Die Schönste Zeit

Die Vernunft sieht jeden Unsinn. Der Verstand rät einiges davon zu übersehen.

Liebe Freunde, meine Vernunft hat in den letzten Wochen viel gesehen, erlebt und mitgemacht. Mein Verstand hängt mir schon die ganzen, letzten Tage in den Ohren und erinnert mich daran, euch von meinen Erlebnissen zu erzählen. So entschuldige ich mich in aller Form für diesen verspäteten Eintrag.

 

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Wenn sich bei mir zu Hause Freunde zum Besuch anmelden, dann möchte ich mich immer von der besten Seite zeigen. Alles sollte aufgeräumt, ordentlich und vor allem sauber sein, so dass sich meine Gäste eben wie zu Hause fühlen. Heute ist so ein Tag! Doch sind die Gäste keine Freunde, sondern Schulinspektoren, die in einer jährlichen Visitation die Schule auf Herz und Nieren untersuchen. Das Phänomen gibt es in Deutschland auch. Der Flur wird geputzt, die Scheiben gereinigt, der mit Kaugummi beklebte Teppich gesaugt und ein paar neue Bilder des letzten Kunst Leistungskurses angebracht. So, das Prozedere in Deutschland. Hier an der Wuhan Changqing Mittelschule sind das lediglich Lappalien. Eine ganze Arbeiterschaft versammelt sich, um die Schule auf Hochglanz zu polieren. Die Wände werden in einem frischen Pink gestrichen und im Anschluss mit Bildern versehen, die dann maximal bis nach der Visitation hängen bleiben. Der Sportplatz bekommt eine neue Tartanbahn, neuen Kunstrasen und um ihn herum lauter grüner und blauer Sitzgelegenheiten. Ja, selbst neue Bäume werden herangetragen und eingepflanzt. Um die schon vorhandenen werden Bänke gebaut, die durch einen braunen Anstrich echt vornehm aussehen. Kleine Skulpturen, in Form von Büchern und Buchstaben werden mit lauter Ach und Krach zusammengeschweißt und angestrichen. Aus meinem Büro, dass vorher das „German Teacher´s Office“ war, wurde nun auf einmal das „International Department“.

Ihr merkt also, dass hier ganz schön viel auf die Beine gestellt wird, um die Schule in einem besonders guten Licht dastehen zu lassen, um vielleicht noch eine größere Förderung bzw. Unterstützung zu bekommen. Das ist es eben was ich zu Anfang meinte. Wir wollen uns doch immer alle von der besten Seite präsentieren. Oftmals ist dann aber doch Weniger – Mehr.

 

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Ein Blick der sich nicht verfälschen lässt, ist der von meiner Dachterasse. Um dem ganzen Alltagsstress und Aufwendungen zu entgehen, suche ich sie vor allem an klaren Abenden auf. Nun, ihr wisst sicher genau so wie ich, dass ich oftmals auf diese „klaren“ Abende sehr lange warten muss. So freut es mich jedes Mal umso mehr, hier oben zu sitzen, ein kühles Bier zu trinken und die Aussicht zu genießen und auch das Blinken der Flugzeuglichter genau zu erkennen. Hierhin ziehe ich mich zurück, wenn es mir dort unten zu laut und vor allem zu schnell wird. Doch jedes Mal, wenn ich die Stufen nach oben steige, denke ich darüber nach, wie ich euch am Besten diesen Eindruck beschreiben kann. Inzwischen habe ich den Punkt erreicht, an dem ich mir sage, dass ich diese Momente hier leben muss, weil ich sie wahrscheinlich in der Form nie wieder haben werde und deshalb euch dazu anregen möchte, diese genauso zu genießen und für einen kleinen Moment abzuschalten.

 

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Neben vielen, neuen Erfahrungen, die ich hier sammle, stehen auch immer wieder kleine Herausforderungen für die Zukunft an. Eine dieser Herausforderungen ist mein Freiwilligenprojekt, welches mir die Chance eröffnet, ein eigenes Vorhaben während meines Aufenthaltes in China zu realisieren. Hierbei ist, beginnend von Fotografie und Schauspiel, bis hin zur Poesie und Musik alles möglich. Ich habe mich für einen sehr aufregenden Part entschieden, der Musik. Ihr erinnert euch noch an den Sechstklässler, der in höchster Perfektion Vivaldi, Mozart und Beethoven spielen konnte? Er hat mich durch seine Musik so inspiriert und mitgerissen, so dass ich jetzt, einen Monat später, am Anfang der Erarbeitung des Stückes „Die Schönste Zeit“ von Bosse stehe. Drei sehr junge Pianisten, ein Gitarrist und eine Handvoll junger Chinesen werden am Ende dieses Lied nicht neu interpretieren, aber auf jeden Fall mit mir selber singen und ein Teil deutscher Kultur und Musik dadurch kennenlernen. Um dieses Projekt gelingen zu lassen und in einem Kurzfilm am Ende des Freiwilligendienstes zu präsentieren, gehe ich mit den Schülern jede einzelne Textzeile durch, erkläre ihnen den Inhalt und dessen Bedeutung und übe, übe und übe mit ihnen nicht als ein Lehrer, sondern als ein Freund. Dabei stellen wir uns z.B. vor einen Spiegel, sprechen und schreien schwierige Wörter so oft, dass sie am Ende eine deutliche Mundbewegung haben und das deutsche Wort sehr klar sprechen können. Dass Alles erfordert eine Menge Energie, Durchhaltevermögen und gute Laune. Stellt euch einfach vor, ihr müsstet ein Lied auf der jeweiligen Landessprache sprechen und danach noch singen können. Das ist für einige in der Muttersprache schon ein Problem, so habe ich sehr großen Respekt vor der Leistung dieser chinesischen Schüler. Natürlich haben sie auch viele Fragen, die ich dann meistens auf Englisch beantworten kann. Doch eine ihrer vielen Fragen ist leider offen geblieben. Auch die Antwort unseres Wissensorakels Google hat ihnen nicht gereicht. So habe ich mich direkt an den Autor des Textes gewandt, Axel Bosse. Dessen Antwort hat ihnen gereicht, uns wieder einen Schritt nach vorn gebracht und vor allem mir gezeigt, wie wissbegierig und hartnäckig die Jungs und Mädels sind, um genaue Informationen über bestimmte Hintergründe zu erhalten.

Ich bin sehr gespannt und auch ihr dürft gespannt sein, in welche Richtung sich dieses Vorhaben entwickeln wird.

 

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Mein Credo für die nächsten Wochen und auch Monate ist simpel, aber oft nicht leicht: Ein einzelner Zweig bricht, aber ein Bündel Zweige bleibt stark.

So sende ich euch die allerbesten Grüße aus China. Bleibt gesund und habt schöne Herbstferien.

Euer Darius!

P.S.: Auf jeden Fall wird einen kleinen Kurzfilm geben und vielleicht auch schon vorher ein paar Mitschnitte.

 

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Von Beeskow nach Wuhan – ein Klassenzimmer am anderen Ende der Welt!

Jetzt denke ich schon eine ganze Woche hin und her wie ich mich am Besten vorstellen könnte. Nun ich probiere es einfach mal hiermit.

Ich bin Darius, Darius Selke. Genau vor einem Jahr habe ich hier gesessen und noch für das Abitur geknüppelt. Ein ziemlich anstrengender Prozess, der sich aber am Ende auszahlt. Während ich hier so saß habe ich darüber nachgedacht, was ich wohl nach dem ABI mit meiner gewonnen Zeit anfangen könnte. Nun spontan sind mir da zwei Dinge eingefallen: die Pilotenausbildung bei Lufthansa und die Welt entdecken! Ich wollte eigentlich schon immer irgendwo hin und einen Prozess anschieben, der in vielerlei Hinsicht von Nutzen sein kann. Während der Gymnasialzeit bin ich das erste Mal auf den Gedanken gekommen in außereuropäische Länder zu reisen und die dortige Kultur und vor allem die Menschen genauer kennenzulernen. Im Rahmen der UNESCO stand mir auf einmal ein Aufenthalt in Afrika bevor. Das Ziel war Burundi. Ein für afrikanische Verhältnisse dicht bevölkerter Binnenstaat in Ostafrika. Aufgrund der damaligen politischen Verhältnisse wurde unserer Gruppe der Aufenthalt von der ENSA versagt. Ich war darüber ziemlich niedergeschlagen und ich habe mit mir bis heute gerungen eine solche Reise noch einmal anzugehen. Und was soll ich sagen, ich habe es getan.

Das Ziel heißt jetzt aber nicht mehr Bujumbura in Burundi, sondern eher Wuhan in China. Ihr fragt euch sicher wie ich zwischen diesen beiden grundverschiedenen Ländern hin und her geswitchet bin. Nun, da weiß ich eine präzise Antwort: Kulturweit! Meine Bewerbung bei dem Freiwilligendienst des Deutschen Auswärtigen Amtes hat schon vor geraumer Zeit begonnen. Während dem Bewerbungsmotivationsschreiben konnte man verschiedene Zielländer angeben. Mein erstes Ziel war Afrika. Das zweite erstreckte sich über China. Ich weiß gar nicht mehr wie ich auf China gekommen bin, aber ich weiß auf jeden Fall, dass es mich schon immer interessiert hat. Dieser Auswahlprozess bei Kulturweit zog sich über einen langen Zeitraum hin. Wer in die zweite Runde kam, konnte sich schon auf die Dritte freuen, insofern ein Partnerinstitut Interesse an deiner Persönlichkeit hatte. Und jetzt bin ich hier, ein paar Tage vor meiner geplanten Ausreise im August. Ich habe alle drei Runden hinter mich gebracht und freue mich nun sehr, das Goethe-Institut als meine Partnerorganisation hinter mir zu haben. Der Weg bis hierhin war für einen Jungen, der auf ein familiär anmutendes Gymnasium ging, sehr spannend. Irgendwann klingelte das Telefon und ich dachte bei der Nummer auf dem Display, dass müsse wohl wieder der Weltbildverlag sein. Nun ich hob ab und sagte: „Meine Mutter ist nicht zu Hause. Sie kommt erst am späten Nachmittag, rufen Sie doch dann einfach noch mal an.“ Tja, es war nicht der Weltbildverlag. Es war Kulturweit mit einem Anruf aus Peking am anderen Ende des Hörers. Das war das sogenannte Telefoninterview. Besser hätte doch so ein Interview gar nicht starten können, oder?

Nach diesem Interview hieß es dann hoffen. Ich stellte mir Fragen wie: „Habe ich das auch alles überzeugend rüber gebracht?“ oder „Hoffentlich haben sie mich bei der Verbindung am Telefon auch überhaupt verstanden?!“

Es hat geklappt und nun bin ich ein Freiwilliger, der im August 2014 Deutschland verlassen wird, um in China u.a. den Deutschunterricht mitzugestalten. Das Aufgabenspektrum ist groß, doch meine Motivation ist größer. Nächsten Woche fahre ich zu einem Vorbereitungsseminar am Werbellinsee bei Berlin. Ich habe eine ungeheure Vorfreude und bin gespannt was mich in der Zukunft erwarten wird. Ich freue mich auf die neuen Eindrücke und Menschen die ich kennenlernen werde. Doch am meisten warte ich auf das „Kribbeln“, wenn ich in den Flieger Richtung China steige. Zur Zeit habe ich das Gefühl, dass die Zeit noch schneller rennt, als sie es während meiner Abiturprüfungen tat. Ich finde es wahnsinnig spannend mitzuerleben, wie sich alles verändert. Noch vor ein paar Wochen habe ich meinen Freundeskreis nur auf meine Region bezogen. Doch schon jetzt kenne ich weitere junge Leute, die aus dem gesamten Land kommen und eine unglaubliche Vita vorzuweisen haben. Es ist also egal was kommt, ich werde dafür offen sein.

Manchmal kommt man mit seinen Überlegungen gar nicht hinterher, weil einem plötzlich alle Wege offen stehen und man einen Schritt vor dem anderen setzt.  Ich wollte mich eigentlich nur kurz vorstellen. Euch berichten, wie ich dahin gekommen bin, wo ich jetzt bin und eigentlich wusste ich noch nicht mal ob ich überhaupt einen Blog schreibe. Doch dafür habe ich mich jetzt entschieden, weil ich euch an meinem Chinaaufenthalt genauso teilnehmen lassen will, wie meine Familie. Das Stichwort Familie ist vielleicht zum Schluss noch ganz gut. Manchmal werde ich gefragt, wie meine Familie damit klar kommt. Sie nehmen an dieser Reise genauso Teil wie ich. Mit dem Beginn meiner Bewerbung bei Kulturweit haben sie sich mitbeworben und ich bin sehr glücklich darüber, eine breite Wand zu Hause zu haben, die mit jedem Tag der auf mich zu kommen wird, hinter mir steht und in schwierigen Situationen den Rücken stärken wird.

 

Vielleicht schreibe ich das nächste mal schon in chinesischen Schriftzeichen, hängt ganz davon ab wie gut ihr mit dem Google-Übersetzer umgehen könnt, naja oder vielleicht auch ich. Auf jeden Fall folgen in den nächsten Monaten viele Bilder, Eindrücke, Tiefpunkte und natürlich (und darüber bin ich mir ziemlich sicher) neue Kulturen und Menschen mit ihren ganz eigenen Geschichten.

 

 

后会有期!

 

您的大流士

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