Nach der Theater-Chor-Fahrt in den Süden Chiles ging es normal weiter mit meinem Freiwilligendienst. Aber was bedeutet schon normal? Einen Alltag haben? Falls ja, dann erlebe ich gerade die unnormalste Zeit in meinem Leben.
Die nächste Reise steht schon an
Nachdem ich ziemlich spät am Freitag, den 7.10.2016, von der Theater-Chor-Reise mit den Studenten des Lehrerbildungsinstituts wiederkam, brauchte ich Samstag erst einmal etwas Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten. Nachmittags besuchte mich Vicky, die hier in meinem Blog schon öfters vorkam, um die Reise in die Atacama Wüste zu planen. Wir entschlossen uns, zusammen den Norden Chiles zu erkunden und auch noch eine viertätige Tour in die Salzwüste „Salar de Uyuni“ in Bolivien zu unternehmen. Da sie Anfang Dezember schon wieder nach Deutschland geht, wollen wir vorher zusammen in die Atacama fliegen. Laut Bekannten ist November das auch eine tolle Reisezeit für die Wüste. Im Februar ist es zum Beispiel schon so heiß, dass mir von verbrannten Wimpern erzählt wurde. Darauf kann ich dann doch verzichten. Bald muss ich Santiago also mal wieder für ein paar Tage „Tschüss“ sagen.
Das dunkle Kapitel Chiles

Da ich eine Woche lang mit 35 anderen Personen immer zusammen gereist bin, brauchte ich endlich mal ein wenig Zeit für mich. Deshalb bin ich dieses Mal alleine ins Zentrum Santiagos gefahren- mein Ziel war das „Museo de la Memoria y los Derechos Humanos“ („Museum der Erinnerung und der Menschenrechte“).

Museo de la Memoria
Es war -den Umständen entsprechend- ein sehr schönes Museum und ehrlich gesagt auch das erste, das ich bis jetzt in Santiago besucht habe. Es war ziemlich modern und mit vielen eindrucksvollen Bildern bestückt. Zum Glück hatte ich das Thema Pinochet und damit auch die chilenische Diktatur schon im Spanisch Leistungskurs behandelt. Dadurch konnte ich (leider) so gut wie alles verstehen… Ich habe in dem Museum zwar viel gelernt, vor allem durch die schlimmen und zugleich beeindruckenden Einzelschicksale, aber trotzdem hatte ich mir mehr Details erwünscht (so makaber wie es klingt). Mir wurde nämlich vorher gesagt, dass dieses Museum für Chile quasi revolutionär sei, da die Geschichte sehr jung ist und wirklich viele Leute Pinochet noch unterstützen bzw. seine schlimmen Seiten ignorieren. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass in den öffentlichen, normalen Schulen über das Thema nicht geredet wird. In Chile stockt die Aufklärung über die Geschichte also noch gewaltig. Wahrscheinlich muss man der Bevölkerung Zeit geben, bis sie sich trauen, richtig darüber zu diskutieren… Die Diktatur endete eben erst vor 26 Jahren. Ich merkte vor allem in diesem Museum, wie jung diese Geschichte ist: Neben mir fingen manche Personen an zu weinen, trösteten sich oder die Kinder nahmen ihre Eltern schützend in den Arm. In diesen Momenten, hatte mich auf einem Schlag eine so große Traurigkeit übermannt. Es ist wirklich nicht alltäglich, geschichtliche Fakten und Quellen vor sich zu haben und dazu nebenan eine Person, die schon ganz glasige Augen bekam, da sie oder Verwandte wahrscheinlich persönlich damit zu tun hatten. Manchmal war ich kurz davor mitzuweinen, weil eine wirklich traurige Atmosphäre im Raum hing. Es ist sehr schwer diese Momente, die ich im Museum erlebte, zu erklären- allein weil die Diktatur eine wirklich komplexe (und vor allem in Chile eine sehr gespaltene!) Angelegenheit ist. Auf jeden Fall ist das die traurigste Erfahrung gewesen, die ich bis jetzt in Chile gemacht habe.

Ausstellung eines Fotografen außerhalb des Museums

„Das Museum ist eine Schule- Der Künstler lernt zu kommunizieren und das Volk lernt Verbindungen herzustellen“
Aber wenden wir uns mal wieder den schönen Seiten des Lebens zu:
Micky Maus ganz groß
Nachdem ich im Museum war, wollte ich eigentlich nur zur U-Bahn Station, um wieder zu meiner Wohnung zu fahren. Auf dem Platz zum U-Bahn Eingang waren dann aber sehr viele Menschen und ich folgte ihnen einfach kurz. Sie liefen direkt zum Eingang des „Parque Quinta Normal“-und ich dann eben auch. Ich blieb eine Weile hier, da die Sonne schien und ich einfach etwas Zeit hatte. Außerdem kannte ich bis jetzt nur den Parque Araucano in Vitacura. Aber der Park hier war so viel lebendiger: Es gab viele Verkaufsstände, Tänzer, Clowns und sogar Micky Maus als Maskottchen. Es war generell sehr voll. Man konnte Tretboot in einem Dümpel fahren und auch in ein paar kostenlose Museen, die sich mitten im Park befinden, gehen. Der Parque Araucano, wo ich immer jogge, wirkt dagegen langweilig. Er ist gepflegter, aber nicht lebendiger. Damit ihr eine Vorstellung vom bunten Park weiter im Zentrum bekommt, hier ein paar Fotos.

Parque Quinta Normal

Palmen im Quinta Normal

Ein Gewässer im Park

Einer der vielen Straßenkünstler (und im Hintergrund ein Museum)

Über die Ernährung in Chile könnte ich einen ganzen Blogartikel verfassen
Ein kleines Kavaliersdelikt
An einem freien Montag stand nun eine Fahrradtour mit Vicky an: Unser Ziel war der Parque O’Higgins, ein Park, der sich noch weiter im Zentrum befindet. Fahrrad fahren ist in Santiago -vorsichtig ausgedrückt- sehr schwierig. Die Autos achten überhaupt nicht auf einen und von den Busfahrern habe ich ja schon in meinem ersten Blogeintrag geschrieben. Von Radwegen kann man hier höchstens träumen. Deshalb gibt es auch eine Radhelmpflicht in Santiago. Zu unserem Glück gab es genau an diesem Tag im Stadtzentrum eine große Demonstration, wodurch einige Viertel durch die Polizei abgesperrt waren und wir trotzdem mit den Fahrrädern durchfahren konnten. Es war so entspannt, auf den normalerweise sehr dichtbefahrenen Straßen, die oft voller Stau sind, einfach durchradeln zu können. Wir waren übrigens nicht die einzigen Fahrradfahrer, die das ausnutzten.

Leere Straßen-Ausnahmezustand in Santiago
Nur eine Sache solltet ihr mir nicht nachmachen: An einer Kreuzung von einer abgesperrten Straße und einer Straße mit normalem Verkehr, standen sehr viele carabineros, die chilenischen Polizisten. Es kam kein Auto, also fuhr ich natürlich ganz entspannt über die Straße und merkte dann gegen Ende der Straße, dass Vicky ja fehlt. Sie wartete lachend auf der anderen Seite. Zu meiner Überraschung merkte ich, dass hier eine Ampel stand und diese auch rot war. Ich war schon echt froh, dass die Polizisten nur hinterher schauten, aber nichts unternahmen. Ihr könnt die carabineros nämlich nicht mit irgendeiner anderen Polizei in Südamerika vergleichen. Die chilenischen Polizisten sind nicht bestechlich und mit ihnen ist auch wirklich nicht zu scherzen. Außerdem sind sie die sicherste und zuverlässigste Polizei, die es in ganz Südamerika gibt. Den ganzen Monat lang fiel mir vor allem die Präsenz von ihnen extrem auf. Ich habe eigentlich keinen Tag gehabt, wo mir nicht mindestens ein Polizist begegnet ist. Dadurch fühlt man sich schon echt sicher. Nach einer lustigen Radtour im autofreien Zentrum, sind wir endlich an unserem Ziel, dem Park, angekommen. Aber von wegen Entspannung: Ich fuhr auf einer Wiese mit meinem Fahrrad und ein ziemlich großer Hund, der eben gerade noch rumlag, machte aus irgendeinem Grund Jagd auf mich. Ziemlich schnell trat ich nun in die Pedale- bis der Hund endlich zurückgerufen wurde. Am liebsten hätte ich hinterher noch den Satz gehört: „Der will nur spielen!“. Aber abgesehen davon, war der Parque O’Higgins lauter und größer als der Parque Quinta Normal, aber dafür auch ein wenig schmutziger.

Ein schönes Gebäude auf unserem Weg

Am Eingang zum Parque O’Higgins (Fotos sind schräg, da sie oft schnell vom Fahrrad aus gemacht wurden)
Nach der Fluchtaktion vor dem Hund ging es auch schon weiter: Diesmal aber eher in die etwas ärmeren Gegenden. Wir waren jetzt nicht in einer población (Slum), aber die Umgebung war doch schon anders. Wir kamen unter anderem an einem Krankenhaus vorbei, wo sich mehrere lange Schlangen vor dem Eingang gebildet haben und sich draußen billige Essensstände und vieles mehr für die Wartenden etabliert hatte. Als uns aus verschiedenen Gründen nicht mehr ganz so wohl in dem Bezirk war, ging es wieder zurück Richtung Fahrradverleih. Wir trafen während des Weges auf die vielen Menschen der großen Demonstration. Unser Problem war nur, dass wir irgendwie auf die andere Straßenseite mussten, also schlängelten wir uns mit den Fahrrädern durch die Menschenmassen. Später, als wir endlich durchkamen, gelangten wir zu einer Ampel (an der ich diesmal wartete). Und dort treffe ich ernsthaft meinen ehemaligen Nachbarn aus meinem Heimatort nahe Berlin. Seit Ewigkeiten habe ich ihn nicht mehr gesehen und plötzlich steht er in der Riesenmetropole Santiago vor mir. Wie klein die Welt doch ist…

Demonstration
Die darauffolgenden Wochenenden waren voller toller Erlebnisse gefüllt. Ich kann aus Zeitmangel ehrlich gesagt nicht über alles schreiben geschweige denn ins Detail gehen. Deshalb nur kurz ein kleines Highlight: An einem Samstag war ich mit Vicky und ihren Freunden vom Sprachkurs in Vitacura feiern. Ich war ganz froh, dass der Club nur fünf Minuten zu Fuß von meiner Wohnung entfernt war, da ich danach gleich in mein Bett fallen konnte. Wir haben uns einen wirklich coolen Abend in der Bar und im Club gemacht und es war echt interessant, wie es hier ist im Club zu feiern, anstatt in Deutschland -vor allem was das Tanzen angeht! Das war sicherlich nicht die letzte Nacht, in der ich mit Freunden weggehe.
Work, work, work, work, work
Damit ich nicht den Eindruck erwecke, dass ich in Santiago nur Freizeit habe: Von Montag bis Freitag bin ich natürlich in meinem Lehrerbildungsinstitut tätig. Täglich von 8:00 Uhr bis 16:30 Uhr. Glücklicherweise sind meine vielen Aufgaben immer anders, aber ich bin vor allem für die Presse verantwortlich. Ich schreibe einige Artikel für die deutsch-chilenische Zeitung in Santiago und Texte für die neue Website des LBIs, die bald online geht. Es macht mich natürlich total glücklich, dass ich neben „normalen“ Aufgaben vor allem in dem journalistischen Bereich tätig sein darf- meine absolute Leidenschaft. Aber nicht nur die Aufgaben sind sehr vielfältig, irgendwie hält jeder Tag eine kleine Überraschung bereit: Egal ob die Praktikantin und ihr Freund mich auf der Hälfte des Weges mit dem Auto zufällig mitnehmen oder ob man ein Kompliment für einen Text von den netten Kollegen bekommt. Die kleinen Dinge im Leben machen einen glücklich. Das und viele andere Sachen sind mir Ausland erst richtig bewusst geworden. Und das allein nach einem Monat. Ich bin gespannt, was ich die nächsten fünf Monate noch erleben und lernen werde.
Bald geht es also nach Bolivien und in die Atacama mit Vicky. Die nächste Woche muss noch viel vorbereitet werden. Entspannung ist erst einmal nicht in Sicht, aber dafür bin ich ja auch nicht nach Chile gegangen. An dieser Stelle eine kleine Entschuldigung, dass ich nicht über jeden Tag und alle Erfahrungen schreiben kann. Ich erlebe wie gesagt zurzeit so viel am anderen Ende der Welt und mir fällt abends ein, dass ich noch meinen Blog weiterschreiben muss, damit ich nicht immer dieselben Fragen beantworte. Ich hoffe ihr bekommt trotzdem einen kleinen Einblick in meinen Freiwilligendienst und mein Leben hier. Wenn ich wieder nach Santiago zurückkehre, werde ich den nächsten Artikel über die Reise in meine erste Wüste und Salzwüste schreiben. Es geht auf zu neuen Abenteuern! 🙂