Günstiger als Milch

Die Müslipackung ist noch nicht ganz leer, da wirft die 15-jährige Schülerin sie auf die Treppe, auf der sie ihre Schulpause verbringt. Szenen wie diese sind nicht selten, nicht in Deutschland, erst recht nicht hier in Bolivien. Die allumfassende Umweltverschmutzung in dem Andenland lässt nichts und niemanden aus und doch scheinbar jeden gleichgültig zurück.

Aber eins nach dem anderen. Dem äußerst umstrittenen Präsidenten Evo Morales, der vor 12 Jahren ins Amt gewählt wurde, wird schon länger von verschiedenen Organisationen und Aktivisten vorgeworfen, massiv auf Wirtschaftswachstum gesetzt zu haben, ohne Rücksicht auf das „media ambiente“, die spanische Übersetzung von „Umwelt“ zu nehmen. Und tatsächlich investiert der Indigene in Kooperation mit Russland in Atomkraftwerke, um gleichzeitig Subventionen im Bereich des Umweltschutzes vehement abzulehnen.

So kostet ein Liter Benzin für die Autos, die nicht selten älter sind als ihre Fahrer, hierzulande nur etwa so viel wie ein halber Liter Milch – nämlich rund 40 Cent. Hohe Mineralölsteuern Fehlanzeige. Stattdessen politische Taktik, die nationale Strategie von Öl-Verstaatlichung und Export-Verzicht schönzureden.

Doch man kann dem Staatsoberhaupt nicht die alleinige Schuld geben. Sind doch Themen wie der Klimawandel und durch Abgase herbeigeführte Atemwegserkrankungen scheinbar außerhalb des täglichen Blickfelds vieler Einheimischer. Im Alltagsstress fehlt Zeit – viel zu groß die Geldsorgen, viel zu klein die Pausen, um statt für sich und seine Familie an der Ökologisierung der Gesellschaft zu arbeiten.

Diesen Eindruck bestätigt der Blick auf die Hauptstraßen Cochabambas, der Großstadt, in der ich seit gut acht Monaten lebe. SUV, VW-Käfer und Abgaswolken prägen das Stadtbild. Auch ohne Auto ist man im Taxi für unter 3€ am anderen Ende der Stadt.

Wer wie unsere Schülerin den Müll sorglos der Natur überlässt, muss mit Strafen von umgerechnet rund 130€ rechnen. Doch nicht zuletzt die korrupte und schwache Polizei verhindert die tatsächliche Ahndung, verhindert das Bewusstsein für ein Müllproblem, das nur eines ist von vielen.

Ja, auch in Deutschland klaffen noch große Lücken beim Umweltschutz – doch ein Blick ins Zentrum Südamerikas lässt mir wortwörtlich den Atem stocken.

​ 90 Tage Bolivien: Erste Eindrücke aus dem Andenland

Wow. Heute ist der 7. Dezember, ein Tag nach Nikolaus und fast drei Monate nach meiner Ankunft in Bolivien, dem Land im „Herzen“ Südamerikas und ich schreibe meinen ersten Blogeintrag. Endlich.

Viel ist passiert. Vieles hat sich routiniert. Ich weiß noch, als ich am 15. September mit Rucksack vollgepackt die Ankunftshalle des Flughafens von Cochabamba, der viertgrößten Stadt des Landes, verließ und klischeegetreu mit Namensschild von meiner vierköpfigen und dreitierigen (?) Gastfamilie empfangen wurde.

Nach der durch die lange Reise entstandenen Orientierungslosigkeit musste ich erst einmal die Nummernschilder der Autos auf dem Besucherparkplatz abchecken, um mich zu vergewissern: Ja, das hier ist Bolivien. Ja, ich bin da!

Ich erinnere mich nur grob an die ersten Eindrücke. Die breiten Straßen, durch die wir den Weg in mein neues Zuhause nahmen, erinnerten mich an die USA, obwohl ich nie dort gewesen bin. Alles so groß, alles so merkwürdig neu, alles so nichtentwicklungslandgetreu. Wie ich später feststellen würde, ist Cochabamba jedoch in vielerlei Hinsicht mehr Vorzeigestadt als Spiegel des Durchschnitts Boliviens.

Ebenfalls erstaunt war ich die ersten Wochen von der gefühlten Anarchie im Land. Die Polizisten im ersten Monat konnte ich gefühlt an einer Hand abzählen und auch der Verkehr (wo Autos immer Vorrang und rote Ampeln Nachrang haben) war mehr chaotisch als geordnet. Das Erstaunliche nur: Es funktioniert!

Und auch an Kleinigkeiten, wie etwa, dass man am Supermarkt immer seinen Rucksack abgibt und an der Kasse nach einer seltsamen Nummer gefragt wird, dass man überall seinen Ausweis vorzeigt oder nicht alle Straßenstände hygienisch einwandfreies Essen anbieten, daran gewöhnt man sich schnell.

Bolivien gilt als eines der umfangreichsten Länder was die Visumsbeantragung angeht. Auch das hat meine erste Zeit geprägt: Behördengänge, Sinnlosigkeiten, Empfehlungen, das Datum auf der Führungsurkunde einfach am PC abändern zu lassen. Gleichgültigkeit und Willkür statt Recht und Ordnung. Wobei Deutschland in Sachen Visum ja auch nicht so viel besser sein soll.

Ansonsten kommt man hier aber als Ausländer gut zurecht. Und man kann sich vieles leichter leisten. Insbesondere der Dienstleistungssektor ist günstig: Busfahrten durch die Stadt für 25 Cent, Haarschnitt beim Frisör 3,60€, die Taxifahrt für 2,50€, ein wunderbares Mittagsmenü gibt es schon für weit unter 5€.

Obst und Gemüse bekomme ich jeden Samstag vor meiner Haustüre. Einmal bin ich mit 2€ aus dem Haus gegangen und kam mit zwei Paprikas, drei Äpfeln und fünf Pfirsichen zurück. Und es schmeckt einfach besser, denn man weiß: es ist von hier (zumindest das meiste).

Marktgeschehen in Tiquipaya, einer Stadt am Rande des Departamentos Cochabamba.

Und in der Schule – ich betreue eine Privatschule – läuft alles mehr oder weniger geordnet – aber es läuft. Und auch wenn die Schüler an dieser Privatschule Bildung teils eher als lockere Freizeitveranstaltung sehen, dann ist das hier in Südamerika keine Seltenheit, wie ich auch im Austausch mit anderen Freiwilligen erfahren konnte.

Was mir aufgefallen ist und was mir durchaus Sorgen bereitet: vielen insbesondere jüngeren Menschen scheint die Politik des Landes egal zu sein. Vielen fehlt das politische Bewusstsein, beispielsweise für Umweltschutz.

Auch das wird eines der Themen sein, mit denen ich mich im kommenden Jahr intensiver beschäftigen und dann wieder hier für euch berichten möchte.
Bis dann!