Vier Wochen lang war ich unterwegs, auf den Spuren der chinesischen Geschichte, auf der Suche nach dem heutigen Chinabild und den großen Lehrern dieses Landes. Jetzt, zurück in Wuhan, sieht hier alles ganz anders aus. Natürlich sind die Hochhäuser wieder ein ganzes Stück höher gewachsen, viele nun einzugsbereit, aber anders ist vor allem meine Sicht auf diese Stadt geworden. Weg ist ganz plötzlich der oberflächliche Blick auf die Einwohner der Stadt, weg die Anspannung im chaotischen Straßenverkehr. Liegt es an dem noch viel schlimmeren Verkehr, den ich in Haerbin kennenlernen musste? Liegt es am extrem-Sightseeing in Peking, das mich der chinesischen Kultur so viel näher brachte – oder sind es die stundenlangen Gespräche mit den Chinesen, die wir auf den langen Zugfahrten durch die Provinzen führten?
Ehrlich gesagt: Nach vier Wochen Reiseabenteuer ist die Rückkehr in den Alltag einfach schön. Wuhan scheint mir plötzlich so entspannend. Hier kenne ich die Busnummer zum nächstgelegenen Supermarkt, hier kennt mich der Nudelverkäufer, und hier gibt’s keine großen Tempelanlagen, die unbedingt erkundet werden müssen. Stattdessen habe ich nun schon so viele andere Städte in diesem Land erkundet, dass ich die Ruhe finde, genauer hinzuschauen. Wuhan überwältigt mich nicht mehr, langsam scheine ich mich wirklich an die Menschenmassen in den Bussen, die abenteuerlichen Marktgassen Wuchangs und den Hochhausdschungel allgemein gewöhnen zu können. Ich schaffe es, mich nicht mehr über jede achtlos auf den Boden geschmissene Plastiktüte / Taschentuch / Pappbecher aufzuregen, über das auf-den-Boden-rotzen oder -spucken, oder das rücksichtslose in-den-Bus-Drängeln zum Beispiel. Ich akzeptiere es nicht, kann es aber leichter hinnehmen.
Das einzige, was mir in Wuhan sofort wieder fehlt, sind die warmen, gemütlichen Hostels der letzten Tage. Entgegen meiner Hoffnungen ist es hier inzwischen nämlich nicht wärmer, sondern vielmehr nass-kälter geworden, sodass sich die Kälte nun ganz teuflisch durch Jacken und Hose beißt. Darum flüchte ich mich heute mit Laptop und dem Chinesischbuch in ein Café, zum Kaffeetrinken, Fotossortieren, um mich auf den zweiten Teil meines Sprachkurses vorzubereiten und jetzt die Reiseroute Revue passieren zu lassen.
In Peking habe ich gelernt, wie man die Pekingente wirklich isst. Nämlich häppchenweise eingewickelt in dünne Crêpes, mit Gurke, der typischen, würzigen Soße und Zwiebelscheiben. Außerdem haben wir uns in der Hauptstadt in den flachen Hutongs verlaufen, solange, bis uns schließlich ein Chinese den Weg hinaus zeigte, das war großartig! Die flachen Altstadtviertel sind das Herz der traditionsreichen chinesischen Hauptstadt. Noch können sich einige dagegen wehren, den plumpen Hochhauskolonnen weichen zu müssen. Das Wetter war wunderbar – wir hatten ein unverschämtes Glück – auch als es auf die große Mauer ging. Wie die Wachsoldaten vor 500 Jahren marschierten wir darauf umher, aber da wir ja nun schon 2012 haben, konnten wir anschließend mit der Sommerrodelbahn wieder hinabsausen!
In Chengde (Chängdöa) wurden wir konfrontiert mit den Auswüchsen einer Hochmodernisierung, wie sie mir unbarmherziger nicht hätten erscheinen können. Hohe Rohbauten, eng in Reih und Glied gesetzt, unbewohnt und kalt vor Totenleere. Bunt leuchtende Neonröhren, die unsere einsamen Schatten auf die breiten Straßen werfen.
An den Rand in die Hügellandschaften gedrängt, entdeckten wir am nächsten Tag aber doch die wunderschönen Tempelanlagen, für die die alte Sommerresidenz der Kaiser und die neue Residenzstadt der chinesischen Regierung berühmt ist. Der Cut zwischen alter Geschichte und dem chinesischen Blick in die Zukunft ist in Chengde mehr als deutlich zu spüren. Eine verrückte Stadt: kalte Modernität, langweilige Neubausiedlungen ohne Charakter auf der einen – und ein unglaublicher Reichtum an kulturellen Reichtümern auf der anderen Seite! Ein beeindruckender Nachbau des Potala Palastes aus Lhasa, in dem man einst (!) tibetische Gäste freundlich empfing, buddhistische Tempelanlagen, Aussichten über die Stadt hinaus ins hügelige Land und auf mongolische! Steppen im Palastgarten und trotzig- skurile Felsformationen, die einen kurz stutzen lassen,…
Zwei Tage später nahmen eine Freundin und ich den Nachtzug nach Haerbin (Haarbin) aus Peking. Ganz chinesisch hatten wir natürlich unsere Instantnudeln dabei, die man sich im Zug zubereiten kann, wo es immer heißes Wasser gibt. Es war die gemütlichste Zugfahrt der vierwöchigen Tour. In Haerbin haben wir eine alte Synagoge bewohnt, die zu einem Hostel umgebaut wurde, wir haben die Eisparks besucht, und unglaubliche Eiskunstwerke bestaunt. Großartig war auch die Szenerie des zugefrorenen, 2km breite Fluss, über den Pferdekutschen, Autos, kleine Panzer und (wir) Menschen schlidderten.
Von Tai’an (nach einer weiteren, 16-stündigen Zugfahrt) aus haben wir den heiligen Berg Taishan bestiegen, und zwar bei Mitternacht (klick hier: Nachtwanderung auf den Taishan), um auf dem Gipfel den Richu (Sonnenaufgang) „zu genießen“, auch wenn dies schließlich bei Eiseskälte kaum mehr als zehn Minuten möglich war.Es war eine sehr strapaziöse, herausfordernde, aber vor allem eine sehr schöne Wanderung. Hierher pilgerten schon vor 1000en Jahren die Kaiser, die auf der Suche nach göttlicher Bestätigung waren. An den Felsen kann man immer noch das alte „Graffiti“ (die Inschriften) aus Kaiserhand sehen.
Unsere Reise endete in Qufu (Tschüfuu), dem Geburts- und Sterbeort Konfuzius‘. In den konfuzianischen Tempeln hatte man das Gefühl, eine Brille mit Farbeinstellung zu tragen, seht selbst, in der neuen Fotogallerie (klick hier: Nordreise).