgt eine Beschreibung der obigen Geschehnisse.

Dann legt sie los. Locker, aber laut – die bosnische Art.

Bei ihr seien die Zähler auch schon gewesen. Sie hätten Dinge gefragt, wie: Wie viele Leute wohnen in der Wohnung? Wie viele Quadratmeter? Wie groß ist die Küche? Sind Sie bosnisch? Sind Sie muslimisch, orthodox, katholisch? Woher kommen Ihre Eltern? Fragen. Viele Fragen. Und im Endeffekt sei die Angabe der Zahlen sowieso wieder falsch. Die da oben täten doch mit den Zahlen worauf sie gerade Lust hätten. Bosnien zahle 47 Millionen Bosnische Mark (in Euro die Hälfte), Europa steuere noch einmal 70 Millionen dazu. Für Ungewissheit, ib die Zahlen auch wirklich stimmen.

Seit 18 Jahren sei nicht mehr gezählt worden. 91 war die letzte Zählung. Wieviele Bosniaken, Kroaten und Serben es gab, war bekannt. Dann habe der Krieg angefangen. Leute haben Angst, was durch die Zählung alles passiert.

Sie sei zwei Monate alt gewesen, als der Krieg anfing. Alles was sie erinnert: Sie wollte Bananen und es gab keine Bananen. Sarajevo wurde vier Jahre von Serbien belagert. Vier Jahre kam niemand herein oder heraus. Vier Jahre Luftbrückenversorgung. Wie Berlin. Nur eben vier Jahre.

Ihre kleine Schwester wurde während des Krieges geboren, ihre große erinnere sich an alles. Der Schwester wurde ins Bein geschossen. Sie habe zugesehen wie der Nachbar starb. Durchschossen. Weil er sich vor sie geschmissen hat.

In der Stadt stünden jährlich einmal rote Stühle in einer Reihe die Fußgängermeile in die Innenstadt hinein. Für all die Erschossenen des Bosnien-Kriegs. Des mit letzten Krieges innerhalb Europas. Des Krieges, von dem ich niemals ein Sterbenswörtchen während meiner gesamten Schulzeit gehört habe.

Ein neuer Kopierfreudiger kommt durch die Tür. Ich stehe nur da und weiß absolut und hundertprozentig überhaupt nicht mehr, was ich von der Zählung halten soll. Mal sehen, was die Zahlen am Ende sagen.

 

Ich verabschiede mich, sie läd mich auf einen Kaffee ein. Hier trifft man sich immer, um Kaffee zu trinken.

Zuhause angekommen, lächelt mich das Popis-Plakat in bunten Farben an. Die Ecken sind abgerissen.

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Die Geschichte vom Penner und dem Polizisten

Vor drei Tagen. Drei Stunden am Gymnasium Obala verbracht, Feierabend. Auf dem Weg stadteinwärts, auf den Markt. Einkaufen. Was man eben so braucht. Die Sonne scheint, Drei Uhr nachmittags. Dieser typische Farbtonwechsel von Mittags- zu Nachmittagssonne.

Zwischen sich färbenden Bäumen und besonnten angeschossenen Hausfassaden, gegenüber von Cafés und neben dem Straßenhund stehen Mülltonnen. Groß. Offen. In sie gebeugt, ein Obdachloser. Gegenüber, auf dem Bürgersteig der anderen Straßenseite ein Polizist. Oder einer von der allgemeinen Sicherheit des ihm im Rücken  lehnenden Gebäudes.

Der im Müll Wühlende verändert seine Haltung in Richtung Stand und seine Gestiken lassen nicht an einem Aufbruch zweifeln. In seiner Hand: Eine Decke. Grau, alte Wolle. Zerfressen. Es hat heute Nacht zum ersten Mal gefroren.

Sich den Mülltonnen abwendend bleibt der Gute in seinen Bewegungen stecken, aufgehalten von einem befehlsartigen Zuruf der Sicherheit vor dem Gebäude. Ernste Miene. Sehr ernste Miene. Obrigkeitsbewusst dreht der Obdachlose um, auf den Polizisten zu. Bleibt vor dem Bürgersteig stehen. Die Hände fragend, unterwürfig, entblöst von sich gestreckt. Der Polizist streckt wortlos den Arm aus. Der Penner auch. Eine kurze Berührung. Ein Hauch. Kurz sieht man das Blitzen der Münzen in den noch wärmenden Sonnenstrahlen, bevor sie in der Tasche des Empfängers verschwinden. Der Polizist nickt ihm kurz zu. Gleiche Miene. Polizistenmiene. Die Situation löst sich auf.

Was bleibt sind Häuser, Sonne, Cafés und Straßenhund.