Archiv für den Monat: Mai 2015

Ein Drittel

Kaum zu glauben! Jetzt ist es genau 2 Monate her, dass ich am Werbellinsee im Vorbereitungsseminar von „kulturweit“ saß und mich mit allen anderen Freiwilligen über meine Erwartungen und Sorgen für die Zukunft im Ausland austauschte. Einerseits kommt es mir vor, als wäre die Zeit verflogen, wie nichts, andererseits, wenn ich über die Zeit nachdenke, hatte ich in den letzten Wochen so wahnsinnig viele neue Erlebnisse, die mir den Eindruck geben, als wäre ich schon eine Ewigkeit hier.

Was ich jeden Fall sagen kann ist: Ich habe mich sehr gut eingewöhnt! An das Leben in der Stadt, die Arbeit in der Schule, die neuen Menschen, die ich kennen gelernt habe und an tausende Eindrücke die mich in den ersten Tagen zugegebenermaßen in einen ziemlichen Kulturschock versetzt haben.

Am Anfang nutzte ich jeden freien Nachmittag, um durch die Stadt zu spazieren und jedes Mal gefiel sie mir ein bisschen besser. Kommt man erstmal durch den Gürtel der Plattenbauten durch, kann man im Stadtzentrum wunderschöne Plätze oder Straßen mit alten Gebäuden vorfinden. Man merkt, dass es eine natürlich gewachsene Stadt ist, die aber auch groß angelegte Straßen, besitzt, die bei der ersten Orientierung extrem hilfreich waren. Eine meiner Lieblingsstraßen ist die sogenannte „Karl Marx Straße“, die von meinem Gastopa schmunzelnd nur als Broadway bezeichnet wird, wegen der vielen Theater, Boutiquen, Restaurants oder teuren Geschäften am Straßenrand. Es ist eine große Verbindungsstraße im Zentrum der Stadt zwischen Westen und Osten, die zwar viel Verkehr hat, ihren Charme aber nicht verliert, durchdie Bäume am Straßenrand und viele, wunderschöne, alte Gebäude. Wie ich schon mal erwähnt habe, war es zu meiner Ankunft noch sehr schmutzig in der Stadt, da der Schnee schmolz und überall die schmutzige Brühe durch die Straßen floss. Jetzt liegt hier schon lange kein Schnee mehr. In den letzten Wochen war die Stadt in Frühlingsputz-Stimmung. Die Parks wurden langsam grüner. Viele Leute gingen auf die Straßen, um den Bürgersteig vor ihren Geschäften sauber zu machen, oder die Fassaden neu zu streichen. Auch die Angara, der große Fluss, der durch Irkutsk fließt ist seit wenigen Tagen vollkommen geschmolzen: jetzt kann langsam der Sommer kommen!

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Es sind oft Kleinigkeiten gewesen, die für mich am Anfang ziemlich ungewohnt waren. Zum Beispiel die laute Musik auf den Straßen. An jeder größeren Kreuzung, Straße oder Platz sind Lautsprecher angebracht, die Tagsüber laufend Musik spielen. Ich finde das ehrlich gesagt eine ziemlich coole Idee. Mir gefällt der Mischmasch aus den russischen Songs oder den international bekannten Oldies und es übertönt ein wenig den Lärm der Fahrzeuge auf den Straßen. Naja, ich möchte, denk ich, trotzdem nicht die Person sein, die direkt auf Lautsprecherhöhe ihr Apartment hat; ich denke nicht jeder Anwohner wird bei der Anbringung der Boxen nach Erlaubnis gefragt. Außerdem sind es, auf den Straßen, durch die zusätzliche Beschallung, oft zu viele Eindrücke auf einmal.

Eine weitere Sache, die neu war: überall kyrillische Schrift! Klar hatte ich mich schon darauf eingestellt und auch schon gelernt wie man sie liest, aber sie so schnell zu lesen, wie wenn es lateinische Buchstaben wären, geht ja auch wieder nicht. Außerdem gibt einem die andere Schrift das definitive Gefühl in einem fremden Land zu sein. Ich fand es von Anfang an total abgefahren; es hat mich ehrlich gesagt ein bisschen an meine Zeit in der ersten Klasse der Grundschule erinnert, als ich lesen lernte. Jedes Schild oder jede Werbetafel wurde laut und/oder leise gelesen. So auch hier J

Zwischendurch sieht man dann aber doch hin und wieder lateinische Buchstaben durchblitzen. Marken wie Adidas, Sony oder Subway sind ja dann doch wieder international. Ach ja diese hunderttausenden Subways in Irkutsk… Das ist echt auffällig! In fast jeder etwas größeren Straße gibt es einen; sogar im Haus neben dem meinem Plattenbau, wo ich wohne. Das war in den ersten Wochen mein großes Glück. Weil ich ja in der Wohnung kein WLAN habe, war ich dort oft ein gern gesehener Gast. Das WLAN in den Cafés und Bars in Irkutsk ist bis heute meine einzige Möglichkeit zu skypen. Das führt oft zu sehr verwunderten Blicken der anderen Gäste, die nah an meinem Tisch sitzen und plötzlich eine unbekannte Sprache hören, aber naja, auch daran gewöhnt man sich schnell.

Aber nicht nur WLAN ist der Grund, warum ich mich gerne in den vielen Cafés und Bars hier aufhalte. In den meisten Cafés fühle ich mich hier einfach wahnsinnig wohl. Das Angebot an Möglichkeiten ist auch echt abwechslungsreich. So wie die Subways, gibt’s hier auch „Harats Pubs“ wie Sand am Meer. Das sind echt urige Irish-Pubs in denen eigentlich immer ausgelassene Stimmung herrscht! Das Stadtbild wird zusätzlich durch abertausende Bankfilialen geprägt; ich frage mich manchmal, wozu es so viele braucht, man kommt ja auch mit weniger aus. So wie die vielen, vielen Blumengeschäfte an jeder Straßenecke. Wovon man in Deutschland oft zu wenig hat, hat man hier fast schon zu viel. Aber vielleicht sollte ich einfach nicht alles hinterfragen…

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Die Arbeit in der Schule klappt auch eigentlich ganz gut und die Arbeit mit den Kids macht meistens auch ziemlichen Spaß! Bei ein paar Stunden durfte ich mit assistieren, oder ich habe beim Thema Landeskunde einen kleinen Vortrag über meine Heimatstadt Regensburg gehalten und warum sie mir so gut gefällt. Ansonsten helfe ich sehr oft der 10. Klasse, die sich auf das zweite deutsche Sprachdiplom vorbereitet, indem wir deren Präsentationen durchgehen oder ich ihnen ein paar neue Redewendungen beibringe. In die sechsten Klassen gehe ich eigentlich am liebsten und bringe denen pro Unterrichtsstunde immer einen neuen deutschen Zungenbrecher mit. Die sind immer so motiviert und wissbegierig. Sie wollen alles verstehen und machen mir die Arbeit somit viel einfacher.

Ehrlich gesagt, hatte ich mir vorgestellt, etwas mehr in der Schule gebraucht und eingesetzt zu werden. Denn die Lehrerinnen wussten teilweise nicht genau, was sie mit mir anfangen sollten. Dadurch, unter anderem,kam ich auf eine Idee für mein „kulturweit“-Projekt. Und als ich den Lehrern vorschlug in den nächsten Wochen, bis zum Ende des Schuljahres, das Projekt durchzuziehen, begrüßten sie die Idee und erlaubten mir in so viele Deutschstunden vorbeikommen, wie ich benötige. Die nächsten Wochen bis Ende Mai habe ich jetzt auf jeden Fall genug zu tun. Zur Idee und zur Durchführung des Projekts werde ich aber demnächst mehr schreiben.

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Ansonsten bin ich fleißig am russisch lernen. Täglich versuche ich Zeit und Motivation zu finden, mich an den Schreibtisch zu setzen um neue Vokabeln zu lernen. Ich habe nun auch eine Privatlehrerin, mit der ich mich wöchentlich treffe. Aber zugegeben: ich hatte mir erhofft, dass es schneller geht, die Sprache zu verinnerlichen. Es kommt immer noch in Restaurants, auf der Straße, oder in der Gastfamilie zu Missverständnissen oder einem Mischmasch aus russisch und Zeichensprache. So einen „Klick“-Moment, von dem viele sprechen, habe ich leider noch nicht erfahren, aber ein bisschen Zeit bis August habe ich ja noch.

Ostern und nochmal Ostern

Die Feiertage der russisch orthodoxen Kirche und der christlichen Kirchen in Deutschland fallen nicht immer auf den gleichen Tag. Somit hatte ich hier in Irkutsk die Möglichkeit, an zwei Wochenenden hintereinander Ostern zu feiern. Die „deutschen“ Ostern waren eine Woche früher.

Über Kontakte um viele Ecken lernte ich hier einen deutschen, evangelischen Pfarrer kennen, der seit vielen Jahren hier schon wohnt und sich deshalb super in Irkutsk auskennt. Leider ist er für die nächsten 5 Monate in Deutschland. Aber solange er noch da war, hat er mich mit vielen netten und interessanten Menschen bekannt gemacht. Außerdem zeigte er mir etwas außerhalb der Stadt eine kleine Farm, eines der einzigen Behindertendörfer in Russland. Dort wurde ich auch sehr herzlich begrüßt. In das winzige Dörfchen kommt er manchmal, um zu helfen, oder für eine kleine Bibelrunde. Da werde ich auf jeden Fall auch noch mal vorbeischauen – Vielleicht im Sommer!

Zu Ostern lud er mich zu sich nach Hause zu einer privaten Messe mit Familie und Freunden ein. Mit ihm habe ich mich am Anfang oft unterhalten. Es war eine gute Möglichkeit, noch viele Fragen über Land und Leute loszuwerden. Generell ist mir aufgefallen, dass es hier wirklich viele Verbindungen zu Deutschland gibt – hatte ich anfangs im tiefsten Sibirien nicht erwartet…

Jedenfalls kam ich am Ostersonntag zu Ihm nach Hause, wo auch langsam ein paar Freunde eintrudelten. Wir waren etwa 25 Leute, von denen die Hälfte Kinder waren. Die kleine Andacht fand im Wohnzimmer statt. Wir saßen im Kreis, sangen Lieder und hörten uns die Predigt an. Echt lustig fand ich, die mir bekannten Kirchenlieder auf russischer Sprache zu singen; etwas schwierig, aber natürlich eine super Übung! Danach räumten wir den Raum um in ein Esszimmer um und es folgte ein Festmahl! Jeder hatte irgendeine andere Leckerei mitgebracht: Salate, Fisch- und Fleischspeisen und natürlich auch gefärbte Eier. Der Nachmittag war ein lockeres Beisammensitzen mit guter Unterhaltung und köstlichem Essen. Und für die Kinder hatte der Osterhase natürlich auch draußen ein paar Schokoladen-Ostereier versteckt. Die Zeit verging sehr schnell, bis ich spät abends netterweise nach Hause gebracht wurde… So viel zu meinen „deutschen“ Ostern in Sibirien.

Das darauffolgende Wochenende verlief etwas anders: Ich hatte mir nicht viel vorgenommen. Für Sonntag hatte ich mit Vitalij ausgemacht, gegen 2 Uhr mittags mit seiner Familie eine Kirche zu besuchen. Sonst spürte ich nicht viel Osterstimmung in der Stadt oder in der Schule. Man merkt, dass es hier ein Feiertag ist, der in der Kirche bleibt oder zu Hause bei den Familien. Es gibt keinen freien Ostermontag und eigentlich auch nicht das Ostereiersuchen für die Kinder. Dennoch ist es ein großes Familienfest in Russland; das bedeutet – viel gutes Essen! Dies betreffend bereiteten sich auch meine Gastgroßeltern auf Ostern vor. Über die letzten Wochen wurden die Zwiebelschalen aufgehoben. Daraus wurde dann eine braune Brühe angerührt, in der die weißen Eier gekocht wurden und so eine gleichmäßig hellbraune Tönung bekamen.

Am Sonntag musste meine Gastoma arbeiten, aber mein Gastopa servierte mir dann zum Frühstück die gefärbten Eier. Außerdem gab es süßes, russisches Osterbrot, dass „Kulitsch“ genannt wird. Echt lecker! Dann, als ich mich gerade in mein Zimmer zurückziehen wollte, klingelte es an der Tür und ein alter Freund meines Gastopas kam vorbei mit einer Flasche Wodka in der Hand. Und ehe ich mich versah, saß ich wieder am Tisch in der Küche… Bei jedem Gläschen wurde traditionellerweise auf etwas anderes getrunken (Von „auf die Auferstehung!“, bis „auf die Freundschaft!“ oder „auf den Weltfrieden“ war praktisch alles dabei.) Dazwischen haben wir immer vom köstlichen Essen auf dem Tisch genascht. Für das leibliche Wohl war also gesorgt. Es herrschte echt gute Stimmung am Tisch, auch wenn ich nicht alles verstand, worüber gesprochen wurde. Bald musste ich aber die Beiden alleine lassen, denn dann ging es schon mit Vitalijs Familie los in die Kirche. Dort war zwar kein Gottesdienst, aber bei meditativer Musik hatte man die Möglichkeit, Kerzen anzuzünden oder einfach nur zu lauschen und innezuhalten. Ich war außerdem noch froh, mit dieser wirklich prunkvollen „Kasan“-Kirche eine Ecke von Irkutsk zu sehen, die ich davor noch nicht kannte.

Kasan Kirche

Danach besuchten Vitalij und ich seine Großmutter (meine Gastgroßmutter) bei der Arbeit im Rathaus, um ihr auch frohe Ostern zu wünschen. Und weil ja Feiertag war und somit so gut, wie kein Betrieb herrschte, hatten wir die Möglichkeit, ein paar Räume und Säle zu besuchen, in die man als normaler Tourist wahrscheinlich nicht reingekommen wäre. Als wir uns genug umgesehen hatten, wollte ich noch nicht gleich nach Hause und Vitalij hatte auch noch ein bisschen Zeit. Also beschlossen wir, noch ein Museum zu besuchen: die Kunstgalerie – eine weitere Sehenswürdigkeit der Stadt, die ich mir auf keinen Fall entgehen lassen wollte!

Zu den anderen Sehenswürdigkeiten, die ich mir hier angesehen habe, kann ich wahrscheinlich wann anders noch ausführlicher berichten…