Archiv für den Monat: November 2013

Sirbija – Die Kurzvorstellung

Drei Städte im Gedächnis. Drei Städte im Portrait. Drei Städte und die Landschaft zwischendrin, die Gedanken, die Farben und die vielen Schabernackereien verrückter Freiwilliger… Beschränken wir uns auf die Portraits:

NOVI SAD

Oder auch „Neusatz“ auf deutsch. Auch eine kleine Großstadt. Mit riesiger Burg, der Donau, Innenstadt und was eine große Kleinstadt sonst noch so alles braucht. Da ging alles los mit Schockerei. Sauberkeit, Anstrich an den Wänden (wände können wirklich rosa sein? Und Kathedralen so aussehen, als wären sie gerade erst gebaut worden?). Ja das geht. In der Vojvodina, dem nordserbischen Teil. Hier ist alles platt. Natur gibt es kaum, alles Landwirtschaft. Kein Baum, kein Busch, nur Acker. Dementsprechend ist die finanzielle Lage, es gab wohl auch schon Abspaltungspläne, die Birnen schmecken auch einfach richtig gut.

Aus dem dann doch krass kriegsgezeichneten Sarajevo kommend sucht man erstmal in jeder Ecke den Putzbrocken, das Einschussloch. Selbst am Zebrastreifen halten die Leute hier an. In Sarajevo geben die Gas und fahren nochmal extra den Schlenker durch die Pfütze. Wir lieben uns ja alle so sehr…

Was noch interessant ist: Auf dem Marktplatz steht eine katholische Kathedrale. Nicht weit davon steht eine riesige Synagoge. Auch das hätte ich nicht erwartet, wo doch im serbischen Teil Bosniens der Patriotismus die Religionen in den So-gut-wie-Monopol getrieben hat…

 

SREMSKI KARLOVCI

Auch noch Vojvodina, genauso sauber, genauso… serbisch? Das 8.000 Einwohner Dorf ist eigentlich schon mit Charme bestückt. Ein pompöser Marktplatz mit pompösem Gymnasium, einer von den insgesamt 16 auf dem Balkan existierenden orthodoxen Priesterschulen, pompöser katholischer sowie orthodoxer Kirche. Viel Pompöses eben. Wäre es nicht so ruhig könnten auch locker noch weitere 50.000 um den Platz herumwohnen. In der Mitte steht ein Brunnen. Als hier die Pest war, hat man wohl einen neuen Zufluss aus den „Bergen“ (da kommt der Hamburger durch… 500 Meter hohe Hügel sind dann doch eben Berge) gebuddelt, weil das Wasser so dreckig war. Die Löwenköpfe sollten Kraft bringen. Und, wie kann es anders sein, haben die Löwenköpfe die Menschheit der Serben gerettet. Geheilt von der Pest. Oder so.

Es ist ein unglaublicher Morgen, kalt mit Sonne. Ich laufe mit meiner Kamera herum. Vor mit ein Priesterschüler mit Goldkette und Handy am Ohr. Auf dem Weg zu Donau. Hinter mir die 1.000 Taxis mit offenen Türen, die Fahrer sonnen sich. Wen die wohl alles fahren wollen. Zur Donau muss man über eine Straße. Mit Ampel! UND Zebrastreifen! Dann über Gleise, dann steht man schon fast da. Hier ist irgendwie noch mehr Herbst als in Bosnien, nicht ganz so rau alles. Noch nicht vielleicht. An der Donau. Platter Fluss. Dreht man sich um guckt man den Hügel hinauf auf die heilige, moderne Residenz mit dickem Goldkreuz oben drauf. Wer da wohnt hab ich schon wieder vergessen. War aber wichtig, soviel ist dann doch hängen geblieben.

Aber doch, gefällt mir gut.

 

BELGRAD

Eigentlich die dritte Ankunft. Und die Ankünfte klassifizieren diesen urbanen Fleck dann doch recht gut.

Ankunft 1: Auf dem Weg nach Novi Sad. Bahnhof. Vom Bus rausgelassen. Es ist kalt. Nachmittag. Wir stehen am Bahnhof und warten auf den Zug. der Wind pfeift. Irgendwie fühlt man sich verloren, irgendwie auch nicht. Der Bahnhof ist gelb. Die Leute sehen anders aus als in Bosnien und der Herzegovina. Nicht so gezeichnet vom Krieg? Nicht so… bosnisch? Anders eben. Serbisch vielleicht. Der Zug fährt einmal raus aus dem Bahnhof, dann wieder rein. Die Mitfahrende übersetzt die Durchsagen, macht trotzdem keinen Sinn. Also doch ähnlich. Bis sie meine drei lieben Mitfreiwilligen verheiraten will. Ne nette Tochte habe sie auch. Die sei 30. Merkt sie hoffentlich selber. Dann wollte sie wirklich Handynummern. Vielleicht doch nicht so ähnlich.

Ankunft 2: Am Mittwoch. Vom Seminar her besuchen wir die Stadt. Tour mit Weinkeller und Untergrund. Luftschutzbunker, Katakomben. Die Blätter sind von den Bäumen, der Tag ist bewölkt. Die Stadt erscheint riesig. Grau. Kalt. Irgendwie ist das alles zu viel. Wir laufen durch die Fußgängermeile. Hohe graue Fassaden schlagen im rechten Winkel auf graue Steinplatten. Der erste Eindruck eben.

Ankunft 3: Endlich liegt der Fokus auf dieser Stadt. Nicht auf dem noch kommenden Novi Sad Wochenende, nicht auf dem Romamuseum oder dem Seminar. Nur auf dieser Stadt. Mit den Freiwilligen aus Belgrad geht es raus aus dem Ranzhostel rein in die Stadt. Und diesmal wirklich rein. Wir biegen ab von den grauen Fassaden. Nach links in die nette Bar, nach rechts in den Buchladen, nach unten ins Nachtleben. Auf einmal findet man die schönen Ecken und klammert sich an ihnen fest. Man übersieht die 80 % graue Fassage und sieht nurnoch die 20 % Graffiti.

ZEMUN ist ein Dorf in der Stadt Belgrad. Ein serbisches Dorf. Mit den geilen Birnen aus der Vojvodina. Mit zwei Hochzeiten, Blaskapelle und rockenden Bräuten auf Stöckelschuhen. Und mit Ruhe. Mitten in der Stadt.

Ob ich alles genial fand? Aber sowas von. Ob mir die Stadt gefällt? Keine Ahnung.

 

Die gesamte Fotokollektion gibt es hier:

Fotografije od Sirbijom

Zwischendurch seminieren

Eine Woche Serbien. Novi Sad, Sremski Karlovci, Belgrad. Spiel, Spaß und Freu(n)de, Austausch und Herauskommen aus der alltäglichen Atmosphäre. So oder so ähnlich ließe sich die letzte Woche in Worte fassen. Ich grinste auf der Hinfahrt, ich grinste gestern Abend zu Hause, als ich mir meine Augenringe im Spiegel ansah…

19 Freiwillige plus zwei Teamer in serbisch dörflicher Atmosphäre. Eine sehr geniale Zeit zur Festigung von allem Möglichen. Ich weiß jetzt wo ich Weihnachten feiern werde, dass es in der Einsatzstelle Redebedarf gibt und dass ich mich mit derselbigen superglücklich schätzen kann. Anderen geht es anders. Ich weiß jetzt, dass der Balkan noch viel vielfältiger -seitiger, und -sagender ist, als ich sowieso schon gedacht habe.

Zu guter letzt bin ich mehr als froh wieder im Land, in Sarajevo, in unserer supergenialen Wohnung und in meinem Bett sein, arbeiten, abhängen und schlafen kann.

Hiermit ein Hoch auf das „kulturweit“-Zwischenseminar.

 

Details zu den Städten Novi Sad, Sremski Karlovci, Belgrad gibt es hier

Demokracija?

Auf der Suche nach einem Schlüsselmacher. Wolkig grau. Schietwetter. Nach drei Wochen Sonne und 20 Grad kann man sich nicht beschweren. Nein, man sollte Luftsprünge machen. Eine Straßenecke weiter. Am sprunghöhepunkt. Die Demowolke. Nich viele, aber immerhin einige. Wie die Fußballmasse vom WM-Einzug quetscht diese sich durch die Straßen. Genauso laut, nur aus anderem Grund. Was auf den Bannern steht – keine Ahnung.

Weiter den gewohnten 34-Minuten-Arbeitsweg vom Gimnazija Obala nach Hause. Weiter am Fluss entlang. Weiter an den gewohnten Zeltburgen vorbei. Ja, Zeltburgen. Auch die Banner sagen mir nicht viel. Und fotographieren und zu Hause übersetzen, wenn gerade das Fernsehen einen Mann in Gummistiefeln, Wollmütze und Handschuhen interviewt… Nein, danke. Nach dem fünften Mal passieren (auch schon relative drei Wochen her) hab ich mal nachgefragt. Beim Sprachkurs. Die antwort sah im Groben folgendermaßen aus:

„Das sind bosniakische (muslimische) Familien aus einem Dorf aus der Republika Srpska. In dem Dorf leben zu bestimmt 99 % Moslems. Nun gehen die alle auf eine Schule, wo aber nur serbisch und somit das kyrillische SChriftbild vermittelt wird. Die werden nur von serbischen Lehrern unterrichtet und ihnen wird verboten, die bosnische Sprache zu benutzen. Deswegen sind die hier. Und ich meine, die haben jedes Recht zu protestieren. Die fühlen sich eben bosnisch und nicht serbisch. Die Kinder gehen eben aus Protest seit dem Schulanfang nicht zur Schule.“

Und sitzen am Autoreifen. Spielen Karten. Oder mit Hunden. Seit einiger Zeit wird das dortige Flussufer auch von zwei Dixiklos gesäumt. Eins ist gelb, das andere blau. Die sieht man auch von der anderen Seite. Wie sie durch die Bäume schimmern, sich im Wasser spiegeln.

Ob die Erfolg hatten? Ob die Demonstrationen hier etwas bringen? Ob die Medien schweigen, kann ich mit meinem Bruchbosnisch nicht sagen. Jedenfalls sind die wohl äußerst neutral (so in etwa muss sich ein mir erzählter Dialog abgespielt haben):

„Wer macht hier eigentlich die Zeitungen?“ „Unabhängige“
„Und wie finanzieren die sich?“
 „Die eine zahlt glaub ich so ein Politiker“

 

Wo die deutschen Lehrer tagen…

Banja Luka.                                  zum vierten mal                                           25. – 27.10.13

DaF – Unterricht zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

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In Kooperation mit dem BHDLV (bosnisch-herzegowinischen Deutschlehrerverbands), dem DLVRS (Deutschlehrerverband der Republika Srpska) und dem Goethe-Institut.

BAM! Klingt offiziell, klingt teuer, klingt wichtig, klingt gut. Also hin da. Voller Erfolg? Essenstechnisch bestimmt. Der Erfahrung wegen sowieso. Insgesamt?

Freitagabend fiel der Startschuss. Kinder singen von Papa-Maus mit großen Ohren, andere Kinder führen Loriot auf. Es wird viel geredet und viel gegessen, sich viel vorgestellt. Wir vier Freiwilligen treffen fleißig Leute, die wir schon kennen, setzen uns fleißig an fremde Tische, um neue Leute kennenzulernen und hören fleißig aufmerksam den Reden zu.

Samstag. Workshoptag. Man soll sich austauschen, neue Methoden kennenlernen. Ein Puzzle zur Landeskunde Deutschlands hab ich schon gemacht, also doch lieber das zu Bosnien-Herzegowina. Oder die Grammatik Übung da zu Präpositionen, da kann man bestimmt was von mitnehmen. ein halbes Huhn im Brötchen gibts zum Mittag, bei wunderbarster Sonne, dann der fließende Übergang zum Workshop zwei: Comics im DaF-Unterricht. Wir haben alles mögliche gemacht, über Wagner, Mozart, Siegfried, … Nur leider recht wenig über Comics.

Was sich hier jetzt recht motzig anhört ist aber eigentlich doch recht sinnvoll. Wenn ich hier Schülern eine Frage stelle wie:

„Glaubt ihr, dass… ?“, „Was denkt ihr über… ?“, „Warum meint ihr …?“, „Wieso“, „Weshalb… ?“

Das ist ein No-go. Funktioniert einfach nicht. Das eigentständige Lernen, was wir von oben nach unten, von hinten nach Vorne in unsere Hirnzellen eingeboxt bekommen, wird hier nicht gelehrt. Und das liegt am Unterrichtsverfahren.

Im Workshop 1 gab es Beispiele zum Stationenlernen. An der Nummer acht lag ein Lückentext zum Schubladendenken der Kulturen. „Ich will … schlafen, … aufwachen, … frühstücken,…“ (türkisch, italienisch, spanisch, englisch, … zum Einsetzen). Danach sollte man sich über sein Denken in einer Gruppe austauschen,

Bei der Besprechung kam von einer Lehrerin doch glatt: „Ja, da hinten bei der Station, einiges hatten wir da richtig, aber auch sehr viel falsch.“ Falsch? Wenn ich türkisch träume und lieber französisch mit Croissant frühstücke als englisch mit Ekelbohnen, wie der Originaltext hergibt, ist das doch nicht falsch!

Wenn aber selbst viele Lehrer so denken, wie sollen dann die Schüler anfangen, kritisch über Dinge zu urteilen.

Auch, wenn mir viele der vorgestellten Methoden bekannt waren, war mir doch neu, dass auch Lehrer Schüler sind. Ihr ganzes Leben lang.

Wir schließen ab mit einem Essen (versteht sich) und vorgestellter Poetry-Slammerei von bosnischen Schülern auf Deutsch. Das Programm geht bis Sonntag um 14 Uhr. Um 11 sind alle weg. Schließlich wurden die Teilnahmebestätigungen schon am Vortag ausgeteilt…

Banja Luka Bilder

Banja Luka

Die halbe Serbenstadt. Und das ist natürlich politisch unkorrekt ausgedrückt. Wir kommen nachts an. Per Bus. Sinn des Besuchs: 4. Deutschlehrertagung des Staates Bosnien und Herzegovina.

Des Bus hält, schmeißt uns raus, fährt wieder los. Wir biegen erstmal unsere Beine, nach hinten, nach vorne. Mit viel Schwung den Rucksack auf den Rücken… Wir wollen zu Leonie, ihre Straße ist wie alles hier (noch) recht unaussprechbar. Taxi. Oder Taksi wie man hier sagt. Fahrer eins weiß wo die Straße ist. Fahrer eins ruft die Zentrale an, weil er nicht weiß, wo die Straße ist. Fahrer zwei kommt und weiß nicht wo die Straße ist. Fahrer drei kommt und weiß nicht wo die Straße ist. Fahrer vier schläft, hinten in der Ecke vom Parkplatz. Vielleicht hätte der es ja gewusst…

Als wir dann bei Leonie waren die Erklärung: In der Republika Srpska, wovon Banja Luka die Hauptstadt ist, wurden seit dem Krieg viele Straßennamen geändert. Selbst ganze Dörfer heißen mal eben anders. Was früher Tito-Straße hieß wird nun nach serbischen Helden benannt, ohne dass die Taksifahrer den genauen überblick hätten.

Republika Srpska? Bosnien und die Herzegowina sind seit dem Krieg in zwei (eigentlich drei) Teile geteilt, demnach, wo die Fronten des Krieges verliefen. Die Republika Srpska war der serbisch besetzte Teil, die bosnisch-kroatische Föderation der Rest, also die kroatischen und bosniakischen Gebiete. Ein kleiner Teil, Brčko, wird von allen drei Volksgruppen verwaltet.

Man merkt schon recht deutlich den serbischen Einfluss in der Stadt. „Ich kann nicht so gut serbisch“, sagt uns Leonie. Bei uns in Sarajevo spricht man bosnisch, bei Tereza in Mostar kroatisch. Alles im geografischen Bosnien-Herzegovina.

Im Zentrum strahlt uns die neue orthodoxe Kirche an, verschwindend klein wirkt die Moschee, ein paar Straßen weiter, die im Krieg komplett zerstört wurde. Nun klettern Arbeiter auf Holzbalkengerüsten. Der Wiederaufbau. Wer hier irgendwann mal hineingeht, frage ich mich.Denn so wie Sarajevo muslimisch und die Herzegovina katholisch ist, ist die Republika und mit ihr Banja Luka durchweg serbisch orthodox. Hier wurde kaum der WM-Einzug des Staates BOSNIEN-Herzegovina gefeiert. Ich habe sogar Munkeleien gehört, dass die Republika ihr eigenes Team aufstellen will…

Das geht? Das geht. So halb. Da hat jemand im Friedensabkommen nämlich nicht gut aufgepasst. Schon allein begrifflich ist eine Republik autonomer als beispielsweise die Föderation. Die Republika stellt einen Präsidenten, die Föderation zwei. Gemeinsam wird wohl irgendwo Politik gemacht.

Dieses Land ist geteilt. Durch den Krieg. Die Linien wurden entland der Frontlinien gezogen, egal wer wo wie mit wem war und ist. Im Krieg ging es laut Buch und Meinung wohl nicht um Religion in erster Linie. Es ging um Gebiete. Serbien wollte ein Großserbien, und Kroatien sagt zur Herzegowina schließlich nicht nein. Die unterschiedlichen Religionen waren Teil des Konflikts, aber nicht der Auslöser.

Wir laufen in der Sonne am Vrbas entlang, lassen die Füße ins Wasser baumeln. Die Kriegspassage hatte ich gerade in meinem klugen Buch gelesen. Wir essen getrocknete Feigen, Granatapfel und Brot mit Käse. Der Himmel ist blau, die Blätter gelb, das Wasser klar, die Luft kalt. Die gleiche Luft wie in Sarajevo.

Fotos zu Banja Luka gibt es hier.