Archiv für den Monat: April 2014

Ein Liebeslied an die VILSONOVO ŠETALIŠTE

Novo Sarajevo bis Stari Grad. Entlang des Flusses. Ob der Fluss jetzt hässlich ist oder nicht, da läuft sie lang, die Straße namens Vilsonovo Šetalište. Zu Deutsch: Promenade des Wilsons.

Und es ist nicht nur eine Promenade am hässlichsten je gesehenen Fluss (außer der in Bukarest) des Balkans, sondern auch eine gut befahrene zweispurige Einbahnstraße.

Bis 17 Uhr. Wochentags. Ab dann ist die Straße für Autos bis morgens um sechs gesperrt, man kann mitten auf der Straße unter der Lindenalle bis nach Hause laufen, wenn einen kein Rollschuh-Kind umfährt oder kein Rollstuhl-Mensch inklusive Hund und quer über die Straße gespannter Leine dabei ausbremst.

Neulich war es, als sogar die Polizei brav die Raser kontrolliert hat, welche sich nicht von der roten Hundeleine irritieren ließen. Ob man was zahlen musste kann man wohl bei der Koruppiererei kaum erwarten, jedoch halten sich die meisten dran.

Vor allem am Wochenende, wenn die Straße ganztags gesperrt ist. Jetzt, wo das Wetter wider besser wird, sieht man mal, welche bunten Menschen eigentlich in diesen hässlichen grauen Platten wohnen, welche gleich hinter der Sonderstraße rumgammeln. DA kann man sich vor Fahrradfahrern, Joggern, Kindern, Familien und roten Hundeleinen kaum noch retten. Pärchen versuchen schon garnichtmehr, sich zu verstecken sondern nutzen doch recht freizügig die Prakbänke. Ansammeln dazu tut sich natürlich ein Haufen Popkorn, bunte Heliumluftballons, die ab und an doch leider heulend in den Himmel verabschiedet werden müssen. Auch die tollen Fitnessgeräte (gelb, nicht zu übersehen) bleiben von der ein oder anderen Oma nicht verachtet. Schlange stehen Jund und Alt und schwingen auf dem ungebremsten Laufsimulator (keine Angst, nur mechanisch) die Beine. Volksfeststimmung.

Und so kann die von mir als grünste Straße der Stadt thesierte auf voller Länge genutzt werden. Sie bildet eine Fußgängerachse einmal quer durch die Stadt. Und sowas wird hier einfach fürs Wochenende gesperrt. Für das Allgemeinwohl. Da rutscht Deutschland im HDI-Rang immer höher, aber sowas habe ich noch nier gesehen. Eine Verkehrsachse, die einfach lahmgelegt wird, um ein Entkommen aus der Platte zu bieten.

 

So sah sie im Herbst aus.

So sah sie im Herbst aus.

Jetzt muss nurnoch der Abwasserfluss ein Fluss ohne Abwasser werden, ein Renaturierungsprozess in die Gänge gebracht werden, und Eicke ist noch glücklicher.

Der Gruß aus Deutschland…

…kommt eine Woche zu spät. Aus Zeitmangel. Eine Woche ist die Schwester zu besuch, knapp zwei Wochen begleitet man einen Austausch nach Aschaffenburg und jetzt ist schon wieder für zwei Wochen etwas Liebes aus Hamburg da, da steckt man die Tippzeit eben ein bisschen zurück.

Hier die halbe Stunde Kulturschock zusammengefasst.

 Am Flugplatz steht er. In der Sonne, in Sarajevo. Fünf Minuten vor Check-In-Schluss, ganz zeitig, ganz bosnisch. Das viel zu große Handgepäck in Form eines für zwei Wochen gepackten Wanderrucksackes hat schon die Handgepäckmarke – trotz gefühlten Übergewicht. Gut, dass der Blonde nicht aus Deutschland zurück, sondern erstmal hin will.

Nach drei Kaffees und noch ein bisschen herumstehen springt die bosnische Masse von ihren Stühlen, weg von der Check-Im-Warterei. Die Ansagen kommen vertauscht aus der Durchsage – Erst kam der letzte Aufruf für den Flug nach Köln, danach durften Frauen, Kinder und Alte auf die hinteren Plätze. Aber flott sind sie, wenn es losgeht, da steht dann doch der junge Spusi vor der Oma am Schalter. Hat wohl die Lautsprecher nicht richtig gehört.

 In Köln regnet es. Bei 12 Grad. Es ist grau und sauber. Ein Freiwilliger steigt aus dem Flugzeug, ausgehungert. Deutsche Fluggesellschaften verlangen eben sechs Euro fünfzig für ein Mini-Sandwitch. Da ist man entweder arm und halbsatt oder stolz und hungrig, wenn man wieder festen Boden unter den Füßen hat.

Es fällt der Mamorboden auf. Es fällt der Geruch auf. Es fallen die Mülleimer auf. Und die Passkontrolle, wo ein EU-Deutscher 700 mal so schnell durchkommt als ein Bosnier.

Mit der S-Bahn zum Bahnhof. Auf dem Weg dorthin…

 

…könnte doch so langsam-    Ah, da ist ein Schild.

Und wo-    Ah, hier steht es doch, die Treppe runter.

Wann fährt denn-   „Auf Gleis 2 fährt ein die S-Bahn nach Köln Hauptbahnhof.“

Danke Deutschland, danke System. Ja, System. Da kann man sich drin bewegen, sich zurechtfinden. Man kommt vom Flughafengrenzkontrollsystem in das Gepäckabholsystem (was ich erfolgreich auf der Fast-Lane um gehen konnte, dank nur Handgepäck) in das Gangleitungssystem in das Fahrkartenkaufsystem in das Zugsystem.

Die Bahn fährt an. Zumindest sieht es so aus, weil sich draußen der Bahnsteig bewegt. Man hört nämlich nichts, man fühlt nämlich nichts. Man merkt nur dieses leichte Stupsen, wenn der Magen lieber ein Stück dichter an die Wirbelsäule will. Fachgemäß und geschult wird kontrolliert, offen und ehrlich die Verspätung zugegeben, viereinhalb Minuten. Genau.

In Köln am Hauptbahnhof. Bäckergeruch vom Coffee-to-go. Oder besser noch vor dem Hauptbahnhof. Da stehen Demo-Leute mit Megaphon und keiner guckt hin. Da steht dieser dusselige Blonde mit dem Übergepäckrucksack mitten in Köln vorm Hauptbahnhof und guckt sich erstmal um. Da sind so viele Leute. So viele Leute. So viele. Die rennen hin und her, die Treppe zum Dom hoch und wieder runter, im Businesslook mit dem Telefon an der Backe, mit Studentenlook und dem Brötchen in der Hand, mit normal-bürgerlichem Arbeitslook und dem Coffee-to-go. Und alle am Sprinten. Noch schnell die Regionalbahn nach Bonn kriegen, die hat ja genau drei Minuten Verspätung, die kriegt man noch. Und wenn ich im gehen meinen Kaffee trinke kommt das Koffein bestimmt schneller ins Blut? Lauft alle, lauft!

Der Übergepäckrucksack steht in einem Café namens Antheum. Hier gibt es Antiquitäten und Kaffee. Neben dem Rucksack sitzt dieser komische Mensch, der vorhin noch den gesamten Bahnhofsplatz blockiert hat und nachher noch im Buchladen Loriot lesen und im Museumsladen Postkarten kaufen wird. Der Zug fährt nämlich erst in ein paar Stunden weiter. Den ganzen schönen deutschen Laden hat der aufgehalten, er, der Dreckfleck im Bahnhofseingangssystem. Der, der in Bosnien immer alle überholt beim sprinten, wird hier eiskalt abgehängt und liegt überrundet und stolz auf dem letzten Platz.

Meine Anschlussverbindung hat Verspätung. 21 Minuten. Eigentlich sind nur 15 Minuten Zeit zum umsteigen. Wie schön, dass der zweite Zug auch 17 Minuten Verspätung hat, da kann man dann seine Zigarette noch im gelben Quadrat rauchen, und muss sich das Nikotin nicht im Gehen zwischen Smartphone, Autoschlüssel und Rollkoffer auf hohen Schuhen durch die Zähne saugen…

Toll sind sie, die Deutschen!

Die Zweitsemesterprojektelei

 

Zettel austeilen kann jeder. Das kann ein Lehrer, das kann ein Schüler. Da gibt es verschiedene Systeme, wie jeden Schüler ein Zettel erreicht, die man an dieser Stelle nicht alle detaillisieren muss. Auch Tafelbilder malen kann jeder. Mancher schöner, mancher weniger schön, aber in ihrer grundlegenden Funktion büßen sie durch den unterschiedlichen Handschwung eigentlich nichts ein…

Was soll das jetzt heißen? Heißen soll das, dass ein Freiwilligendienst nicht aus Handreicherei besteht. Meiner zumindest nicht. Nicht seit Beginn des zweiten Semesters. Ich sehe keinen Sinn darin, anstatt von Lehrern den Unterricht zu gestalten. Dazu sind Lehrer viel besser Qualifiziert als ich. Helfen gerne, Strukturen einbringen gerne, Team-Teaching – mach ich alles gerne. Solange ich sehe, dass mein Dienst bei den Schülern ankommt. Und ich zufrieden bin.

Und um mir da ganz sicher zu sein, gibt es folgende Projekte, die mir und hoffentlich auch meinen Schülern das zweite Semester aber sowas von schmackhaft machen:

 

 Der Vorlesewettbewerb (2. und 3. DSD-Klassen aller Gymnasien)

Diesen gibt es schon seit einigen Jahren in Sarajevo, war mal bosnienweit, mal nur auf Stadtebene, je nachdem wieviel der Geldgeber ZfA gerade zur Verfügung hat. Jeder DSD-Schüler kann daran teilnehmen, maximal zwei Schüler pro Schule.

Bisher wurden einfach zwei gute Schüler ausgewählt.

Dieses Jahr gibt sind an meinen zwei Schulen Klassenausscheide. Diese sind bereits gelaufen. Es wurden vorbereitend Hörproben und -bücher gehört, um Kriterien zusammeln, Fehlerleserunden abgehalten usw.

Ausgewählt wurden die besten Schüler anhand von Kurzgeschichtenlesungen, die selbstständig von einer Website ausgesucht werden sollten. Die fünf Besten einer Klasse kommen auf den Schulwettbewerb, bei welchem dann richtige Bücher gewälzt werden.

Am 14. April ist der erste dieser Kategorie, an welchem die ersten drei Plätze gekürt und zwei Schüler und Schülerinnen für den großen Wettbewerb ausgewählt werden.

 

 Filmsynchronisation (4. DSD-Klasse, Gymnasium Obala)

Akzentfreies Deutsch, das DSD-C1-Diplom (Muttersprachlerniveau) mit fast voller Punktzahl bestanden. So sitzen fünf Schüler und mehr bei mir in den Stunden. Nach dem bestandenen Diplom in Dezember findet nun zwischen DSD und Matura (Abitur) kaum noch Unterricht statt, die Abiturprüfungen sind nach bestandenem C1 das witzigste vom Witzigen. Da dachte ich an meinen Freund Eldar mit dem Tonstudio, meine Top-Schülern mit Übersetzungs- und Sprachqualifikationen sowie die existierende Unwissenheit in Deutschand was Ost-Europa anbelangt. Kaum jemand hat eine Konkrete Ahnung von diesem Land. Oder wusste vielleicht jemand, dass es eine halbe Million Bosnier in Deutschland gibt, hier unten im Land aber auch nur 4,5 Millionen zwitschern?

Aufmerksamkeit soll das ganze Erregen. Bisher haben wir einen Kurzfilm, welcher auf dem alljährlichen Filmfestival im letzten Jahr gezeigt wurde. Es geht um die Eröffnung eines Kinos während der Kriegsjahre und deren 20-jähriges Jubiläum.

Ich plane, am Wettbewerb des PADs (Pädagogischer Austauschdienst) teilzunehmen. Sollte dabei Geld herausspringen, möchte ich dies gern nutzen, mit Schülern gemeinsam durch Deutschland zu fahren und den Film über die ein oder andere Leinwand laufen zu lassen.

 

Die Comicausstellung (1. DSD-Klassen aller Gymnasien)

Was tut man mit 14 oder 15-jährigen Jugendlichen, die 16 verschiedene Schulfächer und viel zu wenig Zeit haben? Wo man mit den einen Schülern politische Diskussionen führen und mit den anderen nichtmal über das Wetter reden kann?

Was kreatives, wo man alles ausleben kann. Muttersprachlerdeutsch sowie Anfängerdeutsch. Es wurden also Comics gelesen, Geschichten wiedererzählt, Pointen gefunden und Charaktere stereotypisiert.

Mit meinen Kids habe ich Charaktere entworfen, aus welchen schließlich richtige Comics gestaltet wurden. Thema: Fußballfieber. Es ist WM-Jahr und Bosnien ist historisch erstmals mit dabei. Das Goethe-Institut schreibt jedes Jahr einen Wettbewerb aus, woher das Thema kommt und wohin die besten kreativnosti auch letzten Endes geschickt werden sollen.

Ab dem 19. April soll es eine rotierende Ausstellung geben, an jeder teilnehmenden Schule werden alle Comics für jeweils eine Woche ausgestellt sein.

 

Die Mülltrennerei (Gimnazija Ilidža, 2. DSD-Klasse)

Was am Gimnazija Obala schon passiert, wird  in Ilidža schlichtweg übernommen. Gemeinsam mit einem Deutschlehrer und einer Klasse wird hoffentlich noch dieses Schuljahr ein Mülltrennungssystem eingeführt. In Bosnien kommt generell noch alles auf die Kippe, in Dörfern wird es aufgehäuft und verbrannt, wenn man gut ist. Oder einfach in den nächsten Fluss gekippt, wenn man nicht so gut ist.

Es gibt Recyclingfirmen in Sarajevo, welche beispielsweise Plastikflaschen, Altmetall und -papier ab einer gewissen Menge abkaufen. Hier soll eine Patenschaft zwischen der Schule und dem Unternehmen entstehen, wie es bereits am Obala der Fall ist.

 

„BuH lacht“ (vier Schüler der 3. DSD-Klassen, gemeinsam mit den anderen Freiwilligen)

Gewollte ethnische Separation findet statt in diesem Land. Stereotypische Ansichten aus dem Elternhaus werden übernommen und ohne Gesichtsverzug ausgesprochen. Serben, Kroaten, Bosniaken, alles Bosnier, alle nett, alle toll. Alle mit dem gleichen Schicksal: Nachkriegsgeneration.

Unser Freiwilligenprojekt soll Schüler aus dem ganzen Land zusammenbringen und verknüpfen. Wie macht man das? Mit Spaß.

Wie schafft man es, dass viele Leute eine solche Einheit mitbekommen? Mit Straßenkunst.

Vom 7. bis 11. Mai kommen wir fünf Freiwillige mit jeweils vier Schülern zusammen. Es wird gemeinsam genächtigt, gemeinsam gegessen und gemeinsam geplant:

Eine mobile Aktion in der Innenstadt, die allen Beteiligten Spaß machen soll. Diese wird zuerst in Workshops und dann im Großplan von den Schülern so gut es geht eigenständig geplant und durchgezogen.

Der Gemeinschafts- und Generaleffekt, Brücken zwischen den bosnischen Kulturen zu bauen,  ist somit nur unterschwellig vorhanden, aber (hoffentlich) genau im richtigen Maße.

 

Für im Mai müssen noch DSD-Vorbereitungsseminare für die zu schreibenden Diploma organisiert werden.

 

Im Juni kommen Gäste aus Hamburg, ein Austausch nach Ilidža. Die meinigen fahren im September gen Norden. Vorher sollen die Nordlichter aber noch ordentliches Sommerprogramm um die Ohren bekommen.

 

 

Ja, so sieht es aus, das Beschäft. Und es macht dicken, dicken Spaß!