Mir ist vor kurzem aufgefallen, dass ich erst weniger als als zwei Monate in Rumänien bin. Das kann doch nicht sein! Ich habe schon so viel erlebt, dass es sich anfühlt wie mindestens drei Monate. Um ein Resümee zu verfassen ist es wohl noch ein bisschen früh. Aber ich habe inzwischen genügend Eindrücke gewonnen, um euch zumindest einen Überblick über den Alltag hier zu verschaffen.
Der öffentliche Nahverkehr
Steigt man in den Bus ein, wird man zunächst von Radiomusik begrüßt, die in Lautsprechern durch den ganzen Bus schallt. Man braucht also schon mal keinen MP3-Player mit auf den Weg nehmen, für Beschallung ist gesorgt. Eine Fahrkarte kostet nur zwei RON (0,4€) und man kauft sie nicht am Automaten oder beim Fahrer. Es gibt in jedem Bus einen Fahrkartenverkäufer, der durch den Bus läuft und die Karten verkauft. Bei meiner allerersten Busfahrt hatte ich kein bestimmtes Ziel. Ich wollte einfach mal mit dem Bus durch die Stadt fahren, bis zum neuen Stadtteil und dann dort herumspazieren. Der Ticketverkäufer, der wahrscheinlich hilfreich sein wollte, konnte sich aber nicht vorstellen, dass jemand einfach nur mit dem Bus fährt, um zu fahren. Dass es nicht wirklich wichtig ist, wo ich lande. Als ich ihm keine Adresse geben konnte, die ich erreichen wollte, fing er an mir einzureden, ich sei im falschen Bus. Es ging so weit, dass er mich an der nächsten Haltestelle dazu brachte, auszusteigen. Ich stand dann vollkommen verwirrt an der Haltestelle und wartete auf den nächsten Bus. Der fuhr natürlich genau die selbe Strecke wie der zuvor, aber hier fragte mich niemand, wo ich denn eigentlich hinwolle. Glück gehabt!
Das Shopping-Center
Im Zentrum, über dem Carrefour, gibt es ein „Shopping-Center“. Es ist wirklich interessant. Drinnen gibt es verschiedene Läden und Boutiquen, die allerdings nicht voneinander abgetrennt sind. Es gibt keine Wände oder Vorhänge, die die Ladenflächen einteilen. Es ist einfach ein großer Raum, mit den Waren und Kleiderstangen der verschiedenen Geschäfte.

Das unglaublich realistische Versprechen dieses Schönheitsinstituts bringt mich immer zum lachen, wenn ich die Rolltreppe zum „Shopping-Center“ hochfahre.
Der Zoo
Als wir mit der 5ten Klasse einen Ausflug in den Zoo nach Timişoara gemacht haben, war ich überrascht. So einen Zoo hatte ich noch nie gesehen: Die Gehege aller Tiere sind einfach auf dem schon vorhandenen Waldboden angelegt. Es gibt keine spezifischen Untergründe für Tiere aus einer anderen Weltregion. Kängurus hüpfen in ihrem Gehege durch den rumänischen Wald. Natürlich ist alles auch nicht so besucherfreundlich, wie man das aus deutschen Zoos kennt – keine Glasscheiben, damit man die Tiere gut photographieren kann. Stattdessen alle Gehege von Maschendrahtzaun umgeben. Und zwischendrin laufen überall Hühner durch die Gegend.

Die Affen klettern auf den Bäumen hoch über dem Ende des Maschendrahtzauns.
Das Schwimmbad
Ich gehe jetzt jeden Morgen schwimmen. Das macht richtig Spaß und abends falle ich komplett erledigt ins Bett. Bis man allerdings im Schwimmbad aufgenommen wird, ist das eine richtige Prozedur. Man braucht nämlich eine Bescheinigung vom Hautarzt, dass man keine Hautkrankheiten hat. Super, es sah also so aus, als müsste ich hier irgendeinen Arzt finden, der mich versteht und mir so bald wie möglich einen Termin gibt. Schon in meinem Reiseführer hatte ich gelesen, dass sowohl Arzt als auch Krankenschwester ein Geschenk erwarten, damit man überhaupt einen Termin bekommt. Bestechung also. Meine Kollegin Yvonne aus der Schule half mir netterweise bei dem ganzen. Als wir gerade auf der Suche nach der Hautarztpraxis waren, schaute eine Frau aus dem Fenster und erkannte Yvonne. Die beiden gehen zusammen schwimmen. Die Frau ist Krankenschwester und war so nett, mir diese Bescheinigung zu schreiben. Ich habe mich natürlich gefreut, dass ich nicht wegen diesem Wisch einen Arzttermin ausmachen musste. Aber trotzdem ist das natürlich Doppelmoral: Jeder soll eine Bescheinigung vorweisen, dass er keine Hautkrankheiten hat und untersucht wird man dann aber nicht, wenn man sie geschrieben bekommt.
Auch im Schwimmbad selbst gibt es interessante Regeln: Man bekommt eine Uhrzeit zugeteilt, und nur innnerhalb dieser einen Stunde darf man dort schwimmen. Bei mir war die Angestellte so nett, zwei Uhrzeiten auf mein Abonnement zu schreiben, damit ich entweder morgens oder abends kommen kann. Außerdem gilt die Pflicht des Badekappentragens. Damit komme ich gar nicht zurecht, denn ich habe ja so dicke Haare. Ich bin mit meiner Badekappe auf Kriegsfuß: Ständig rutscht sie mir vom Kopf, ich reiße sie mit aller Kraft tief in die Stirn, sie schnalzt gegen meinen Kopf und quetscht mir die Augäpfel ein, weil sie zu tief gerutscht ist. Aaaah!
Ansonsten ist das Schwimmbad aber super, die Bahnen haben olympische Länge und es gibt Zuschauerplätze, weil dort am Wochenende immer Wettkämpfe stattfinden.

Die Sprachbarriere
Fragt man jemanden (zum Beispiel an einem Ticketschalter), ob er oder sie Englisch spricht, bekommt man immer ein Nein. Davon darf man sich aber nicht verunsichern lassen: Meistens verstehen sie einen dann doch irgendwie. Trotzdem ist es sehr deprimierend, wie verloren man ohne Rumänisch-Kenntnisse ist. Ich spreche fließend Englisch, Deutsch und Französisch, doch das hilft mir hier kaum weiter. Ich hatte inzwischen schon dreißig Stunden Rumänisch-Unterricht und habe große Fortschritte gemacht. Trotzdem muss ich mehr üben und wiederholen, damit ich besser werde. Ein paar lustige Vokabeln kann ich ja mit euch teilen: Zum Beispiel die Zahl 16 – șaisprezece. Die Kurzversion davon ist șai’s’pe, dass spricht man schaischpe aus. Wieso ich da immer lachen muss, ist ja klar… Oder varză, das bedeuted Kohl. Da muss ich immer an Warze denken. Warm heißt hier cald, das ist natürlich total verwirrend. Kalt heißt übrigens frig.
Die Kultur
Die Deutschen sind im Ausland für ihre Direktheit bekannt. Auch hier stößt man deswegen auf Missverständnisse. Wenn man in der rumänischen Kultur etwas zu essen oder zu trinken angeboten bekommt, dann lehnt man zunächst dankend ab. Erst beim zweiten Mal, dass man es angeboten bekommt, sagt man ja. Wenn ich allerdings Nein sage, dann meine ich Nein. Nur wird das hier nicht so richtig ernst genommen, schließlich ist es ja normal, dass man seinem Gast das Essen erst aufdrängen muss. Es ist nicht so einfach etwas abzulehnen, ohne dass man den anderen beleidigt.
Das Rauchen
Ja, dieses maßlose Rauchen stört mich ungemein. Ich habe das Gefühl, dass ich der einzige Mensch in Rumänien bin, der nicht raucht. Geraucht wird natürlich nicht nur auf der Straße sondern auch in Cafés und Restaurants. Ich hasse es, wenn sich Rauchschwaden über mein Essen ziehen. Bei all den rauchfreien Zonen in Deutschland, bin ich an so was nicht (mehr) gewöhnt. Zum Glück ist es inzwischen so warm, dass man in den Cafés draußen sitzen kann. An der frischen Luft ist der Rauch erträglicher.
Einflüsse auf dem Ausland
Man ist überrascht, wie zusammengestückelt die rumänische Infrastruktur ist: Die lokalen Busse sind aussortierte Modelle aus den Niederlanden, die Züge sind alte französische Restposten. Ich habe auch schon Krankenwagen mit der Aufschrift „Deutsches Rotes Kreuz“ gesehen… Es gibt hier viel Second-Hand-Kleidung aus Deutschland. So kommt es vor, dass man immer wieder Leute in ausrangierten DeutschePost-Jacken oder T-shirts mit deutschen Aufdrücken herumlaufen sieht. Ich frage mich dann immer, ob die Leute verstehen, was auf ihrer Kleidung steht. Zum Beispiel bin ich heute an einem Mann vorbeigelaufen, auf dessen T-shirt eine Bulldogge war und darüber stand „Ich will dich nur spielen“.

Religion
Die vorherrschenden Religionen sind hier der Katholizismus und der Orthodoxismus. Gehen Orthodoxe an einer (orthodoxen) Kirche vorbei, bekreuzigen sie sich. Das habe ich vorher noch nie gesehen. Manche Frauen habe ich schon in High heels und Minirock die Straße entlang tackeln und sich dann auch auf Höhe der Kirche bekreuzigen sehen. Finde ich amüsant…
Sinti- und Roma-Hass
Leider leider herrscht hier immer noch eine große Diskriminierung gegenüber Romas. Im Bus werden ihnen böse Blicke zugeworfen, generell werden sie verachtet und bei jeder Gelegenheit beschimpft. Auch von den gebildetsten Leuten, von denen man so etwas nie erwarten würde, mit denen man sich ansonsten gut versteht, bekommt man schlimmes über die „Zigeuner“ zu hören. Ein Beispiel: Ich war vor einigen Wochen auf der Osterfeier des Deutschen Forums und auf dem Heimweg habe ich mich ganz normal mit einer Frau unterhalten, die ich dort kennengelernt hatte. Wir redeten harmlos über den kleinen Hundewelpen, den ich an diesem Tag gefunden hatte, da fing sie auf einmal aus dem Nichts an, darüber zu schimpfen, dass in diesem Viertel ja so viele „Zigeuner“ leben würden. Sie sagte, und das sagte sie wirklich: „Diese Zigeuner sind gar keine Menschen. Was die alles anstellen. Das sind Unmenschen!“ Ich war komplett vor den Kopf gestoßen. Ich wurde schon davor gewarnt, dass es nichts bringt, eine Diskussion über diese Einstellung anzufangen. Ich schneide dieses Thema nie von mir aus an, denn bei den meisten Leuten will ich lieber gar nicht wissen, was sie über die Roma denken, weil ich weiß, dass ich dann enttäuscht sein werde. Trotzdem kommt oft genug zu Sprache, meistens nur in Nebensätzen, wie schlimm und falsch und hinterlistig die Roma doch sind. Ich habe noch keinen Weg gefunden, mit solchen Aussagen klarzukommen.
Bestechung
„In Rumänien läuft alles über Beziehungen“, meinte ein anderer Rumänien-Freiwilliger vor einiger Zeit zu mir. Er hatte Recht – das sieht man ja ganz gut an dem Beispiel mit der Hautarzt-Bescheinigung. Läuft etwas nicht über Beziehungen, läuft auch heute leider noch vieles über Bestechung. Wenn man sein Zugticket nicht am Ticketschalter kaufen will, kann man auch einfach in den Zug einsteigen und dem Schaffner etwas zustecken (meistens ungefähr die Hälfte des Ticketpreises). Der steckt das dann in die eigene Tasche und man selber hat die Hälfte gespart. Viele Prozesse sind so über-bürokratisiert, dass man fast gezwungen wird, sie über andere Wege zu lösen. Um zum Beispiel ein Hausdach auszubauen, muss man einen Antrag stellen, der meistens über ein Jahr lang braucht, bis er bearbeitet ist. Außerdem ist es sehr teuer, deutlich teurer als das Dach einfach schwarz auszubauen, ohne Antrag. Diese Tatsache führt dazu, dass einfach jeder macht, was er will und die Regierung keine Kontrolle mehr über Umbaumaßnahmen hat. So passiert es auch, dass tolle alte Häuser – Wahrzeichen der Stadt – mit nicht-epochenadäquaten Fenstern o.ä. verunstaltet werden.

Ratet mal, welches mein Briefkasten ist. …Richtig! Aber mag er auch noch so klein sein, er hat dennoch großen Appetit auf Post. Adresse bekommt ihr von mir 
Es ist nicht alles schlecht und hoffnungslos hier. Ich denke, dieses Land hat großes Potential. Und ich werde immer wieder überrascht. Schlaglöcher, von denen man das Gefühl hat, sie seien schon zwanzig Jahre in der Straße, sind auf einmal zugeteert. Mein Hausflur ist plötzlich frisch gestrichen, als ich aus dem Urlaub wiederkomme. Es gibt Veränderungen. Es gibt Verbesserungen. Man darf einfach nicht vergessen, dass dieses Land bis vor nur etwas mehr als zwei Jahrzehnten noch in der kommunistischen Dikatur Ceaușescus gefangen war!
Und die abgefahrenste Nachricht kommt zum Schluß: Am vorletzten Sonntag hatte ich mit dem Chor des Deutsche Forums einen Auftritt in Tracht! Stellt euch bitte mich in Tracht vor. Halt, stellt es euch lieber nicht vor. Na ja, auf jeden Fall, da ich ja keine Tracht besitze und auch schockierender Weise weder einen langen Rock noch ein weißes Hemd mit nach Rumänien genommen habe, habe ich für Sonntag eine Tracht geliehen bekommen. Diesen Anblick will ich meinen treuen Lesern natürlich nicht vorenthalten und deshalb jetzt am Ende dieses langen Beitrags noch eine kleine Aufheiterung:

Ich im Dirndl…

Unser Chor-Auftritt