Mit Propellermaschine in den Dschungel

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Da sass ich nun am Sonntagmorgen um 6.30h seit einer halben Stunde auf dem internationalen Flughafen „El Alto“ in La Paz und wartete darauf, dass das Boarding fuer meinen Flug, der in fuenf Minuten losgehen sollte, startete. Innerlich war ich schon wieder etwas empoert ueber die Unpuenktlichkeit und Gelassenheit der Bolivianer und die Unfreundlichkeit des Flughafenpersonals („Ja, Sie werden fuer Ihren Flug nach Cobija aufgerufen, wenn es soweit ist!“). Aber beunruhigt war ich trotzdem. Normalerweise sollten wenigstens die Flugzeuge einigermassen puenktlich (und nicht mit mehr als einer halben Stunde Verspaetung) abfliegen. Unterdessen sah ich den Herrn, bei dem ich eingecheckt habe, panisch durch die Menge laufen: „¿A Cobija?“, fragte er in die wartende Masse. Ich (als Einzige) sprang sofort auf, packte mein Handgepaeck (Beamer, Handtasche, Rucksack – ich sollte schliesslich auf einem Workshop von meiner Arbeit mithelfen) und rannte zu dem Mann, der mir nun noch panischer zuwinkte. Er sagte mir, ich solle schnell zu seinem Kollegen laufen, der mich zum Flugzeug bringen wird. Also lief ich im Schnellschritt (so weit es mein an meinen Beinen entlang baumelndes Handgepaeck erlaubte) ueber die Bahn und hielt zum einen Ausschau nach dem benannten Kollegen und zum anderen nach einem Flugzeug der Fluggesellschaft „Aerocon“. Nachdem ich bei dem Kollegen angekommen bin, sah ich auch den Schriftzug „Aerocon“ auf etwas, das wohl mein „Flugzeug“ sein sollte. Klein, alt, Propeller. Fuer mehr betrachten und in Panik ausbrechen war keine Zeit, schliesslich sollte es in zwei Minuten abfliegen. Ich stiefelte die kleine Treppe hoch in die Horrormaschine und stand quasi im Cockpit. „Hola“ war alles, was ich beim Anblick der knapp 20 Sitze, von denen vielleicht 15 besetzt waren, herausbringen konnte. Hinsetzen, mein Handgepaeck in den Gang bzw. auf den Nachbarsitz abstellen (Gepaeckablage: Fehlanzeige), anschnallen, los gehts. Alle haben auf mich gewartet und ich habe bis heute keine Ahnung, wie die Menschen ins Flugzeug aufgerufen wurden. Da rollten wir auch schon los. Stewardess? Sicherheitseinweisung? Gab es nicht und wozu auch? Man haette bei dem Laerm, den die Propeller gemacht haben, eh kein Wort verstanden. Waehrend des Fluges hatte ich einen wunderschoenen Blick auf die Piloten und auf den Propeller. Nachdem die Piloten anfingen, Zeitung zu lesen und allgemeines Piepen aus dem Cockpit klang, beschloss ich, Musik zu hoeren und die Augen zu schliessen…

Nach einer Stunde Flug, einmal Umsteigen in Trinidad (suesser kleiner Flughafen mitten in den Tropen) und weiteren zwei Stunden befand ich mich mit zitternden Beinen von dem bebenden Flug in Cobija. Die feuchte Tropenluft und mehr als 30º erschlungen mich einen kurzen Moment, war ich doch von La Paz trockene Luft und maximal 20º gewoehnt. Also tauschte ich meine festen Lederschuhe in luftige Ballerinas und gleich gefiel mir die Waerme viel besser. Ab ging es nun ins Hotel: Ein Traum am Stadtrand von Cobija. Ueberall waren Palmen und alles war gruen und es gab einen tollen Pool mit Liegestuehlen. Es war wirklich ein Hotel wie aus „Das Traumschiff“.

Meine Kollegin, Renata, die den Workshop halten sollte, kam Nachmittags im Hotel an, nachdem ihr Flugzeug (nicht von Aerocon) vier Stunden Verspaetung hatte. Als sie vollkommen genervt und verschwitzt ankam, baumelten meine Fuesse bereits seit einer Stunde im angenehm kuehlen Pool. So gefielen mir die Tropen.

Doch waren wir eigentlich nicht zum Chillen am Pool, sondern zum Arbeiten nach Cobija gekommen. Wir sollten Montag und Dienstag einen Workshop veranstalten (das heisst, Renata sollte ihn machen und ich war Maedchen fuer alles). Nachdem wir Sonntag nochmal eben nach Brasilien gelaufen sind (Cobija liegt direkt an der brasilianischen Grenze und ist durch eine Bruecke mit der brasilianischen Stadt Brasilera verbunden) und keinerlei Grenzkontrolle begegnet sind, standen wir Montagmorgen puenktlich (fuer bolivianische Verhaeltnisse) in dem Raum, in dem der Workshop stattfinden sollte. Ganze acht Personen waren anwesend. 30 sollten es sein. Was blieb uns da anderes uebrig, als den Workshop auf den naechsten Tag zu verschieben und ihn zusammen mit dem anderen zu machen?! Así es Bolivia!

Da die Teilnehmer den Workshop nicht bezahlen mussten, konnte jeder, der interessiert war, kommen. Um mehr Leute ueber den Workshop zu informieren, fuhren wir mit einem anwesenden Teilnehmer, der zufaellig ein Radio besass, in sein Radio und Renata machte einen Radioaufruf fuer den Workshop am naechsten Tag (die Tatsache, dass der Radiomensch mitten im Live-Gespraech telefonierte, brachte Renata auch fast nicht aus der Ruhe und es schien normal zu sein). Danach machte sie einen weiteren Aufruf ueber den regionalen Fernsehsender von Cobija. Als wir abends in einem Restaurant sassen (den Rest des Tages verbrachten wir am Pool und auf Liegestuehlen in der Sonne) konnten wir Renata im Fernsehen begutachten und mit einem Schmunzeln beobachten, wie unsere Sitznachbarn Renata nach und nach erkannten.

Am Dienstag fand tatsaechlich der Workshop statt und hinsichtlich der 45 Anwesenden scheinen unsere Aufrufe in den Medien etwas bewirkt zu haben. Meine Aufgabe war es, Pausensnacks und was sonst so anfiel, zu organisieren. So fand ich mich ploetzlich auf einem Motorrad wieder, unter dem einen Arm einen Karton mit etwa 40 Salteñas (kleine gefuellte Gebaeckstuecke, die typisch bolivianisch sind) und mit der anderen Hand auf der Schulter des Fahrers. Das Motorrad ist in Cobija das meist benutzte oeffentliche Transportmittel. Es gibt sogar Mototaxis… die koennen zwar immer nur eine (hoechstens zwei und einmal sah ich eins mit vier Personen) mitnehmen, aber dafuer gibt es dementsprechend viele. Anfangs hatte ich, bekleidet mit FlipFlops, T-Shirt und luftiger Hose, leichte Panik (mir erzaehlte ein Fahrer stolz, dass sein Motorrad schon 27 Jahre alt sei) und auch das Verkehrschaos trug zu keiner Beruhigung bei, doch schnell genoss ich die Fahrten auf dem Mototaxi und fuehlte mich immer sicherer. Am Ende hielt ich mich noch nicht einmal mit beiden Haenden an Schulter oder Festhaltegriff fest.

Trotz kleinerer Schwierigkeiten (das Internet, das fuer einen Teil des Workshops unumgaenglich war funktionierte natuerlich nicht) war der Workshop zufriedenstellend und wir verbrachten den letzten Abend Tatort-guckend auf der Terrasse in unserem Hotel (da funktionierte das Internet tatsaechlich). Ueber Cobija kann man nicht sagen, dass es eine schoene Stadt ist. Sie ist tatsaechlich ziemlich heruntergekommen und schaebig, aber die Umgebung ist toll. Es liegt mitten im Amazonasgebiet und alles ist gruen und natuerlich (abgesehen von den kahlen Flecken im Regenwald, die man aus dem Flugzeug sehen kann – Folgen der verstaerkten Abholzung).

Der Rueckflug (zum Glueck keine Propellermaschine und mit Bordpersonal) am naechsten Tag war auch um einiges angenehmer als der Hinflug (was ja auch nicht schwierig war) und somit landeten wir puenktlich und ohne Probleme im kalten La Paz.

Letztendlich war mein Trip eine tolle Erfahrung mit typisch bolivianischen Unannehmlichkeiten, die aber irgendwie immer geloest wurden. Am Ende war ich aber auch froh, den Muecken (ich habe gefuehlte hundert Mueckenstiche), der Hitze und dem Chaos entkommen zu sein und wohl behalten in La Paz angekommen zu sein.