Archiv für den Monat: Oktober 2013
Mostar
Drtittgrößte Stadt. Herzegovina. DIE Touristenstadt BiHs, aufgrund der Nähe zur Kroatischen Küste. Und hat man schonmal wegen Bajram frei, verschlägt es einen auch mal hierhin.
Ankunft am Bahnhof. Bekannt als die schönste Zugstrecke überhaupt, entlang des Flusses Neretva. 9:30 h, nach knappen drei Stunden Fahrt. Die Luft ist feuchtwarm. Palmen am Straßenrand. Die Berger ringsherum kahl. Karst. Keine Bewaldung wie rundum Sarajevo.
Wir treffen Tereza, die hiesige Freiwillige, wo wir (geplant) drei Nächte bleiben. Stadtrundlauf. Es regnet viel und unberechenbar um diese Jahreszeit. Die Stadt ist erstaunlich sauber, wir laufen von Tereza Richtung Innenstadt. Hier in der Herzegovina wird wohl das Geldgefälle zwischen dem nahe gelegenen Kroatien und dem Rest von Bosnien und Herzegowina genutzt, um an Geld zu kommen. Das macht sich bemerkbar. Alles ist etwas teurer, für die Kroaten aber immernoch günstig genug. Baum an Baum, Allee hinter Allee bis hinunter zum Fluss. Tereza lacht, als wir von der Grüne des Städchens sprechen.
Baustelle Richtung alte Brücke, die auf jedem Reiseführer klebt. Der Bürgersteig wird mit hochglanzweißem Stein neu bezogen. Auf einmal wechselt die Atmosphäre. Es riecht nach Orient. Die Architektur ist anders. Während des Krieges war die Stadt in zwei Teile geteilt, die kroatische und die bosniakische Seite. Wir kommen von der kroatischen. Man merkt das. Laut meinem klugen Buch und Tereza waren 60 Prozent der mostarischen Jugendlichen noch nicht auf der jeweils anderen Seite. Es gibt zwei Universitäten, genug Schulen für jede Seite, eben alles zwei mal. Logisch, warum man die alte Brücke von der einen Seite zur anderen während des Krieges gesprengt hat…
Es gibt andere Supermärkte als bei uns. Kroatische eben. Hier sagt auch jeder, er spreche kroatisch. Nicht bosnisch. Wo in Sarajevo der Islam groß ist, ist es hier der Katholizismus. Und am Samstagabend ist tote Hose…
MEDUGORJE – eine katholische Wallfahrt…
Eine halbe Stunde Busfahrt von Mostar befindet sich ein Berg, auf dem vor nicht allzulanger Zeit die Mutter Maria einigen Kindern erschienen sein soll. Wir schenken dem mal einen Glauben und pilgern per Bus dort hin. Die hier heiße Herbstsonne erleuchtet eine (eine) Straße, mit neu errichteter Kirche am Ende. Geleitet von Plastikarmbändern, Trödelkram von der Mutter Maria und Industriehonig (900 Gramm = 4 KM?!) wagen wir drei Schritte in die nicht wirklich bombastische Kirche.
Der Wallfahrtsort ist touristenankurbelnd und somit gut für die Region. Der Walfahrtsort ist aus dem Vatikan jedoch nicht anerkannt. Ob hier kirchliche Werbung gemacht wird…?
Weitere Fotos aus Mostar, von der Buna-Quelle und den Kravice-Wasserfällen gibt es hier.
Monatsbilanz
Und wie die Zeit vergeht… Hier der Versuch eines halbwegs knappen Résumés.
Zwei Schulen, sechs Lehrer, acht Klassen, über 180 Schüler. So langsam geht die Hospitationsphase vorbei, man pendelt sich ein. Die Anfangseuphorie „Oh guck mal, ein Blonder!“ ebbt so langsam auf beiden Seiten ab. Und das ist nicht unbedingt etwas schlechtes.
Sowas ist nämlich auf die Dauer ganz schön anstrengend. Auf meinem Stundenplan sammeln sich insgesamt 19 Schulstunden beziehungsweise 18, da Schichtunterricht. Klingt wenig. Wenn man die dreiviertel Stunde Fahrtzeit für eine Strecke zur Schule mit einberechnet sind das schon ein paar mehr Minuten, und wenn man die vier Stunden dazurechnet, die ich gestern zur Vorbereitung einer Doppelstunde zum Thema „Graphiken beschreiben“ gebraucht habe, komme ich denke ich mal auf mein Soll von 30 bis 40 Wochenstunden.
Alle sechs Lehrer sind top. Bei den einen schmeiße ich die komplette Vorbereitung auf das DSD, bei den anderen schreib ich mal was an die Tafel… oder wir spielen. Man macht sich echt Freunde mit Lockerungsspielen, hierbei nochmal vielen Dank an die Teamer vom Vorbereitungsseminar. Lachen rettet eben Welten.
Und dennoch hilft das nicht immer. Ich hätte NIE gedacht, dass ich soetwas in meinem Leben mal von mir geben würde, aber guter Unterricht liegt definitiv nicht nur am Lehrer. Es kommt auf die Schüler, die Gruppengröße, die gewischte Tafel, das Wetter, die Uhrzeit, den Wochentag, die Farbe meines Pullovers und die Jahreszeit an. Gefühlt. Man kann sich noch so gut vorbereiten, in der einen Klasse klappt das Konzentrationsspiel, in der anderen überhaupt nicht. Dementsprechend kann ich mittlerweile (hätte ich auch nie gedacht, dass ich sowas mal veröffentliche) auch sehr gut lehrerliche Stimmungsschwankungen nachvollziehen.
Gestern hatte ich drei Stunden. In der ersten Klasse hatte ich eher wenig zu tun, Mails vom Lehrer Korrektur lesen, den Kids über die Schulter gucken. Die vierte Klasse danach schreibt in weniger als zwei Monaten DSD. Der Aufsatz umfasst (typisch Deutsch eben) die Aufgabenfelder Wiedergabe, Erörterung sowie Bewertung, eigene Meinung. Die Inhaltsangaben die ich mir durchgelesen habe würde fast jeder Lehrer in Deutschland mit viel Schnauben in die Ecke werfen (so ungefähr). Also hatte ich die zwei Stunden genutzt, denen unsere tolle 5-Schritt-Methode mit lesen, unterstreichen, Sinnabschnitten bla bla bla… Kam nicht so gut an und hat auch in Etwa das dreifache meiner geplanten Zeit eingenommen. Was man nicht alles für gute Ergebnisse tut. Ist eben wirklich irgendwo Selbstreflektion.
Heute hatte ich vier Stunden an der gleichen Schule, zwei in der zweiten DSD-Klasse, zwei in der dritten. Wir wollten über Lebensunterschiede von Deutschland zu Bosnien sprechen, ich hatte ne schnieke Powerpoint gemacht… ohne Beamer natürlich weniger erfolgversprechend. Also alles mündlich, der Schülerfokus hat mich eher durchlöchert als in die Ecke gestellt. Man kann hier schon von Begeisterung sprechen. Die dritte Klasse danach war todmüde, Freitag, letzte Stunden. Aber auch hier machen alle mit, die lieben mich, ich liebe sie. Die spielen die Spiele auch immer richtig. Und das bei einem solch trockenen Thema wie den oben genannten Graphikbeschreibungen. Da haben sich die vier Stunden Vorbereitung gelohnt. Und irgendwie grinst man dann den ganzen Weg nach Hause…
Bosnien auf Goldkurs – Der WM-Einzug
Vor einer Woche, 4:1 gegen Lichtenstein. 0:1 gegen Littauen am Dienstag. Damit ist dieses wunderschöne Land mit gelben Sternen auf blau mit 25 Punkten Qualifikations-Erster der Gruppe G. Punktemäßig auf Platz vier.
In Sarajevo war am Dienstag angeblich die Hölle los. „As if they just won the whole championship! The first time in our entire history!“, so meine Sprachlehrerin gestern. Wir waren in Mostar, in der Herzegovina. Hier wurde nicht ganz so ausgiebig gefeiert. Das Spiel am letzten Freitag war für mich als über Fußballbegeisterten (…) schon spannend genug. Leinwandübertragung in der Innenstadt. Eine Stunde nach Abfiff in der Bar knallt es draußen wie Hölle. Alles dreht sich um, und weil die ausländischen Deppen sich mal wieder nicht zu schnell zurückdrehen, flogender Kommentar der Kellnerin:
„Don’t worry, the war’s not restarting. We just won.“
Das „we“ bleibt dann doch irgendwie hängen. Dass in einem Land, welches noch vom Friedensabkommen von vor 18 Jahren und drei Präsidenten regiert wird, von „uns“ gesprochen wird, kann man sich als problemorientierter Deutscher ja schonmal garnicht vorstellen. Eine Schülerin postet auf facebook etwas wie „The whole of Bosnia finally united“ mit etwa 30 likes. Ob in Bosnien das Sommermärchen 2014 ansteht?
Ein aus meiner Sicht recht informativer Artikel zur Hintergrundaufklärung:
http://www.taz.de/Fussball-in-Bosnien-und-Herzegowina/!125783/
POPIS – Die Volkszählung
Es ist Volkszählung in Bosnien. Die erste seit 1991. Erster bis fünfzehnter Oktober. Seit zwei Tagen rennen Beauftragte mitsamt zwei Kilo Papier an Informationen und Auswertungsbögen durch die Stadt und Fragen ab. Systematisch. Unser Haus von unten nach oben.
Es klingelt um sechs Uhr nachmittags. Gestern. Glücklich, dass uns überhaupt jemand erwischt. Der gute Mann lacht fröhlich und drückt sich sein Bosnisch in Wellen fliegend aus. Wir geben unser bestes aus Brocken Kuchen zu backen. Beziehungsweise ihm einen Kuchen zu backen, was WIR hier tun. Und dass wir keine Bosnier sind, keine fünf Kinder im Hinterzimmer haben die er bitte mitzählen soll. Ein Schüler meinte neulich, dass die selbst dokumentieren müssen wenn jemand angeblich vom Mars komme.
Der Zähler holt Stift und Papier samt dickem Ankreuzbogen und Übersetzungspapieren aus seiner Tasche. Mechanisch dürfen wir auf „Njemački“ (Deutsch) zeigen. Es wird geblättert, vor zurück und wieder vor, wir zeigen hier und da…
„Ambasada?“ ist das letzte. Jaja, die Botschaft weiß, dass wir hier sind!
Schulterklopfen, als hätten wir seinem Sohn über die Straße geholfen. Händeschütteln wie nach Abschluss des Dayton-Vertrags und wieder sind wir alleine. Gezählt.
Heute gehe ich auf dem Nachhauseweg nach zwei Stunden am Gymnasium Obala und Gemüsemarkt Großeinkauf an unserer örtlichen Kopirnica vorbei, wo ich noch eine Mark Schulden für Kopien hatte. Das Mädel, die für ihren Vater den Laden schmeißt, bevor die Uni anfängt, begrüßt mich freundlich, wir reden über das kommende Wochenende, das Wetter, meine Schulden und Ćevapi.
Ob die bei uns denn schon gezählt hätten. Ja, sag ich. Es folgt eine Beschreibung der obigen Geschehnisse.
Dann legt sie los. Locker, aber laut – die bosnische Art.
Bei ihr seien die Zähler auch schon gewesen. Sie hätten Dinge gefragt, wie: Wie viele Leute wohnen in der Wohnung? Wie viele Quadratmeter? Wie groß ist die Küche? Sind Sie bosnisch? Sind Sie muslimisch, orthodox, katholisch? Woher kommen Ihre Eltern? Fragen. Viele Fragen. Und im Endeffekt sei die Angabe der Zahlen sowieso wieder falsch. Die da oben täten doch mit den Zahlen worauf sie gerade Lust hätten. Bosnien zahle 47 Millionen Bosnische Mark (in Euro die Hälfte), Europa steuere noch einmal 70 Millionen dazu. Für Ungewissheit, ib die Zahlen auch wirklich stimmen.
Seit 18 Jahren sei nicht mehr gezählt worden. 91 war die letzte Zählung. Wieviele Bosniaken, Kroaten und Serben es gab, war bekannt. Dann habe der Krieg angefangen. Leute haben Angst, was durch die Zählung alles passiert.
Sie sei zwei Monate alt gewesen, als der Krieg anfing. Alles was sie erinnert: Sie wollte Bananen und es gab keine Bananen. Sarajevo wurde vier Jahre von Serbien belagert. Vier Jahre kam niemand herein oder heraus. Vier Jahre Luftbrückenversorgung. Wie Berlin. Nur eben vier Jahre.
Ihre kleine Schwester wurde während des Krieges geboren, ihre große erinnere sich an alles. Der Schwester wurde ins Bein geschossen. Sie habe zugesehen wie der Nachbar starb. Durchschossen. Weil er sich vor sie geschmissen hat.
In der Stadt stünden jährlich einmal rote Stühle in einer Reihe die Fußgängermeile in die Innenstadt hinein. Für all die Erschossenen des Bosnien-Kriegs. Des mit letzten Krieges innerhalb Europas. Des Krieges, von dem ich niemals ein Sterbenswörtchen während meiner gesamten Schulzeit gehört habe.
Ein neuer Kopierfreudiger kommt durch die Tür. Ich stehe nur da und weiß absolut und hundertprozentig überhaupt nicht mehr, was ich von der Zählung halten soll. Mal sehen, was die Zahlen am Ende sagen.
Ich verabschiede mich, sie läd mich auf einen Kaffee ein. Hier trifft man sich immer, um Kaffee zu trinken.
Zuhause angekommen, lächelt mich das Popis-Plakat in bunten Farben an. Die Ecken sind abgerissen.
Die Geschichte vom Penner und dem Polizisten
Vor drei Tagen. Drei Stunden am Gymnasium Obala verbracht, Feierabend. Auf dem Weg stadteinwärts, auf den Markt. Einkaufen. Was man eben so braucht. Die Sonne scheint, Drei Uhr nachmittags. Dieser typische Farbtonwechsel von Mittags- zu Nachmittagssonne.
Zwischen sich färbenden Bäumen und besonnten angeschossenen Hausfassaden, gegenüber von Cafés und neben dem Straßenhund stehen Mülltonnen. Groß. Offen. In sie gebeugt, ein Obdachloser. Gegenüber, auf dem Bürgersteig der anderen Straßenseite ein Polizist. Oder einer von der allgemeinen Sicherheit des ihm im Rücken lehnenden Gebäudes.
Der im Müll Wühlende verändert seine Haltung in Richtung Stand und seine Gestiken lassen nicht an einem Aufbruch zweifeln. In seiner Hand: Eine Decke. Grau, alte Wolle. Zerfressen. Es hat heute Nacht zum ersten Mal gefroren.
Sich den Mülltonnen abwendend bleibt der Gute in seinen Bewegungen stecken, aufgehalten von einem befehlsartigen Zuruf der Sicherheit vor dem Gebäude. Ernste Miene. Sehr ernste Miene. Obrigkeitsbewusst dreht der Obdachlose um, auf den Polizisten zu. Bleibt vor dem Bürgersteig stehen. Die Hände fragend, unterwürfig, entblöst von sich gestreckt. Der Polizist streckt wortlos den Arm aus. Der Penner auch. Eine kurze Berührung. Ein Hauch. Kurz sieht man das Blitzen der Münzen in den noch wärmenden Sonnenstrahlen, bevor sie in der Tasche des Empfängers verschwinden. Der Polizist nickt ihm kurz zu. Gleiche Miene. Polizistenmiene. Die Situation löst sich auf.
Was bleibt sind Häuser, Sonne, Cafés und Straßenhund.
Sarajevo in Oberflächlich
Hier also die Bilder aus der ersten Woche. Viel Spaß!