Das Wahlfach Deutsch hat an meiner Einsatzschule einen schwierigen Status. Die Schüler sind lernbegeistert, offen für neues, wollen fleißig die neue Sprache erlernen – doch zumeist sind es die Wahlfachstunden, die anderen Examen, Matheextrastunden oder auf Anweisung der Klassenlehrer ausfallen. Ein wirklich beeindruckendes Schauspiel spielte sich heute auf dem Schulhof ab, als man uns Lehrern wieder einmal kurz vor Unterrichtsbeginn mitteilte, dass die Zehntklässler heute an einer wichtigen Pflichtveranstaltung teilnehmen müssten.
Zunächst waren die Schüler angewiesen worden, so tun, als wären sie mit dem „Self-Studying“ beschäftigt, bis die Marschmusik zum ersten Mal erklang. Da fielen die Stühle, die Hefte wurden zugeklappt und man rannte auf den Hof. Der diensthabende Sportlehrer war damit gar nicht zufrieden. So eine Unordnung. Ein Pfiff durch die Trillerpfeife, ein Schrei durch die Lautsprechanlage. Die versammelte Schülerschaft der 10. und 11. Klassen (etwa 3000 Schüler) wurde angewiesen, sich ordentlich in Reih und Glied zu stellen. Auf Befehl übte man das Kopfschwenken in Richtung der wehenden roten Flagge, die, mit den gelben Sternen drauf. Dann der einheitliche Lauf zurück in die Klassenräume. Es waren kaum zehn Minuten um, als zum zweiten Mal, und weitere zehn Minuten später zum dritten Mal trainiert wurde, dass tausende Schüler aus den Klassenzimmern in kürzester Zeit ihren Platz in der akkuraten Formation für die Fahnenzeremonie erreichen würden.
Beim letzten Mal dauerte es zwei Minuten. Dann klingelte es. Die Deutschstunde war vorüber.
