Es fiel mir ganz schön schwer, sechs Monate in zwei Koffer zu packen. Genau so schwer fällt es mir jetzt, die richtigen Worte für diese bewegte Zeit zu finden. Ich habe viel gesehen, viel erlebt und vor Problemen gestanden, die wir hierzulande so nicht kennen. Es ist eine andere Welt, in die ich für ein halbes Jahr eintauchen durfte. Das hört sich erst einmal nicht so lang an, doch ist es weitaus komplexer als nur ein einfacher Touristenbesuch, der das Standardprogramm von Sehenswürdigkeiten, antiker Kunst und Zeitgeschichte aufweist. China ist mehr als das Land, das wir in unseren Köpfen formen und dem wir abendlich im Fernsehen auf Arte und 3sat unsere Aufmerksamkeit schenken, wenn mal wieder über traditionelle chinesische Tempelanlagen oder die Terrakotta-Armee berichtet wird. Dass H&M, Primark und Co billig in diesem Land ihre Kleidung produzieren und wir dann am Ende einen Bikini oder eine Badehose mit der Aufschrift Made in China kaufen, macht es uns auch nicht vertrauter. So entsteht ein Bild, das malerisch vollendet doch perspektivisch eingeschränkt scheint. Nicht auf die mediale Unterstützung zu vertrauen, sondern sich selbst ein Bild davon zu machen, dazu haben einige junge Leute die Chance, nutzen diese jedoch nicht und andere haben nicht die Mittel, würden es aber gerne tun. Umso dankbarer bin ich, dass ich in ein fernes Land schweifen, eine mir bisher fremde Kultur entdecken und neue inspirierende Menschen kennenlernen durfte, um mein Abendprogramm im Fernsehen selbst zu bestimmen. Wenn die Sommermonate wieder anbrechen, die Folienkartoffeln in die heiße Glut gelegt werden und der Knüppelteig über dem Feuer hängt, dann werde ich mich zurückerinnern an die großartige chinesische Mauer und den Sommerpalast, der mich bis heute begeistert. Aber auch an Qingdao, das kleine Italien an Chinas Westküste und an Wuhan, dass wohl zu meiner zweiten Heimat geworden ist. So werde ich dort sitzen und dann wird mich das Gefühl einholen, dass eine Wandlung stattgefunden hat. Eine Wandlung, mit der ich so vorher nicht gerechnet hätte. Es ist, als hätte ich jahrelang durch eine schmutzige Brille geschaut, bei der mir das Putztuch immer wieder abhanden gekommen war. Die Probleme, mit denen wir uns hierzulande manchmal umgeben, sind keine. Zumindest keine schwerwiegenden – es sind Luxusprobleme. Verspätete ICE´s, das nie endende Werk der Elbphilharmonie oder der immer älter werdende, aber trotzdem nicht eröffnete, Hauptstadtflughafen BER. In China fahre ich jeden Abend, inzwischen mit einem dicken Schal, einer dicken Mütze und wärmenden Handschuhen, an einer kleinen Straße vorbei und schaue um mich. Es liegt ein kleiner, zerrütteter Mann unter einer Treppe, die ihm Schutz bietet. Sein Körper liegt auf einer Schaumstoffmatratze. Die wärmende Decke über ihm. Daneben seine Gehhilfe, ein Metallbecher und ein Pappschild. Dieser Mann hat ein Problem, denn er weiß nicht, ob er die Nacht bei diesen eisigen Temperaturen überstehen wird. Dieses Szenario ist weit in der Welt verbreitet, doch geht es uns hier in Europa eigentlich ganz gut, oder? Das ist meine Revuevorstellung. Ungeschönt und wahr. Es gibt hier beides – genau so wie überall in der Welt. Wir bestimmen, was wir sehen wollen und was wir überhören. Und wenn mich dann eines Tages doch jemand danach fragt, wie China für mich eigentlich war, dann würde ich ihn fragen, ob er etwas Zeit mitgebracht hat, denn diese Antwort ist nun aus unterschiedlichen Perspektiven komplex. Die Zeit ist abschließend auch noch einmal ein gutes Stichwort. William Somerset Maugham hat einmal gesagt, dass die Zukunft etwas ist, das die meisten Menschen erst lieben, wenn es Vergangenheit geworden ist. Jeden Moment zu leben, für etwas Zeit zu haben und sich auf eine Sache vollständig konzentrieren zu können, dass habe ich während dieser Zeit auch schätzen gelernt. Kontroverser und überspitzer hätte der Kontrast zwischen meinen Begegnungen in den letzten paar Monaten nicht sein können. Ich habe die Menschen getroffen, die in den Sweatshops an den Nähmaschinen sitzen und deren Lohn der Grund dafür ist, weshalb wir uns für 9,90 Euro ein T-Shirt kaufen können. Genau so sind mir Menschen begegnet, die schon alles in ihrem Leben erreicht haben. Letztlich sind Beijing, Qingdao, Wuhan und Shanghai meine Stationen im Reich der Mitte gewesen. An jedem Gleis traf ich andere Leute, andere Geschichten, machte andere Bilder. Jetzt liegt es an mir, welches Bild ich behalte.
Jetzt gilt es in Deutschland anzukommen, die Perspektive zu wechseln und nach vorn zu blicken. Ich freue mich auf das Kommende, blicke aber auch mit voller Freude auf das letzte Jahr zurück.
Dieser Blog wird erhalten bleiben und vielleicht auch eines Tages fortgesetzt, wenn ich dahin zurückkehre wo alles angefangen hat.
Ein letztes Mal liebe Freunde,
gehabt euch wohl und bis bald!
Euer Darius







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