Erste Schritte

Morgen beginnt so ziemlich die aufregendste Reise, die ich je angetreten bin. Jaa, logisch, ein Jahr in ein Land zu gehen, dessen Sprache man nicht beherrscht ist schon unglaublich aufregend (an diesen Zustand habe ich mich inzwischen allerdings gewöhnt), in einem Land, dessen Sprache man nicht beherrscht Bus zu fahren ist auch sehr abenteuerlich, ebenso wie im Nachtzug fahren überhaupt und erst recht in einem fremden Land Nachtzug fahren. Aber: Bis jetzt war ich dabei ja selten allein! Nur beim Busfahren, aber da hab ich einfach I. angerufen und an den Busfahrer weitergereicht. Morgen allerdings heißt es zum allerersten Mal: Allein, in einem fremden Land, dessen Sprache ich nicht oder nur begrenzt beherrsche Nachtzug fahren!
Wie das mit dieser Art von Abenteuern so ist, muss man sie wohl oder auch allein beginnen. So mache ich mich heute (gestern), nachdem ich mir mit Hilfe von C. und meiner kleinen Rumänischbibel ein paar Sätze und Wörter zusammengebastelt und -gesucht habe, auf den Weg Richtung Bahnhof.

Wie das mit dieser Art von Abenteuern eben auch so ist, steigt meine Angst unterwegs beständig: Was ist, wenn die dort kein Wort verstehen? Was ist, wenn keine Plätze mehr frei sind? Was, wenn es überhaupt KEINEN ZUG GIBT????

Wie das aber mit den Ängsten so ist sind sie alle unbegründet! Naja, Verständigung ist in der Tat ein kleines Problem. Die Frau am Schalter sieht zum Glück sehr nett aus, was mich von vornherein etwas beruhigt. So sage ich dann auch brav und stockend meinen Satz auf: „Un bilet a doua până la bucureşti, vă rog.“ (Ein Ticket zweiter Klasse nach Bukarest bitte!). Tja, weiter komme ich nicht, denn mit der Bitte beginnen ihre Fragen und mit ihren Fragen beginnen auch die Meinen.

Schon beim zweiten Satz verstehe ich nichts mehr und so wird es wieder einmal Zeit für meinen Lieblingssatz: „Scusaţi, nu înţeleg româneşte.“ (Entschuldigung, ich verstehe kein rumänisch.) Prüfend sieht sie mich an und fragt: „English? French?“ Ich nicke: „Da, english, french, germană!“, „English, a little bit“, „Bine“ (gut).

Also wiederholt sie das eben gesagte, nun in Englisch. Einige mehr Fragen, ein paar Fetzen englisch und ein Paar rumänisch später habe ich endlich meine Fahrkarte. Sie ist nicht viel größer als unsere BVG-Fahrkarten. Und darauf soll alles verzeichnet sein? Datum, Uhrzeit, Reservierung, Abfahrts- und Ankunftsort? Ich schaue immer wieder nach. Ja, alles da. Die Kleinheit der Karte irritiert mich.

Als ich mich gerade verabschieden will wechselt die nette Dame am Schalter wieder ins rumänische. „Wie lange bist du hier in Satu Mare?“ Wie so oft verstehe ich zwar, was sie sagt, vergesse aber im selben Moment wieder, wie sie das ausgedrückt hat. „Un ani“, ein Jahr, versuche ich mich. Sie versteht! 🙂 „Und was machst du hier?“, „Liceul germană…“, „german“, verbessert sie mich. „Da, ja genau“. Das Erkennen meines Fehlers wirft mich kurzzeitig ins Deutsche zurück. „Cum profesoară?“, „Nu, nu“, nein, antworte ich und bin ein bisschen ratlos, wie ich ihr das deutlich machen soll. „Sunt pentru“, ich mache das weltweit gültige Handzeichen für sprechen, sie wirft mir ein Wort hin, „cu elevii“. „Ah und wie alt bist du?“ Ich krame ein bisschen in meinem Gedächtnis. Neun -> nouă, „Nouăsprezece“. Die gute Dame ist sichtlich beeindruckt, strahlt mich noch einmal an und wir verbaschieden uns mit vielen „la revedere“s und „mulţumesc frumos“(es) meinerseits.

Mit einem Lächeln auf den Lippen trete ich aus dem dunklen Bahnhofsgebäude, unleugbar stolz. Über mir kreisen die unvermeidlichen Scharen von Raben, ihre Silhouette hebt sich malerisch schwarz vom rotgefärbten Abendhimmel ab. In der Hand halte ich die Fahrkarte zum bis jetzt größten Abenteuer meines Lebens.

Ein Gedanke zu „Erste Schritte

  1. Auf ins Abenteuer des Lebens, meine Große! Der erste Schritt liegt hinter Dir….

    Und viel Spass in Istanbul, eine tolle Stadt!

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