Ja, jetzt bin ich tatsächlich ein Lehrer!

Wie kann man am Besten eine Stadt beschreiben, die aus drei großen Stadtteilen besteht, von der man aber selber nur einen zur Hälfte kennt. Das würde ich jetzt so bei Google eingeben. Schade, denn „Googlen“ kann ich hier nicht. Doch ich kann mir sehr gut vorstellen, welche Antworten die Jungs und Mädels von Google aus den riesigen Bibliotheken dieser Welt heraussuchen würden, um sie mir kurz und knapp zu präsentieren:

  • Wuhan, liegt in günstiger Mittelchinalage am Zusammenfluss des Jangtsekiang und des Han Flusses.
  • Stadt in China
  • Wetter: 24 *C, Wind aus NO mit 11 km/h, 83 % Luftfeuchtigkeit.

Genau genommen zählt Wuhan mit neun Millionen Einwohnern zu Chinas größten Metropolen und ist eine der dynamischsten Städte der Volksrepublik China. Ich lebe und arbeite im Stadtteil Hankou. Damals war dieser Teil einer der bedeutendsten Finanz- und Handelszentren Chinas, der sogar über ein eigenes deutsches Viertel verfügte. Als ich das erste Mal vom Flughafen zu meiner Wohnung gefahren bin ist mir aufgefallen, dass es hier viel grüner und menschenleerer ist als in Peking. Nur wenige Fußminuten entfernt eröffnen sich kleine Gassen, die das zu Hause vieler beschaulicher Läden sind. So findet man schon allein dort sechs Friseure, die eine ganze Palette an Frisurenvielfalt auffahren. Naja, sofern ich ihnen überhaupt noch genug Haar bieten kann, an denen sie ihre chinesischen Frisuren geschickt umsetzen können. Typische chinesische Friseure erkennt man übrigens an dem Aussehen von deutschen Bänkern. Sie sind adrett und akkurat gekleidet. Tragen Lackschuhe, Hemden und Anzugwesten, also das volle Programm. Der Unterschied liegt im Detail: Hier möchtest du dir die Haare schneiden lassen und in Deutschland einen Kredit aufnehmen. Des Weiteren findet man zahlreiche kleine Boutiquen mit ihren ganz eigenen Fashionkreationen. Ja, das alles liegt im Umkreis meines kleinen Apartments, welches ich mir mit einem Mitbewohner teile. Also eine Art WG-Leben, denn es ist wirklich eine sehr komfortable und großzügig geschnittene Wohnung im westlich gehaltenem Stil. Mein Zimmerfenster ist auf einen kleinen Park gerichtet, in dem die älteren Damen und Herren, eher überwiegend Damen, zu lautstarker Musik akrobatisch tanzen. Der Sound hat dabei weniger was mit Helene Fischer, oder Rammstein zu tun, sondern erinnert mich eher an Entspannungsmusik in kleinen, gutbürgerlichen Massagestudios. Ich mag es, eigentlich! Denn jeden Morgen und jeden Abend vernehme ich das gleiche Lied und ertappe mich immer öfter dabei, dass ich, vor allem abends, beim Einschlafen im Takt mitsumme. Auf die Dauer gesehen kann sich dieser eine Song in den Charts und vor allem als mein „Einschlaflied“ nicht durchsetzen. Wer weiß, vielleicht höre ich schon bald „Atemlos durch die Nacht“, kommt ganz darauf an, wann ich mich zu den musikbegeisterten Athleten begebe und die CD wechsle.

 

Wuhan Children

 

 

Wenn ich mich morgens auf den Weg zur Arbeit in die Schule begebe, dann ist meist die ganze Stadt in Aufruhe. Motorräder, Roller, Rikschas, Autos und unzählige Passanten kommen mir entgegen. Wenn ich gut in Form bin, dann beträgt meine Ankunftszeit nach dem Geschwindigkeit-Zeit-Gesetz ungefähr zehn Minuten. Und dann stehe ich hier, vor dem Tor der Schule, das eigentlich gar kein richtiges Tor ist, sondern sich eher wie eine Ziehharmonika auseinander- und zusammenzieht! Und der Mann, der die ganze Macht über dieses edle Gerät besitzt, befindet sich in einem kleinen Empfangshäuschen dahinter. Ich nicke ihn immer freundlich an wenn er mir das Tor aufmacht, so dass ich sicher gehen kann, dass er es auch beim nächsten Mal so schnell öffnet. Denn manchmal macht er Siesta und dann bleibt einem der Weg in die Schule vorerst versperrt. Hier endet dann auch das humoristische Getue vor dem Unterricht, denn ab hier bin ich Lehrer. Ich fühle mich zwar nicht wie einer, habe auch nicht einmal ansatzweise die pädagogische Ausbildung genossen, werde aber dennoch ganz klar als einer angesehen. Hier habe ich mein eigenes Büro, das International Department, das vorher wie die Besenkammer von Harry Potter aussah und jetzt, durch die tatkräftige Unterstützung des Einsatz-in-vier-Wänden-Team´s, in neuem Glanz erstrahlt.

 

 

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Ihr könnt euch das wahrscheinlich jetzt schwer vorstellen, aber ich unterrichte tatsächlich Deutsch in der achten und neunten Klasse der Wuhan Changqing Nummer 1 Mittelschule. Ich trete also sieben Mal in der Woche vor eine 56-Mann starke Klasse und erkläre Sachen wie Präpositionen, Artikel und anderen üblichen fachspezifischen Kram. Dabei muss ich sehr viel auf das Englische Vokabular zurückgreifen und vor allem sehr langsam sprechen. Vielleicht zahlt es sich auch gerade hier aus, dass ich während der Gymnasialzeit den Unterricht des Darstellenden Spiels besucht habe. Denn im Grunde muss man ein kleiner Schauspieler sein, der keine Scheu davor haben darf, pantomimisch und mit sehr viel Einsatz von Mimik und Gestik den Schülern das nahe zu bringen, was sie am Ende des Tages erlernen sollen. Es kommt vor allem darauf an, dass ich es da vorn schaffe in den Köpfen der Schüler ein Bild zu konstruieren, welches sie mit dem theoretischen Material verknüpfen können, um sich bestimmte deutsche Wörter einzuprägen. So habe ich zum Beispiel bei der Einführung der Präpositionen einen Stuhl verwendet um zum Beispiel „an“, „über“ und „unter“ vorzustellen!

Die Klassenräume sind übrigens sehr klein und besitzen nur das Nötigste. Ich würde schon fast von Luxus sprechen, wenn ich an die Tische und Stühle denke, welche unsere deutschen Schüler zur Verfügung gestellt bekommen. Denn die Tische und Stühle hier sind aus einfachem Holz und so langsam in die Jahre gekommen. Ist in Deutschland ein Schüler von der Körperkonstitution seinen Mitschülern schon etwas voraus, so bekommt er zum Beispiel einen kleineren Stuhl oder größeren Tisch. Hier ist das nicht so. Die chinesischen Schüler wechseln auch nie ihren Klassenraum, denn das ist die Aufgabe des Lehrers. Er kommt zur Klasse und nicht andersherum. So könnt ihr euch sicher vorstellen wie wichtig es ist, einen angenehmen Platz in der Klasse zu haben, auf dem man einen langen Schultag, der machmal von 07:40 Uhr bis 20:00 Uhr andauert, aushalten kann.

 

 

 

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Ich kann an dieser Stelle nur immer wieder betonen, dass wir Schüler in Deutschland mit dem was wir haben, sehr zufrieden sein können. Deshalb hört auf unter die Bänke Kaugummis zu kleben oder in langweiligen Stunden diese zu bemalen. Denn wenn ihr euch umschaut, dann lernt ihr euren Arbeits- und Schulplatz zu schätzen. Gleichermaßen bedeutet das nicht, dass die chinesischen Schüler in ihren Schulen keinen hohen Standard haben, oder mit ihren Klassenräumen, Schulzeiten oder Pausen unzufrieden sind. Im Gegenteil! Ich habe noch nie zuvor so viele Schüler gesehen, die trotz eines so straffen Zeitplans und Leistungsdrucks immer ein Lächeln auf den Lippen haben!

Die stärkste Gruppe ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied! Und genau darauf kommt es hier in China, als auch in Deutschland an. Nämlich das man untereinander zusammenhält und zusammen stärker wird.

Mit diesen neuen Eindrücken verabschiede ich mich für heute und sende Euch die besten Grüße aus Wuhan!

Euer Darius

P.S. Ich werde in den nächsten Wochen einige Ausschnitte aus dem Unterricht auf YouTube vorstellen, so dass ihr euch ein besseres Bild davon machen könnt!

 

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