Sechs Monate – Ein Menschenleben

Etwas aufregendes tun. In ferne Länder schweifen und einen Prozess anschieben, der in vielerlei Hinsicht von Nutzen sein kann. Eine bisher fremde Kultur entdecken. Neue inspirierende Menschen und ihre Geschichten kennenlernen oder einfach mal das wagen, was nicht jeder macht.

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So ziemlich genau das hätte ich von mir gegeben, wenn mich jemand vor sechs Monaten gefragt hätte, was ich so am liebsten machen würde. Ich wurde nicht gefragt. Ich habe mich einfach beworben und gelandet bin ich hier, in China. Ein Land, das weit aus mehr ist als nur ein Google-Ergebnis, welches es als Großmacht bezeichnet. Gesehen und erlebt habe ich inzwischen einiges, so dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um meine Erlebnisse im Reich der Mitte Revue passieren zu lassen.

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Ihr erinnert euch sicher noch an Peking. An meine Erfahrungen in der U-Bahn, die mit einer finnischen Sauna gleichzusetzen war.  An die großartige, chinesische Mauer und den Sommerpalast, der mich bis heute begeistert hat. Peking hat mich geformt und auf das vorbereitet, was mich in den kommenden Monaten erwarten sollte.

So könnte ich nun jeden einzelnen Punkt anführen, der hier in meiner Historie liegt. Doch steht das alles schon ausführlich auf dieser Seite.

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Es hat eine Wandlung stattgefunden. Eine Wandlung, mit der ich so vorher nie gerechnet hätte. Ich habe ehrlich gesagt nichts erwartet, als ich in dieses Land gekommen bin. Dass es hier chinesische Tempel, Nudeln und Reis gibt, dass war mir klar. Damit hatte ich gerechnet. Darauf war ich vorbereitet, aber dass ich mich in meiner Person auch ändern könnte, dass war mir vorher nicht bewusst. Es ist, als ob ich jahrelang durch eine schmutzige Brille geschaut hätte, bei der mir das Putztuch immer wieder abhanden gekommen ist.

 

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Ich habe eingesehen, dass die Probleme, die ich in Deutschland hatte, Luxusprobleme waren. Nicht nur mir geht es so. Ich höre sie jeden Tag! Mal beklagt sich der Eine über den fehlenden Senf auf seinem Brötchen und ein andermal beklagt sich der Andere über die Verspätung seines ICE´s.

 

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Hier fahre ich jeden Abend, inzwischen mit einem dicken Schal, einer dicken Mütze und wärmenden Handschuhen, an einer kleinen Straßen vorbei und schaue um mich. Es liegt ein kleiner, zerrütteter Mann unter einer Treppe, die ihm Schutz bietet. Sein Körper liegt auf einer Schaumstoffmatratze. Die wärmende Decke über ihm. Daneben seine Gehhilfe, ein Metallbecher und ein Pappschild.

 

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Die wohl eindrucksvollste Woche liegt hinter mir. Ich hatte die Gelegenheit eine Stadt zu sehen, die viele nur aus Erzählungen oder dem Fernsehen kennen. Die beleuchtete Skyline vor dem Fluss. Die wunderschönen Wolkenkratzer in ihren unterschiedlichsten Formen und eben diese Stadt: Shanghai!  Allen Chinareisenden empfehle ich einen Ausflug dorthin. Es wird ein Kontrastprogramm sein. Ein Programm, das gar nicht so ist, wie man sich China vielleicht ausmalt. International, lebendig und abwechslungsreich – Shanghai. Vielleicht vermisst der Ein oder Andere die typischen, chinesischen Straßen, wo es aus kleinen Lokalen dampft. Vereinzelt wird man sie finden, aber sollte man sich hier auf die Moderne beschränken. Erst einmal am BUND angekommen, eröffnet sich ein weiter Blick über den Fluss. Dahinter türmen sich Gebäude, die bis in den späten Abend in hellen Lichtern bis auf die Mitte des Flusses glänzen. So hat man jeden Abend die Möglichkeit bis 10:00 PM dieses Spektakel zu bestaunen, denn danach werden die Lichter abgestellt und der Glanz erlischt. Das man mir das Fliegen hier in China nicht ersetzen kann war mir klar. Aber als ich im 98. Stock des Hyatt Park Hotels stand und auf die beleuchtete Stadt schaute, wie sie dort im Miniaturformat unter mir lag, war es fast wieder das alte Gefühl vom Fliegen, das in mir aufflammte.

 

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Dass ist doch toll, oder? Und nun werde ich gefragt, wie die Chinesen Weihnachten feiern! In Shanghai ganz sicher westlich pompös. In Wuhan eher schlicht und einfach, oder vielleicht auch gar nicht, weil es an Internationalität fehlt und das Fest der Liebe meistens in den chinesischen Frühjahrsferien im Februar nachgeholt wird. Oder fragen wir den kleinen, alten Mann, der schutzsuchend unter der Treppe die Wintermonate überstehen muss.

 

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Kontroverser und überspitzer hätte der Kontrast zwischen meinen Begegnungen in den letzten paar Monaten nicht sein können. Beijing, Qingdao, Wuhan, Shanghai und letztlich China sind meine Stationen gewesen. An jedem Gleis traf ich andere Leute, andere Geschichten und machte andere Bilder. Jetzt liegt es an mir, welches Bild ich behalte.

Das ist meine Revuevorstellung. Ungeschönt und wahr. Es gibt hier beides – genau so wie überall in der Welt. Wir bestimmen was wir sehen wollen und was wir überhören. Ich wollte es jahrelang nicht sehen und habe lieber Musik gehört.

 

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Trotzdem werde ich das nächste Mal noch einmal ausführlich auf das Weihnachtsprogramm, Shanghai und das Zwischenseminar eingehen, die eine oder andere Erfahrung präsentieren und natürlich wie gewohnt euch mit vielen Bildern auf dem laufenden halten.

Ihr Lieben – Ich wünsche euch eine schöne Vorweihnachtszeit! Bleibt gesund und munter!

Mit den besten Grüßen aus China – Euer Darius

 

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Vom Musik-Trio zu Beethoven, Bach und Mozart

Manchmal weiß man gar nicht so recht, wie man den nächsten Eintrag anfangen soll zu schreiben. Dabei erweist es sich immer als gute Alternative, die letzten Tage im Kopf durchzugehen und das bewegendste Ereignis aufzuschnappen und hier festzuhalten. Als ich gestern bei tropischen 32 Grad in mein Wohnviertel abgebogen bin, habe ich mich sehr darüber gewundert, weshalb so viele bunte Kränze und gebastelte Sachen auf der Straße vor meinem Apartment lagen. Heute, exakt um 04:30 Uhr, sollte ich dann die Antwort auf diese Frage bekommen. Erst dachte ich, es sei ein schlechter Scherz, dass jemand zu dieser unmenschlichen Zeit anfängt lautstark Trompete zu spielen. Als dieser Einzelne dann noch von einem Saxophon und einem kleinen Schlagzeug begleitet wurde, war es vorbei mit der Nachtruhe, denn das Trio hatte sich nun eingespielt. Das was sie da spielten, hatte nichts mit Mozarts „Kleiner Nachtmusik“ zu tun, sondern erinnerte eher an eine freie Interpretation, der sonst so typischen chinesischen Klänge, die traditionell auf einem Gu Zheng gespielt werden. Sie erweisen den Verstorbenen die letzte Ehre und begleiten sie auf ihrem weiteren Weg. In Deutschland würde man nun vermutlich die angeklappten Fenster zu machen und auf den Schallschutz, der mehrfach ausgezeichneten Velux-Fenster, vertrauen. Das sind die deutschen Fenster, mit denen man auch Nächte neben vielbefahrenenen Straßen aushalten könnte. Doch bei den Chinesischen macht es keinen Unterschied, ob diese geschlossen oder geöffnet sind, es ist gleich laut. So war also die Nacht für mich um 04:30 Uhr zu Ende und deshalb beschloss ich, mir das Ganze mal aus nächster Nähe anzuschauen. Für gelungene Fotoaufnahmen war es leider dennoch zu dunkel. Trotzdem habe ich ein paar schöne Audiomitschnitte einfangen können, die ich euch nicht vorenthalten will.

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So schnell wie das Trio angefangen hatte zu spielen, so schnell ist der Tag dann auch angebrochen. Vielleicht kennt ihr das. Ihr seid so stark in eurem Alltagsrhythmus involviert, so dass ihr bestimmte Sachen ganz automatisch macht und erst Sekunden später realisiert, dass diese gar nicht funktionieren. Ich gehe also ins Bad, mache den Lichtschalter an, daraufhin wird es nicht heller, ich stelle mich vor den Spiegel und will so eben zur Zahnbürste greifen, doch irgendwas ist hier zu dunkel. In meinem Automatismus habe ich nicht gemerkt, dass das Licht gar nicht angegangen ist. Richtig, dass ist ein chinesischer Stromausfall! So ist es also ganz normal, dass man sich morgens mit chinesischen Elektrikern kurzschließen muss, die kein Wort Englisch sprechen, es aber auf irgendeine Art und Weise dennoch alles funktioniert und ich es pünktlich zu meinem Unterricht schaffe.

 

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Beim Lesen hört sich das vielleicht alles gar nicht so dramatisch an, aber oftmals ist es so, dass mich solche Momente, bei denen ich zuvor eine kurze Nacht hatte, ich unter enormem Zeitdruck stehe, oder der Strom mal wieder nicht funktioniert und die nicht deutschsprachigen Elektriker kontaktiert werden müssen, enorm mitnehmen. Man fragt sich dann auf einmal was man hier eigentlich macht und warum einem niemand direkt hilft. Aber für all diese Fragen gibt es dann immer eine ziemlich schnelle und plausible Antwort: „Es ist China!“ Und mit diesem kurzen Satz kann man sich oftmals nicht abfinden. Geht es mir in diesem Moment gerade noch schlecht, so kommt schon der Nächste und nimmt mich wie eine Thermikblase ganz weit nach oben. So war es gestern das erste Mal, dass mich die Musik mit einer mir fremden Kultur und deren Menschen verbunden hat. Obwohl ich in Deutschland jahrelang Klavier gespielt habe, einige Sachen im Orchester mit vielen jungen Leuten zusammen ausprobieren konnte und alle immer davon gesprochen haben, dass die Musik verbindet, habe ich persönlich diese Verbindung in meiner Heimat nie gespürt. Doch hier reicht ein Tag aus. Ein einzelner Tag, an dem ich wie gewohnt in die Schule komme und von dem feinsten Klavierkonzert begrüßt werde, dass sich mir vorher so noch nie geboten hat. Doch sitzt dort kein Beethoven, oder Bach am Flügel in der großen Eingangshalle, sondern ein Sechstklässler, der mit den Tasten so vertraut ist, als hätte er sein ganzes Leben lang nichts anderes getan. Dieser Junge, der hier in China aufgewachsen ist, für den Mozart, Vivaldi oder Bach weit entfernte Größen sind, vermittelt mir in seinen jungen Jahren mehr Klassik und Musikgeschichte, als sie mir jemals in meiner Heimat nahegelegt werden konnten. Das ich diesen Moment als so herausragend empfand und gleichermaßen hier jetzt so beschreibe, liegt wohl ganz einfach daran, dass ich erst durch ihn gelernt habe, dass Musik wirklich verbindet. Und zwar jeden einzelnen von uns! Egal welcher Nationalität, Sprache oder Hautfarbe. In diesem einen Moment haben wir uns ohne Worte verstanden, weil die Musik für uns auf einer gleichen Ebene gesprochen hat. Für diesen kurzen Augenblick habe ich mich nicht mehr als ein Fremder gefühlt, der das Land nicht kennt und die Sprache nicht spricht. Im Gegenteil, jetzt konnte ich einer von ihnen sein und zusammen mit ihnen musizieren.

So sende ich euch jetzt die allerbesten Grüße aus Wuhan!

Euer Darius

P.S. Das erste Unterrichtsvideo ist online! Ihr findet es hier: https://www.youtube.com/watch?v=e5Bd8XVCKWs&feature=youtu.be

 

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