Archiv des Autors: Ajke Encijan

Die große Glocke

Es war warm an dem Tag. Endlich. Der Kalender zeigt Mittwoch, den siebten Mai 2014. Auf alles vorbereitet sitze ich vor der Schule, eine Pita in der Hand, und gucke in die Sonne. Feierabend schon seit 20 Minuten. Doch bis zum Stundenende warten wir noch.

Kurz vor Stundenende. Alles ist still. Alles. Die Vögel zwitschern, die Autos düsen durch schon seit langem grüne Bäume versteckt vorbei, kein Türenklappern, kein Garnichts. Man wartet. Auf die Glocke.

Dann klingelt es. Genauso laut wie immer, genauso schrill wie immer. Nur… hört es nicht mehr auf. Die Milisekunde zu viel. Da, die Erkenntnis. Man hat die Schülergesichter vor sich. Die normale Ruhe, die Überraschung – der Jubel.

Und dann kriegt sich niemand mehr ein. ALLES fliegt aus den Fenstern. Stifte, Schultaschen, Papier verdunkelt den Himmel, die Autos sind nurnoch schemenhafte Schwämme, die vorbeiflitzen, Motoren werden übertönt. Die Schule brüllt vor bosnischem Temperament.

Es donnert, die Treppe wird in Abgang genommen, und da kommt er schon: Der erste Maturant, noch bevor das lange Klingeln aufhört zu läuten. Fliegen tut er, heraus aus der Eingangstür, die der Hausmeister mit Tränen in den Augen offenhält. Fliegen tut er so, dass sein Kopf fast oben am Türrahmen anstößt. Die Arme weit nach Hinten gestreckt, das Gesicht genießerisch in die erlösende Sonne gereckt, den Rucksack links liegen lassend. Drei Sekunden später kommt sie, die Meute. Der letzte Schultag des Abschlussjahrgangs ist vorbei.

 

Ein Lehrer hatte mir netterweise vorher gesteckt, dass ich doch noch eine Stunde warten soll, bis ich nach Hause gehe. Was sich ausgezahlt hat. Die Straße wurde erstmal blockiert und mit schallenden Liedern besungen und beschrien. Lehrer standen an den Fenstern wie die Schüler auf der Straße, um ihr Lächeln und ihre Tränen noch ein letztes Mal zu zeigen. Diese Schüler bekommt man jetzt nurnoch auf dem Maturantenball und der Abschlussprüfung zu Gesicht.

Die zweite große Glocke schallerte an meiner letzten Schule diesen Freitag. Nur bei weitem nicht so unerwartet. Die restlichen Schüler des Kantons Sarajevo haben seit Freitag offiziell zweieinhalb Monate Sommerpause. Und ich somit auch. Die Unerwartung und somit der geniale Überraschungseffekt, den ich zu meiner großen Freude miterleben durfte, ist nicht wie im Planerdeutschland von vorn herein festgelegt: Man muss genauso viele Unterrichtsstunden abarbeiten, wie am Schuljahresbeginn geplant waren. Wenn alle durch sind, drückt man eben etwas länger auf den Klingelknopf.

Seit Anfang der letzten Woche wird sich verabschiedet, Eis gegessen und beschenkt. Man merkt genau, wer dankbar ist und wer nicht, Schüler wie Lehrer. Ob man sich mit Kollegen nichtmal die Hand gibt oder doch für eine geschlagene Minute in den Armen liegt, zeigt, wo man was wie richtig und was woanders nicht so richtig gemacht hat. Auch, wenn man den Geschenkestapel lieber nicht ale Richtlinie für getane Arbeit sehen sollte.

 

Meine große Glocke klingelt Anfang Juli. Dann heißt es Aufbruch, mit dem Fahrrad an der Donau entlang nach Hause. Letzte Sachen werden geklärt, die Zeit genossen, Schüler und Freunde werden noch tausend Kaffees und Rakijas trinken müssen, bis sie mich dann doch endlich los sind. Verschwinden wird man aus diesem Schulapparat, nächstes Jahr kommen zum Glück meiner Schüler und Kollegen hier Nachfolger, um den Laden nochmals zu erfrischen. Verschwinden wird man aus diesem Land, zumindest vorest. Verschwinden und nie wiederkommen wird auch die Stimmung dieses Jahres – arbeiten wird man so nicht wieder, leben so auch nicht. So schön. Vielleicht ist es gerade so toll, ein Jahr begrenzt irgendwo zu sein. Da hört man nämlich wirklich mal auf, wenn es am schönsten ist. Wiederkommen aber werde ich. Und ich hab ja jetzt noch drei Wochen.

Nur, dass der Finger erstaunlich bedrohlich über meinem Klingelknopf verweilt. Mir aber noch die Zeit gibt, in Ruhe alles zu packen und diese letzten Monate genussvoll ausklingeln zu lassen.

Wochenenden… Das Frühjahr-Foto-Catch-Up

Noch schnell kurz, bevor der Sommer kommt. Jeder kennt es, jeder weiß es. Je länger man irgendwo ist, desto mehr hat man zu tun, desto weniger kümmert man sich um sein zweites Standbein, auf welches ich mich jedoch schneller als gewollt wieder stützen werde(n muss): Ihr dort in Deutschland.

Um all dem Trubel und Jubel der letzten Zeit und vor allem der wochenendlichen Rumreiserei etwas Bildmaterial zu unterlegen, sind hier einige Aufnahmen der letzten Monate:

 

TRAVNIK

Einen februarischen Tagestrip mit anschließender Hüttenparty mit Freunden ging es nach Travnik. Hier gibt es genau eine Hauptfußgängergasse, einen Mickerfluss, glotzende und verwirrte Leute, eine Festung mit super Ausblick und viele hohe Berge.

 

SUTJESKA NATIONALPARK – DRINA – FOČA

Im März machten wir uns schon auf in die hohen Ecken… Sogar Badesachen hatten wir (vergebens und unverständlicherweise) auf die 2000 Meter mitgenommen. Der Sutjeska beherbergt Maglić, der mit 2400 Metern höchste Berg des Landes. Auch beherbergt der Park genau eine Hüsung, die im Monat März schon geöffnet hat. Die galt es erstmal zu finden. Und auch die Busverbindung, die überhaupt bis in den Park fährt. Unsere Nette Gastgeberin von der „Touristeninformation“ brachte schöne, bunte Broschüren mit, aber leider keine Karte des Parks. Gut, dass wir vorher etwas bei Google ausgedruckt hatten. Möge das Abenteuer beginnen…

Nach Übernachtung im Park ging es weiter nach Foča. Foča ist eine Stadt, in der der Krieg noch besonders fest sitzt. Örtlich in der Republika Srpska liegen in der ehemals muslimischen Stadt nurnoch Leute von vor 1994 begraben. Die ottomane Altstadt sieht genauso aus wie nach dem Krieg wahscheinlich auch. Nur mit mehr Gestrüpp drum herum. Auf der anderen Flussseite glänzt die neue orthodoxe Kirche, in welche das ganze Dorf für einen Gottesdienst passen würde.

Auch in die Drina hält man seine Füße lieber direkt neben der Quelle. Nach Foča schwimmt da schon allerlei Abwasser und Gestank mit herum. Filtersysteme existieren nicht. Nichtmal Müllverbrennung gibt es in diesem Land.

 

KONJIC – JABLANICA – JABLANIČKO JEZERO

Im April ging es mal wieder für ein Wochenende in die Hercegovina. Zwar nicht bis runter nach Mostar, jedoch immerhin die halbe Strecke.

Konjic ist eine wunderschöne, niedliche Stadt an der Neretva, welche gigantisch unter dem Berg Prenj liegt. Über einen Höhenpass kommt man quasi von oben in die Stadt gefallen, alles ist grün, wärmer und adriatischer als oben in Sarajevo. Für einen Kaffee zahlt man nurnoch 70 Pfennig. Nach zwei Stunden ist man aber auch wirklich durch mit der Stadt. Das übliche Besichtigungsschema in Bosnien: Über die Brücke, dreimal um die Altstadt, einmal hoch den Berg und staunen. So auch hier über Konjic, weiß geschmückt in Kirschblüte.

Weiter ging es am Nachmittag nach Jablanica. Und weil man so deutsch ist und das Wetter so gut ist und zufällig gerade der Stausee Jablaničko abgelassen wurde, gönnt man sich doch eine Schlammschlacht und läuft so weit man kommt im weichgetrockneten See/Flussbett flussabwärts Richtung nächste Stadt. Noch nie bin ich so gelenkschonend im Schlamm versackt. Noch nie habe ich auf einer SO grünen Wiese gelegen. Und noch nie haben uns so nette Leute auf einen Kaffee auf ihre Terrasse eingeladen, vor welcher wir in der Abendsonne rumgelegen haben. Von da kann man im Sommer direkt in den See springen, wenn der wider voll ist. Wir seien jederzeit herzlichst eingeladen.

Jablanica selbst ist wieder nur senkrechte urbane Fläche am Berghang, wo wirklich nichts los ist. Ein Kaffee: 50 Pfennig. Also schnell wieder für den Sonntag zum See.

 

JAJCE – BOSANKSKA KRUPA – UNA RAFTING – BIHAĆ

Über den ersten Mai hatte ich die Ehre, mit anderen Kulturweitlern auf dem klarsten Fluss Bosniens, der Una, zu raften. Wie sich das gehört, wurden unterwegs Stops hoch 10 gemacht:

Jajce ist wohl die Stadt mit der längsten Geschichte im Land. Hier auf der Bergfestung saßen früher die bosnischen Könige und guckten sich in ihrem dichten Berg-Waldreich um. Die Standortwahl ist durchaus nachvollziehbar: Ein Meer aus Wasserfällen zieht sich durch die Altstadt und an der Stadt entlang weiter in die Berge, unterbrochen von Seen, wo wirklich die Bäume ins Wasser fallen.

Oben in Krupa wohnten wir zu viert in einem Wochenendhäuschen, von wo wir täglichst die Una berafteten. Der Sauber-Vorzeigefluss Bosniens war aber garnicht so sauber. Das Hochwasser stand schon gut im Kommen, rund anderthalb Meter mehr hatte die Una, weshalb auch unschöner Modder mit den Fluss hinab kam. Außerdem war das Raften durch den hohen Wasserstand keine anstrengende 4-Stunden-Nassspritzerei mehr, sondern eher eine „Wir-fliegen-in-einer-Stunde-trocken-über-den-4-stunden-Stromschnellenparcours“-Tour. War trotzdem super. Und kalt.

Krupa selbst ist alles andere als vorgestellt. Wo man im Süden und Zentrum des Landes überall Müll sieht, alles doch recht bevölkert ist und man die Naturschätze erstmal suchen und von ihrer Existenz wissen muss, wird der Schatz im hier Norden ohne Einschränkungen präsentiert. Schon auf der Hinfahrt fährt man eine Stunde durch halb bewaldete Hochebenen wo absolut niemand ackert. Das 30.000 Einwohner Städtchen Krupa ist so sauber und geplegt und aufgeputscht wie kein anderer mir bisher begegneter Ort in diesem Land. Durch die Nähe zum Westen und dem Naturparadies Una hat sich der im Krieg komplett zerstörte Ort schnell wieder erhohlen lassen – von außerhalb. Nichtmal in der Hauptstadt fahren so viele internationale Autos herum. Krupa ist zum Wochenend- und Ferienort für ausländische Einheimische geworden. Auch über den ersten Mai kamen viele zur Erholung. Ansonsten sei die Stadt menschlich gesehen eher tot.

Die Una ist wie bereits gesagt ein Schatz – wie jede Natur immer und überall. Jedoch hat die Bevölkerung dies verstanden. NULL Müll wird auch nur annähernd in den Bereich dieses Flusses gebracht, verdient wird durch Tourismus und Fischerei. Sonst ist hier oben kaum etwas zu holen. Selbst die UNESCO hatte schon die Zäune um das neue Welt-Kulturerbe gezogen gesehen. Nur, dass sie die Hauptverkehrsachse von Krupa nach Bihać, dem nächstgrößten Ort, sperren und zur Natur machen wollten. Das wäre der infrastrukturelle Ruin gewesen. Hat sich aber jemand dagegen gestellt.

Bihać ist dann schon wieder eher der restlichen Landentwicklung angepasst. Teils kaputt, mit dennoch einigen neuartig-außerirdischen Bauten. Geteilt wird die Stadt von Inseln in der Una, die zum ersten Mai leider alle nurnoch unter Wassermasse lagen. Im Sommer dennoch ein grünes Paradies mitten in der Stadt.

Schön ist es, zu reisen. Schön ist es, wieder anzukommen. Schön ist es, dieses Land und schön ist es, in diesem auch herumzukommen. Ganz ganz schön finde ich das!

Von bosnischen (Seminar)fluten

Hier hieß es Land unter die letzte Woche. Sowohl auf meinem Schreibtisch als auch im Rest des Landes: Bosnien und Umgebung erleben Erdrutsche, Überschwemmungen, Heimlosigkeit und (zumindest bis gestern) eine Woche Dauerregen. Da schätzt man es doch sehr, dass unser „BuH lacht“ Seminar alles andere als ein Bauchklatscher in braune Fluten war.

Ganz im Gegenteil: Wenn nach drei Tagen locker-intensiver Arbeitsatmosphäre eine top Aktion auf der Straße steht, die Gruppe uns selbst als Familie bezeichnet, man nur konstruktives Lob und tränenvolle Blicke zugeworfen bekommt, kann man schon von deutlichem Erfolg sprechen. Nur die Augenringe am Montagmorgen darf man sich nicht angucken, oder gerade: Ich hab mir gesagt, dass die in 20 Jahren bestimmt wie Lachfalten aussehen.

Gelacht haben wir nämlich. Täglich und ausgiebig. Und nur. Nach donnerstägigen Workshops zur allgemeinen Straßenkunstfindung (da ging es los mit der Lacherei und sollte nie wieder aufhören) und Planungen am Freitag, lagen wir Freitag mit unnormal viel Publikum schwarz angezogen und mit Farbe im Gesicht auf dem Boden der Innenstadt rum, nachdem wir uns mit bunten Luftballons blau geprügelt hatten und die Stadt mit weiterer Tanz-Rythmus-Gedicht-Freudeabreißzettel-Prank-Mopperei verzuckert haben. Das stille Abschlussspektakel wurde brav von Romakindern zu einer „Wir klauen die Luftballons“-Schau umfunktioniert: So soll es la schließlich laufen auf der Straße. Die Stadt macht aus uns, was sie will.

Spontan wurde dann noch vorbeifahrenden Autor applaudiert, die haben’s verstanden, die Kids. Freizeit gab es genug, Freiheiten auch, was die ganze Schose sehr angenehm für alle seiten gemacht hat. Soetwas wurde dann mit gemeinsamem Frühstück belohnt, mit dem kleinen Finger hat man gezuckt und schwupps war der ganze Raum wieder sauber.
Nein, alles in allem will ich uns fünf Freiwilligen und vor allem den Schülern wirklich nur selber auf die Schulter klopfen. Gegenseitige Besuche der Schüler sind schon geplant, was ja genau das Zeil war: Sarajevoer, hab Freunde in Banja Luka, mit denen du lachen und das Leben genießen kannst. Und wer weiß, wann man das nächste mal zusammen die Innenstadt rockt. Wie wir da rumgelaufen sind, sieht man hier. Einfach mal durchklicken.

 

Nach diesem Erfolg ging es wettertechnisch weniger erfolgreich weiter. Was einen natürlich noch glücklicher macht, was das Vorgängerwochenende angeht. Den sowieso schon hoch stehenden Flüssen durch den Aprilregen (die Una im Norden Bosnien und Herzegovinas stand am ersten Mai zwei Meter höher als normal) wurde der Rest gegeben. Wir haben es mit den schlimmsten Fluten der letzten 100 Jahre zu tun. Bosnien und Serbien rufen den Notstand aus.
Sarajevo uptown hat es noch gut. Hier liegen die Sandsäcke nur vorsichtshalber am Flussufer, Die widerlich braunen Schlamm-Erdrutschfluten sammeln sich weiter flussabwärts: In Ilidža. In diesem weitläufigen Ex-Römertal fließen gleich drei weitere Flüsse mit der Miljacka zusammen und bilden somit ein wunderbar flutfreudiges Tal. Hier steht alles unter Wasser, wie in weiteren Städten noch viel extremer, die werden von Erdrutschen geplagt. Das Eigenheim, wofür das ganze Leben geschuftet wurde, kann man sich auf einmal vom Ufer aus angucken. Menschen sind jetzt nicht nur job- sondern auch noch heimatlos.
Ein momentan noch aufkommendes Problem versteckt sich jedoch nicht in den Fluten, sondern vielmehr im Verrutschten. Landminen halten 100 Jahre. Der Krieg ist knapp 20 Jahre vorbei. Straßen wurden wegen der Fluten gesperrt und werden auch noch gesperrt bleiben müssen, bis man den Mist durchgesiebt hat.
Eine dieser Straßen ist die Verbindungsstraße Banja Luka – Sarajevo, die seit diesem Wochenende nicht befahrbar ist. Folglich ist der Referent für das für dieses Wochenende angesetzte Seminar „Grammatik und Grammatikvermittlung“ der ZfA in Banja Luka kleben geblieben, ebenso wie ungefähr 40 weitere Lehrkräfte des DSD-Programms in ihren Heimatstädten.
Das Programm (wir waren diesmal nur genervte Teilnehmer – was soll man schließlich 4 Wochen vor Schulschluss noch Grammatik vermitteln übern? Ein wenig spät für uns…) wurde also (zu unserer geteilten Freude) um circa 80 % gekürzt, womit wir heute zumindest einen Tag Wochenende haben, um das letzte Seminar nachzuarbeiten und das für nächstes Wochenende vorzubereiten:
Wie auch schon im Oktober werden die zukünftigen DSD-Schreiblinge und Schreiblinginnen mithilfe eines Vorbereitungsseminars auf den schriftlichen Aufsatzteil der Prüfung vorbereitet. Warum nicht wieder im Oktober? Weil das zu kurzfristig war. Jemand, der in der Jugonostalgie noch nie eine Diskussion geführt hat, kann dies schlecht innerhalb von zwei Monaten lernen. Man braucht dafür zwar ein ganzes Leben, jedoch bietet sich ein halbes Jahr Vorsprung doch deutlich eher an. Einfach, damit die Schüler mal ein Gefühl dafür kriegen, was auf sie zukommt. Samstag geht es an die Struktur des Aufsatzes, Sonntag wird geschrieben und besprochen. Seminiert eben.

Danach hab ich dann mal wieder freiere Wochenenden. Aber wie auch zwei Tage im Komplettstress vor Beginn des „lachenden BuHs“ sage ich mir jetzt: Genieße jede Sekunde Stress, geht sowieso alles viel zu schnell vorbei. War letztes Wochenende so und wird auch für die letzten vier Schulwochen so sein.

Ein Liebeslied an die VILSONOVO ŠETALIŠTE

Novo Sarajevo bis Stari Grad. Entlang des Flusses. Ob der Fluss jetzt hässlich ist oder nicht, da läuft sie lang, die Straße namens Vilsonovo Šetalište. Zu Deutsch: Promenade des Wilsons.

Und es ist nicht nur eine Promenade am hässlichsten je gesehenen Fluss (außer der in Bukarest) des Balkans, sondern auch eine gut befahrene zweispurige Einbahnstraße.

Bis 17 Uhr. Wochentags. Ab dann ist die Straße für Autos bis morgens um sechs gesperrt, man kann mitten auf der Straße unter der Lindenalle bis nach Hause laufen, wenn einen kein Rollschuh-Kind umfährt oder kein Rollstuhl-Mensch inklusive Hund und quer über die Straße gespannter Leine dabei ausbremst.

Neulich war es, als sogar die Polizei brav die Raser kontrolliert hat, welche sich nicht von der roten Hundeleine irritieren ließen. Ob man was zahlen musste kann man wohl bei der Koruppiererei kaum erwarten, jedoch halten sich die meisten dran.

Vor allem am Wochenende, wenn die Straße ganztags gesperrt ist. Jetzt, wo das Wetter wider besser wird, sieht man mal, welche bunten Menschen eigentlich in diesen hässlichen grauen Platten wohnen, welche gleich hinter der Sonderstraße rumgammeln. DA kann man sich vor Fahrradfahrern, Joggern, Kindern, Familien und roten Hundeleinen kaum noch retten. Pärchen versuchen schon garnichtmehr, sich zu verstecken sondern nutzen doch recht freizügig die Prakbänke. Ansammeln dazu tut sich natürlich ein Haufen Popkorn, bunte Heliumluftballons, die ab und an doch leider heulend in den Himmel verabschiedet werden müssen. Auch die tollen Fitnessgeräte (gelb, nicht zu übersehen) bleiben von der ein oder anderen Oma nicht verachtet. Schlange stehen Jund und Alt und schwingen auf dem ungebremsten Laufsimulator (keine Angst, nur mechanisch) die Beine. Volksfeststimmung.

Und so kann die von mir als grünste Straße der Stadt thesierte auf voller Länge genutzt werden. Sie bildet eine Fußgängerachse einmal quer durch die Stadt. Und sowas wird hier einfach fürs Wochenende gesperrt. Für das Allgemeinwohl. Da rutscht Deutschland im HDI-Rang immer höher, aber sowas habe ich noch nier gesehen. Eine Verkehrsachse, die einfach lahmgelegt wird, um ein Entkommen aus der Platte zu bieten.

 

So sah sie im Herbst aus.

So sah sie im Herbst aus.

Jetzt muss nurnoch der Abwasserfluss ein Fluss ohne Abwasser werden, ein Renaturierungsprozess in die Gänge gebracht werden, und Eicke ist noch glücklicher.

Der Gruß aus Deutschland…

…kommt eine Woche zu spät. Aus Zeitmangel. Eine Woche ist die Schwester zu besuch, knapp zwei Wochen begleitet man einen Austausch nach Aschaffenburg und jetzt ist schon wieder für zwei Wochen etwas Liebes aus Hamburg da, da steckt man die Tippzeit eben ein bisschen zurück.

Hier die halbe Stunde Kulturschock zusammengefasst.

 Am Flugplatz steht er. In der Sonne, in Sarajevo. Fünf Minuten vor Check-In-Schluss, ganz zeitig, ganz bosnisch. Das viel zu große Handgepäck in Form eines für zwei Wochen gepackten Wanderrucksackes hat schon die Handgepäckmarke – trotz gefühlten Übergewicht. Gut, dass der Blonde nicht aus Deutschland zurück, sondern erstmal hin will.

Nach drei Kaffees und noch ein bisschen herumstehen springt die bosnische Masse von ihren Stühlen, weg von der Check-Im-Warterei. Die Ansagen kommen vertauscht aus der Durchsage – Erst kam der letzte Aufruf für den Flug nach Köln, danach durften Frauen, Kinder und Alte auf die hinteren Plätze. Aber flott sind sie, wenn es losgeht, da steht dann doch der junge Spusi vor der Oma am Schalter. Hat wohl die Lautsprecher nicht richtig gehört.

 In Köln regnet es. Bei 12 Grad. Es ist grau und sauber. Ein Freiwilliger steigt aus dem Flugzeug, ausgehungert. Deutsche Fluggesellschaften verlangen eben sechs Euro fünfzig für ein Mini-Sandwitch. Da ist man entweder arm und halbsatt oder stolz und hungrig, wenn man wieder festen Boden unter den Füßen hat.

Es fällt der Mamorboden auf. Es fällt der Geruch auf. Es fallen die Mülleimer auf. Und die Passkontrolle, wo ein EU-Deutscher 700 mal so schnell durchkommt als ein Bosnier.

Mit der S-Bahn zum Bahnhof. Auf dem Weg dorthin…

 

…könnte doch so langsam-    Ah, da ist ein Schild.

Und wo-    Ah, hier steht es doch, die Treppe runter.

Wann fährt denn-   „Auf Gleis 2 fährt ein die S-Bahn nach Köln Hauptbahnhof.“

Danke Deutschland, danke System. Ja, System. Da kann man sich drin bewegen, sich zurechtfinden. Man kommt vom Flughafengrenzkontrollsystem in das Gepäckabholsystem (was ich erfolgreich auf der Fast-Lane um gehen konnte, dank nur Handgepäck) in das Gangleitungssystem in das Fahrkartenkaufsystem in das Zugsystem.

Die Bahn fährt an. Zumindest sieht es so aus, weil sich draußen der Bahnsteig bewegt. Man hört nämlich nichts, man fühlt nämlich nichts. Man merkt nur dieses leichte Stupsen, wenn der Magen lieber ein Stück dichter an die Wirbelsäule will. Fachgemäß und geschult wird kontrolliert, offen und ehrlich die Verspätung zugegeben, viereinhalb Minuten. Genau.

In Köln am Hauptbahnhof. Bäckergeruch vom Coffee-to-go. Oder besser noch vor dem Hauptbahnhof. Da stehen Demo-Leute mit Megaphon und keiner guckt hin. Da steht dieser dusselige Blonde mit dem Übergepäckrucksack mitten in Köln vorm Hauptbahnhof und guckt sich erstmal um. Da sind so viele Leute. So viele Leute. So viele. Die rennen hin und her, die Treppe zum Dom hoch und wieder runter, im Businesslook mit dem Telefon an der Backe, mit Studentenlook und dem Brötchen in der Hand, mit normal-bürgerlichem Arbeitslook und dem Coffee-to-go. Und alle am Sprinten. Noch schnell die Regionalbahn nach Bonn kriegen, die hat ja genau drei Minuten Verspätung, die kriegt man noch. Und wenn ich im gehen meinen Kaffee trinke kommt das Koffein bestimmt schneller ins Blut? Lauft alle, lauft!

Der Übergepäckrucksack steht in einem Café namens Antheum. Hier gibt es Antiquitäten und Kaffee. Neben dem Rucksack sitzt dieser komische Mensch, der vorhin noch den gesamten Bahnhofsplatz blockiert hat und nachher noch im Buchladen Loriot lesen und im Museumsladen Postkarten kaufen wird. Der Zug fährt nämlich erst in ein paar Stunden weiter. Den ganzen schönen deutschen Laden hat der aufgehalten, er, der Dreckfleck im Bahnhofseingangssystem. Der, der in Bosnien immer alle überholt beim sprinten, wird hier eiskalt abgehängt und liegt überrundet und stolz auf dem letzten Platz.

Meine Anschlussverbindung hat Verspätung. 21 Minuten. Eigentlich sind nur 15 Minuten Zeit zum umsteigen. Wie schön, dass der zweite Zug auch 17 Minuten Verspätung hat, da kann man dann seine Zigarette noch im gelben Quadrat rauchen, und muss sich das Nikotin nicht im Gehen zwischen Smartphone, Autoschlüssel und Rollkoffer auf hohen Schuhen durch die Zähne saugen…

Toll sind sie, die Deutschen!

Die Zweitsemesterprojektelei

 

Zettel austeilen kann jeder. Das kann ein Lehrer, das kann ein Schüler. Da gibt es verschiedene Systeme, wie jeden Schüler ein Zettel erreicht, die man an dieser Stelle nicht alle detaillisieren muss. Auch Tafelbilder malen kann jeder. Mancher schöner, mancher weniger schön, aber in ihrer grundlegenden Funktion büßen sie durch den unterschiedlichen Handschwung eigentlich nichts ein…

Was soll das jetzt heißen? Heißen soll das, dass ein Freiwilligendienst nicht aus Handreicherei besteht. Meiner zumindest nicht. Nicht seit Beginn des zweiten Semesters. Ich sehe keinen Sinn darin, anstatt von Lehrern den Unterricht zu gestalten. Dazu sind Lehrer viel besser Qualifiziert als ich. Helfen gerne, Strukturen einbringen gerne, Team-Teaching – mach ich alles gerne. Solange ich sehe, dass mein Dienst bei den Schülern ankommt. Und ich zufrieden bin.

Und um mir da ganz sicher zu sein, gibt es folgende Projekte, die mir und hoffentlich auch meinen Schülern das zweite Semester aber sowas von schmackhaft machen:

 

 Der Vorlesewettbewerb (2. und 3. DSD-Klassen aller Gymnasien)

Diesen gibt es schon seit einigen Jahren in Sarajevo, war mal bosnienweit, mal nur auf Stadtebene, je nachdem wieviel der Geldgeber ZfA gerade zur Verfügung hat. Jeder DSD-Schüler kann daran teilnehmen, maximal zwei Schüler pro Schule.

Bisher wurden einfach zwei gute Schüler ausgewählt.

Dieses Jahr gibt sind an meinen zwei Schulen Klassenausscheide. Diese sind bereits gelaufen. Es wurden vorbereitend Hörproben und -bücher gehört, um Kriterien zusammeln, Fehlerleserunden abgehalten usw.

Ausgewählt wurden die besten Schüler anhand von Kurzgeschichtenlesungen, die selbstständig von einer Website ausgesucht werden sollten. Die fünf Besten einer Klasse kommen auf den Schulwettbewerb, bei welchem dann richtige Bücher gewälzt werden.

Am 14. April ist der erste dieser Kategorie, an welchem die ersten drei Plätze gekürt und zwei Schüler und Schülerinnen für den großen Wettbewerb ausgewählt werden.

 

 Filmsynchronisation (4. DSD-Klasse, Gymnasium Obala)

Akzentfreies Deutsch, das DSD-C1-Diplom (Muttersprachlerniveau) mit fast voller Punktzahl bestanden. So sitzen fünf Schüler und mehr bei mir in den Stunden. Nach dem bestandenen Diplom in Dezember findet nun zwischen DSD und Matura (Abitur) kaum noch Unterricht statt, die Abiturprüfungen sind nach bestandenem C1 das witzigste vom Witzigen. Da dachte ich an meinen Freund Eldar mit dem Tonstudio, meine Top-Schülern mit Übersetzungs- und Sprachqualifikationen sowie die existierende Unwissenheit in Deutschand was Ost-Europa anbelangt. Kaum jemand hat eine Konkrete Ahnung von diesem Land. Oder wusste vielleicht jemand, dass es eine halbe Million Bosnier in Deutschland gibt, hier unten im Land aber auch nur 4,5 Millionen zwitschern?

Aufmerksamkeit soll das ganze Erregen. Bisher haben wir einen Kurzfilm, welcher auf dem alljährlichen Filmfestival im letzten Jahr gezeigt wurde. Es geht um die Eröffnung eines Kinos während der Kriegsjahre und deren 20-jähriges Jubiläum.

Ich plane, am Wettbewerb des PADs (Pädagogischer Austauschdienst) teilzunehmen. Sollte dabei Geld herausspringen, möchte ich dies gern nutzen, mit Schülern gemeinsam durch Deutschland zu fahren und den Film über die ein oder andere Leinwand laufen zu lassen.

 

Die Comicausstellung (1. DSD-Klassen aller Gymnasien)

Was tut man mit 14 oder 15-jährigen Jugendlichen, die 16 verschiedene Schulfächer und viel zu wenig Zeit haben? Wo man mit den einen Schülern politische Diskussionen führen und mit den anderen nichtmal über das Wetter reden kann?

Was kreatives, wo man alles ausleben kann. Muttersprachlerdeutsch sowie Anfängerdeutsch. Es wurden also Comics gelesen, Geschichten wiedererzählt, Pointen gefunden und Charaktere stereotypisiert.

Mit meinen Kids habe ich Charaktere entworfen, aus welchen schließlich richtige Comics gestaltet wurden. Thema: Fußballfieber. Es ist WM-Jahr und Bosnien ist historisch erstmals mit dabei. Das Goethe-Institut schreibt jedes Jahr einen Wettbewerb aus, woher das Thema kommt und wohin die besten kreativnosti auch letzten Endes geschickt werden sollen.

Ab dem 19. April soll es eine rotierende Ausstellung geben, an jeder teilnehmenden Schule werden alle Comics für jeweils eine Woche ausgestellt sein.

 

Die Mülltrennerei (Gimnazija Ilidža, 2. DSD-Klasse)

Was am Gimnazija Obala schon passiert, wird  in Ilidža schlichtweg übernommen. Gemeinsam mit einem Deutschlehrer und einer Klasse wird hoffentlich noch dieses Schuljahr ein Mülltrennungssystem eingeführt. In Bosnien kommt generell noch alles auf die Kippe, in Dörfern wird es aufgehäuft und verbrannt, wenn man gut ist. Oder einfach in den nächsten Fluss gekippt, wenn man nicht so gut ist.

Es gibt Recyclingfirmen in Sarajevo, welche beispielsweise Plastikflaschen, Altmetall und -papier ab einer gewissen Menge abkaufen. Hier soll eine Patenschaft zwischen der Schule und dem Unternehmen entstehen, wie es bereits am Obala der Fall ist.

 

„BuH lacht“ (vier Schüler der 3. DSD-Klassen, gemeinsam mit den anderen Freiwilligen)

Gewollte ethnische Separation findet statt in diesem Land. Stereotypische Ansichten aus dem Elternhaus werden übernommen und ohne Gesichtsverzug ausgesprochen. Serben, Kroaten, Bosniaken, alles Bosnier, alle nett, alle toll. Alle mit dem gleichen Schicksal: Nachkriegsgeneration.

Unser Freiwilligenprojekt soll Schüler aus dem ganzen Land zusammenbringen und verknüpfen. Wie macht man das? Mit Spaß.

Wie schafft man es, dass viele Leute eine solche Einheit mitbekommen? Mit Straßenkunst.

Vom 7. bis 11. Mai kommen wir fünf Freiwillige mit jeweils vier Schülern zusammen. Es wird gemeinsam genächtigt, gemeinsam gegessen und gemeinsam geplant:

Eine mobile Aktion in der Innenstadt, die allen Beteiligten Spaß machen soll. Diese wird zuerst in Workshops und dann im Großplan von den Schülern so gut es geht eigenständig geplant und durchgezogen.

Der Gemeinschafts- und Generaleffekt, Brücken zwischen den bosnischen Kulturen zu bauen,  ist somit nur unterschwellig vorhanden, aber (hoffentlich) genau im richtigen Maße.

 

Für im Mai müssen noch DSD-Vorbereitungsseminare für die zu schreibenden Diploma organisiert werden.

 

Im Juni kommen Gäste aus Hamburg, ein Austausch nach Ilidža. Die meinigen fahren im September gen Norden. Vorher sollen die Nordlichter aber noch ordentliches Sommerprogramm um die Ohren bekommen.

 

 

Ja, so sieht es aus, das Beschäft. Und es macht dicken, dicken Spaß!

Buda mit Pest und Zagreb

So, jetzt reicht’s. Sechs Wochen Nachreisezeit, sechs Wochen strengst eingehaltene Arbeitsstrukturen – da bleibt nichtmehr viel im Hirn von der Reiseschwelgerei. Zumal der nächste Schritt schon in zwei Wochen getan wird: Austauschbegleitung nach Deutschland.

Dementsprechenend hier nur die letzten Reisebilder:

 

BUDAPEST

 

ZAGREB

Geteilte Stadt im bosnischen Frühling?

Es ebbt alles langsam ab. Es schwindet. Aus den Medien, aus den Gesprächen, aus dem Straßenbild. Nurnoch vereinzelt kommen Proteste vor, nurnoch vereinzelt fährt die Tram mich nicht zur Arbeit. Was war da los? Was ist da passiert?

Steine folgen, Krankenhäuser haben sich gefüllt. Minister flüchten nach Kroatien und steigen ab. Der Plakatwunsch nach einer neuen Regierung scheint zu kommen.

Initiiert sei das ganze von den 200 Parteien der Opposition, sagen Einige. Die Proteste seien geplant, um das Unkönnen der Regierung bloßzustellen. Andere sind einfach nur geschockt. Es sei der Anfang von allem. Nein, es koche nur einmal hoch und dann beruhigen sich alle wieder. Es werde wieder Kriege geben, ganz sicher sei das. Und weg will man, das ist die Lösung.

Fakt ist, dass dies die größten bosnischen Ausschreitungen seit dem Krieg waren. Und noch sind. Nur weil man nichts mehr hört, heißt das nicht, dass sich irgendetwas geändert hätte, das sich irgendetwas verbessert hätte. Dass irgendjemand jetzt beruhigt wäre. So gut wie jeder hier unterstützt die Proteste. Nur nicht die Gewalt. Gewalt schockt die Menschen hier. Gewalt gehört nicht in den Alltag, Gewalt tut man nicht.

Stille Proteste wirken jedoch nicht, man bedenke die Blokaden an der Miljacka (hier ein Artikel dazu). Die Situation hier schreit nach Eskalation. Und wenn man sich die Bilder aus der Ukraine anguckt, erscheint einem das alles garnichtmal so fern.

In der Schule behandele ich Stellungnahmen zu aktuellen Themen im Unterricht. Die bringen Nachrichten mit, die sie selbst interessieren, die aktuell sind. Die letzte Doppelstunde ging es um die Proteste. Ich habe einen Haufen gelernt, einen Haufen Neues gehört.

So zum Beispiel, dass Sarajevo eine geteilte Stadt ist. Wir haben hier die Republika Srpska und die bosnisch-kroatische Föderation. 90 % der Stadt gehören zum Kanton Sarajevo, einer der zehn Kantone der Föderation. Ostsatajevo hingegen wird von der Republika regiert. Eine Stadtregierung gibt es irgendwo, der Bürgermeister sei aber nur Sprechrohr bei offiziellen Anlassereien. Und da wundert man sich noch, warum nichts funktioniert? Der kroatische Minister wurde während der Proteste in Mostar, in der katholisch dominierten Herzegovina empfangen; der serbische in Banja Luka, der Hauptstadt der Föderation. Was war gleich nochmal die Hauptstadt? Man mag diese Situation mit DDR und BRD vergleichen. Nur, dass die Teilung hier quasi in der Verfassung steht. Quasi, weil es keine Verfassung gibt. Man regiert nach dem Friedensabkommen von ’95, einem fast 20 Jahre alten Wisch, wonach Roma und Atheisten keine Präsidenten werden können. Nur bitte drei Präsidenten zur Zeit, einen serbischen, einen kroatischen und einen Bosniaken. War eben das Beste. Vor 20 Jahren.

Das wäre jetzt wohl das erste, was man angehen sollte. Ein Staat ohne Verfassung? Regierungswechel hin oder her – Geldwäsche ist laut Mund-zu-Mund der größte politische Verdienst, es läuft hinten und vorne, oben und unten schlichtweg nichts. Demokratische Strukturen waren irgendwo mal. Arbeitslosigkeit geht auf 40 % zu. Korruption ist Alltag, vom Minister hin zum Fahrkartenkontrolleur.

Was Deutschland davon erzählt? Kaum etwas, passt nichtmehr in die Tagesthemen. Will keiner sehen. Kiew sieht doch momentan viel interessanter aus.

Was alles nicht Rumänien ist…

…ist natürlich genau das, wo man sich als Fremder herumtreibt. Bukarest und Siebenbürgen gehören laut uns umfeldeten Persönlichkeiten einfach nicht dazu – kulturell als auch sonst. Ein Grund, sich dort mal blicken zu lassen.

Das ganze ist zwar schon über einen Monat her, aber Mitteilungsversprechen sollte man ja doch halten.

Was man aber generell zu Rumänien sagen kann, ist schön. Schön kann man dazu sagen, was Natur, Landschaft, Leute und Sprache angeht. Läuft man in Bukarest durch die U-Bahnen, wird man von Leuten angesprochen, die merken, dass man nicht von dort ist. Die laden einen ein, bieten einem seine Wohnzimmercouch zum schlafen an, bekochen einen… Man interferiert in deren Leben und die freuen sich daran. Auf einer wunderbar angenehmen Sprache, die man mit romanischen Vorkenntnissen sogar versteht. Mit einem Italiener könne man sich problemlos verständigen, so die Aussagen. Und das inmitten eines slavistischen Haufens.

BUKAREST – Hat eindeutig den seltsamsten Großstadtcharakter überhaupt. Nachdem man sich so viel in Balkan-Metropolen herumtreibt, schwindet einem sowieso irgendwie der Vergleichswert unter den Fingernägeln weg. Je mehr man sieht, desto mehr hat men gesehen, desto mehr denkt man drüber nach, desto weniger weiß man, wie man was genau einschätzen soll. Also Free-Walking-Tour. Die ist immer gut und supergünstig, weil „Free“. Gegen Spende. Funktioniert super, weil  sich die Guides wirklich Mühe geben, schließlich hängt die Bezahlung davon ab. Gibt es zu Hauf auf dem Balkan, und somit auch in Bukarest.

Dennoch war unser guter Vorreiter nicht der Begeisternste, weswegen ich herzlich wenig mitbekommen habe, was ich an dieser Stelle vermitteln könnte. Also guckt man sich in der Gegend um, und stellt folgendes fest:

– Eine extrem winzige Altstadt mit winziger Szene für eine Zwei-Millionen-Stadt- Nur kleine Kirchen
– Viel kommunistisches Gebausel, von riesigem Prunkbau bis zu superhässlichen Platten

Außerdem sehr genige Bars oder Cafés im Straßenbild. Einfach irgendwie komisch. Bei strahlendem Sonnenschein zeigt die Stadt trotzdem so eine stille, schöne Bedrückung. Mag sein, dass es am Sonntag liegt, mag sein, dass es am Winter liegt.

Was aber noch sein kann, ist, dass ein netter Herr namens Ceaucesko seinen Machkomplex hier so abartig krass ausgelebt hat wie meiner Meinung nach Hitler sein Germania in Berlin. In Bukarest wurden Kirchen um teilweise hunderte von Metern einfach verrückt, um Platz für eine Prunkallee zu bauen. Unterhöhlen, mit Beton untergießen, warten und abtransportieren. Über die Hälfte der Altstadt ist einfach mit steriler Platte überbaut worden, weil man das damals halt so tat. Dementsprechend ähnelt die Altstadt eher einer großen kommunistischen Sandkiste.

Was man den guten hier aber lassen muss: ÜBERALL sind Fahrradwege. Der Park wurde als Erhohlungszentrum schon lange entdeckt. Die Seenplatte am Nordrand der Stadt ist somit verflixt schnell zu erreichen und mit dem Fahrrad von Anfang A bis Ende B komplett abzufahren. Extrem tat mich das erinnern an die Alster.

Hier etwas Bildmaterial:

 

SIEBENBÜRGEN – Hier wohnen die Siebenbürgersachsen. Beziehungsweise die, die kein Deutsch sondern was altes sprechen, die bis auf die Deutschstämmigkeit nichts mit uns zu tun haben. Trotzdem sitzt hier Geld in der Kapartenregion. Alles ist schick, sauber und siebenbürgisch, weshalb es strengstens (…) verboten ist, diese Region mit Rumänien gleichzustellen. Deutsche sind hier zu finden wie Rumänen im Rest von Rumänien.Hier war nie Kriegsgeballer. Alles undurchlöchert, unangetastet abgesehen von der Zeit.

 

BRASOV

 

SIBIU – Ein deutsches Internat, Mittagstisch im Österreichischen Konsulat, deutsche Bibliotheken, Ausstellungen, eine hervorragende Synphonie. Genau die richtige Größe, genau den richtigen Pegel an Aktion, genau die richtige, entspannte Stimmung, genau die Organisation, die ich an den Deutschen dann doch so liebe, und die vielerorts auf dem Balkan noch fehlt. Bei genau dem Schlag Freiwilliger, den man zu drei Tagen bummeln und Kaffee trinken braucht.

 

SEBES, ALBA IULIA – Besuch bei Julianes ehemaliger Austauschpartnerin aus Schulzeiten (hach, wie lang ist’s her…)Wir werden umsorgt, gefüttert, bekocht, bewaschen und gefahren. Uns werden Tickets gekauft, Stadtführungen gegeben und Rucksäcke getragen.

Bulgaristan 2

Da brummts noch. In den Ohren. Ich muss niesen. Die letzten Nuss-, Meer-, und Großstadtgerüche verflüchtigen sich im 38 Grad heißen Reisebus nach Varna. Bulgarien zum zweiten. Diesmal deutlich in deutlich abgeschwächterer Form, was Städte, Energie und Sonnenschein angeht.

VARNA – Morgens um fünf kommen wir an. Aus dem Bus mit Hochsommertemperaturen ausgesetzt in die eisige bulgarische Küstenkälte zu einer Zeit, wo die feierfreudigen Bulgaren noch brav unter ihren Decken schlummern – wer nähme ihnen das auch übel.

Wir in diesem Fall schon. Denn wie allgemein bekannt ist, fügt sich das menschliche Wesen unangenehmen Situationen nicht einfach mit einem Schulterwurf, besonders nicht, wenn der Energiestand durch zu wenig Schlaf nicht auf 100 % steht und Nahrung leider nicht verfügbar ist. Was tun? Meckern, maulen, lachen, schlurfen – und sich einfach den Bedürfnissen des weltlichen Seins fügen und: Schlafen – auf Casino-Sofen, wo die besoffenen Weiber um einen rumtorkeln, niemand an der Rezeption ist, wo bereits weitere Schlafbedürftige ihre Bedürfnisse befriedigen und das Wummern von oben einen in den Schlaf wiegt…

Hier die Fotos von der darauf folgenden Stadtbeschleichung:

 

SHUMEN – Wo wir uns alle wieder gesund gelacht haben. Hiermit nochmal ein kulturweiter Dank an das supergeniale Netzwerk unter uns Freiwilligen, wie wären wir sonst jemals in diese als sozialistisch super hässlich beschimpfte und von Reiseführern einfach nur verpönte Kleinstadt gekommen. Hier will das Plenum aktiv, dass man einen Bogen macht.

Das einzig Spektakuläre ist ein Riesendenkmal von irgendwelchen in Beton gefassten Monarchen, welches die ganze kleine Stadt vom Berg aus überschaut. Hier umgeht man brav das Kassenhäuschenn hintenrum – und das war’s dann auch schon in Shumen.

 

RUSE – Der Nord-Grenzort an der Donau. Hier ist eingentlich nicht die Stadt das spannende sondern der Transport…Was doch sonst in Bulgarien immer so gut funktioniert hat waren Bus und Bahn. Im vergleich zu Bosnien zumindest. Was tut der gemeine Mensch wenn er noch am Abend des Ankunftsmorgens weiterfahren will? Genau, fragen. Nach Bus und Bahn. Will man sich die Stadt aber noch angucken, reichen zwei Stunden bis zur Weiterfahrt nicht wirklich – Äußerst komisch, findet man, dass ins 70 Kilometer entfernte Bukarest nur ein Bus und eine Lok über die Donau in diese Richtung fahren.

Aber (die Bulgaren sind ja nicht blöd) es stehen Taxen bereit, die einen für (ich hab’s vergessen… 30 Euro?) mal eben nach Bukarest fahren. Da sagt man doch nicht nein.

Was man vorher mit dem Daumen gemacht hat, tut man nun im Taxi… Strecke machen mal ganz anders.