Manchmal weiß man gar nicht so recht, wie man den nächsten Eintrag anfangen soll zu schreiben. Dabei erweist es sich immer als gute Alternative, die letzten Tage im Kopf durchzugehen und das bewegendste Ereignis aufzuschnappen und hier festzuhalten. Als ich gestern bei tropischen 32 Grad in mein Wohnviertel abgebogen bin, habe ich mich sehr darüber gewundert, weshalb so viele bunte Kränze und gebastelte Sachen auf der Straße vor meinem Apartment lagen. Heute, exakt um 04:30 Uhr, sollte ich dann die Antwort auf diese Frage bekommen. Erst dachte ich, es sei ein schlechter Scherz, dass jemand zu dieser unmenschlichen Zeit anfängt lautstark Trompete zu spielen. Als dieser Einzelne dann noch von einem Saxophon und einem kleinen Schlagzeug begleitet wurde, war es vorbei mit der Nachtruhe, denn das Trio hatte sich nun eingespielt. Das was sie da spielten, hatte nichts mit Mozarts „Kleiner Nachtmusik“ zu tun, sondern erinnerte eher an eine freie Interpretation, der sonst so typischen chinesischen Klänge, die traditionell auf einem Gu Zheng gespielt werden. Sie erweisen den Verstorbenen die letzte Ehre und begleiten sie auf ihrem weiteren Weg. In Deutschland würde man nun vermutlich die angeklappten Fenster zu machen und auf den Schallschutz, der mehrfach ausgezeichneten Velux-Fenster, vertrauen. Das sind die deutschen Fenster, mit denen man auch Nächte neben vielbefahrenenen Straßen aushalten könnte. Doch bei den Chinesischen macht es keinen Unterschied, ob diese geschlossen oder geöffnet sind, es ist gleich laut. So war also die Nacht für mich um 04:30 Uhr zu Ende und deshalb beschloss ich, mir das Ganze mal aus nächster Nähe anzuschauen. Für gelungene Fotoaufnahmen war es leider dennoch zu dunkel. Trotzdem habe ich ein paar schöne Audiomitschnitte einfangen können, die ich euch nicht vorenthalten will.
So schnell wie das Trio angefangen hatte zu spielen, so schnell ist der Tag dann auch angebrochen. Vielleicht kennt ihr das. Ihr seid so stark in eurem Alltagsrhythmus involviert, so dass ihr bestimmte Sachen ganz automatisch macht und erst Sekunden später realisiert, dass diese gar nicht funktionieren. Ich gehe also ins Bad, mache den Lichtschalter an, daraufhin wird es nicht heller, ich stelle mich vor den Spiegel und will so eben zur Zahnbürste greifen, doch irgendwas ist hier zu dunkel. In meinem Automatismus habe ich nicht gemerkt, dass das Licht gar nicht angegangen ist. Richtig, dass ist ein chinesischer Stromausfall! So ist es also ganz normal, dass man sich morgens mit chinesischen Elektrikern kurzschließen muss, die kein Wort Englisch sprechen, es aber auf irgendeine Art und Weise dennoch alles funktioniert und ich es pünktlich zu meinem Unterricht schaffe.
Beim Lesen hört sich das vielleicht alles gar nicht so dramatisch an, aber oftmals ist es so, dass mich solche Momente, bei denen ich zuvor eine kurze Nacht hatte, ich unter enormem Zeitdruck stehe, oder der Strom mal wieder nicht funktioniert und die nicht deutschsprachigen Elektriker kontaktiert werden müssen, enorm mitnehmen. Man fragt sich dann auf einmal was man hier eigentlich macht und warum einem niemand direkt hilft. Aber für all diese Fragen gibt es dann immer eine ziemlich schnelle und plausible Antwort: „Es ist China!“ Und mit diesem kurzen Satz kann man sich oftmals nicht abfinden. Geht es mir in diesem Moment gerade noch schlecht, so kommt schon der Nächste und nimmt mich wie eine Thermikblase ganz weit nach oben. So war es gestern das erste Mal, dass mich die Musik mit einer mir fremden Kultur und deren Menschen verbunden hat. Obwohl ich in Deutschland jahrelang Klavier gespielt habe, einige Sachen im Orchester mit vielen jungen Leuten zusammen ausprobieren konnte und alle immer davon gesprochen haben, dass die Musik verbindet, habe ich persönlich diese Verbindung in meiner Heimat nie gespürt. Doch hier reicht ein Tag aus. Ein einzelner Tag, an dem ich wie gewohnt in die Schule komme und von dem feinsten Klavierkonzert begrüßt werde, dass sich mir vorher so noch nie geboten hat. Doch sitzt dort kein Beethoven, oder Bach am Flügel in der großen Eingangshalle, sondern ein Sechstklässler, der mit den Tasten so vertraut ist, als hätte er sein ganzes Leben lang nichts anderes getan. Dieser Junge, der hier in China aufgewachsen ist, für den Mozart, Vivaldi oder Bach weit entfernte Größen sind, vermittelt mir in seinen jungen Jahren mehr Klassik und Musikgeschichte, als sie mir jemals in meiner Heimat nahegelegt werden konnten. Das ich diesen Moment als so herausragend empfand und gleichermaßen hier jetzt so beschreibe, liegt wohl ganz einfach daran, dass ich erst durch ihn gelernt habe, dass Musik wirklich verbindet. Und zwar jeden einzelnen von uns! Egal welcher Nationalität, Sprache oder Hautfarbe. In diesem einen Moment haben wir uns ohne Worte verstanden, weil die Musik für uns auf einer gleichen Ebene gesprochen hat. Für diesen kurzen Augenblick habe ich mich nicht mehr als ein Fremder gefühlt, der das Land nicht kennt und die Sprache nicht spricht. Im Gegenteil, jetzt konnte ich einer von ihnen sein und zusammen mit ihnen musizieren.
So sende ich euch jetzt die allerbesten Grüße aus Wuhan!
Euer Darius
P.S. Das erste Unterrichtsvideo ist online! Ihr findet es hier: https://www.youtube.com/watch?v=e5Bd8XVCKWs&feature=youtu.be







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