Risse im Eis

„Und welche Jahreszeit haben wir jetzt?“ Die Kinder werden unruhig bei dieser täglichen Frage, sie können sich beim besten Willen nicht einigen. Immerhin haben wir noch Februar, also nach dem Kalender noch Winter. Aber Mittwoch ist ja auch schon erster März. Zudem scheint die Sonne jetzt jeden Tag und bringt wärmere Temperaturen. Es sind zwar nach wie vor so um die null Grad, aber immerhin sind das über zehn Grad Unterschied zu den letzten Wochen, also warm!  Man braucht nichtmal mehr unbedingt die Strumphose unter der Hose und inzwischen geh ich richtig gerne die halbe Stunde von der Schule nach Hause. Der, zugegeben immer noch kalte, Wind scheint auch den Schnee davonzuwehen. Er bringt den vertrauten Geruch von nassem, sonnenbeschienenem Schlamm mit sich. Auch der Someș taut langsam auf, der ja für einige Wochen zu meiner Überraschung zumindest oberflächlich gänzlich zugefroren war. Eindeutig, die erste Frühlingsanzeichen, hier sind sie.

Es ist seltsam, jetzt die Berichte der „neuen“ kulturweitler zu lesen, die mehr oder weniger begeisterten Erzählungen vom zehntägigen Vorbereitungsseminar am Werbellinsee, die täglichen und immer wieder überraschten Beobachtungen der neuen Umgebung. Gleichzeitig hört man immer wieder von der Ankunft der mit mir ausgereisten kulturweitler, die nur sechs Monate weg waren und deren Nachbereitungsseminar diese Woche beginnt. Ein bisschen vermisse ich diese kulturweit-Blase, bin traurig das unser Zwischenseminar schon lange vorbei ist und das Nachbereitungsseminar noch in scheinbar weiter Ferne liegt. Vor allem lässt es mich aber mir gegenüber alt (im übertragenen Sinne) und, zu meinem Erstaunen, verwurzelt erscheinen.

Verwurzelt, in dieser Stadt, die mir so oft zu klein erscheint, in diesem Land, deren Politik einen wahnsinnig machen kann, mit so vielen Leuten, die mich nach wie vor ärgern. Doch gerade in der letzten Woche merkte ich immer öfter, wie komisch es sein wird, nicht mehr hier zu leben. Seltsam, dass ich einige der Menschen hier nach meiner Abreise so bald nicht mehr wiedersehen werde. Unvorstellbar, dass mich die Kinder, wie sie halt so sind, nach den Sommerferien bald vergessen haben werden.

Gleichzeitig merke ich, wie wichtig die Entscheidung war, diese Möglichkeit wahrzunehmen, gerade auch für ein ganzes Jahr wahrzunehmen. Auch wenn ich mich immer noch regelmäßig unterfordert und genervt von der Arbeitsweise hier fühle, diese Pause ist eine Goldgrube. Natürlich lerne ich hier unglaublich viel fürs Leben, was ja bekanntlich wichtiger als Schulwissen ist, doch inzwischen habe ich wieder richtig Lust mich hinzusetzen und zu pauken. Das äußert sich vor allem in einer immensen Vorfreude auf das Studium, dessen vielfältige Möglichkeiten regelmäßig meinen Entdeckergeist wecken. Vermutlich werde ich mich am Ende dieses Jahres für diese Sätze auslachen, aber gerade gibt es keine schöneren Überlegungen, als was man noch so alles lernen könnte.

Inzwischen bin ich sogar unglaublich froh, doch noch in Europa zu sein und nicht in Afrika monatelang darauf warten zu müssen, meinen Bruder endlich kennenzulernen. Ich freue mich sehr, Samstag endlich in P. zu sein, aber auch schon wieder auf den Alltag danach. Mein schlechten Gewissen, als Freiwilliger solche Freiheiten genießen zu können, während die Lehrer noch vier Wochen auf die nächsten Ferien warten müssen, plagt mich, obwohl Andere das Angebot der Direktorin, für zwei Wochen zu verschwinden, vielleicht ausgenutzt hätten. Ich fühle mich an der Schule inzwischen fast heimisch, Urlaub zu Hause bleibt letztendlich Urlaub und heute war ich wirklich traurig, als ein Mädchen aus der dritten Klasse verkündete, dies wäre ihre letzte Woche bevor sie nach England zieht. Ich frage mich hier oft, warum Deutschland und England nicht von Rumänen übervölkert ist, so oft wie ich von ausgewanderten Schülern oder Familienmitgliedern höre. Aber das ist nunmal auch Rumänien. Mein Rumänien.

7 Gedanken zu „Risse im Eis

  1. Auch wenn das wohl eine rethorische Frage war: die Wandern alle in die Länder mit romanischen Sprachen ab. Also Italien und Spanien vor allem.

  2. A propos rumänische Migration nach Westeuropa: Ich habe im Radio gehört, in Holland hetzt die für islamfeindliche Propaganda bekannte Partei von Pim Fortuyn mittlerweile gegen Osteuropäer.

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