Vom Sommer in Bolivien und Straßenblockaden

Halli-hallo meine lieben Blogleser*innen! Lang ist der letzte Eintrag her und viel ist seitdem passiert…..

In den letzten Monaten bin ich durch viele Hochs und Tiefs gegangen, bin über mich selbst hinausgewachsen, hab Land und Leute noch intensiver kennengelernt und schlussendlich kann ich sagen: Ich habe mich ein klein wenig in Bolivien verliebt. Und während ich vor einem Monat kaum abwarten konnte, wieder in Deutschland zu sein, macht mich der Gedanke an meinen Rückflug heute traurig. Denn plötzlich ist meine Zeit in Bolivien schon fast zu Ende. In knapp 2 Wochen sitze ich wieder im Flugzeug auf dem Weg nach Deutschland und lasse alles, was ich in so schneller Zeit kennen und lieben gelernt habe, genauso schnell wieder los. Irgendwie verrückt, wie man durch Zufall an einen Ort geschickt wird und sich ein Leben aufbaut, um am Ende wieder in sein gewohntes Umfeld in Deutschland zurück zu fliegen und alles zurück zu lassen. Bevor es aber so weit ist, versuche ich hier nochmal meine schönsten, intensivsten und aufregendsten Momente aus den letzten Monaten festzuhalten.

Anfang Dezember haben die Sommerferien in Bolivien angefangen und auch ich nutzte die Gelegenheit, um Land und Leute näher kennenzulernen.

Irgendwie komisch, dass in Deutschland die Adventszeit anfing, während ich mit anderen Freiwilligen das Land bereiste. Denn während in Deutschland alles weiß verschneit war, wanderte ich schwitzend durch die Berge eines Nationalparks, verbrannte mir die Füße auf Sanddünen und fuhr gemeinsam mit meinen Eltern durch die menschenleere Natur des Salar de Uyuni. Nur die kitschige Weihnachtsbeleuchtung aus den Städten erinnerte mich daran, dass Weihnachten vor der Tür stand.

Man kann kaum beschreiben, wie unglaublich vielfältig Bolivien ist. Die Klimazonen und Landschaften ändern sich in diesem Land wie ich meine Socken. Von tropischen Regenwäldern mit stechenden 40 Grad über mediterrane Landschaften auf 2000 Metern über menschenleere Salzwüsten, bunte Lagunen und trockene Felslandschaften auf 4000 Metern Höhe. Auf einer Bolivien-Rundreise fühlst du dich, wie auf einer Reise durch 5 verschiedene Länder. Und ich glaube genau das fasziniert mich so an diesem Land.

Mit den anderen Freiwilligen fuhr ich nach Samaipata, einem kleinen Städtchen in der Nähe von Santa Cruz. Hier ging es für mich das erste mal ins Grüne, da ich sonst nur die Natur in einer Höhe von über 3000 Metern kennengelernt hatte und dort zwar Lamas und Alpakas leben, aber sonst nur Gestrüpp wächst. Samaipata wirkte auf mich wie eine kleine Freiheitsinsel. Hier leben super viele Europäer*innen, die ausgewandert sind. Irgendwie geht dadurch die typische bolivianische Kultur, wie man sie aus Oruro oder La Paz kennt, verloren, doch das Leben hier wirkte auf mich super friedlich und ausgeglichen. Unsere Tageswanderungen aus Samaipata führten uns in den Nationalpark Amboro. Innerhalb von 2 Tagen tauchten wir in komplett unterschiedliche Klimazonen ein, denn es kann in Bolivien sein, dass du nach einer Stunde Autofahrt das Gefühl hast, in einem ganz anderen Land zu sein, da die Klimaunterschiede so extrem sind. Neben Sonnenbrand, einer verlorenen Schuhsohle und einem Tausendfüßler in meinem Bett, belohnten uns unsere Tageswanderungen mit einem unvergesslichem Ausblick. Weit und breit keine Menschenseele, nur wir mitten in der Natur.

Die atemberaubende Natur, die Bolivien zu bieten hat, erkundete ich einige Wochen später, gemeinsam mit meinen Eltern auf einer 3-Tagestour zum Salar de Uyuni. Der Salar de Uyuni ist mit 10.000 Quadratkilometern der größte Salzsee der Welt und wirkte wie von einem anderen Planeten.

Doch neben den wunderschönen Eindrücken auf der Tour, beschäftigte mich eine andere Sache sehr. Neben all den positiven Seiten, die Bolivien zu bieten hat, kann oder sollte man die Realität nicht aus den Augen verlieren. Durch mein Umfeld bewege ich mich hauptsächlich in der privilegierteren Schicht Boliviens, doch das Land ist und bleibt ein Entwicklungsland. Die Schere zwischen Arm und Reich ist erschreckend groß und überall in Bolivien sichtbar. Auf unserer Tour durch den Salar de Uyuni ist mir abermals bewusst geworden wie unendlich privilegiert wir im Westen leben. Die Arbeitsbedingungen in einigen Berufen in Bolivien, wie z.B. die des Guides auf unserer Uyuni-Tour, erinnern, soweit ein touristisches Auge das beurteilen kann und aus westlicher Sicht, an Ausbeutung. Während privilegierte Touristen Urlaub in Bolivien machen, schuften sich die Einheimischen ihren Arsch ab, um die Touristen zufrieden zu stellen. Es fühlt sich irgendwie falsch an, wie wir in Europa über eine 4-Tage-Woche diskutieren, während am anderen Ende der Welt Menschen 20 Tage am Stück gefühlt 24 Stunden am Tag arbeiten (nach 20 Tagen gibt es 4 Tage frei) und dabei nur einen Bruchteil soviel wie in Europa verdienen. Die Welt ist unfair und gemein und wir sind total verweichlicht!

Ich nutzte die Sommerferien auch, um meinen Sprachkurs zu machen. Da es in Oruro leider keine Sprachschule gibt, beschloss ich, in Cochabamba den Sprachkurs zu absolvieren. So wohnte ich für eine Woche in Cochabamba, wo ich mittlerweile auch meine kleine Freundesgruppe aus Bolivianern und Internationals gefunden habe. (Mit Freund*innen in Oruro hatte ich bis dato irgendwie nicht so viel Glück.) Nach einer Woche Sprachkurs beschlossen wir noch über das Wochenende in der Nähe von Cochabamba campen zu gehen. Nach ganz viel Fleisch auf dem Grill und 2 Nächten ohne Isomatte oder Schlafsack, fuhren wir am Montag wieder zurück nach Cochabamba. Mein Plan war es, am gleichen Tag noch von Cochabamba zurück nach Oruro zu fahren, doch leider machten Straßenblockaden einen Strich durch meinen Plan. Da der Ex-Präsident Evo Morales sich nicht für die nächsten Präsidentschaftswahlen aufstellen lassen darf, wurde zu Landesweiten Blockaden aufgerufen. Ni modo, dachte ich. Eine Nacht mehr oder weniger in Cochabamba ist ja nicht so schlimm. Doof nur, dass die Blockaden am Dienstag nicht wieder aufgelöst wurden und es auch nicht bekannt war, wie lange die Blockaden anhalten würden. So schloss ich mich mit einer anderen Freiwilligen aus Tarija, die genau wie ich in Cochabamba feststecke, zusammen. Gemeinsam lebten wir von Tag zu Tag, übernachteten in Hostels, bei Freunden oder im AirBnb, in der Hoffnung bald zurück in unsere Städte fahren zu können. Groß und breit wurde angekündigt, am nächsten Montag würden wieder Busse fahren können, also warteten wir. Hoffnungsvoll gingen wir am Montag zum Busbahnhof, doch der sonst von Menschenmassen überlaufene Bahnhof war wie leergefegt. Es fuhr kein einziger Bus. Also noch eine Nacht in Cochabamba… Am Dienstag entschied ich mich dann mit einem Minivan über eine Umleitung nach Oruro zu fahren. 7 bis 8 Stunden sollte die Fahrt dauern, aber von einem Abenteuer, das ich so schnell nicht mehr vergessen werde, war nicht die Rede. So fand ich mich am Dienstag Nachmittag mit 10 Bolivianer*innen in einem altem, schrabbeligen Bus, der für den Stadtverkehr gedacht war, ohne Federung, Bewegungsfreiheit oder Heizung wieder. Nach knapp 10 Stunden auf einer Schotterpiste durch die Berge irgendwo zwischen Cochabamba und Oruro landeten wir schließlich auf einer gepflasterten Straße, die uns an unser Ziel bringen sollte. Erleichtert darüber, dass ich die kurvigen Wege am Abhang der Berge im Nebel und nur im Autoscheinwerferlicht überlebt hatte, war ich fest davon überzeugt, dass wir bald doch noch mehr oder weniger gut ankommen würden und das Schlimmste hinter uns hatten. Leider ging es nur dann doch nicht so einfach weiter. Felsen und Steine „zierten“ die Straße. Man hatte einen Berg so gesprengt, dass die Durchfahrt über die Straße kaum möglich war. Vor uns hatten aber auch schon andere die Idee, über diese Straße nach Oruro zu fahren, so hieß es auch für uns mit den Händen Steine wegräumen und Slalom fahren. Doch auch das half nur bis zu einem Punkt, an dem wir von Felsen und Menschen aufgehalten und nicht durchgelassenen wurden. Zu diesem Zeitpunkt, durchgefroren und übermüdet von der bereits 12h langen Fahrt, hatte ich keine Ahnung mehr was passiert und ob wir jemals ankommen würden oder womöglich umdrehen müssten. Trotz Diskussionen mit den 5 Menschen, die die Straße blockierten, drehten wir um. Ein anderer Weg sollte uns laut Auskunft ans Ziel bringen. Mittlerweile fuhren wir schon in Richtung Morgendämmerung. Wir bogen schließlich von der asphaltieren Straße auf eine Steinpiste, die nur annähernd einer befahrbaren Straße glich, ab. Die Straße erlaubte dem klapprigen Bus nur eine Geschwindigkeit von knapp 30kmh zu fahren, so protestierten nach 10 Minuten einige Fahrgäste. Wir sollten umdrehen und an den Blockaden vorbeilaufen, in der Hoffnung auf der anderen Seite der Blockaden einen Bus zu finden, der uns ans Ziel bringen sollte. Zurück bei den Blockaden ließen wir also alle bis auf 3 Leute raus und fuhren mit den verbliebenen zurück auf die Holperpiste. Nach 5 Stunden sollte uns diese Straße ans Ziel befördern. Irgendwann ging es nur leider nicht weiter, weil der Weg so matschig wurde, dass unsere Reifen durchdrehten und nicht den Berg hochfahren konnten. So hieß es aussteigen und anschieben. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich jegliche Hoffnung aufgegeben, dass wir noch ans Ziel kommen würden. Doch nach einer Stunde vergeblicher Versuche, den Berg hochzukommen, schafften wir es tatsächlich und konnten weiterfahren. Um die Odyssee etwas abzukürzen: nach über 20 Stunden erreichten wir tatsächlich das gute alte Oruro, wo ich komplett übermüdet in mein Bett fiel.

Heute, 3 Tage später, habe ich den Horrortrip etwas verarbeitet. Hier hat mittlerweile offiziell die Karnevalszeit begonnen, d.h. ganz viel Alkohol und jeden Tag feiern. Aber von meiner Karnevalserfahrung werde ich in meinem letzten Beitrag berichten. Für jetzt heißt es Daumen drücken, dass sich die Blockaden bis zum großen Karnevalsact auflösen, damit ich Besuch aus ganz Bolivien empfangen kann.

Bis ganz bald im kalten Deutschland!

Lg von mir und meinem Freund

 

Das Dilemma Oruro

Holii und willkommen zurück.
Nicht nur mein letzter Blogeintrag ist länger her als geplant, sondern auch meine Ankunft in Bolivien ist plötzlich schon über einen Monat her.

Die letzten Wochen waren super intensiv, gefüllt mit neuen Eindrücken, aber auch von dem Versuch, ein „Alltagsleben“ zu finden. „Alltagsleben“, weil es irgendwie keinen Alltag gibt und keine Woche der anderen gleicht.

Dass ich so lange nicht geschrieben haben, liegt zum einen daran, dass ich wirklich wenig Zeit hatte, zum anderen daran, dass ich mich schwertue, über meine Gedanken zu Oruro zu schreiben, die mal super positiv, mal kritisch sind. Ich sitze gerade im Bus auf dem Rückweg von Cochabamba nach Oruro und versuche mich nun nochmal daran, alles was ich erlebe, denke und fühle in Worte zu fassen. Je mehr ich reise, andere Städte kennenlerne und in das Leben anderer Freiwilliger eintauche, desto klarer wird mir, dass Oruro in vielen Punkten nicht optimal für ein FSJ ist.

Oruro hat neben dem Karneval nicht viel zu bieten, wodurch es super schwer ist, Menschen kennenzulernen und seine Wochenenden aufregend du gestalten. Besonders schön ist die Stadt auch nicht, dafür aber umso ursprünglicher. Und an diesem Punkt bleibe ich oft hängen. Die Reaktionen der Menschen, denen ich erzähle, dass ich in Oruro lebe, sind durchwegs negativ und mitleidig. Und auch ich weiß, dass Oruro in Bolivien nicht den besten Ruf hat und viele Orureños selbst gerne aus der Stadt wegziehen wollen. Der Hauptgrund dafür scheint die langsame Weiterentwicklung der Stadt zu sein. Aus dem Gesichtspunkt einer deutschen Freiwilligen, die für 5 Monate die Chance hat, in eine komplett neue und andere Kultur einzutauschen, ist aber genau das so spannend. Oruro wirkt auf mich wie ein Ort voller Tradition und Kultur, wie ein kleiner Fleck auf der Erde, der noch nicht komplett vom Westen beeinflusst wurde. Die Menschen scheinen zufrieden zu sein, so wie es eben ist. Hier ist jeder Menschen Mensch, egal ob reich, arm, dick oder dünn. Die Orureños haben sich ihre kleine eigene einfache Welt geschaffen, in der man auch zufrieden sein kann, ohne viel zu haben. Und genau das fasziniert mich so an der Stadt. Doch diese positive Seite Oruros wird manchmal eben von den negativen überdeckt, unterstützt durch die Blicke anderer, wenn ich erwähne, dass ich mein FSJ in Oruro verbringe. Aber weil ich eben die einzige Freiwillige in Oruro bin, habe ich auch die Chance, nochmals tiefer in die Kultur und die Sprache einzutauchen. Und irgendwie glaube ich auch, dass Oruro eigentlich zu mir passt und das Großstadtleben auf Dauer gar nichts für mich ist. Trotzdem wünsche ich mir manchmal, einen leichteren Zugang zu Menschen in meinem Alter zu erlangen.  Alles in allem geht es mir auch super gut, und ich bin total dankbar, diese Erfahrung machen zu dürfen.

Mittlerweile habe ich mich durch fast alle traditionellen Gerichte durch getestet und so langsam gewöhne ich mich auch an das Essen (ab und zu Durchfall ist allerdings vorprogrammiert). Als unsere Schule vor 2 Wochen Besuch aus Tarija (einer Stadt ganz im Süden Boliviens) bekam, wurde zum Mittagsessen das typische Gericht aus Oruro serviert: Charquekan (Lamafleisch). Das Befremdlichste daran war für mich allerdings nicht das Lamafleisch an sich, sondern, dass wir es aus Plastiktüten und mit den Händen gegessen haben. Plastik lässt sich aus dem Leben der Bolivianer leider nicht mehr wegdenken, ob Milch, Saft oder Eis. –  Alles alles findest du in einer nicht verschließbaren Plastiktüte, die man an einer Ecke aufbeißt, um den Inhalt zu sich zu  nehmen.

Das Lamafleisch wird traditionell mit Kartoffeln, Mais, Ei und Käse serviert und dazu natürlich Cola.

Auch der Karneval ist nicht aus dem Leben der Orureños wegzudenken. So durfte ich bereits das Minikarneval (für mich war es ganz und gar nicht mini) und eine kleine Karneval -Tanzvorführung in der Schule miterleben. Da der Karneval in Oruro eines der größten und wichtigsten kulturellen Feste Boliviens ist, habe ich beschlossen, mich einer Tanzgruppe anzuschließen, um den Karneval noch besser kennenzulernen.  Vielleicht lerne ich so auch nochmal neue Menschen kennen.

Karneval in der Schule

In der Schule finde ich mich immer besser zurecht und so langsam gewöhnen sich auch alle an mich. Die kleinen Kinder freuen sich aber immer noch besonders, wenn ich in ihren Unterricht komme und auch ich bin besonders gerne bei den Kindern in der Primaria (Grundschule), da ich das Gefühl habe, hier die größte Unterstützung zu sein. Weiterhin begleite ich die Deutschlehrerinnen in den Unterricht und unterstütze durch Vorlesen, in Gruppenarbeiten oder bringe Spiele und Lieder mit. Auch am Nachmittag helfe ich bei der Prüfungsvorbereitung für die Deutschprüfungen in A1, A2 und B1. Eine Challenge ist es für mich  dabei manchmal, die richtige Balance zwischen Autoritätsperson und Freundin zu finden.

Die letzten zwei Wochenenden verbrachte ich in La Paz. La Paz liegt auf 3.500 Metern und ist damit die höchstgelegene Verwaltungshauptstadt der Welt.

Ein nettes Bild mit dem Botschafter durfte natürlich nicht fehlen

Ich, sowie ganz viele andere Freiwillige wurden für den Tag der Deutschen Einheit zur in die deutschen Botschaft in La Paz eingeladen. Also nutzten wir die Gelegenheit, nach La Paz zu reisen, um unsere Freunde zu besuchen. In der Residenz des Botschafters tauchte ich in eine ganz andere Welt, als ich sie die letzten Wochen in Bolivien kennenlernte gelernt hatte, ein. Die Wörter reich, grün und weiß beschreiben diese konträre Welt wohl am besten. Es waren rund 40 weitere Freiwillige sowie ganz viele andere Deutsche, die nun teilweise seit Jahrzehnten in Bolivien leben, anwesend. Wir Freiwilligen nutzen die Gelegenheit, uns zu connecten, doch auf eine Person, die ihren Freiwilligendienst in Oruro verbringt, traf ich nicht. Auch die überraschten oder vielmehr mitleidigen Blicke der Menschen, denen ich erzählte, dass ich in Oruro lebe, werde ich so schnell nicht vergessen. Nicht ohne Grund war ich also zunächst skeptisch, als ich mein Platzangebot für Oruro bekam. Doch ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mich nicht gefreut habe, nach dem Wochenenden in La Paz wieder in Oruro zu sein.

Kommen wir aber zurück nach La Paz. Als ich am Busbahnhof in La Paz angekommen bin, habe ich den ersten Backpacker-Touri in Bolivien gesehen. Dadurch, dass La Paz etwas touristischer und viel größer als Oruro ist, hatte ich das Gefühl, nicht so stark aufzufallen wie in Oruro. Einerseits ist es auch etwas Besonderes, als einzige ausländische Person in Oruro zu lebe, in die bolivianische Kultur einzutauchen und fast ausschließlich Spanisch zu sprechen, andererseits fühlt man sich in einer größeren Stadt aber weniger beobachtet und hat nicht das Gefühl, dass jeder auf der Straße weiß, wer du bist, ohne dass du deinen Gegenüber je gesehen hast. Beides hat wohl seine Vor- und Nachteile.

Unser erster richtiger Tag in La Paz endete für mich und meine Freunde im Krankenhaus, da meine Freundin sich eine Salmonelleninfektion zuzog. Mich erwischte am nächsten Tag eine „normale“ Magen-Darm-Infektion, wodurch das Wochenende anders aufregend war, als geplant. Aber einen Krankenhausaufenthalt in Bolivien muss man ja wohl auch von seiner „To-Do-Liste“ abhaken.

Trotzdem lernten wir die Stadt etwas kennen und erkundeten sie zu Fuß, mit dem Minibus und per Teleferico (Seilbahn). Es gibt 10 verschiedene Seilbahn-linien, wodurch es sich mit einem  U-Bahnnetz in Deutschland vergleichen lässt. Die Seilbahn ist ein öffentliches Transportmittel , das die Städte La Paz und El Alto verbindet und gleichzeitig einen wunderschönen Ausblick über die komplette Stadt bietet.

Der Ausblick aus der Wohnung meiner Freunde in La Paz

 

Auf dem Markt in La Paz

Ein Wochenende später war ich direkt wieder in La Paz, diesmal mit mein Ein Wochenende später war ich direkt wieder in La Paz, diesmal aber mit meiner Gastfamilie. Wir haben  in einem Hotel in El Alto übernachtet. El Alto wird oft als Schwesterstadt von La Paz bezeichnet, ist die am schnellsten wachsende Stadt Boliviens und liegt in ca. 4150 m Höhe. Wir sind um 3 Uhr nachts durch die Straßen El Altos gefahren, vorbei an ganzen Schweine- und Rindfleisch-Körpern, die aus Lastwagen getragen wurden, Nachtmärkten von Cholitas, die auf mich sehr befremdlich wirkten, betrunkenen und obdachlosen Menschen, bis wir schließlich im Hotel ankamen.  Die Eindrücke der Stadt bei Nacht waren sehr befremdlich und beängstigend. In EL Alto werden die teils sehr einfachen Lebensverhältnisse der Menschen in Bolivien besonders deutlich. Die Menschen hier leben wirklich in Armut.

Am nächsten Tag haben wir uns mit meinem Gastbruder, der in La Paz lebt, getroffen und ein bisschen die Stadt erkundet.

Danach habe ich mich noch einmal bei meinen Freunden in La Paz einquartiert. Gemeinsam mit anderen Freiwilligen habe ich mir das Fußballspiel Bolivien gegen Ecuador angesehen. Man hört ja immer, dass andere Teams gegen Bolivien keine Chance hätten, da sie nicht daran gewöhnt sind, auf 4000 Metern Höhe Fußball zu spielen, doch dem war nicht so. Trotz super Stimmung hat Bolivien 1:2 gegen Ecuador verloren.

Und während ich total glücklich war, in den letzten Wochen mehr von dem Land kennenzulernen, hatte ich im Hinterkopf immer die Stimme, die sagte : ich muss mir ein Leben in Oruro aufbauen und darf nicht immer unterwegs sein. Doch ich glaube ich muss mir da den Druck raus nehmen. Natürlich gebe ich mein Bestes auch hier Anschluss zu finden, doch das Wichtigste ist ja, dass ich glücklich bin. Und ob das in Oruro oder sonst wo in Bolivien ist, ist ja zunächst egal.

Jetzt könnte ich noch über mein Wochenende in Cochabamba schreiben, mein erstes Karneval-Tanz-Training, meine super nette Gastfamilie, meine erste Club Erfahrung, die immer wiederkehrenden Magenprobleme und meine Pläne für die nächsten Wochen, aber dann wird dieser Beitrag nie abgeschlossen. Und eigentlich kann ich ja gleich anfangen, an dem nächsten Blogeintrag zu schreiben….

Hier noch ein Bild von Chiara in der Natur

Die erste Woche in der Ferne

Bolivien – wenn du mich vor einer Woche gefragt hättest, wie die Menschen hier wohnen, welche Pflanzen hier wachsen oder welchen Sport sie gerne spielen, ich hätte die Fragen nicht beantworten können. Und ich denke nicht nur mir, sondern ganz vielen anderen geht es ähnlich. Bolivien ist das Land in Südamerika, dass man gerne vergisst, wenn man die Länder in Lateinamerika aufzählen möchte. Und genau das sollte sich für mich ändern.

Aber fangen wir von vorne an… Als ich mich im Dezember letzten Jahres dafür entschied, mich für ein FSJ im Ausland zu bewerben, konnte ich noch nicht ahnen, wohin mich diese Reise führen würde. Da ich gerne mein Spanisch verbessern wollte, bewarb ich mich mit der Präferenz, nach Südamerika oder Spanien zu reisen. Im April bekam ich dann das Platzangebot für das „Colegio Alemàn“ (die deutsche Schule) in Oruro, Bolivien, welches ich trotz teils negativer Berichte, von ehemaligen FSJ-lerinnen aus den Jahren zuvor, annahm. Ganz nach dem Motto „ich werde wachsen, egal was passiert“.

Am 12. September fand ich mich dann, nach zahlreichen Arztbesuchen und Impfungen, viel zu viel Papierkram, nervenzehrenden Visumsanträgen und einem tollen Vorbereitungsseminar, dass ich aufgrund eines Corona-Ausbruchs leider früher verlassen musste, im Flugzeug nach Oruro wieder. Nach über 27 Stunden landete ich im 260 000 Einwohner großen Oruro auf 3,700 Meter Höhe, allerdings mit einem Gepäckstück weniger, als ich in Frankfurt gestartet bin. Erst jetzt realisierte ich, dass ich diesen Ort für die nächsten 5 Monate mein Zuhause nennen würde.

Der Flug über die Anden von Cochabamba nach Oruro

Oruro ist für bolivianische Verhältnisse eine relativ kleine Stadt, dafür mit umso mehr Tradition und Kultur. Ca. 90% der Einwohner*innen Oruros sind von Indigenem Ursprung, wodurch es in kaum einer Stadt in diesem Land „Bolivianischer“ werden kann.

Mit eines der ersten Dinge, die mir in Bolivien aufgefallen sind, ist die unglaubliche Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, mit der einem die Menschen hier gegenübertreten (die Erfahrung, die die Deutschen so oft machen und sich auch mal eine Scheibe von abscheiden dürfen :)). Außerdem erlebe ich die Bolivianer (in wieweit auch immer ich das nach einer Woche beurteilen kann) als sehr großzügig und zufrieden.

In meinem „neuen Zuhause“ lebe ich mit einer super netten Gastfamilie, in einem sehr großzügigen Zimmer, das weder isoliert noch beheizt ist, was bei den Minusgraden, die es auch im Sommer nachts erreicht, eine sehr spannende Erfahrung ist, besonders wenn morgens kein Wasser aus dem Wasserhahn läuft, weil es eingefroren ist. Verwöhnt von Zuhause, fror ich also in meiner ersten Nacht sehr, doch an die Kälte gewöhnte ich mich schnell und auch die Höhe machte mir nur kaum zu schaffen. An das Essen hingegen werde ich mich vermutlich so schnell nicht gewöhnen. Doch auch die traditionellen Gerichte, die meist mir Fleisch zubereitet werden, gehören zu meinen Erfahrungen dazu. Anders als in Deutschland, leben die Tiere in Bolivien, bevor sie auf dem Teller landen, nicht in Massentierhaltung. Daher ist das Unverständnis einem veganen oder vegetarischen Lebensstil gegenüber umso größer, zumal eine tierfreie Ernährung hier nahezu unmöglich ist.

Ein erstes Bild von der Stadt konnte ich mir an meinem ersten Schultag machen. Ich fuhr also mit meinen Gastschwestern mit dem Taxi durch die von Bussen und Autos überfüllten Straßen Oruros, vorbei an Kindern in Uniform, kleinen Ladenständchen am Straßenrand, Märkten, traditionell gekleideten Frauen und ausgebauten Vans oder Autos, die als Busse fungieren. Aufgrund des chaotischen Verkehrs kamen wir an meinem ernsten Tag schon zu spät in die Schule. Daran sollte ich mich auch gewöhnen, denn von der deutschen Pünktlichkeit muss ich mich wohl für die nächsten fünf Monaten erst einmal verabschieden.

Eine typische Straße in Oruro

Auch die Sicherheitsmaßnahmen im Straßenverkehr unterscheiden sich stark von denen in Deutschland. So saß ich an meinem ersten Tag in Bolivien auf dem Weg vom Flughafen zu meinem Haus mit meinen beiden Gastschwerstern und meiner Gastmutter zusammen auf der Rückbank des Taxis, als wäre es das selbstverständlichste der Welt. Bis jetzt habe ich auch noch niemanden angeschnallt in einem Auto gesehen und Verkehrszeichen scheint es auch nicht zu geben. Denn wieso sollten Verkehrsschilder den Verkehr regeln, wenn es eine Hupe gibt?

Neben dem Taxi (Taxi fahren ist hier sehr verbreitet und kostet umgerechnet nie mehr als 3€) sind Busse das Hauptverkehrsmittel. Diese fahren allerdings nach keinem festen Fahrplan und halten auch an keinen Haltestellen. Wenn du Bus fahren möchtest stellst du dich an den Straßenrand, um einem Bus mit der entsprechenden Nummer zuzuwinken, damit du einsteigen kannst. Zum aussteigen rufst du „Ich steige aus“ und der Busfahrer hält für dich an. Alleine in einen Bus zu steigen habe ich mich bis jetzt jedoch noch nicht getraut.

Aufgrund von den wenigen Touristen in Oruro, fällt man als europäische Frau besonders auf. So fiel es mir in den ersten Tagen besonders schwer einzuschätzen, was es bedeutet als weiße Frau alleine durch die Straßen zu laufen. Da ich auf der Straße nicht unbedingt ein Handy benutzen soll und mein Orientierungssinn eine 0 von 10 ist, war ich in den ersten Tagen stark abhängig von meiner Gastfamilie. Mittlerweile komme ich ganz gut zurecht, doch unbemerkt werde ich nie durch die Straßen laufen können. Die Bedeutung meines Aussehens wurde mir besonders in der Schule vor Augen geführt. Und auch die Bedeutung von Deutschland oder deutsch für die Schule war zunächst sehr ungewohnt.

Der Schulhof

Ein typisches Klassenzimmer

In der Schule wurde ich von allen super höflich begrüßt und während die ganze Schule bereits meinen Namen kennt und mich beim vorbeigehen grüßt oder tuschelt, kenne ich vielleicht 5 Namen. Besonders die kleinen Kinder sind sehr neugierig, doch auch die älteren Schüler*innen zeigen viel Interesse an mir. Diese Erfahrung ist zwar sehr ungewohnt, doch hilft dies auch dabei, mit Bolivianer*innen in Kontakt zu treten. Und dennoch fühle ich mich oft noch etwas verloren. Die komplett neue Kultur, eine fremde Umgebung und das plötzliche „alleine“ sein stellte für mich in den ersten Tagen eine besonders große Herausforderung dar. Und trotzdem habe ich in meiner ersten Woche schon viel erlebt, gesehen und gelernt. So war ich z.B. an meinem ersten Wochenende mit meiner Gastfamilie bei einem Basketballspiel „Alemán“ (Oruro) gegen „Sansibar“ (La Paz). Wie selbstverständlich ging ich davon aus, dass wir uns ein Spiel der Männermannschaft anschauen würden, doch neben dem Fakt, dass überall die Deutschlandfahne zu sehen war, spielte zu meiner Überraschung eine Frauenmannschaft. Ich erwische mich selbst noch oft dabei, in Vorurteilen zu denken, doch der Sport für Frauen scheint in Bolivien eine genauso große Rolle zu Spielen wie für Männer, Deutschland kann sich da mal was von abgucken.

Erste Kontakte zu gleichaltrigen konnte ich in der Schule knüpfen. Dadurch habe ich bereits das Schwimmbad und das Kino in Oruro kennengelernt und heute erwartet mich meine erste bolivianische Party. Da jedoch viele junge Menschen aus Oruro wegziehen, gibt es nur wenige Orte, an denen man gleichaltrige kennenlernen kann und auch internationale Menschen sind eine Fehlanzeige in Oruro. Daher bin ich viel mit meiner Gastfamilie unterwegs. Zu meinem Überraschen gehen wir sehr oft Essen und obwohl es für deutsche Verhältnisse sehr billig ist, summieren sich die Ausgaben dennoch. Durch meine Gastfamilie erlebe ich aber die bolivianische Kultur auf eine ganz andere Art und tauche somit in das „normale“ Leben einer Familie in Bolivien ein.

Oruro von oben

Mittlerweile bin ich seit etwas über einer Woche in Bolivien und obwohl ich noch etwas verloren bin, fühlt es sich irgendwie schon viel länger an, ob das etwas Gutes ist, darfst du dir überlegen. Für heute habe ich aber erstmals genug geschrieben und bin gespannt, was die nächste Zeit mit sich bringen wird. Welche Orte werde ich noch erkunden? Wie werde ich mich als Lehrerin schlagen? Und werde ich mich doch noch an das Essen gewöhnen? Vielleicht wird all das einen Platz in einer meiner nächsten Blogeinträge (falls es weitere geben sollte) finden. Bis dahin esse ich viel Fleisch und denk an euch.

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