‚Nicas‘
Auch mit Menschen aus Nicaragua hatte ich meine ersten Begegnungen.
Costa Rica ist, wie auch Deutschland, ein Einwanderungsland. Besonders Nicaraguaner, Jamaikaner und Kolumbianer kommen hier gerne hin, wobei die Nicaraguaner ganz eindeutig an der Spitze stehen und von den Ticos (den Costaricanern) gerne fuer den Anstieg der Kriminalitaet im Land verantwortlich gemacht werden. Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen, aber der Durchschnitt von ihnen ist auf jeden Fall um einiges aermer als der Durchschnitt der Ticos.
So sind die meisten Hausangestellten hier aus Nicaragua – auch das Maedchen, dass einmal die Woche kommt, um meiner Gastmutter zu helfen. Ich weiss nicht, wie alt sie ist, aber auf mich wirkt sie auf keinen Fall aelter als ich. Sie lebt mit anderen Nicaraguanern in einer speziellen Siedlung, die fuer die Arbeiter einer Kaffeeplantage kostenlos zur Verfuegung gestellt wird und war mir gegenueber relativ schuechtern, was vielleicht daran liegt, dass sie so ein Verhalten wie meines von Weissen nicht gewohnt ist.
Fuer mich hingegen war es schwer zu ertragen, dass sie nicht mit meiner Gastmutter und mir am Tisch essen durfte. Ich hatte selbstverstaendlich Besteck fuer drei Leute auf den Tisch im Esszimmer gelegt und hielt es fuer normal, dass sie mit uns isst, wenn sie schonmal da ist und Essen bekommt. Meine Gastmutter stellte ihr aber das Essen auf den Kuechentisch, auf dem sie gerade buegelte und als ich vom Haendewaschen kam, sass sie dort alleine und ass, waehrend meine Gastmutter und ich im Wohnzimmer assen. Alles, was ich fuer den Moment tun konnte, war, ihr einen guten Appetit zu wuenschen, was aber nichts daran aenderte, dass ich mich unheimlich arrogant und unwohl fuehlte.
Fuer die Leute hier mag das normal sein und wahrscheinlich werde und eventuell sollte ich daran auch nichts aendern, aber gewoehnen werde ich mich bestimmt nicht daran.
Meine zweite Begegnung war blutigerer Art. Wir kamen gerade aus San Jose und hielten an einer Tankstelle um zu tanken, als ein junger Mann ohne Hemd und in zerrissener Jeans schleppenden Ganges ueber die Autobahn kam. Auf der anderen Seite war eine Blechbarrackensiedlung Nicaraguanischer Einwanderer, die nicht so aussah, als ob sie fliessendes Wasser haette. Er setzte sich kurz auf den Bordstein um zu verschnaufen und ging dann zum Wasserhahn um sich zu waschen. Er sah wirklich ein wenig fertig und verschmiert aus.
Als er fertig war, begann er, sich auf den Rueckweg in die Wellblechsiedlung zu machen, stoppte aber aus irgend einem Grund in der Mitte der Autobahn, drehte um, hob noch schnell etwas auf und rannte zurueck auf die Tankstelle zu. In unserem Auto waren die Fenster auf, ich sass vorne und mein Gastvater war gerade bezahlen. Hinten fingen meine Gastmutter und -tante an, Angst zu bekommen und riefen nach meinem Gastvater, waehrend ich versuchte, zumindest die Fenster zu schliessen. Denn auf der anderen Seite war mittlerweile ein zweiter Typ aufgetaucht, der nun mit einem Brett in der Hand ebenfalls auf die Tankstelle zusprintete. Er hatte ein rotes Tuch um den Kopf gebunden unter dem das Blut bis auf Brust und Ruecken lief und schien wild entschlossen, sein Brett zu benutzen.
Gerade als ich die Fenster geschlossen hatte, erreichten die beiden unser Auto und begannen, sich darum herum zu belauern. Der Erste hatte sich mittlerweile mit Tankstellenwerkzeug bewaffnet, was die Wut des anderen aber nicht gerade zu besaenftigen schien. Durch das Fenster konnte ich sehen, dass auch er Wunden an Schultern und Brust hatte.
Als sie einmal statt des Autos eine Zapfsaeule zwischen sich hatten, schluepfte mein Gastvater schnell ins Auto und von den beiden Damen im hinteren Teil des Wagens angefeuert brausten wir los. Daher kann ich euch leider nicht das Ende der Geschichte erzaehlen, obwohl es mich auch interessiert haette. Vielleicht wurde die Polizei gerufen, vielleicht ist sie daraufhin sogar auch gekommen und vielleicht hat sie etwas gemacht (die Menschen haben hier kein allzu grosses Vertrauen in sie) – vielleicht aber auch nicht.
Ich jedenfalls weiss dadurch und aus Erzaehlungen von weiteren Verwandten, dass die Ticos in solchen Situationen ein ausgepraegtes Fluchtverhalten an den Tag legen. Mit einer im Vergleich zu Deutschland schwachen Polizei und vielen Schusswaffen im Umlauf ist das aber vielleicht auch klueger als sich einzumischen …?
…und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
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