Archiv für den Monat: Februar 2014

Geteilte Stadt im bosnischen Frühling?

Es ebbt alles langsam ab. Es schwindet. Aus den Medien, aus den Gesprächen, aus dem Straßenbild. Nurnoch vereinzelt kommen Proteste vor, nurnoch vereinzelt fährt die Tram mich nicht zur Arbeit. Was war da los? Was ist da passiert?

Steine folgen, Krankenhäuser haben sich gefüllt. Minister flüchten nach Kroatien und steigen ab. Der Plakatwunsch nach einer neuen Regierung scheint zu kommen.

Initiiert sei das ganze von den 200 Parteien der Opposition, sagen Einige. Die Proteste seien geplant, um das Unkönnen der Regierung bloßzustellen. Andere sind einfach nur geschockt. Es sei der Anfang von allem. Nein, es koche nur einmal hoch und dann beruhigen sich alle wieder. Es werde wieder Kriege geben, ganz sicher sei das. Und weg will man, das ist die Lösung.

Fakt ist, dass dies die größten bosnischen Ausschreitungen seit dem Krieg waren. Und noch sind. Nur weil man nichts mehr hört, heißt das nicht, dass sich irgendetwas geändert hätte, das sich irgendetwas verbessert hätte. Dass irgendjemand jetzt beruhigt wäre. So gut wie jeder hier unterstützt die Proteste. Nur nicht die Gewalt. Gewalt schockt die Menschen hier. Gewalt gehört nicht in den Alltag, Gewalt tut man nicht.

Stille Proteste wirken jedoch nicht, man bedenke die Blokaden an der Miljacka (hier ein Artikel dazu). Die Situation hier schreit nach Eskalation. Und wenn man sich die Bilder aus der Ukraine anguckt, erscheint einem das alles garnichtmal so fern.

In der Schule behandele ich Stellungnahmen zu aktuellen Themen im Unterricht. Die bringen Nachrichten mit, die sie selbst interessieren, die aktuell sind. Die letzte Doppelstunde ging es um die Proteste. Ich habe einen Haufen gelernt, einen Haufen Neues gehört.

So zum Beispiel, dass Sarajevo eine geteilte Stadt ist. Wir haben hier die Republika Srpska und die bosnisch-kroatische Föderation. 90 % der Stadt gehören zum Kanton Sarajevo, einer der zehn Kantone der Föderation. Ostsatajevo hingegen wird von der Republika regiert. Eine Stadtregierung gibt es irgendwo, der Bürgermeister sei aber nur Sprechrohr bei offiziellen Anlassereien. Und da wundert man sich noch, warum nichts funktioniert? Der kroatische Minister wurde während der Proteste in Mostar, in der katholisch dominierten Herzegovina empfangen; der serbische in Banja Luka, der Hauptstadt der Föderation. Was war gleich nochmal die Hauptstadt? Man mag diese Situation mit DDR und BRD vergleichen. Nur, dass die Teilung hier quasi in der Verfassung steht. Quasi, weil es keine Verfassung gibt. Man regiert nach dem Friedensabkommen von ’95, einem fast 20 Jahre alten Wisch, wonach Roma und Atheisten keine Präsidenten werden können. Nur bitte drei Präsidenten zur Zeit, einen serbischen, einen kroatischen und einen Bosniaken. War eben das Beste. Vor 20 Jahren.

Das wäre jetzt wohl das erste, was man angehen sollte. Ein Staat ohne Verfassung? Regierungswechel hin oder her – Geldwäsche ist laut Mund-zu-Mund der größte politische Verdienst, es läuft hinten und vorne, oben und unten schlichtweg nichts. Demokratische Strukturen waren irgendwo mal. Arbeitslosigkeit geht auf 40 % zu. Korruption ist Alltag, vom Minister hin zum Fahrkartenkontrolleur.

Was Deutschland davon erzählt? Kaum etwas, passt nichtmehr in die Tagesthemen. Will keiner sehen. Kiew sieht doch momentan viel interessanter aus.

Was alles nicht Rumänien ist…

…ist natürlich genau das, wo man sich als Fremder herumtreibt. Bukarest und Siebenbürgen gehören laut uns umfeldeten Persönlichkeiten einfach nicht dazu – kulturell als auch sonst. Ein Grund, sich dort mal blicken zu lassen.

Das ganze ist zwar schon über einen Monat her, aber Mitteilungsversprechen sollte man ja doch halten.

Was man aber generell zu Rumänien sagen kann, ist schön. Schön kann man dazu sagen, was Natur, Landschaft, Leute und Sprache angeht. Läuft man in Bukarest durch die U-Bahnen, wird man von Leuten angesprochen, die merken, dass man nicht von dort ist. Die laden einen ein, bieten einem seine Wohnzimmercouch zum schlafen an, bekochen einen… Man interferiert in deren Leben und die freuen sich daran. Auf einer wunderbar angenehmen Sprache, die man mit romanischen Vorkenntnissen sogar versteht. Mit einem Italiener könne man sich problemlos verständigen, so die Aussagen. Und das inmitten eines slavistischen Haufens.

BUKAREST – Hat eindeutig den seltsamsten Großstadtcharakter überhaupt. Nachdem man sich so viel in Balkan-Metropolen herumtreibt, schwindet einem sowieso irgendwie der Vergleichswert unter den Fingernägeln weg. Je mehr man sieht, desto mehr hat men gesehen, desto mehr denkt man drüber nach, desto weniger weiß man, wie man was genau einschätzen soll. Also Free-Walking-Tour. Die ist immer gut und supergünstig, weil „Free“. Gegen Spende. Funktioniert super, weil  sich die Guides wirklich Mühe geben, schließlich hängt die Bezahlung davon ab. Gibt es zu Hauf auf dem Balkan, und somit auch in Bukarest.

Dennoch war unser guter Vorreiter nicht der Begeisternste, weswegen ich herzlich wenig mitbekommen habe, was ich an dieser Stelle vermitteln könnte. Also guckt man sich in der Gegend um, und stellt folgendes fest:

– Eine extrem winzige Altstadt mit winziger Szene für eine Zwei-Millionen-Stadt- Nur kleine Kirchen
– Viel kommunistisches Gebausel, von riesigem Prunkbau bis zu superhässlichen Platten

Außerdem sehr genige Bars oder Cafés im Straßenbild. Einfach irgendwie komisch. Bei strahlendem Sonnenschein zeigt die Stadt trotzdem so eine stille, schöne Bedrückung. Mag sein, dass es am Sonntag liegt, mag sein, dass es am Winter liegt.

Was aber noch sein kann, ist, dass ein netter Herr namens Ceaucesko seinen Machkomplex hier so abartig krass ausgelebt hat wie meiner Meinung nach Hitler sein Germania in Berlin. In Bukarest wurden Kirchen um teilweise hunderte von Metern einfach verrückt, um Platz für eine Prunkallee zu bauen. Unterhöhlen, mit Beton untergießen, warten und abtransportieren. Über die Hälfte der Altstadt ist einfach mit steriler Platte überbaut worden, weil man das damals halt so tat. Dementsprechend ähnelt die Altstadt eher einer großen kommunistischen Sandkiste.

Was man den guten hier aber lassen muss: ÜBERALL sind Fahrradwege. Der Park wurde als Erhohlungszentrum schon lange entdeckt. Die Seenplatte am Nordrand der Stadt ist somit verflixt schnell zu erreichen und mit dem Fahrrad von Anfang A bis Ende B komplett abzufahren. Extrem tat mich das erinnern an die Alster.

Hier etwas Bildmaterial:

 

SIEBENBÜRGEN – Hier wohnen die Siebenbürgersachsen. Beziehungsweise die, die kein Deutsch sondern was altes sprechen, die bis auf die Deutschstämmigkeit nichts mit uns zu tun haben. Trotzdem sitzt hier Geld in der Kapartenregion. Alles ist schick, sauber und siebenbürgisch, weshalb es strengstens (…) verboten ist, diese Region mit Rumänien gleichzustellen. Deutsche sind hier zu finden wie Rumänen im Rest von Rumänien.Hier war nie Kriegsgeballer. Alles undurchlöchert, unangetastet abgesehen von der Zeit.

 

BRASOV

 

SIBIU – Ein deutsches Internat, Mittagstisch im Österreichischen Konsulat, deutsche Bibliotheken, Ausstellungen, eine hervorragende Synphonie. Genau die richtige Größe, genau den richtigen Pegel an Aktion, genau die richtige, entspannte Stimmung, genau die Organisation, die ich an den Deutschen dann doch so liebe, und die vielerorts auf dem Balkan noch fehlt. Bei genau dem Schlag Freiwilliger, den man zu drei Tagen bummeln und Kaffee trinken braucht.

 

SEBES, ALBA IULIA – Besuch bei Julianes ehemaliger Austauschpartnerin aus Schulzeiten (hach, wie lang ist’s her…)Wir werden umsorgt, gefüttert, bekocht, bewaschen und gefahren. Uns werden Tickets gekauft, Stadtführungen gegeben und Rucksäcke getragen.

Bulgaristan 2

Da brummts noch. In den Ohren. Ich muss niesen. Die letzten Nuss-, Meer-, und Großstadtgerüche verflüchtigen sich im 38 Grad heißen Reisebus nach Varna. Bulgarien zum zweiten. Diesmal deutlich in deutlich abgeschwächterer Form, was Städte, Energie und Sonnenschein angeht.

VARNA – Morgens um fünf kommen wir an. Aus dem Bus mit Hochsommertemperaturen ausgesetzt in die eisige bulgarische Küstenkälte zu einer Zeit, wo die feierfreudigen Bulgaren noch brav unter ihren Decken schlummern – wer nähme ihnen das auch übel.

Wir in diesem Fall schon. Denn wie allgemein bekannt ist, fügt sich das menschliche Wesen unangenehmen Situationen nicht einfach mit einem Schulterwurf, besonders nicht, wenn der Energiestand durch zu wenig Schlaf nicht auf 100 % steht und Nahrung leider nicht verfügbar ist. Was tun? Meckern, maulen, lachen, schlurfen – und sich einfach den Bedürfnissen des weltlichen Seins fügen und: Schlafen – auf Casino-Sofen, wo die besoffenen Weiber um einen rumtorkeln, niemand an der Rezeption ist, wo bereits weitere Schlafbedürftige ihre Bedürfnisse befriedigen und das Wummern von oben einen in den Schlaf wiegt…

Hier die Fotos von der darauf folgenden Stadtbeschleichung:

 

SHUMEN – Wo wir uns alle wieder gesund gelacht haben. Hiermit nochmal ein kulturweiter Dank an das supergeniale Netzwerk unter uns Freiwilligen, wie wären wir sonst jemals in diese als sozialistisch super hässlich beschimpfte und von Reiseführern einfach nur verpönte Kleinstadt gekommen. Hier will das Plenum aktiv, dass man einen Bogen macht.

Das einzig Spektakuläre ist ein Riesendenkmal von irgendwelchen in Beton gefassten Monarchen, welches die ganze kleine Stadt vom Berg aus überschaut. Hier umgeht man brav das Kassenhäuschenn hintenrum – und das war’s dann auch schon in Shumen.

 

RUSE – Der Nord-Grenzort an der Donau. Hier ist eingentlich nicht die Stadt das spannende sondern der Transport…Was doch sonst in Bulgarien immer so gut funktioniert hat waren Bus und Bahn. Im vergleich zu Bosnien zumindest. Was tut der gemeine Mensch wenn er noch am Abend des Ankunftsmorgens weiterfahren will? Genau, fragen. Nach Bus und Bahn. Will man sich die Stadt aber noch angucken, reichen zwei Stunden bis zur Weiterfahrt nicht wirklich – Äußerst komisch, findet man, dass ins 70 Kilometer entfernte Bukarest nur ein Bus und eine Lok über die Donau in diese Richtung fahren.

Aber (die Bulgaren sind ja nicht blöd) es stehen Taxen bereit, die einen für (ich hab’s vergessen… 30 Euro?) mal eben nach Bukarest fahren. Da sagt man doch nicht nein.

Was man vorher mit dem Daumen gemacht hat, tut man nun im Taxi… Strecke machen mal ganz anders.

 

Von der Istanbuler Unbeschreiblichkeit

14 Millionen Einwohner. Platz drei auf der Randliste der weltgrößten Städte. Die urbane Fläche, die man als durchschnittlicher Europäer neben Sonne und Meer mit der Türkei assoziiert. Das, was man vor einem Besuch mit Unglaublichem, Bombastischem und irgendwie doch Orientalisch-Utopischem verbindet…

Dass hier ganz normale Menschen wohnen, auch hier ein Gebäude nicht länger hält als anderswo und somit gewisse Altersspuren aufweist bzw. ersetzt werden muss, dass die 14 Millionen auf riesigen, brüllenden, stinkenden Hauptverkehrsachsen herummobilisieren und nicht auf dem fliegenden Teppich zur Arbeit fliegen oder dass man nicht mal eben von der einen Moschee zur nächsten kommt, weil man mit drei mal Bus wechseln anderthalb Stunden für zwölf Kilometer braucht (was auch nur ein Bruchteil der Distanz ist, die man in Istanbul so von Wichtigkeit zu Wichtigkeit zurücklegen kann); all das gehört nicht in das schöne Istanbulbild, gehörte zumindest nicht zu meinem.

Fakt ist, dass vorortigen Tage gerade einmal defür gereicht haben, einen groben Überblick zu bekommen. So viel Umfeld kann man irgendwie einfach doch nicht aufnehmen. In acht Tagen.

Am ersten Tag stehen wir beispielsweise auf dem großen Bazaar, im Fressparadies. Generell ist Istanbul das Schlaraffenland, was Nahrung betrifft. Überall werden Touristen anhand ihrer Grundbedürfnisse herangelockt, sabbernd blättert der eine oder andere überteuerte Feigen in die Hände von extrem gut ausgebildeten Marketing-Überzeugern. Uns Balkangewöhnten ist der Fressspaß oftmals zu teuer.

Da, das Restaurant sah doch ganz gut aus. Hier, diesen Stand merk ich mir für die Gewürz-Shopperei. Und das wars dann auch an diesen Ecken. Zurück kommt man nämlich nicht so einfach. Das muss man planen. Und wenn man noch etwas anderes sehen will, ist das eigentlich unmöglich. Alles, was einen von dort her noch begleitet, sind die Gedanken an die genialen Gewürze und Anmachen wie: „Ey du, haben wir uns nicht schonmal getroffen? In den schönsten aller Träume? Auf unseren Teppichen werden Träume wahr!“ Oder ob man den „best fish in town“ essen will, den es interessanterweise die gesamte Stadt über gibt.

Mal weg von der Fresserei hin zum Stadtbild. In Istanbul stehen Moscheen riseige Brunnen und anderer riesiger Kram. Eine Querstraße weiter steht eine halbsogroße Moschee, echt klein und unwichtig, denkt man sich. In jeder anderen Stadt könnte das hier links liegen gelassene Kulturgut einfach zur nationalen Hauptatraktion werden. Nur konzentrieren sich nunmal alle Bauten in diese urbane Fläche am Bosporus hinein, wodurch aus der Masse heraus eben mal wieder nur der Stärkste gewinnt. Diese Masse ist einfach gewaltig. Zu gewaltig. Erschlägt einen nach einiger Zeit. Man läuft taub durch die Stadt, zugedröhnt von unaufnehmbarer Kulturmasse, Autos, hupenden Taxis, klapperndem Geschirr, schreienden Gewürzhändlern und angebotenen Fressalien…

So konfus wie dieser Gedankengang, so wirr war die Zeit doch irgendwie in dieser Monsterstadt. So toll gewisse Ecken in Istanbul auch sind, die muss man erstmal finden. Und dann auchnoch wiederfinden. Wenn man dann nicht schon vollkommen von der Enormität dieser Stadt zernommen wurde.

EUROPA, GUCK HIN!

Keine Panik, uns geht es gut. Da brennt aber trotzdem was. Da raucht auch trotzdem was. In Tuzla, in Bihać, in Zenica, in Sarajevo… Die kantonalen Regierungsgebäude stehen in Flammen. Gerade lese ich, dass die ersten Minister zurücktreten. Und dabei fing heute morgen alles so strahlend an.

Gestern noch gehe ich über genau den Platz, wo heute Tausende Menschen brüllen und Molotows werfen. Mit Schülern bin ich da langgelaufen. Zur schulischen Ausstellung im Nationalmuseum; zum 30-jährigen Jubiläum der Olympiade, hier in Sarajevo. Ein Grund zum Feiern. Sich an die tolle Zeit zu erinnern. Das muss so gewesen sein, wie das deutsche Fußballfieber 2006. Weil die Stadt kein Geld hat, bereitet das Gymnasium Obala die Ausstellung vor. In einem gefühlt zehn Grad kalten Raum. Neben Schülerhänden rücken auch die meinen Exponate in staubigen Kästen zurecht, alles von der Schule gesammelt, von Schülern und deren Eltern ausgeliehen. Morgen um 12:30 h ist die Eröffnung.

Gestern Abend lese ich von Tuzla in den Nachrichten: 60 Verletzte, Unternehmen sind pleite, noch mehr Arbeitslose. Da gings wohl hoch her. Relativ beruhigt haue ich mich aufs Ohr.

 

Heute Morgen strahlt die Welt. Ohne Jacke laufe ich zur Schule, genau an der kantonalen Regierung vorbei. Die Stadtgärtner scheinen optimistisch, erste Primeln werden gepflanzt, aus einer mir misteriös erscheinenden finanziellen Quelle. Auf dem Platz nichts los. Auf dem Mini-Grünfleck vor der Schule sitzen Schüler in der Sonne. Ein jeder glaubt an den Frühling, Wenn schon kein Schnee zum Skifahren liegt.

In der Doppelstunde geht es um Olympia in Sotschi. Leitideen des IOC und Reibungspunkte mit deren Prinzipien werden in Form von Artikeln bearbeitet und anschließend diskutiert. Erfolgreich. Genau, wie ich alles geplant hatte.

Freistunde. Ich will das Projekt Monats-Tramkarte endlich mal abschließen. Trotz des schönen Wetters sind alle Schüler drinnen auf den Fluren. Gesabbel, Gekreische, Geschnatter – alles ganz normal, denke ich. Begleitet vom üblichen Geräuschpegel quetscht sich ein Freiwilliger aus dem Massendunkel der Halle in die helle Februarsonne. Vorbei am türblockierenden Pförtner und drei Lehrern durch den Grünstreifen bis zum Schultor auf die Straße. Keine Autos. „Please be careful!“, sagt mir die dort postierte Lehrerin. Polizeipräsenz. Leute laufen ganz normal die Uferpromenade entlang. Nur nicht so viele wie sonst. Ich schaue Richtung Regierungsgebäude. Nichts hört man, nichts sieht man. Die Regierung versteckt sich in einem nach hinten, aus der Straßenflucht heraus, versetzten Gebäude. Davor der Platz, auch nicht sichtbar.

Im noch nicht genug gelobten Sonnenschein laufe ich zur Verkehrsbund-Hütte in der Stadt; alles läuft viel besser als jemals erhofft. Nach zehn Minuten habe ich meine Karte. Bosnische Prämiere – für mich zumindest. Auf dem Rückweg laufe ich am Nationalmuseum vorbei, eine Kamera wird aufgestellt, Dreharbeiten für die olympische 30-Jahr-Feier. Der Ganze Platz ist geschmückt und geziert mit Flaggen dieser Welt. Ich treffe eine Bekannte. Nach kurzen Smalltalk ruft ihre Mutter an. Eine Journalistin. „That was my mom who just called. She said that they’re throwing Molotows onto the kantonal government building and told me to get my butt home. I should propably call my dad. And you should better not go that direction.“

Tu ich aber. Muss ich auch.Zurück zur Schule oder nach Hause – ist sowieso die gleiche Richtung. 500 Meter weiter immer weniger Leute. Menschenmassen hört man gröhlen, vom unsichtbaren Platz.

Im Lehrerzimmer nur aufgebrachtes Kollegium. die Sonne ist nicht die einzige, die durch die Fenster knallt. Lehrer wie Schüler stehen und blinzeln durch die Sonnenstrahlen in die… Ja, da ist sie – die Menge.

„Boah, ich hasse dieses Land!“, „Ich auch, ich will zurück nach Deutschland! Ich hätte da bleiben können, aber ich wollte nicht. Ich wollte zurück nach Bosnien“

„Und das ganze da draußen macht es ja nicht besser. Da kommen nur die Holigans zum Randalieren, das bringt überhauptnichts. Totale Scheiße ist das!“

Im Unterricht funktioniert nichts. Wir brechen mit dem Hörtext ab, hört sowieso keiner zu. Lehrerorgan rastet aus, alle stehen an den Fenstern. Es ist schwer, die Kids unter Kontrolle zu halten. Einige werden von den Eltern angerufen. Andere gucken in die Ecken, dritte sind total aufgedreht und vierte schnattern wie eh und je. Wir zwei Lehrende klicken uns durch den lahmen Computer bis klix.ba durch.

„So sieht’s da draußen aus. So eine Scheiße, wirklich. Die evakuieren jetzt die Minister, ist ja klar…“. Brennende Autos im Computer neben Gebrülle von draußen. Eine Durchsage der Rektorin. Zur eigenen Sicherheit sollen alle im Gebäude bleiben, der Nebeneingang anstatt dem Haupteingang benutzt werden. Wenn die Situation nicht besser wird, müssen die Schüler wohl von ihren Eltern abgeholt werden. Es klingelt zur Pause.

Auf dem Flur treffe ich Jasmina aus dem Sekretariat. Stolz zeige in ihr meine Tramkarte, dessen Besitz ih ihr zu verdanken habe. High Five.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wie geplant auf einen Kaffee in die Altstadt und dann zum Training oder lieber gleich nach Hause? Ich soll den Hinterausgang nehmen und eine SMS schicken wenn ich zu Hause bin.

Vor dem Ausgang qualmt es unglaublich. Erste Flammen. Einen Anruf vom ZfA-Berater bekomme ich, als ich gerade an der Filmfreude vorm Nationaltheater vorbeikomme. Wir sollen uns bei der Botschaft melden, damit die unsere Daten haben, die sie natürlich schon längst haben. Schön bunt wehen die, die Flaggen. Bunt heißt auf bosnisch übrigens Aufstand. Es knallt. Sirenen überall.

Nach dem Kaffee gehe ich zum Training. Beziehungweise wollte ich gehen. Die Straßen sind leer. Polizei, einige Passanten. Sirenen. Selbst der Platz vor dem Nationaltheater ist leer. Wie ausgefegt, nach all der Feierei. Dämmerung. Die Flaggen leuchten in der Abendsonne. Es riecht nach Rauch. Schwaden sieht man über den Dächern. Zur Halle traue ich mich jetzt wirklich nichtmehr.

Von der anderen Flussseite sieht man die Bescherung. Das ganze Regierungs-Ding steht in Flammen. Autos liegen abgebrannt im Wasser. Blaulicht überall. Gewusel und rennende Menschen neben Schaulustigen.

Heute brennt wohl weit mehr als nur die olympische Flagge.

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Dennnoch: Bitte kein Grund zur Sorge, die Botschaft kümmert sich prächtig. Es sind bisher nur Dämonstrationen, nichts weiter. Uns geht es gut. Wäre meine Schule nicht so dicht dran, hätte ich von dem ganzen deutlich weniger mitbekommen!