Mein Jahr in China

Spontan Voran

Dienstagvormittag. Von nur einem auf den anderen Tag kann alles anders werden: Wohnblöcke werden binnen weniger Stunden dem Erdboden gleich gemacht, an anderer Stelle recken sich zusehends neue Wolkenkratzer Meter für Meter höher in „die Luft“, oder besser: in den Smog. Nicht nur die Provinzhauptstadt Wuhan befindet sich in einem

一, 二, 三, 四 schallt es aus den Latsprechern über den Schulhof, wenn um 10 Uhr morgens die Morgengmynastik stattfindet.

Morgengymnastik nach der Nationalhymne

ständigen Wandel, sondern mit ihr mein Leben. Heißt es an einem Tag noch, alle Lehrerappartments seien aussichtslos belegt, so steht am anderen fest, dass ich in den nächsten beiden Wochen umziehen kann – vom Erdgeschoss in eine Dachgeschosswohnung, mit der Chance auf Sonnenlicht in meinem Zimmer und auf eine richtige Dusche! Dies erfahre ich beim gemeinsamen Mittagessen einiger Lehrer und der deutschen Austauschschüler, zu dem mich Frau Peng (an der Schule Direktorin internationaler Beziehungen) einlud.

Dienstagnachmittag. Mein Leben in China hat sich heute vor allem mit dem Beginn meiner Arbeit an der Mittelschule geändert: plötzlich stehe ich vor einem Berg voller Projektideen, die ich durchführen soll – Weihnachtsfest, Deutsche Woche, eine Umwelt-AG (in Wuhan!) und eine Deutsche Ecke (3 Mal wöchentlich). Ideensammlung war vorher, jetzt geht es darum, bei den Schülern Begeisterung für die Projekte zu stiften und sie einzubinden. Auf der anderen Seite gibt es plötzlich viele, viele Schüler, die auf einmal mit mir reden wollen und fragen, ob ich ihre Freundin sein will.

Mein Klassenraum

Dienstag-später-Nachmittag. Mir wurden zwei Deutschklassen zugeteilt, eine Anfängerklasse, und eine, die schon seit einem Jahr Unterricht hat. Gut vorbereitet starte ich also mit letzterer die Stunde, mit dem Ziel, die Lektionen des vergangenen Jahres zu wiederholen. Aber schon bald merke ich, dass auch hier ohne Spontanität kein Weiterkommen ist: Das einzige, was einige Schüler beherrschen, sind die Worte Hallo! Guten Tag! Gute Nacht! und Auf Wiedersehen! Das Problem ist, dass die chinesischen Schüler so schüchtern sind, dass sie sich nicht trauen, mir zu sagen, während der Ferien alles vergessen zu haben. Schließlich bringe ich eine Schülerin dazu, mir zu erklären, dass sie kein Deutsch könnten, weil sie im letzten Jahr so viel zu tun hatten, dass sie nur selten die Deutschstunden besuchen konnten. Alternativ erdenke ich mir also kurzer Hand mit den 38 Schülern ein Kennenlern-Spiel auf dem Schulhof, sehr zum Vergnügen einiger Lehrer, die wohl nichts besser zu tun haben, als zuzuschauen.

Stärkung vor dem Besuch von Mr. Mai's

Dienstagabend: Und dann gibt es noch meinen ersten Besuch bei Mr. Mai’s mit den Amerikanern. Mr. Mai’s ist ein Kulturcafé, in dem sich Ausländer und Chinesen treffen,zum Plaudern, Gitarre spielen und Kaffeetrinken. Hauptsächlich läuft es so ab, dass die Ausländer ganz viele Fragen beantworten. Die Atmosphäre ist toll – Kaffee- und Mandarinenmuffinduft, Gitarrenklänge und Menschengeplapper. Hier werde ich auf jeden Fall noch öfter ein paar Stunden verbringen. Aber an diesem Abend, nach meiner ersten Schulstunde, einem Klößchen-Suppen-Essen-mit-Stäbchen und der frohen Botschaft, dass ich bald eine neue Wohnung beziehe, bin ich hundemüde. Deshalb mache ich mich schon mit der ersten Ami-Heimfahrer-Truppe bei rotem(!) Mondschein auf den Heimweg.

 

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