Keine Panik, uns geht es gut. Da brennt aber trotzdem was. Da raucht auch trotzdem was. In Tuzla, in Bihać, in Zenica, in Sarajevo… Die kantonalen Regierungsgebäude stehen in Flammen. Gerade lese ich, dass die ersten Minister zurücktreten. Und dabei fing heute morgen alles so strahlend an.
Gestern noch gehe ich über genau den Platz, wo heute Tausende Menschen brüllen und Molotows werfen. Mit Schülern bin ich da langgelaufen. Zur schulischen Ausstellung im Nationalmuseum; zum 30-jährigen Jubiläum der Olympiade, hier in Sarajevo. Ein Grund zum Feiern. Sich an die tolle Zeit zu erinnern. Das muss so gewesen sein, wie das deutsche Fußballfieber 2006. Weil die Stadt kein Geld hat, bereitet das Gymnasium Obala die Ausstellung vor. In einem gefühlt zehn Grad kalten Raum. Neben Schülerhänden rücken auch die meinen Exponate in staubigen Kästen zurecht, alles von der Schule gesammelt, von Schülern und deren Eltern ausgeliehen. Morgen um 12:30 h ist die Eröffnung.
Gestern Abend lese ich von Tuzla in den Nachrichten: 60 Verletzte, Unternehmen sind pleite, noch mehr Arbeitslose. Da gings wohl hoch her. Relativ beruhigt haue ich mich aufs Ohr.
Heute Morgen strahlt die Welt. Ohne Jacke laufe ich zur Schule, genau an der kantonalen Regierung vorbei. Die Stadtgärtner scheinen optimistisch, erste Primeln werden gepflanzt, aus einer mir misteriös erscheinenden finanziellen Quelle. Auf dem Platz nichts los. Auf dem Mini-Grünfleck vor der Schule sitzen Schüler in der Sonne. Ein jeder glaubt an den Frühling, Wenn schon kein Schnee zum Skifahren liegt.
In der Doppelstunde geht es um Olympia in Sotschi. Leitideen des IOC und Reibungspunkte mit deren Prinzipien werden in Form von Artikeln bearbeitet und anschließend diskutiert. Erfolgreich. Genau, wie ich alles geplant hatte.
Freistunde. Ich will das Projekt Monats-Tramkarte endlich mal abschließen. Trotz des schönen Wetters sind alle Schüler drinnen auf den Fluren. Gesabbel, Gekreische, Geschnatter – alles ganz normal, denke ich. Begleitet vom üblichen Geräuschpegel quetscht sich ein Freiwilliger aus dem Massendunkel der Halle in die helle Februarsonne. Vorbei am türblockierenden Pförtner und drei Lehrern durch den Grünstreifen bis zum Schultor auf die Straße. Keine Autos. „Please be careful!“, sagt mir die dort postierte Lehrerin. Polizeipräsenz. Leute laufen ganz normal die Uferpromenade entlang. Nur nicht so viele wie sonst. Ich schaue Richtung Regierungsgebäude. Nichts hört man, nichts sieht man. Die Regierung versteckt sich in einem nach hinten, aus der Straßenflucht heraus, versetzten Gebäude. Davor der Platz, auch nicht sichtbar.
Im noch nicht genug gelobten Sonnenschein laufe ich zur Verkehrsbund-Hütte in der Stadt; alles läuft viel besser als jemals erhofft. Nach zehn Minuten habe ich meine Karte. Bosnische Prämiere – für mich zumindest. Auf dem Rückweg laufe ich am Nationalmuseum vorbei, eine Kamera wird aufgestellt, Dreharbeiten für die olympische 30-Jahr-Feier. Der Ganze Platz ist geschmückt und geziert mit Flaggen dieser Welt. Ich treffe eine Bekannte. Nach kurzen Smalltalk ruft ihre Mutter an. Eine Journalistin. „That was my mom who just called. She said that they’re throwing Molotows onto the kantonal government building and told me to get my butt home. I should propably call my dad. And you should better not go that direction.“
Tu ich aber. Muss ich auch.Zurück zur Schule oder nach Hause – ist sowieso die gleiche Richtung. 500 Meter weiter immer weniger Leute. Menschenmassen hört man gröhlen, vom unsichtbaren Platz.
Im Lehrerzimmer nur aufgebrachtes Kollegium. die Sonne ist nicht die einzige, die durch die Fenster knallt. Lehrer wie Schüler stehen und blinzeln durch die Sonnenstrahlen in die… Ja, da ist sie – die Menge.
„Boah, ich hasse dieses Land!“, „Ich auch, ich will zurück nach Deutschland! Ich hätte da bleiben können, aber ich wollte nicht. Ich wollte zurück nach Bosnien“
„Und das ganze da draußen macht es ja nicht besser. Da kommen nur die Holigans zum Randalieren, das bringt überhauptnichts. Totale Scheiße ist das!“
Im Unterricht funktioniert nichts. Wir brechen mit dem Hörtext ab, hört sowieso keiner zu. Lehrerorgan rastet aus, alle stehen an den Fenstern. Es ist schwer, die Kids unter Kontrolle zu halten. Einige werden von den Eltern angerufen. Andere gucken in die Ecken, dritte sind total aufgedreht und vierte schnattern wie eh und je. Wir zwei Lehrende klicken uns durch den lahmen Computer bis klix.ba durch.
„So sieht’s da draußen aus. So eine Scheiße, wirklich. Die evakuieren jetzt die Minister, ist ja klar…“. Brennende Autos im Computer neben Gebrülle von draußen. Eine Durchsage der Rektorin. Zur eigenen Sicherheit sollen alle im Gebäude bleiben, der Nebeneingang anstatt dem Haupteingang benutzt werden. Wenn die Situation nicht besser wird, müssen die Schüler wohl von ihren Eltern abgeholt werden. Es klingelt zur Pause.
Auf dem Flur treffe ich Jasmina aus dem Sekretariat. Stolz zeige in ihr meine Tramkarte, dessen Besitz ih ihr zu verdanken habe. High Five.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wie geplant auf einen Kaffee in die Altstadt und dann zum Training oder lieber gleich nach Hause? Ich soll den Hinterausgang nehmen und eine SMS schicken wenn ich zu Hause bin.
Vor dem Ausgang qualmt es unglaublich. Erste Flammen. Einen Anruf vom ZfA-Berater bekomme ich, als ich gerade an der Filmfreude vorm Nationaltheater vorbeikomme. Wir sollen uns bei der Botschaft melden, damit die unsere Daten haben, die sie natürlich schon längst haben. Schön bunt wehen die, die Flaggen. Bunt heißt auf bosnisch übrigens Aufstand. Es knallt. Sirenen überall.
Nach dem Kaffee gehe ich zum Training. Beziehungweise wollte ich gehen. Die Straßen sind leer. Polizei, einige Passanten. Sirenen. Selbst der Platz vor dem Nationaltheater ist leer. Wie ausgefegt, nach all der Feierei. Dämmerung. Die Flaggen leuchten in der Abendsonne. Es riecht nach Rauch. Schwaden sieht man über den Dächern. Zur Halle traue ich mich jetzt wirklich nichtmehr.
Von der anderen Flussseite sieht man die Bescherung. Das ganze Regierungs-Ding steht in Flammen. Autos liegen abgebrannt im Wasser. Blaulicht überall. Gewusel und rennende Menschen neben Schaulustigen.
Heute brennt wohl weit mehr als nur die olympische Flagge.
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Dennnoch: Bitte kein Grund zur Sorge, die Botschaft kümmert sich prächtig. Es sind bisher nur Dämonstrationen, nichts weiter. Uns geht es gut. Wäre meine Schule nicht so dicht dran, hätte ich von dem ganzen deutlich weniger mitbekommen!
Dämonstration – schönes Wortspiel…