Nun bin ich schon seit über drei Wochen in Italien und es fühlt sich so gar nicht so an. Einerseits denkt man so – drei Wochen: so eine kurze Zeit: manchmal fühlt es sich so an, als ob man erst gerstern oder vor einer Woche angekommen wäre. Und andererseits ist es für mich so, als ob ich schon viel länger hier wäre – bin ich wirklich erst seit drei Wochen in Italien? Dieses Gefühl kommt vor allem dann auf, wenn ich überlege, wie kurz ich erst Marius, Judà und Isidor kenne und wie nah man sich dennoch ist. Oder auch, wie herzlich der Umgang mit meinen studentischen Mitbewohnern ist. Wie mein Patenonkel Matthias gut zusammenfasste, musste ich durch Corona und einen zerplatzten Freiwilligendienst im Nahen Osten doch nicht auf die kulinarischen Köstlichkeiten des arabischen Raumes verzichten – danke, Salman, für dein leckeres Hummous und danke, Affida, Munaza, Sheyaryar, Zaad und Yawar für all die Einladungen, den süß-würzigen Chai und wie ihr mich gelernt habt, dass man viele Gerichte auch mit den Händen ohne Besteck essen kann.
Wie es nun einmal so ist, hatte ich mir schon bereits viel früher vorgenommen, an meinem Blog weiterzuschreiben, aber bisher war ich davor zu sehr beschäftigt, die Stadt in vollen Zügen zu genießen und zu entdecken, als dass ich Zeit gehabt hätte, mich mit Ruhe an meinen Blog zu setzen. Die letzten drei Wochen habe ich schon viel Neues erlebt, aufgeschnappt und erfahren, wie ich es vor September nicht erwartet hatte – Mailand hat mich in gewisser Weise wachgeküsst: aber es würde nicht stimmen, zu behaupten, dass die Stadt niemals schläft – dafür musst du nur am Samstag- oder Sonntagmorgen gegen acht oder neun Uhr durch die Straßen gehen: du wärst überrascht, wie leer Milano sein kann. Gerne blicke ich auf kleine – „random“ – Augenblicke zurück.
Dazu gehört zum Beispiel das Diskutieren im strömenden Regen über die Sinnhaftigkeit von Regenschirmen – wohl bemerkt unter einem Regenschirm. Der herbstliche Regen steht demjenigen, den ich in England erlebt habe in nichts nach (gerade regnet es auch wieder, weshalb es mir wie eine passende Zeit erschien, den Blog zu schreiben).
Oder das Spazierengehen durch das nächtliche Mailand und im Parco Sempione zu der Musik einer Bar mit einem Fremden zu „All the single ladies“ von Britney Spears zu singen und zu tanzen.
Aber auch das gemeinsame Kochen mit den anderen Freiwilligen und darüber zu debattieren, ob es die typisch italienische Art ist, Salz vor oder nach dem Kochen des Wassers hineinzustreuen – die Bucatini cacio e pepe haben wunderbar lecker geschmeckt, auch wenn manch ein Italiener entsetzt über die Wahl der dicken Spaghetti gewesen wäre.
Auch habe ich miterlebt, wie ein italienischer Mitbewohner – Christian – seine Linguine al carbonara aß und sich darüber bornierte, dass er die falsche Sorte Spaghetti verwendete: vor meinem Auslandsaufenthalt wusste ich nicht einmal, dass es unterschiedliche Sorten Spaghetti gibt und gar, dass man Unterschiede zwischen denen schmecken kann. Dank Wikipedia könnt ihr hier ein Foto der verschiedenen Nudelformen sehen. Manch ein Brite wäre wiederum überrascht gewesen, wie Christian seinen englischen Tee zubereitet: in der Mikrowelle.
Apropos, Mikrowelle: ich habe bei zwei Italienern gesehen, dass sie Instant-Kaffee trinken, was wiederum mich überrascht hat.
Oder auch in der Schule, wenn ich wieder mal ein Wort erkläre und mir am Anfang dessen nicht sicher bin, ob mich die Schüler verstehen werden: hast du dir bereits Gedanken darüber gemacht, was der Unterschied zwischen Feststellung und Behauptung ist? Ich habe als Metapher schließlich gebraucht, dass „die Erde ist flach“ zweiteres wäre und „die Erde ist rund“ eine Feststellung ist – ich glaube, die Klasse hat die Erklärung verstanden.
Auch viel Freude bereitet hat mir das Unterrichten alleine ohne Simona, weil dann der Draht zu den Schülern ein ganz anderer ist. Während eines Fragespiels mit Würfeln in der dritten Klasse habe ich zum Beispiel einer Gruppe beigebracht, dass es im Deutschen „Kopf oder Zahl“ heißt, als sie gerade statt der Würfel eine Münze warfen. Dafür lernte ich, dass es im Italienischen „testa o croce“ heißt.
Dies waren nur einige der vielen glücklichen Erlebnisse, die ich hier bereits sammeln konnte. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir auch der Polimi-Run, ausgerichtet von der hiesigen Hochschule „Politecnico di Milano“, an dem ich eine Woche nach meiner Ankunft bereits teilnahm. Obwohl es über ein Jahr zurücklag, dass ich 10 km gerannt war, schaffte ich den Lauf, was mich sehr freute und mit Energie versorgte: es war auch mein erster Lauf, an dem ich teilgenommen habe. An Matthias dachte ich vor dem Start, weil ich überlegte, ob meine Startnummer eine Primzahl ist. Als ich bereits bei Divisor 31 war und immer noch keinen ganzzahligen Quotienten als Ergebnis hatte, begann ich das Internet zu konsultieren und es stellte sich heraus, dass die 4603 tatsächlich eine Primzahl ist.