Archiv für den Monat: Juni 2014

Die große Glocke

Es war warm an dem Tag. Endlich. Der Kalender zeigt Mittwoch, den siebten Mai 2014. Auf alles vorbereitet sitze ich vor der Schule, eine Pita in der Hand, und gucke in die Sonne. Feierabend schon seit 20 Minuten. Doch bis zum Stundenende warten wir noch.

Kurz vor Stundenende. Alles ist still. Alles. Die Vögel zwitschern, die Autos düsen durch schon seit langem grüne Bäume versteckt vorbei, kein Türenklappern, kein Garnichts. Man wartet. Auf die Glocke.

Dann klingelt es. Genauso laut wie immer, genauso schrill wie immer. Nur… hört es nicht mehr auf. Die Milisekunde zu viel. Da, die Erkenntnis. Man hat die Schülergesichter vor sich. Die normale Ruhe, die Überraschung – der Jubel.

Und dann kriegt sich niemand mehr ein. ALLES fliegt aus den Fenstern. Stifte, Schultaschen, Papier verdunkelt den Himmel, die Autos sind nurnoch schemenhafte Schwämme, die vorbeiflitzen, Motoren werden übertönt. Die Schule brüllt vor bosnischem Temperament.

Es donnert, die Treppe wird in Abgang genommen, und da kommt er schon: Der erste Maturant, noch bevor das lange Klingeln aufhört zu läuten. Fliegen tut er, heraus aus der Eingangstür, die der Hausmeister mit Tränen in den Augen offenhält. Fliegen tut er so, dass sein Kopf fast oben am Türrahmen anstößt. Die Arme weit nach Hinten gestreckt, das Gesicht genießerisch in die erlösende Sonne gereckt, den Rucksack links liegen lassend. Drei Sekunden später kommt sie, die Meute. Der letzte Schultag des Abschlussjahrgangs ist vorbei.

 

Ein Lehrer hatte mir netterweise vorher gesteckt, dass ich doch noch eine Stunde warten soll, bis ich nach Hause gehe. Was sich ausgezahlt hat. Die Straße wurde erstmal blockiert und mit schallenden Liedern besungen und beschrien. Lehrer standen an den Fenstern wie die Schüler auf der Straße, um ihr Lächeln und ihre Tränen noch ein letztes Mal zu zeigen. Diese Schüler bekommt man jetzt nurnoch auf dem Maturantenball und der Abschlussprüfung zu Gesicht.

Die zweite große Glocke schallerte an meiner letzten Schule diesen Freitag. Nur bei weitem nicht so unerwartet. Die restlichen Schüler des Kantons Sarajevo haben seit Freitag offiziell zweieinhalb Monate Sommerpause. Und ich somit auch. Die Unerwartung und somit der geniale Überraschungseffekt, den ich zu meiner großen Freude miterleben durfte, ist nicht wie im Planerdeutschland von vorn herein festgelegt: Man muss genauso viele Unterrichtsstunden abarbeiten, wie am Schuljahresbeginn geplant waren. Wenn alle durch sind, drückt man eben etwas länger auf den Klingelknopf.

Seit Anfang der letzten Woche wird sich verabschiedet, Eis gegessen und beschenkt. Man merkt genau, wer dankbar ist und wer nicht, Schüler wie Lehrer. Ob man sich mit Kollegen nichtmal die Hand gibt oder doch für eine geschlagene Minute in den Armen liegt, zeigt, wo man was wie richtig und was woanders nicht so richtig gemacht hat. Auch, wenn man den Geschenkestapel lieber nicht ale Richtlinie für getane Arbeit sehen sollte.

 

Meine große Glocke klingelt Anfang Juli. Dann heißt es Aufbruch, mit dem Fahrrad an der Donau entlang nach Hause. Letzte Sachen werden geklärt, die Zeit genossen, Schüler und Freunde werden noch tausend Kaffees und Rakijas trinken müssen, bis sie mich dann doch endlich los sind. Verschwinden wird man aus diesem Schulapparat, nächstes Jahr kommen zum Glück meiner Schüler und Kollegen hier Nachfolger, um den Laden nochmals zu erfrischen. Verschwinden wird man aus diesem Land, zumindest vorest. Verschwinden und nie wiederkommen wird auch die Stimmung dieses Jahres – arbeiten wird man so nicht wieder, leben so auch nicht. So schön. Vielleicht ist es gerade so toll, ein Jahr begrenzt irgendwo zu sein. Da hört man nämlich wirklich mal auf, wenn es am schönsten ist. Wiederkommen aber werde ich. Und ich hab ja jetzt noch drei Wochen.

Nur, dass der Finger erstaunlich bedrohlich über meinem Klingelknopf verweilt. Mir aber noch die Zeit gibt, in Ruhe alles zu packen und diese letzten Monate genussvoll ausklingeln zu lassen.

Wochenenden… Das Frühjahr-Foto-Catch-Up

Noch schnell kurz, bevor der Sommer kommt. Jeder kennt es, jeder weiß es. Je länger man irgendwo ist, desto mehr hat man zu tun, desto weniger kümmert man sich um sein zweites Standbein, auf welches ich mich jedoch schneller als gewollt wieder stützen werde(n muss): Ihr dort in Deutschland.

Um all dem Trubel und Jubel der letzten Zeit und vor allem der wochenendlichen Rumreiserei etwas Bildmaterial zu unterlegen, sind hier einige Aufnahmen der letzten Monate:

 

TRAVNIK

Einen februarischen Tagestrip mit anschließender Hüttenparty mit Freunden ging es nach Travnik. Hier gibt es genau eine Hauptfußgängergasse, einen Mickerfluss, glotzende und verwirrte Leute, eine Festung mit super Ausblick und viele hohe Berge.

 

SUTJESKA NATIONALPARK – DRINA – FOČA

Im März machten wir uns schon auf in die hohen Ecken… Sogar Badesachen hatten wir (vergebens und unverständlicherweise) auf die 2000 Meter mitgenommen. Der Sutjeska beherbergt Maglić, der mit 2400 Metern höchste Berg des Landes. Auch beherbergt der Park genau eine Hüsung, die im Monat März schon geöffnet hat. Die galt es erstmal zu finden. Und auch die Busverbindung, die überhaupt bis in den Park fährt. Unsere Nette Gastgeberin von der „Touristeninformation“ brachte schöne, bunte Broschüren mit, aber leider keine Karte des Parks. Gut, dass wir vorher etwas bei Google ausgedruckt hatten. Möge das Abenteuer beginnen…

Nach Übernachtung im Park ging es weiter nach Foča. Foča ist eine Stadt, in der der Krieg noch besonders fest sitzt. Örtlich in der Republika Srpska liegen in der ehemals muslimischen Stadt nurnoch Leute von vor 1994 begraben. Die ottomane Altstadt sieht genauso aus wie nach dem Krieg wahscheinlich auch. Nur mit mehr Gestrüpp drum herum. Auf der anderen Flussseite glänzt die neue orthodoxe Kirche, in welche das ganze Dorf für einen Gottesdienst passen würde.

Auch in die Drina hält man seine Füße lieber direkt neben der Quelle. Nach Foča schwimmt da schon allerlei Abwasser und Gestank mit herum. Filtersysteme existieren nicht. Nichtmal Müllverbrennung gibt es in diesem Land.

 

KONJIC – JABLANICA – JABLANIČKO JEZERO

Im April ging es mal wieder für ein Wochenende in die Hercegovina. Zwar nicht bis runter nach Mostar, jedoch immerhin die halbe Strecke.

Konjic ist eine wunderschöne, niedliche Stadt an der Neretva, welche gigantisch unter dem Berg Prenj liegt. Über einen Höhenpass kommt man quasi von oben in die Stadt gefallen, alles ist grün, wärmer und adriatischer als oben in Sarajevo. Für einen Kaffee zahlt man nurnoch 70 Pfennig. Nach zwei Stunden ist man aber auch wirklich durch mit der Stadt. Das übliche Besichtigungsschema in Bosnien: Über die Brücke, dreimal um die Altstadt, einmal hoch den Berg und staunen. So auch hier über Konjic, weiß geschmückt in Kirschblüte.

Weiter ging es am Nachmittag nach Jablanica. Und weil man so deutsch ist und das Wetter so gut ist und zufällig gerade der Stausee Jablaničko abgelassen wurde, gönnt man sich doch eine Schlammschlacht und läuft so weit man kommt im weichgetrockneten See/Flussbett flussabwärts Richtung nächste Stadt. Noch nie bin ich so gelenkschonend im Schlamm versackt. Noch nie habe ich auf einer SO grünen Wiese gelegen. Und noch nie haben uns so nette Leute auf einen Kaffee auf ihre Terrasse eingeladen, vor welcher wir in der Abendsonne rumgelegen haben. Von da kann man im Sommer direkt in den See springen, wenn der wider voll ist. Wir seien jederzeit herzlichst eingeladen.

Jablanica selbst ist wieder nur senkrechte urbane Fläche am Berghang, wo wirklich nichts los ist. Ein Kaffee: 50 Pfennig. Also schnell wieder für den Sonntag zum See.

 

JAJCE – BOSANKSKA KRUPA – UNA RAFTING – BIHAĆ

Über den ersten Mai hatte ich die Ehre, mit anderen Kulturweitlern auf dem klarsten Fluss Bosniens, der Una, zu raften. Wie sich das gehört, wurden unterwegs Stops hoch 10 gemacht:

Jajce ist wohl die Stadt mit der längsten Geschichte im Land. Hier auf der Bergfestung saßen früher die bosnischen Könige und guckten sich in ihrem dichten Berg-Waldreich um. Die Standortwahl ist durchaus nachvollziehbar: Ein Meer aus Wasserfällen zieht sich durch die Altstadt und an der Stadt entlang weiter in die Berge, unterbrochen von Seen, wo wirklich die Bäume ins Wasser fallen.

Oben in Krupa wohnten wir zu viert in einem Wochenendhäuschen, von wo wir täglichst die Una berafteten. Der Sauber-Vorzeigefluss Bosniens war aber garnicht so sauber. Das Hochwasser stand schon gut im Kommen, rund anderthalb Meter mehr hatte die Una, weshalb auch unschöner Modder mit den Fluss hinab kam. Außerdem war das Raften durch den hohen Wasserstand keine anstrengende 4-Stunden-Nassspritzerei mehr, sondern eher eine „Wir-fliegen-in-einer-Stunde-trocken-über-den-4-stunden-Stromschnellenparcours“-Tour. War trotzdem super. Und kalt.

Krupa selbst ist alles andere als vorgestellt. Wo man im Süden und Zentrum des Landes überall Müll sieht, alles doch recht bevölkert ist und man die Naturschätze erstmal suchen und von ihrer Existenz wissen muss, wird der Schatz im hier Norden ohne Einschränkungen präsentiert. Schon auf der Hinfahrt fährt man eine Stunde durch halb bewaldete Hochebenen wo absolut niemand ackert. Das 30.000 Einwohner Städtchen Krupa ist so sauber und geplegt und aufgeputscht wie kein anderer mir bisher begegneter Ort in diesem Land. Durch die Nähe zum Westen und dem Naturparadies Una hat sich der im Krieg komplett zerstörte Ort schnell wieder erhohlen lassen – von außerhalb. Nichtmal in der Hauptstadt fahren so viele internationale Autos herum. Krupa ist zum Wochenend- und Ferienort für ausländische Einheimische geworden. Auch über den ersten Mai kamen viele zur Erholung. Ansonsten sei die Stadt menschlich gesehen eher tot.

Die Una ist wie bereits gesagt ein Schatz – wie jede Natur immer und überall. Jedoch hat die Bevölkerung dies verstanden. NULL Müll wird auch nur annähernd in den Bereich dieses Flusses gebracht, verdient wird durch Tourismus und Fischerei. Sonst ist hier oben kaum etwas zu holen. Selbst die UNESCO hatte schon die Zäune um das neue Welt-Kulturerbe gezogen gesehen. Nur, dass sie die Hauptverkehrsachse von Krupa nach Bihać, dem nächstgrößten Ort, sperren und zur Natur machen wollten. Das wäre der infrastrukturelle Ruin gewesen. Hat sich aber jemand dagegen gestellt.

Bihać ist dann schon wieder eher der restlichen Landentwicklung angepasst. Teils kaputt, mit dennoch einigen neuartig-außerirdischen Bauten. Geteilt wird die Stadt von Inseln in der Una, die zum ersten Mai leider alle nurnoch unter Wassermasse lagen. Im Sommer dennoch ein grünes Paradies mitten in der Stadt.

Schön ist es, zu reisen. Schön ist es, wieder anzukommen. Schön ist es, dieses Land und schön ist es, in diesem auch herumzukommen. Ganz ganz schön finde ich das!