Heute soll das „Heimat“- Projekt für die Klassen 9-12 starten. Es ist Samstagmorgen, 9.30 Uhr. Ich stehe vor dem Pförtnerhäuschen von „Elena Cuza“ um dem Pförtner mitzuteilen, dass deswegen (hoffentlich) in nächster Zeit ein paar Schüler um Einlass bitten werden. Kein Problem. Prima! Nun möchte ich gerne in das andere Gebäude um Materialien aus dem Deutschkabinett zu holen, doch das ist leider zu. Also stehe ich um 9.40 Uhr wieder vor dem Pförtnerhäuschen. „Eu vreau să merg la corpul B”, bringe ich hervor. Übersetzt klingt das wahrscheinlich wie: „Ich möchte gehen in dem B-Gebäude”. Das ist zwar nicht unbedingt grammatikalisch korrekt, aber durchaus verständlich wie ich finde. Findet der Pförtner aber nicht. Das liegt nicht an meinem Radebrech-Rumänisch, wie er mir nach einer Weile erklärt. Er fragt sich nur, warum ich das nicht alleine kann. „Este închis”, antworte ich, was meiner Meinung nach sogar korrekt ist. Er versteht mein Problem. Kann mir aber nicht helfen, weil er nicht den Schlüssel hat. Ein Pförtner, der keine Schlüssel für die Gebäude hat, die er bewacht? Ich frage nochmal nach. Nein, die Schlüssel hat er nicht. Ich rufe Holger an. „Doch klar hat er die Schlüssel!”
9.50 Uhr, wo stehe ich? Vor dem Pförtnerhäuschen! Ich versuche nun mit Armen und Beinen, Händen und Füßen den armen Mann davon zu überzeugen, dass er es doch wenigstens Mal mit irgendeinem Schlüssel versuchen soll. Er ist anscheinend ausreichend genervt, dass er sich mit mir auf den Weg macht. Und siehe da: um 9.55 Uhr stehe ich in der geöffneten Tür des Corpul B. 10.15 Uhr: Aus dem Computerraum, der an diesem Morgen frei sein soll, tönen Stimmen. 11.15 Uhr, in einem anderen Raum. Vor mir sitzen 15 Schüler. Alles wird gut!
Und es wird gut! Sicherheit, Familie und Freunde, das Weihnachtsschwein, Sarmale, Rumänien, Erinnerungen, das Kirdorfer Kelterfest und vielleicht ja auch Craiova – all das ist Heimat. So viel steht nach 1 ½ Stunden fest. Wir bleiben dran!
Heimspiel
Abends werde ich von Silvia und Holger zum Kürbissuppeessen eingeladen. Auf dem Weg dorthin, kreuzen Militärfahrzeuge meinen Weg. Das bedeutet: doppeltes Heimspiel.
Fußball ist in Craiova so eine Sache. Dem einen oder anderen sagt FC Universitatea Craiova vielleicht noch etwas. Craiovas Vorzeigefußballmannsschaft war Anfang der 80er Jahre international erfolgreich und spielte in der Champions-League 1982 unter anderem auch gegen Bayern München. In den letzten Jahren hingegen hat der Verein eine eher bescheidene Bilanz vorzuweisen. Der Verein ist gebeutelt durch finanzielle und juristische Turbulenzen, die im Sommer 2011 in dem Ausschluss aus dem rumänischen Fußballverband und der Entlassung aller Spieler gipfelte. 2012 klagte der FC zwar erfolgreich gegen den Ausschluss und startete im August 2013 mit einer neuen Mannschaft in die neue Saison, doch das tat auch das Team des SC Universitatea Craiova. Denn Craiovas Bürgermeisterin gründete dieses kurzer Hand im vergangenen Sommer, da sie gegen den Manager des FC einige Antipathie zu hegen und ihm nicht zuzutrauen scheint, Craiova nach so langer Zeit zurück in den Fußballhimmel zu führen.
Als ich am Samstag also am Stadion vorbeilaufe, ereignet sich dort gerade das Derby des Jahres: FC U gegen SC U. Und von einem Freundschaftsspiel kann definitiv keine Rede sein, was wohl die Präsenz von grün-braun-gescheckten Kraftfahrzeugen und freundlichen Herren mit Sturmmasken erklären soll. Am Ende geht das Spiel 0 – 0 unentschieden aus.
Nach der ganz hervorragenden Kürbissuppe fahren wir gemeinsam ins ‚Spațiul do-it-yourself‘, in dem jeden Samstag eine Dokumentation oder ein Film zu aktuellen Themen gezeigt wird. Ich bekomme allerdings angesichts der neuen Couch und der Tatsache, dass Schlaf in den vorangegangenen Tagen eine sehr nebensächliche Rolle gespielt hat, nur sehr wenig davon mit, was Leonardo DiCaprio so zum Thema Klimawandel zu sagen hat. Am Sonntag starte ich einen kläglichen Versuch den verpassten Schlaf nachzuholen und bereite das erste Treffen meines neu gegründeten „Deutschclub“ für die 8. Klassen vor.
deutsche Sprache & rumänischer Advent
Das Treffen verläuft soweit ganz gut, auch wenn die Schüler zunächst etwas von meinem „jetzt-packt-erst mal-die-Hefte-weg-ich-habe-euch-Kekse-mitgebracht-und-wir-sind-hier-um-Spaß-zu-haben“ – Konzept überfordert zu sein scheinen. Aber das kriegen wir auch noch hin. Bestimmt.
Den Rest der Woche verbringe ich hauptsächlich damit den DSD II – Schülern nach dem Unterricht mit ihren Präsentationen für die Prüfung der mündlichen Kommunikation zu helfen, die diesen Donnerstag und Freitag stattfindet. Außerdem plane und bastel ich an den Adventskalendern für die 3. und die 5. Klasse und die damit einhergehende Schulstunde zum Thema „Advent“. Prima, dass es Donnerstagmorgen anfängt zu schneien und einfach nicht mehr aufhört. Das Wasser in meinen Stiefeln und meine eingefrorene Nase sorgen nämlich direkt für Weihnachtsstimmung.
Hier, im Süden Rumäniens, sind die meisten orthodox und somit hat der Advent so gut wie keine Bedeutung. Es gibt zwar eine sechs-wöchige Fastenzeit vor Weihnachten, die aber nur von wenigen abgehalten wird. Vorweihnachtliche Traditionen wie Adventskranz, Adventskalender und Plätzchen backen gibt es kaum. Dafür findet das Sternsingen schon in der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember statt, bei dem Kinder von Haus zu Haus bzw. von Block zu Block ziehen und als Belohnung für ihre Lieder mit Süßigkeiten und Geld belohnt werden. Das, was ich da am Freitag mit der fünften Klasse betreibe, nennt man wohl Kulturaustausch! Die Augen werden groß wie Tennisbälle als ich Bilder von einem Kinderkrippenspiel zeige, bei dem ein Schaf, ein Ochse, ein Esel und ein Stern auf Stroh in einer Kirche sitzen. Als ich dagegen Bilder von gefüllten Nikolausstiefeln zeige, werde ich nur müde angelächelt. Diesen Brauch gibt es hier.
Im Großen und Ganzen überwiegen aber Enthusiasmus und Begeisterung. Doch schnell ist klar: nur weil man es gut findet, hat man es noch nicht unbedingt verstanden. Das zeigt sich spätestens, als ich den Adventskalender hervorhole. Jeden Tag gibt es für ein anderes Kind ein kleines Päckchen. Ist klar, ne? Scheinbar nicht. Es stehen nämlich auf ein Mal 30 Kinder vor mir, die sich jetzt ihr Paket abholen wollen. Wir erklären noch ein Mal Sinn und Zweck des Ganzen, vielleicht wird der ja in den nächsten zwei Wochen noch deutlich…
Für Samstag bin ich mit einer spanischen Freiwilligen und Silvia zum Plätzchen backen verabredet. Wir entscheiden uns für Vanillekipferl, allerdings ohne eine Vanilleschote oder Mandeln zu haben. Geht auch mit Vanillezucker und Walnüssen. Unser Kipferl schmeckt zwar eigentlich nur nach Walnuss und kaum nach Vanille, sieht aber so wie das Original und wird am Abend auch begeistert von den Rumänen verputzt.
1. Dezember
Am Tag darauf ist der rumänische Nationalfeiertag. Der 1. Dezember 1918 gilt als der Geburtstag des vereinigten, unabhängigen Rumäniens und dem vorläufigen Ende jahrhundertlanger Fremdherrschaft. Seit 1990 wird diesem Ereignis alljährlich feierlich am 1. Dezember gedacht, weshalb in Craiova Jahr für Jahr an diesem Tag eine Militärparade abgehalten wird.
Der erste Eindruck ist zunächst ein Mal nicht schlecht: Die Straßen im Stadtzentrum sind gesperrt, was wirklich extrem angenehm ist. Nur für ein paar Stunden kein Dauergehupe! Als ich am Rathaus ankomme, werden noch Reden gehalten, Gebete gebetet und ich sehe dabei nicht viel außer blau–gelb–rot und den Rücken meines Vordermannes. Nach weiteren 30 frostig kalten Minuten Marschmusik, geht es dann endlich los.
Bei der folgenden Parade fällt mir wieder auf, wie sehr ich von der Mentalität geprägt bin, dass militärische Aktivitäten mit allem, was dazu gehört, eher ein nötiges Übel als ein Anlass für Stolz sind. Während es in anderen Staaten selbstverständlich ist sich mit militärischem Personal und Equipment öffentlich zu präsentieren und zu inszenieren, ist dies in Deutschland geschichtlich bedingt ja kaum anzutreffen. Als die in Rauch gehüllten Panzer an uns vorbei rauschen und vermummte Soldaten durch das Spalier patrollieren, empfinde ich das als sehr beklemmend. So ein Panzer ist ja schließlich nicht nur Schutz, sondern auch eine Tötungsmaschine. Auch wenn die Armata Română (Rumänische Armee) zwecks Verteidigung und Friedenssicherung existiert, wirkt eine derartige Präsentation befremdlich auf mich. Von der anwesenden Menschenmenge hingegen wird das Spektakel meinem Eindruck nach weitgehend positiv aufgenommen.
Am Montagmorgen werde ich wieder daran erinnert: Ich bin in Rumänien. Das war mir tags zuvor auch schon vor Augen geführt worden, aber auf eine ganz andere Art und Weise. Ich rede wieder über Advent in Deutschland und hänge gemeinsam mit der Klassenlehrerin den Adventskalender über den Köpfen der Kinder auf. Über die Einladung zur Weihnachtsfeier der Klasse freue ich mich wirklich sehr und klar, ich bereite auch gerne ein Weihnachtslied mit den Kindern dafür vor. Als dann aber von einem Krippenspiel die Rede ist, das noch geschrieben und innerhalb einer Woche einstudiert werden soll, werde ich doch etwas stutzig. Als ich am Mittwoch wieder in der Klasse bin, stellt sich raus: es gibt nicht nur ein Theaterstück, sondern zwei. Und nicht nur ein Lied, sondern vier. Jetzt oder nie, denn mehr ist nach wie vor mehr. Auf eine besinnliche, stressfreie Weihnachtszeit, also…
…und viele Grüße aus Craiova!
Danke, ihr lieben! Ihr seid doch alle Pappnasen :)
Eine Pappnase aus dem Clan (Opa S.) schreibt der Jelena regelmäßig auf ihre Privat-Mail-Adresse.
Ich schreibe ihr immer nach neuestem Bericht und bringe zum Ausdruck, wie sehr wir uns (ich und Pappnase Oma D.) über ihre lockere, fröhliche und informative Schreibweise freuen.
Sie hat schon ganz schön was drauf!
Na, geht doch!
Im Übrigen bin auch ich ein „Hochklicker“, der gleich, später und noch einmal liest. Ich finde Deine Berichte super spannend, weil sie mein Bild von Rumänien aus der deutschen 08/15 Sicht herausrücken und ich das sehr gut finde.
Bin schon ganz gespannt auf die Liveversion!
Bis bald,
Stefan
Liebe Jelle, soll ich mich tatsächlich als Schwester des vorhergehenden Kommentators outen?! Ich bin mutig und tue es. Du weißt ja, dass es auch mir/uns immer ein Vergnügen ist, deinen blog zu lesen, auch wenn Vieles schon erzählt und manches Bild schon gezeigt ist…die Kommentare gibts ja denn eher im „private ressort“. Aber toll ist, dass Du dran bleibst und du weißt ja: auch ich gehöre zu denen, die die Zahl der Klicks nach obern treibt, denn oft lese ich deine „Geschichten aus dem Randbezirk der EU“ noch ein zweites und ein drittes Mal!!
In Erwartung der nächsten spannenden, skurrilen, anrührenden und aufwühlenden Erzählungen….
Deine Mama
Es könnten ja ab und an mal ein paar andere Pappnasen aus dem Clan außer mir Jelenas geist- und lehrreiche und immer lesenswerte Artikel mit einer Antwort honorieren. Hoch die Hängeärsche!