Archiv des Autors: Ajke Encijan

Von der Istanbuler Unbeschreiblichkeit

14 Millionen Einwohner. Platz drei auf der Randliste der weltgrößten Städte. Die urbane Fläche, die man als durchschnittlicher Europäer neben Sonne und Meer mit der Türkei assoziiert. Das, was man vor einem Besuch mit Unglaublichem, Bombastischem und irgendwie doch Orientalisch-Utopischem verbindet…

Dass hier ganz normale Menschen wohnen, auch hier ein Gebäude nicht länger hält als anderswo und somit gewisse Altersspuren aufweist bzw. ersetzt werden muss, dass die 14 Millionen auf riesigen, brüllenden, stinkenden Hauptverkehrsachsen herummobilisieren und nicht auf dem fliegenden Teppich zur Arbeit fliegen oder dass man nicht mal eben von der einen Moschee zur nächsten kommt, weil man mit drei mal Bus wechseln anderthalb Stunden für zwölf Kilometer braucht (was auch nur ein Bruchteil der Distanz ist, die man in Istanbul so von Wichtigkeit zu Wichtigkeit zurücklegen kann); all das gehört nicht in das schöne Istanbulbild, gehörte zumindest nicht zu meinem.

Fakt ist, dass vorortigen Tage gerade einmal defür gereicht haben, einen groben Überblick zu bekommen. So viel Umfeld kann man irgendwie einfach doch nicht aufnehmen. In acht Tagen.

Am ersten Tag stehen wir beispielsweise auf dem großen Bazaar, im Fressparadies. Generell ist Istanbul das Schlaraffenland, was Nahrung betrifft. Überall werden Touristen anhand ihrer Grundbedürfnisse herangelockt, sabbernd blättert der eine oder andere überteuerte Feigen in die Hände von extrem gut ausgebildeten Marketing-Überzeugern. Uns Balkangewöhnten ist der Fressspaß oftmals zu teuer.

Da, das Restaurant sah doch ganz gut aus. Hier, diesen Stand merk ich mir für die Gewürz-Shopperei. Und das wars dann auch an diesen Ecken. Zurück kommt man nämlich nicht so einfach. Das muss man planen. Und wenn man noch etwas anderes sehen will, ist das eigentlich unmöglich. Alles, was einen von dort her noch begleitet, sind die Gedanken an die genialen Gewürze und Anmachen wie: „Ey du, haben wir uns nicht schonmal getroffen? In den schönsten aller Träume? Auf unseren Teppichen werden Träume wahr!“ Oder ob man den „best fish in town“ essen will, den es interessanterweise die gesamte Stadt über gibt.

Mal weg von der Fresserei hin zum Stadtbild. In Istanbul stehen Moscheen riseige Brunnen und anderer riesiger Kram. Eine Querstraße weiter steht eine halbsogroße Moschee, echt klein und unwichtig, denkt man sich. In jeder anderen Stadt könnte das hier links liegen gelassene Kulturgut einfach zur nationalen Hauptatraktion werden. Nur konzentrieren sich nunmal alle Bauten in diese urbane Fläche am Bosporus hinein, wodurch aus der Masse heraus eben mal wieder nur der Stärkste gewinnt. Diese Masse ist einfach gewaltig. Zu gewaltig. Erschlägt einen nach einiger Zeit. Man läuft taub durch die Stadt, zugedröhnt von unaufnehmbarer Kulturmasse, Autos, hupenden Taxis, klapperndem Geschirr, schreienden Gewürzhändlern und angebotenen Fressalien…

So konfus wie dieser Gedankengang, so wirr war die Zeit doch irgendwie in dieser Monsterstadt. So toll gewisse Ecken in Istanbul auch sind, die muss man erstmal finden. Und dann auchnoch wiederfinden. Wenn man dann nicht schon vollkommen von der Enormität dieser Stadt zernommen wurde.

EUROPA, GUCK HIN!

Keine Panik, uns geht es gut. Da brennt aber trotzdem was. Da raucht auch trotzdem was. In Tuzla, in Bihać, in Zenica, in Sarajevo… Die kantonalen Regierungsgebäude stehen in Flammen. Gerade lese ich, dass die ersten Minister zurücktreten. Und dabei fing heute morgen alles so strahlend an.

Gestern noch gehe ich über genau den Platz, wo heute Tausende Menschen brüllen und Molotows werfen. Mit Schülern bin ich da langgelaufen. Zur schulischen Ausstellung im Nationalmuseum; zum 30-jährigen Jubiläum der Olympiade, hier in Sarajevo. Ein Grund zum Feiern. Sich an die tolle Zeit zu erinnern. Das muss so gewesen sein, wie das deutsche Fußballfieber 2006. Weil die Stadt kein Geld hat, bereitet das Gymnasium Obala die Ausstellung vor. In einem gefühlt zehn Grad kalten Raum. Neben Schülerhänden rücken auch die meinen Exponate in staubigen Kästen zurecht, alles von der Schule gesammelt, von Schülern und deren Eltern ausgeliehen. Morgen um 12:30 h ist die Eröffnung.

Gestern Abend lese ich von Tuzla in den Nachrichten: 60 Verletzte, Unternehmen sind pleite, noch mehr Arbeitslose. Da gings wohl hoch her. Relativ beruhigt haue ich mich aufs Ohr.

 

Heute Morgen strahlt die Welt. Ohne Jacke laufe ich zur Schule, genau an der kantonalen Regierung vorbei. Die Stadtgärtner scheinen optimistisch, erste Primeln werden gepflanzt, aus einer mir misteriös erscheinenden finanziellen Quelle. Auf dem Platz nichts los. Auf dem Mini-Grünfleck vor der Schule sitzen Schüler in der Sonne. Ein jeder glaubt an den Frühling, Wenn schon kein Schnee zum Skifahren liegt.

In der Doppelstunde geht es um Olympia in Sotschi. Leitideen des IOC und Reibungspunkte mit deren Prinzipien werden in Form von Artikeln bearbeitet und anschließend diskutiert. Erfolgreich. Genau, wie ich alles geplant hatte.

Freistunde. Ich will das Projekt Monats-Tramkarte endlich mal abschließen. Trotz des schönen Wetters sind alle Schüler drinnen auf den Fluren. Gesabbel, Gekreische, Geschnatter – alles ganz normal, denke ich. Begleitet vom üblichen Geräuschpegel quetscht sich ein Freiwilliger aus dem Massendunkel der Halle in die helle Februarsonne. Vorbei am türblockierenden Pförtner und drei Lehrern durch den Grünstreifen bis zum Schultor auf die Straße. Keine Autos. „Please be careful!“, sagt mir die dort postierte Lehrerin. Polizeipräsenz. Leute laufen ganz normal die Uferpromenade entlang. Nur nicht so viele wie sonst. Ich schaue Richtung Regierungsgebäude. Nichts hört man, nichts sieht man. Die Regierung versteckt sich in einem nach hinten, aus der Straßenflucht heraus, versetzten Gebäude. Davor der Platz, auch nicht sichtbar.

Im noch nicht genug gelobten Sonnenschein laufe ich zur Verkehrsbund-Hütte in der Stadt; alles läuft viel besser als jemals erhofft. Nach zehn Minuten habe ich meine Karte. Bosnische Prämiere – für mich zumindest. Auf dem Rückweg laufe ich am Nationalmuseum vorbei, eine Kamera wird aufgestellt, Dreharbeiten für die olympische 30-Jahr-Feier. Der Ganze Platz ist geschmückt und geziert mit Flaggen dieser Welt. Ich treffe eine Bekannte. Nach kurzen Smalltalk ruft ihre Mutter an. Eine Journalistin. „That was my mom who just called. She said that they’re throwing Molotows onto the kantonal government building and told me to get my butt home. I should propably call my dad. And you should better not go that direction.“

Tu ich aber. Muss ich auch.Zurück zur Schule oder nach Hause – ist sowieso die gleiche Richtung. 500 Meter weiter immer weniger Leute. Menschenmassen hört man gröhlen, vom unsichtbaren Platz.

Im Lehrerzimmer nur aufgebrachtes Kollegium. die Sonne ist nicht die einzige, die durch die Fenster knallt. Lehrer wie Schüler stehen und blinzeln durch die Sonnenstrahlen in die… Ja, da ist sie – die Menge.

„Boah, ich hasse dieses Land!“, „Ich auch, ich will zurück nach Deutschland! Ich hätte da bleiben können, aber ich wollte nicht. Ich wollte zurück nach Bosnien“

„Und das ganze da draußen macht es ja nicht besser. Da kommen nur die Holigans zum Randalieren, das bringt überhauptnichts. Totale Scheiße ist das!“

Im Unterricht funktioniert nichts. Wir brechen mit dem Hörtext ab, hört sowieso keiner zu. Lehrerorgan rastet aus, alle stehen an den Fenstern. Es ist schwer, die Kids unter Kontrolle zu halten. Einige werden von den Eltern angerufen. Andere gucken in die Ecken, dritte sind total aufgedreht und vierte schnattern wie eh und je. Wir zwei Lehrende klicken uns durch den lahmen Computer bis klix.ba durch.

„So sieht’s da draußen aus. So eine Scheiße, wirklich. Die evakuieren jetzt die Minister, ist ja klar…“. Brennende Autos im Computer neben Gebrülle von draußen. Eine Durchsage der Rektorin. Zur eigenen Sicherheit sollen alle im Gebäude bleiben, der Nebeneingang anstatt dem Haupteingang benutzt werden. Wenn die Situation nicht besser wird, müssen die Schüler wohl von ihren Eltern abgeholt werden. Es klingelt zur Pause.

Auf dem Flur treffe ich Jasmina aus dem Sekretariat. Stolz zeige in ihr meine Tramkarte, dessen Besitz ih ihr zu verdanken habe. High Five.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wie geplant auf einen Kaffee in die Altstadt und dann zum Training oder lieber gleich nach Hause? Ich soll den Hinterausgang nehmen und eine SMS schicken wenn ich zu Hause bin.

Vor dem Ausgang qualmt es unglaublich. Erste Flammen. Einen Anruf vom ZfA-Berater bekomme ich, als ich gerade an der Filmfreude vorm Nationaltheater vorbeikomme. Wir sollen uns bei der Botschaft melden, damit die unsere Daten haben, die sie natürlich schon längst haben. Schön bunt wehen die, die Flaggen. Bunt heißt auf bosnisch übrigens Aufstand. Es knallt. Sirenen überall.

Nach dem Kaffee gehe ich zum Training. Beziehungweise wollte ich gehen. Die Straßen sind leer. Polizei, einige Passanten. Sirenen. Selbst der Platz vor dem Nationaltheater ist leer. Wie ausgefegt, nach all der Feierei. Dämmerung. Die Flaggen leuchten in der Abendsonne. Es riecht nach Rauch. Schwaden sieht man über den Dächern. Zur Halle traue ich mich jetzt wirklich nichtmehr.

Von der anderen Flussseite sieht man die Bescherung. Das ganze Regierungs-Ding steht in Flammen. Autos liegen abgebrannt im Wasser. Blaulicht überall. Gewusel und rennende Menschen neben Schaulustigen.

Heute brennt wohl weit mehr als nur die olympische Flagge.

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Dennnoch: Bitte kein Grund zur Sorge, die Botschaft kümmert sich prächtig. Es sind bisher nur Dämonstrationen, nichts weiter. Uns geht es gut. Wäre meine Schule nicht so dicht dran, hätte ich von dem ganzen deutlich weniger mitbekommen!

 

Bulgaristan 1

Abends so sei die Ankunftzeit. Gewesen. Und Morgens die Weiterfahrt ins unglaubliche Plovdiv. Dazwischen lagen ganze zwei Tage in der bulgarischen Hauptstadt mit einem Wetter, welches man keinem Januar in keiner Religion und keinem Leben jemals auch nur im wurzeligsten Ansatz zugetraut hätte.

Sofia hat Washingtoner Parks, Obeliske(n?) und Gebäude, Innsbrucker Bergpanorama, eine stolze orthodoxe Kirche (noch die größte der Balkans in Funktion) wie Belgrad (bald die größte des Balkans in Funktion)und leider kein Wasser wie Hamburg. Mit Sarajevo und Belgrad als einzigen balkanischen Hauptstadtvergleich ist Sofia flächenmäßig riesig. Und deshalb sehr angenehm zu ergehen.

Was wohl das spannenste an dieser Stadt ist: Die Wachstumsrichtung. In normaler Urbanistik ja wohl horizontal. Versuchen wir es mit einem Beispiel:

Will man eine U-Bahn bauen, fängt man normalerweise an zu graben. Soweit sind die Bulgaren schon seit langem. Was man beim Graben aber potentiell findet, weiß man noch nicht so lange. Und der sagenhafte Fund stellt sich einfach mal als riesige urältische Stadtanlage heraus, die man einfach mal nicht kannte, weil man nach den Römern und Historikern einfach mal beschloss auf historische Grundmauern einfach mal obendraufzubauen. Die findet man jetzt seit neuester U-Bahn-Technik wieder. Die Mauern. Und ganze Kirchen im Innenhof vom Präsidentenpalast. Das archäologische Museum war früher die größte Moschee der Stadt. Mit zwei Stockwerken. Jetzt sieht man noch genau eins. Das obere. Wirkt nicht mehr so. Sofia wächst nach oben. Oder wie der walkind-tour-Mensch sagt: „In layers.“

Was es noch gibt in Sofia: Plätze. Aber nicht irgendwelche Plätze, sondern solche, wo wie vor X Jahren noch Autos neben Fußgängern ohne fette weiße Linien, grün-rot leuchtende Blinkkästen oder klarer Trennung existieren und mobil sein können. Klappt erstaunlich gut.

Und noch was: Vitosha. Der Berg hinterm Haus. Den nimmt man natürlich auch mit!

Plovdiv. Mag wahrscheinlich kein Mensch noch niemals von irgendwoher etwas von gehört haben, stellt sich aber als Bulgariens zweitgrößte Stadt heraus. Keiner kennt sie, und sie ist dennoch so wichtig:

Plovdiv beherrbergt das größte monumentale Erbe der antiken Zeitalter nach Rom und Athen. WUMMS! Und das sieht man auch an jeder Ecke und Kante. Die Via Diagonalis, wo die Römer von Rom nach Istanbul ihre Karren drauf herumgeschoben haben, hat man wie auch in Sofia mit sehr viel Liebe ausgebuddelt und als eben diese identifiziert. Ein noch intaktes und noch benutztes Amphitheater steht einfach mal am Rande der Altstadt, in welcher jedes zweite Haus von ganz besonderer Bedeutung ist (…). Und der Park mit drei wohl sehr wichtigen Steinen wäre wohl ohne Nebel auch sehr sehenswert gewesen.

Sehenswert. Und alles so leicht zugänglich – mit netten Schildern, Bussen, die sich an einen Zeitplan halten und einer unglaublichen (wirklich unglaublichen) Touristeninformation. Die nette Dame dort spricht gefühlte 17 Sprachen, sodass man selber garnichtmehr weiß, wie man eigentlich antworten soll. Auf dem Tresen liegen feinsäuberlich sortiert und mit Büroklammern versehen  Zettelchen in Portemonnaiegröße. Darauf stehen fett gedruckt Busabfahrzeiten zu Sehenswürdigkeiten außerhalb der Stadt; die sich geändert habenden sind klar und deutlich mit dem Lineal durchgestrichen, die neuen Zeiten stehen per Hand ergänzt darüber. Ein Schlaraffenland. Nicht umsonst bewerben sich Sofia und Varna als Kulturhauptstädte Europas.

Wenn man sich durch Bulgarien so (mit)fahren lässt, wird einem von Mama Soleil die Bergkulisse quasi in die Netzhaut gebrannt. Ein unglaubliches Land nicht nur kulturell. Man merkt, dass sich hier etwas tut, was in Ex-Jugoslavien noch am schlummern ist. Es gibt ein System. Ob es einem nun ge- oder missfällt. Es gibt eins. In Sarajevo suche ich noch…

 

 

Suboticanische Weihnachten

Nordserbien, Nordvojvodina – so weit obenim Norden, dass es schon fast Ungarn ist. Falls man meinem Gedächnis trauen kann sind hier schon 30 Prozent der Serben eigentlich Ungaren.

Subotica selbst: Kleine Stadt großflächig angelegt. Kleine Stadt mit viel zu großem Rathaus, ein großer Markt mit großen Vojvodina-Birnen und ein großer Weihnachtsmarkt mit großem Weihnachtsbaumverkauf für die kleine Gemeinde.

Unsere Weihnachtsplanerei (und hier haben wir ihn wieder, den Plan) war mit der beste Deal. Gemütlich stressfreie Tage in einer gemütlich stressfreien Stadt mit den gemütlichsten und stressfreisten Leuten. Somit ein Rundown auf Puls 30 – wie man es sich für Weihnachten und vor einer Riesenreise wünscht.

Eines noch: Die Synagoge. Die (falls richtig behalten) drittgrößte der Welt, nach New York und Budapest. Und sie sieht folgendermaßen aus:

Rirareisereflektionen

Und da sitzt man wieder am Schreibtisch, wo man vor fünf Wochen schon saß. Diesmal entspannt, vorher im Packstress. Wie das doch so oft ist. Was einem gestern im Zug noch wie eine Ewigkeit entfernt vorkommt, ist nun wieder Alltagsrealität. Aus dem Reisenden wird wieder Sesshafter, aus der Reiserealität wird Erinnerung und irgendwann wahrscheinlich wieder Fernweh.

Fünf Wochen sind eine lange Zeit. Eine tolle Zeit. Fünf Wochen waren möglich, weil vier davon Schulfrei waren. Fünf Wochen waren möglich, weil der Schnee bis genau gestern auf sich hat warten lassen und einen somit unbeschwert entlang der Breitengrade schländern, laufen oder fahren ließ.

Was man generell in diesen fünf Wochen gemerkt hat ist ersteinmal, dass kein Plan oft der bessere Plan ist. Pläne gehen schief, Enttäuschungspotential ist somit vorhanden. Ohne Plan kann auch kein Plan misslingen, das gerade genannte Potential sinkt somit auf eine unglaubliche Null.

Was noch deutlich geworden ist: Es geht uns verdammt gut. So gut, dass man Dinge tut, die das menschliche Umfeld schon garnichtmehr versteht. Warum hält ein Deutscher den Daumen raus? Warum nimmt man nicht den Bus? Warum wollen die an der nächsten Straßenecke rausgelassen werden und nicht am Busbahnhof?

Ja warum tun wir das eigentlich? Warum nimmt man nicht den Bus?

Das gleiche Beispiel kann man wunderbar an Budapest und Sarajevo feststellen: Ungarnhauptstadt mit Pariser Struktur und Flair, brummende Metropole und Zentrum für alles. Neben den schicksten, schnöseligsten Läden und neuesten Cafés findet man neu-alte Cafés. Alter Charme neu kreiert, gewolltes Retrotum in neu gestrichenen Gebäuden. Sesseldesign von vor 40 Jahren, Produkt von Gestern in neu. Ungarn, in der seit 2004. Sarajevo, Hauptstadt eines vergleichsweise winzigen Staats, möglicher Anwärter auf die EU. 19 Jahre über den Krieg hinweg. Hier findet man das ähnliche Café jedoch noch im alten, ranzigen (ein Deutscher würde sagen: renovierungsbedürftigen) Gebäude. Vom Staatsgeld wird der neue Glasturm nebenan finanziert, mit neuen Shoppingcentern für aktuellstes Konsumgut. In Budapest steht ein Veganerrestaurant neben dem anderen.

Interpretation: Alles was man in Deutschland und anderswo gewollt wiederherstellt, weg von der H&M-Hose hin zum Flohmarkt, gab es schonmal. Damals. Irgendwann. Weit vor meiner Zeit, weshalb ich eigentlich solcher Thesenaufstellung garnicht befugt bin. Alte Sofas, Urlaub mit dem Daumen raus – der Trend, es sich schlechter gehen zu lassen als man eigentlich müsste, um es sich besser gehen zu lassen.

Das mal so als kleine Urlaubsphilosophie vom Samstagabend. Nun zum Detail:

 

Suboticanische Weihnachten

Bulgaristan 1

Von der Istanbuler Unbeschreiblichkeit

Bulgaristan 2

Was alles nicht Rumänien ist

Buda mit Pest und Zagreb

 

IDEMO PUTOVATI

 

So sieht die fünfwöchige Zukunft aus. Der Boden ist noch nass vom Wischen, der Rucksack halb gepackt, die noch waschnassen Klamotten hängen über der Heizung…

„L“ steht auf folgender Karte für „Los geht’s“

Nein wirklich. Nach den DSD-Prüfungen, sämtlichen Weihnachtsschulaktionen und sonstigem werden wir uns morgen auf die Socken machen, die Schulferien vergönnen uns vier, unsere Religion die zusätzliche fünfte Woche um den Balkan, klutlrweit-Freiwillige und einfach Urlaub zu genießen!

Die Weihnachtsentspurtigen

Hier feiert kaum einer Weihnachten. Und wenn, dann meistens erst am 6. Dezember. Orthodox eben. Also kommt der nur zu gut bekannte Weihnachtsstress wohl nicht aus den hiesigen Menschen heraus, etwa in Atemwolken aus käuchenden Wintermündern… Irgendwo bleibt man eben immer etwas deutsch.

Nein, auch dieser Advent stellt sich soweit nicht als stressfrei heraus.

 

3. Dezember Schriftliche DSD-Prüfung

Neun Uhr dreißig. Vertretung für die aufsichtführende Lehrkraft war der Plan. Aufsicht hat sich jedoch in der Schicht vertan (schon etwas Übles, dieser Schichtunterricht) also zwei Stunden zu früh da. Renne zur Post, in die Stadt, zur Bank und wieder aus der Stadt heraus, dreimal um die Schule – bis zu meinem sowieso geplanten Unterricht. Überschneidung mit den Vertretungsstunden. Ehne-mehne-Miste, Vertretungsstunde. Schade nur, dass nicht alle ersten Gymnasialklassen so gut deutsch sprechen wie meine DSD-Küken. Beziehungsweise toll, dass genau drei Prozent überhaupt Hallo sagen können. Tausche dann mit einer Lehrerin, weil mein bosnisch dann (doch noch nicht) durchsetzungsfähig genug ist.

Da geht also mal wieder die Kommunikation in die Hose, wenn man eigentlich ganz wo anders sein sollte. Der Schelm namens  Prüfungsstress ist eben jedermanns Freund.

 

Seit letzter Woche wagen dann auch endlich mal die Schüler, ihre Präsentationen für die mündliche Prüfung vorzustellen, hier ein kurzer inhaltlicher Abriss der Prüfung insgesamt:

Schriftliche Prüfung: Schriftlicher Aufsatz, Hör- und Leseverstehen                                                     Mündliche Prüfung: 20 Minuten Vorbereitung auf ein Thema, zehn Minuten Vorstellung und Besprechung (vergleichbar mit dem klassischen Abitur). Dann Vorstellung einer eigenen Präsentation zu einem eigenständig gewählten Thema, ebenfalls zehn Minuten Vorstellung und Besprechung (vergleichbar mit dem mordernen hamburgischen Abitur).

Das Thema der mündlichen Präsentation soll eigentlich aus einem Projekt resultieren, dass man im vorigen Schuljahr durchgeführt hat. Macht natürlich niemand. Steht ja auch nirgendwo als ein Muss. Fristen und Regeln sind was tolles, doch wenn es für den Mai heißt: THEMA EINTRAGEN, heißt dies ja nicht gleich, dass man das ganze Projekt schon durchgeführt haben muss, beziehungsweise ebenso wenig, dass man ein Projekt braucht.

Themem werden also eingetragen. Die stehen dann da. In Listen, fein säuberlich. Es folgen Themen wie: Kindheit – besser früher als heute?, Studierem im Ausland – sinnvoll?, facebook – Fluch oder Segen? Bearbeitet werden die Themen genau wie in Deutschland auch – am Abend vor der Probepräsentation. Und man merkt die Unvorbereitung aus der Nichtschülerperspektive weitaus deutlicher, als ich jemals gedacht hätte… Ganz schön erschrekend, so im Rückblick.

Die Präsenstruktur ist immer sehr schön auswendig verlernt und erarbeitet: Titel vorlesen, definieren, drei Pro-Argumente, drei Contra-Argumente und die eigene Meinung. Fünf Minuten darf das sein, da geht ja auch nicht viel mehr.

Top. Solange man nicht auf die Argumentenfolien Pro-Argumente schreibt und mit der Meinung „ICH BIN PRO!“ fazitiert. Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten Tagen gesagt habe, dass „Ich bin pro“ kein deutsch ist. Aber ich hab meine Mundwinkel noch tapfer bis zum 21. mal bis zu den ohren gezogen, meine Prüfung ist das ja schließlich nicht.

Samstag, 14. Dezember. Es geht los! Meine Schützlinge vom 4. und 5. Gymnasium haben Mündliche, Gospodin Encijanić schmeißt den Vorbereitungsraum. Es resultiert: Ein Durchfall, zwei B2ler und der Rest hat doch tatsächlich die C1 geknackt. Da schwebt glatt gute Laune wie der Sarajevoer Smog über einem, und zieht die Mundwinkel mit Leichtigkeit nach oben.

Nur dass der Smog sich nicht so schnell auflöst, wie der ganze Stress. Dieses Wochenende ist Skisaison-Eröffnung, am Montag und Dienstag werden Europas Sprachniveaus am Gymnasium Obala verteilt. Dann wir die Woche nurnoch geweihnächtigt und backig geschlemmt!

Fotografije od Sirbijom

Novi Sad

 

Sremski Karlovci

 

Beograd und Zemun (Dorf in der Stadt, etwas donauaufwärts)

 

Sirbija – Die Kurzvorstellung

Drei Städte im Gedächnis. Drei Städte im Portrait. Drei Städte und die Landschaft zwischendrin, die Gedanken, die Farben und die vielen Schabernackereien verrückter Freiwilliger… Beschränken wir uns auf die Portraits:

NOVI SAD

Oder auch „Neusatz“ auf deutsch. Auch eine kleine Großstadt. Mit riesiger Burg, der Donau, Innenstadt und was eine große Kleinstadt sonst noch so alles braucht. Da ging alles los mit Schockerei. Sauberkeit, Anstrich an den Wänden (wände können wirklich rosa sein? Und Kathedralen so aussehen, als wären sie gerade erst gebaut worden?). Ja das geht. In der Vojvodina, dem nordserbischen Teil. Hier ist alles platt. Natur gibt es kaum, alles Landwirtschaft. Kein Baum, kein Busch, nur Acker. Dementsprechend ist die finanzielle Lage, es gab wohl auch schon Abspaltungspläne, die Birnen schmecken auch einfach richtig gut.

Aus dem dann doch krass kriegsgezeichneten Sarajevo kommend sucht man erstmal in jeder Ecke den Putzbrocken, das Einschussloch. Selbst am Zebrastreifen halten die Leute hier an. In Sarajevo geben die Gas und fahren nochmal extra den Schlenker durch die Pfütze. Wir lieben uns ja alle so sehr…

Was noch interessant ist: Auf dem Marktplatz steht eine katholische Kathedrale. Nicht weit davon steht eine riesige Synagoge. Auch das hätte ich nicht erwartet, wo doch im serbischen Teil Bosniens der Patriotismus die Religionen in den So-gut-wie-Monopol getrieben hat…

 

SREMSKI KARLOVCI

Auch noch Vojvodina, genauso sauber, genauso… serbisch? Das 8.000 Einwohner Dorf ist eigentlich schon mit Charme bestückt. Ein pompöser Marktplatz mit pompösem Gymnasium, einer von den insgesamt 16 auf dem Balkan existierenden orthodoxen Priesterschulen, pompöser katholischer sowie orthodoxer Kirche. Viel Pompöses eben. Wäre es nicht so ruhig könnten auch locker noch weitere 50.000 um den Platz herumwohnen. In der Mitte steht ein Brunnen. Als hier die Pest war, hat man wohl einen neuen Zufluss aus den „Bergen“ (da kommt der Hamburger durch… 500 Meter hohe Hügel sind dann doch eben Berge) gebuddelt, weil das Wasser so dreckig war. Die Löwenköpfe sollten Kraft bringen. Und, wie kann es anders sein, haben die Löwenköpfe die Menschheit der Serben gerettet. Geheilt von der Pest. Oder so.

Es ist ein unglaublicher Morgen, kalt mit Sonne. Ich laufe mit meiner Kamera herum. Vor mit ein Priesterschüler mit Goldkette und Handy am Ohr. Auf dem Weg zu Donau. Hinter mir die 1.000 Taxis mit offenen Türen, die Fahrer sonnen sich. Wen die wohl alles fahren wollen. Zur Donau muss man über eine Straße. Mit Ampel! UND Zebrastreifen! Dann über Gleise, dann steht man schon fast da. Hier ist irgendwie noch mehr Herbst als in Bosnien, nicht ganz so rau alles. Noch nicht vielleicht. An der Donau. Platter Fluss. Dreht man sich um guckt man den Hügel hinauf auf die heilige, moderne Residenz mit dickem Goldkreuz oben drauf. Wer da wohnt hab ich schon wieder vergessen. War aber wichtig, soviel ist dann doch hängen geblieben.

Aber doch, gefällt mir gut.

 

BELGRAD

Eigentlich die dritte Ankunft. Und die Ankünfte klassifizieren diesen urbanen Fleck dann doch recht gut.

Ankunft 1: Auf dem Weg nach Novi Sad. Bahnhof. Vom Bus rausgelassen. Es ist kalt. Nachmittag. Wir stehen am Bahnhof und warten auf den Zug. der Wind pfeift. Irgendwie fühlt man sich verloren, irgendwie auch nicht. Der Bahnhof ist gelb. Die Leute sehen anders aus als in Bosnien und der Herzegovina. Nicht so gezeichnet vom Krieg? Nicht so… bosnisch? Anders eben. Serbisch vielleicht. Der Zug fährt einmal raus aus dem Bahnhof, dann wieder rein. Die Mitfahrende übersetzt die Durchsagen, macht trotzdem keinen Sinn. Also doch ähnlich. Bis sie meine drei lieben Mitfreiwilligen verheiraten will. Ne nette Tochte habe sie auch. Die sei 30. Merkt sie hoffentlich selber. Dann wollte sie wirklich Handynummern. Vielleicht doch nicht so ähnlich.

Ankunft 2: Am Mittwoch. Vom Seminar her besuchen wir die Stadt. Tour mit Weinkeller und Untergrund. Luftschutzbunker, Katakomben. Die Blätter sind von den Bäumen, der Tag ist bewölkt. Die Stadt erscheint riesig. Grau. Kalt. Irgendwie ist das alles zu viel. Wir laufen durch die Fußgängermeile. Hohe graue Fassaden schlagen im rechten Winkel auf graue Steinplatten. Der erste Eindruck eben.

Ankunft 3: Endlich liegt der Fokus auf dieser Stadt. Nicht auf dem noch kommenden Novi Sad Wochenende, nicht auf dem Romamuseum oder dem Seminar. Nur auf dieser Stadt. Mit den Freiwilligen aus Belgrad geht es raus aus dem Ranzhostel rein in die Stadt. Und diesmal wirklich rein. Wir biegen ab von den grauen Fassaden. Nach links in die nette Bar, nach rechts in den Buchladen, nach unten ins Nachtleben. Auf einmal findet man die schönen Ecken und klammert sich an ihnen fest. Man übersieht die 80 % graue Fassage und sieht nurnoch die 20 % Graffiti.

ZEMUN ist ein Dorf in der Stadt Belgrad. Ein serbisches Dorf. Mit den geilen Birnen aus der Vojvodina. Mit zwei Hochzeiten, Blaskapelle und rockenden Bräuten auf Stöckelschuhen. Und mit Ruhe. Mitten in der Stadt.

Ob ich alles genial fand? Aber sowas von. Ob mir die Stadt gefällt? Keine Ahnung.

 

Die gesamte Fotokollektion gibt es hier:

Fotografije od Sirbijom

Zwischendurch seminieren

Eine Woche Serbien. Novi Sad, Sremski Karlovci, Belgrad. Spiel, Spaß und Freu(n)de, Austausch und Herauskommen aus der alltäglichen Atmosphäre. So oder so ähnlich ließe sich die letzte Woche in Worte fassen. Ich grinste auf der Hinfahrt, ich grinste gestern Abend zu Hause, als ich mir meine Augenringe im Spiegel ansah…

19 Freiwillige plus zwei Teamer in serbisch dörflicher Atmosphäre. Eine sehr geniale Zeit zur Festigung von allem Möglichen. Ich weiß jetzt wo ich Weihnachten feiern werde, dass es in der Einsatzstelle Redebedarf gibt und dass ich mich mit derselbigen superglücklich schätzen kann. Anderen geht es anders. Ich weiß jetzt, dass der Balkan noch viel vielfältiger -seitiger, und -sagender ist, als ich sowieso schon gedacht habe.

Zu guter letzt bin ich mehr als froh wieder im Land, in Sarajevo, in unserer supergenialen Wohnung und in meinem Bett sein, arbeiten, abhängen und schlafen kann.

Hiermit ein Hoch auf das „kulturweit“-Zwischenseminar.

 

Details zu den Städten Novi Sad, Sremski Karlovci, Belgrad gibt es hier