„Welcome to India“ sagte mein Sitznachbar, was ich mit einem hysterischen Lachen quittierte. Der Gedanke an die 240 kulturweit-Freiwilligen, mit denen ich 10 Tage verbracht habe, mit denen ich Weingläser geschwenkt und Vorurteile aufgedröselt habe, half. 240 Rucksäcke werden grade umgeschnallt, Herzen beruhigt, Abenteuer begonnen.
Mein Abenteuer schlug mir sofort in die Magengrube, Indien attackierte meine Sinne wie ein träges Tier das mich in seinen Verdauungstrakt befördert hatte. Es riecht anders (würzig? fruchtig? tief?) und ist so schwül, dass meine stete Schweißschicht Salzkristalle auf meinen Poren bildet. Ich lag in der ersten Nacht im Bett und lauerte auf das Heimweh, das mich damals, mit 16, in einem Holzhaus in Amerika liegen ließ und mir die Kehle zuschnürte. Es musste irgendwo sein, in den steten Hupgeräuschen, den nächtlichen Straßenkämpfen streunender Hunde, in den Rotiergeräuschen meines Ventilators. Es starrte mich sicher an, bereit in der Fremde mit Gedanken an Lieblingsmenschen loszuschlagen und mich auch aus den Augen schwitzen zu lassen. Doch nichts. Stille. Weiteres Hupen. Das Heimweh blieb still, so wie es in allen Städten in denen ich nach dem Abi meine Zelte aufschlug still blieb, als hätte ich es 16jährig wie eine einmalige Krankheit überwunden und wurde nun mit lebenslanger Immunität belohnt. Fast trauerte ich ihm ein bisschen hinterher (denn die Lieblingsmenschen fehlen doch. Immer.)
Es ist alles so sehr anders als ich es gewohnt bin, dass ich dem Ganzen mit einer seltsamen Entspanntheit gegenüberstehe. Kaffee am Morgen spare ich mir, die Fahrt in der Autorickshaw tut es auch. Während ich mich beim ersten Mal an die Stäbe klammerte und flehentlichen Blickkontakt mit dem Bild eines hinduistischen Gottes aufnahm, das in der Front auf einem kleinen Altar thronte, sitze ich mittlerweile lässig da und strecke die Füße von mir (während ich in Gedanken immer wieder ein beruhigendes Mantra wiederhole). Die Hupe fährt stets mit, man muss nicht bremsen, blinken, ranfahren, wie ein empörter Löwenschrei reitet sie voran und macht den Weg frei. Meine aufgerissenen Augen fahren hinterher.
Und so bin ich in den letzten Tagen in zwei Welten angekommen. Warme indische Wohnung, staubige Straßen, grüne Gewächse ist die erste Welt. Voll mit Regeln die ich nicht kenne, Wörtern die ich nicht weiß, Aufgaben die an Banalität kaum zu übertreffen sind (Welcher Obsthändler ist okay? Wie viel ist ein Bund Bananen wert? Wo zur Hölle bin ich grade?). Die zweite Welt umschließt mich wenn mein Arbeitstag beginnt, ich die klimatisierte Bibliothek des Goethe Instituts betrete und an Deutschlernenden vorbei zu meinem Computer schlendere. Hände werden geschüttelt. Deutsch wird gewechselt. Kafka und Frau Sibylle blinzeln mich aus den Regalen an. Ich blinzle zurück. „Ihr ollen Haudegen“, flüstere ich. „Auch hier?“ Sie schweigen (aus unterschiedlichen Gründen).
„Welcome to India“ sagte meine Vermieterin und reicht mit einen Chai. Ob ich denn schon etwas in der Hindi-Stunde gelernt habe? „Aber ja“, sage ich und nicke eifrig. „(ich kraxel mich durch ein paar Laute und schaue sie stolz an).“ Meine Sätze: „Mein Name ist Ariane. Ich bin glücklich.“
Mal schauen was ich in der zweiten Stunde lerne.
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