Von der Weinverkostung zum Fahnenappell

Es ist jetzt 06:45 Uhr! Eigentlich eine humane Zeit um aufzustehen, alle Befindlichkeiten, die im Bad anstehen, zu erledigen, einen Caro-Kaffee aufzukochen und die Tagesschau-App in voller Funktion zu nutzen, um das aktuelle Weltgeschehen zu verfolgen. Wie ich schon sagte: Eigentlich! Denn gestern Abend war ich zum Essen bei einer Englisch-Lehrerin meiner Schule eingeladen.  Eigentlich sah der Plan für die Abendgestaltung vorher ganz anders aus. Wir wollten kochen und nicht zum Kochen eingeladen werden. So kam es also dazu, dass wir selbst gemachte, chinesische Gerichte mit einem guten Tropfen Wein genießen durften. Auf den Wein werde ich gleich noch einmal zu sprechen kommen, denn in allem Überfluss ist er wohl der Auslöser, weshalb das vermeintliche frühe Aufstehen auf einmal gar nicht mehr so leicht war.

Nun denn! Die Variationen des Essens reichten von Barsch in feuriger Soja-Soße bis zu Rind mit würzigem Gemüse. Alles in allem sehr lecker, oder wie der Fachmann sagen würde: „Ausgesprochen delikat!“ Für einen Michelin-Stern hätte es vielleicht nicht ganz gereicht, das lag aber weniger an dem tollen Essen, sondern viel mehr daran, dass mit jedem neuen „Cheers“, „Salute“, „Prost“ oder auch „Sui Yi“ die Geschmacksknospen mehr und mehr betäubt wurden. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass ich den Wein ausgesucht hatte. Ich machte mir sogar noch Sorgen, dass der Wein nicht reichen würde. Diese Sorgen warf ich dann allerdings schleunigst über Bord, als mir die Gastgeberin erzählte, dass sie eine leidenschaftliche Winzerin sei und selbstverständlich die verschiedensten Variationen an Weinen vorrätig hätte. Ich rechnete mit einem Korb voller Wein, doch anstatt eines Korbes brachte sie zwei neue Weinflaschen. Daraufhin sah ich mich schon Salsa tanzen, oder vielmehr am Klavier sitzen, um sie beim Tanzen zu begleiten. Die Wohnung hatte nämlich neben einer kleinen Küche, einem Wohnzimmer und Schlafzimmer auch ein kleines Klavier vorzuweisen. Um aus dieser Nummer also wieder raus zu kommen, sollte man sich nicht beirren lassen, sondern einfach darauf verweisen, dass man schon genug getrunken habe.

Ja, so einfach ist das manchmal, aber meistens, ihr kennt das wahrscheinlich auch,  hat man viel zu sehr Angst oder Scheu davor, den Anderen zurückzuweisen, weil man eben nicht unhöflich wirken will und genau weiß, wie viel Mühe sich der Gegenüber damit gemacht hat. Solltet ihr also mal hier in China zu einem selbstgemachten Essen eingeladen werden, so scheut euch nicht davor nein zu sagen, denn auch hier werden sie es verstehen. Nachdem der letzte Tropfen Wein getrunken, das letzte Rind gegessen und die letzte Gräte des Fisches gezupft worden war, neigte sich der Abend dem Ende zu. Natürlich haben wir auch Bilder gemacht, dieses hier zum Beispiel.


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Jetzt ist es schon 07:00 Uhr und ich muss mich so langsam beeilen. Normalerweise beginnt mein Unterricht gegen 08:15 Uhr oder 9:00 Uhr, aber heute ist Fahnenappell. Ungefähr 6000 Schüler versammeln sich in weißer Schuluniform und rotem Halstuch pünktlich um 07:40 Uhr auf dem Sportplatz, direkt vor dem Podium und dem Fahnenmast. Die Lehrer sind von diesem militärisch anmutenden Ereignis übrigens nicht ausgeschlossen. Sie stehen genauso in Reihe und Glied wie es die versammelte Schülerschaft tun muss. Viele Reden werden gehalten, währenddessen im Hintergrund Lang Lang, so hört es sich zumindest an, Klavieretüden in Dauerschleife vorspielt. Ein Redner wechselt den Anderen ab, so geht es gefühlte drei Stunden mit dem immer wiederkehrenden Thema. Doch plötzlich stehen alle Schüler kerzengerade und halten ihre rechte Hand ausgestreckt vor das Gesicht. Das ist das Signal. Jetzt kann die Flagge langsam und in vorsichtigen Zügen gehisst werden.

 

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Das alles mag vielleicht fremd und streng militärisch klingen, doch ist es ein ganz normaler Wochenanfang in vielen Schulen Chinas. Es ist nicht befremdlich. Im Gegenteil, durch die Einheitlichkeit und das Stehen in der Truppe, Pardon Gruppe, fühlt man sich zugehörig und als Teil von etwas Großem. Auf den ersten Blick kann man sich nicht richtig damit identifizieren, doch probiert man es, so wird man es vielleicht auch mögen lernen.

Ich trete dem Ganzen jeden Tag aufgeschlossen gegenüber, freue mich auf die Schüler und meine Kollegen. Im Grunde ist Deutschland und speziell das deutsche Schulsystem komplett anders, wie ihr euch vielleicht schon gedacht habt.

Doch die Menschen sind nicht grundverschieden, denn Menschen sind keine Bäume. Bäume haben Wurzeln und Menschen haben Beine!

In diesem Sinne verabschiede ich mich für heute von euch! Das nächste Mal geht es um meine Wohnung, die schöne Stadt Wuhan und über mein Lehrerdasein! Ihr dürft euch freuen. Und Bilder folgen natürlich!

 

Die Besten Grüße aus Wuhan

 

Darius

P.S. Ich mache oft kleine Filmsequenzen, um später mit meinen Schülern ein Filmprojekt zu starten und evtl. künftigen Freiwilligen die Sicht auf China schmackhafter zu machen. Ein kleines Promotion-Video zu China habe ich schon erstellt! Vielleicht schaut ihr euch mal den Link bei YouTube an: https://www.youtube.com/watch?v=FLeuWv_4a9g&feature=youtu.be

The Moving-Kids

4 responses to “Von der Weinverkostung zum Fahnenappell

  1. @Jonas: Ich werde dir auf jeden Fall alles zeigen! Ich freue mich schon, wenn wir wieder in unserer Runde sitzen und gemeinsam alle Bilder/Videos anschauen können.

    Bis Bald! 🙂

  2. Tobias

    Ich hätte eigentlich gedacht, dass mich nichts mehr so wirklich überraschen könnte. Der Smog, die überfüllten U-Bahnen, hat man ja alles schon mal gehört. Aber das ganze, vor allem die Art ( an der Stelle großes Lob an deine wunderbare Schreibweise) wie du deine Erlebnisse schilderst, hat mich mitgerissen und erstaunt! 🙂
    Auch das Video – Top!

    • @Tobi: Vielen Dank für das große Lob! Genau dafür schreibe ich diesen Blog, dass du und auch die Anderen miterleben, was ich erlebe.

      Ich freue mich auf dich!

      Bis bald! 🙂

  3. Oh man von diesem Fahnenapellzeugs hab ich schonmal gehört, klingt immernoch befremdlich 😀
    Aber sowas mal mit zu erleben ist bestimmt ne krasse Sache vorallem wenn das mal bei ner noch größeren Einrichtung gemacht wird.

    Und den neuen Film zeigst du mir ja dann bestimmt auch (;

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