Soweit, so gut.
Nach zwei Beiträgen, die noch nichts über mein komplett neues Lebensumfeld oder über meine Gefühle in dieser wahnsinnig riesigen, wirtschaftlich, wie kulturell pulsierenden Stadt verraten habe, möchte ich das Versäumte mit diesem Beitrag nachholen. Frei Schnauze und ohne irgendeine pseudo wissenschaftlichen Metaebene, wie ihr sie in meinen ersten Einträgen erleben musstet, könnt ihr nun schlichte Tatsachen wertfrei*‘ erfahren. Jetzt geht es wirklich, um den Kern des Freiwilligendienstes oder besser gesagt um die ‚Kerne‘: Fakten, Emotionen und Herausforderungen! Doch zuerst eine kleine
Geschichte:
Abends hatte ich mich abseits der großen, lauten Straßen in ein mir unbekanntes Gassengeflecht begeben und bin auf einem kleinen Platz gelandet, der umsäumt war von Läden, deren Bezeichnung vermutlich irgendwo zwischen Street Food und Restaurant liegt. Abseits der Touristenwege falle ich – der blonde, blauäugige, relativ große Westler – natürlich sofort auf. Köpfe drehen, gucken und tuscheln. Auffallen ist ein für mich zutiefst unangenehmes Gefühl, will ich doch eigentlich möglichst unauffällig eintauchen in diese mir immer noch unbekannte Kultur. Ein naiver Gedanke.
Das Eis bricht ein kleiner Junge von etwa vier Jahren, dessen Mutter der kleine Laden auf dem Platz gehört, in den ich mich zögerlich gesetzt und meinen Avocado Smoothie geschlürft hatte. ‚Xin Chao‘ – soweit kann ich mitreden, danach hört es auch schon auf. Unermüdlich erzählt mir der kleine Bube irgendeine Lebensgeschichte auf Vietnamesisch. Läuft weg, kommt wieder. Denkt sich einen Handschlag aus, den wir ab jetzt immer genau so machen. Soviel verrät mir zumindest seine wichtig dreinschauende, ernste Miene. Läuft weg, kommt wieder. Mit einer Speisekarte von irgendeinem Restaurant. Zeigt mir kichernd sein Lieblingseis, will meins wissen. Läuft weg, kommt wieder. Und so könnte der unermüdliche Versuch des kleinen Jungen weiter und weiter erzählt werden, wie er mir – dem fremden Nichtsversteher – versucht etwas mitzuteilen. Kinder vertrauen und erwarten nichts. Sie schämen sich nicht dafür kein englisch sprechen zu können, sondern wundern sich, dass jemand kein vietnamesisch kann. Das ist eine wunderbare Einstellung, die mir zum einen imponiert und mir zum anderen die gewaltige Sprachbarriere allgegenwärtiger macht denn je.
Fakten
Zurück zum eigentlichen Anfang: Wo bin ich nochmal? In Ho Chi Minh City (Saigon) – Vietnams einwohnerstärkste Stadt mit mehr als 8 Millionen Einwohnern. HCMC war vor dem Vietnamkrieg die Hauptstadt des Südens, ist heute eine der am schnellsten wachsenden Städte Südostasiens und stellt mittlerweile 2/3 der Wirtschaftskraft Vietnams. Nach dem Krieg, während welchem übrigens mehr Bomben abgeworfen wurden als während des gesamten zweiten Weltkrieges, wurde die Stadt nach dem Vordenker, der kommunistischen Bewegung in Vietnam umbenannt. Meine Schüler*innen haben mir versichert, dass die Verwendung beider Namen in Ordnung sei. Heute ist Vietnam eine sozialistische Republik mit einer weitestgehend freien Marktwirtschaft und einem Einparteiensystem, was in der Kurzform bedeutet, dass es keine freien Wahlen gibt und nicht alle Freiheitsrechte gewährleistet werden, aber dazu an anderer Stelle vielleicht mehr.
Einsatzstelle
In Saigon bin ich an der Tran Dai Nghia Mittel-und Oberschule in den 8. und 12. Klasse im Deutschunterricht als Sprachassistent eingesetzt und übernehme darüber hinaus administrative Aufgaben, wie die Erstellung von Prüfungsmaterialien und die Mitorganisation eines Sprachcamps. Außerdem werde ich ab Freitag im Wechsel mit anderen Freiwilligen ein Sprachtraining für vietnamesische Ortslehrkräfte anbieten. Mein Schulweg bedeutet eine Rollerfahrt durch das ganz normale Verkehrschaos der Stadt, das beim genaueren Hinschauen mehr System besitzt als ich zu Anfang gedacht hatte. Meine Einsatzstelle liegt im absoluten Stadtzentrum in der Nähe der allermeisten Sehenswürdigkeiten, was bedeutet, dass ich nur einen Fuß aus der Schule heraussetzen muss, um wieder mittendrin im bekannten Touritrubel zu sein. Unausweichlich und bei weitem kein entspannendes Gefühl.
Solche, die – Achtung, Klischee – wahrscheinlich schon jetzt, ohne bewusste Kenntnisnahme mich, meine Persönlichkeit beeinflussen und verändern. Solche, wie die Begegnung mit dem kleinen Jungen oder die mit dem buddhistischen Mönch, der sich mein Handy schnappte und mich fotografierend durch den Tempel trieb oder die mit zwei weltoffenen Studierenden, die mit mir Englisch lernen wollten und gleichzeitig Bekanntschaft schlossen oder… Andere. Individuelle Erfahrungen, die ich, wie jeder Mensch zwangsläufig mache. Momentan allerdings in einer noch ungewohnten Umgebung .
Natürlich vermisse ich jetzt schon liebe Menschen aus meinem Leben, die vorrübergehend nicht direkt erreichbar sind und natürlich könnte der Alltag viel einfacher gestaltet werden, wenn ich der vietnamesischen Sprache mächtig wäre, doch das sind Herausforderungen, die es anzunehmen gilt. Viele Erlebnisse kann ich mit meinen lieben Mitfreiwilligen in Saigon teilen, über die ich an dieser Stelle keine Worte verlieren könnte, ohne für euch Leser*innen fast schon nervig, ausufernd romantisierend zu werden.
Und damit sind wir schon mittendrin in meiner
Gefühlswelt.
Nach der Überforderung der ersten Tage durch Lärm, Verkehr, Hitze und fremde Sprache, bin ich nach nun fast vier Wochen angekommen. Die waghalsigen Rollerfahrer*innen, die scheinbar anarchisch ihre Wege im Verkehr finden, beobachte ich gelassener und das zu Anfang oft thematisierte Dengue Fieber ist fast in Vergessenheit geraten. Toi Toi Toi. Auch die Hitze ist kein Problem mehr, zumindest solange die Regenzeit noch anhält und den Lärm nehme ich seit einem kurzen Wochenendtrip am Strand nicht mehr permanent als Problem wahr. Und – die Sprache? Klar, die Barriere der Sprache ist weiterhin eine Belastung und die Hilflosigkeit nicht einmal im Stande zu sein einen Small Talk über ‚hallo‘, ‚vegetarisch‘, ‚bitte‘, ‚danke‘ und ‚tschüss‘ hinaus zu führen, ärgert mich.
Barrieren durchbrechen
So sollte mein möglicherweise utopischer Auftrag für die Zeit in Saigon lauten. Ich bin dankbar, für all‘ die schönen Momente, die ich bisher sammeln durfte und bin gespannt auf das, was vor mir liegt.
Bevor es hier zu blumig wird – kurz: Es geht mir gut.
*’Das ist natürlich Quatsch
Empfehlung! Bewegte Bilder aus Saigon von meiner Mitfreiwilligen Frieda