Permalink

2

Über Privilegien.

Ich bin gerade Gast in einem Land. Ich war schon oft Gast in Ländern, wurde in Familien aufgenommen und an gedeckte Tische gesetzt. Meine Freunde und ich, wir schultern selbstverständlich unseren Rucksack und betreten fremde Welten. Wir müssen vor keinen Türen verharren, sie werden geöffnet, wir müssen in keine Kofferräume, sondern strecken die Beine in Flugzeugen aus, wir schlemmen und pennen und ruhen im Warmen, im Trockenen, im verlockend Fremden.

Ich bin gerade Gast in einem Land. Und ich sehe anders aus. Meine Haut ist weiß. Kinder zeigen auf mich, Männer pfeifen mir hinterher, Frauen streichen über meine Haare. Zu Anfang fühlte ich mich wie ein Fremdkörper, meine Andersartigkeit steckte in meinen Poren. Mein westlicher Reichtum klebte an meiner Haut und ich schämte mich, obwohl ich mich bedeckte, entblößte mich meine Hautfarbe. Doch irgendwann lösen sich Farben auf und werden zu Gesichtern.

Ich bin gerade Gast in einem Land. Und erzähle gerne von meiner Heimat. Man hört mir zu, wenn ich davon erzähle, hakt nach und wundert sich zuweilen. Mein Deutschsein kommt in Kulturkollisionen zum Vorschein, wenn Indien an Deutschland prallt und sich beide Parteien verwirrt betrachten. Ich kann meine Kultur dehnen und verändern, sie ausschmücken und vermischen. Aber ein Kern bleibt gleich, irgendetwas tief vergraben in mir gibt mir Orientierung. Oh, deutsche Sprache, du seltsamste von allen. Du bist immer bei mir.

Doch in den vergangenen Wochen hadere ich. In was für ein Deutschland werde ich in drei Monaten zurückkehren?

Ich verfolge in virtuellen Welten, dass sich Lager bilden. Dass hysterische Untertöne sich in Kommentare und Diskussionen schmuggeln. Dass Halbwahrheiten die Unklarheiten übertönen. Geflüstertes über Menschen, die wie ich in Indien, optisch als Fremdkörper wahrgenommen werden. Doch ihnen werden keine Komplimente hinterhergerufen. Menschen, die ihre Familie verloren haben und im neuen Land keine finden. Die nicht an gedeckte Tische eingeladen werden, sondern deren Essen kritisch beäugt wird.

Wir suhlen uns in Privilegien. Deutsche Auswanderer sind Abenteurer und werden mit Reality Soaps belohnt. Wir nehmen uns Sabbaticals und reisen um die Welt. Wir markieren auf Karten die Länder, in denen wir schon waren.

Studieren bis tief in unsere 20er-Jahre hinein, schnabulieren Wissen und fabulieren Geschichten.

Vor 400 Jahren kam mein Urahn aus der Türkei nach Deutschland und schlug dort Wurzeln, die sich bis in meinen heutigen Nachnamen weiterranken. Das Familienwappen wird zuweilen stolz herumgezeigt, ach, was für eine exotische Geschichte doch durch unsere Adern fließt!

Und ich sitze 400 Jahre später mit Privilegien behangen an einem Schreibtisch in einem anderen Land.

Ich habe keine Angst, dass sie mir genommen werden. Sondern hoffe, sie so einzusetzen, dass sie sich vermehren und auf Andere ausbreiten. Eine Ansteckungshoffnung. Mein Deutschsein schenkt mir Möglichkeiten. Freiheiten, die ich seit 25 Jahren gierig nutze. Wandernd, studierend, erlebend. Und die Zeit ist nun gekommen, bei der ich sie auch für andere nutzen kann. Helfend. Einladend. Ein Versuch zu verstehen.

In drei Monaten kehre ich nach Deutschland zurück. Mit einem frischen Käsebrot in der Hand werde ich aus dem Flughafen treten. Den Kopf aufrichten (der voll von Erinnerungen der letzten sechs Monate sein wird.) Das Herz beruhigen (gefüllt von Wiedersehensfreude und Abschiedsschmerz). Die Privilegien nutzen.

Denn was sollen wir sonst unseren Nachgeborenen berichten?

 

Permalink

off

Drei Lektionen zum Mitnehmen, bitte.

„Und“, sagte Hannes und rückte seine Brille zurecht „hattest du schon einen Kulturschock?“ Ich zuckte in beeindruckender Entspanntheit mit den Schultern und sagte: „Ne, also, das kann man so jetzt nicht sagen. Ist halt alles sehr anders, eigentlich so sehr anders, könnte man meinen, dass ich gar nicht dazu komme geschockt zu sein.“ Und ich lächle lässig wie es nun mal meine Art ist (oder zumindest meine Art sein könnte, in Indien.) „Aha!“ rief Hannes und erhob seinen Zeigefinger, „du befindest dich noch im Pre-Schock! Ein gar häufig auftretendes Phänomen, bei dem man zu Beginn geflasht durch das Land latscht und dumm–lächelnd an Streetfood nagt. Aber irgendwann, Ariane, irgendwann, da wird dir klar, dass das alles“ und er zeigte mit ausladender Handbewegung auf das uns umgebende

Rickshas rule.

Rickshas rule. (Foto von Florian, dem ollen Haudegen.)

Indien, „dass das alles hier ab jetzt dein Alltag ist.“ Ich nickte immer noch lächelnd und folgte seiner Hand. Er zeigte auf Rickshas die mir in die Hacken fahren und in die Ohren hupen während Kinder mit kleinen Gesichtern und erwachsenen Bewegungen an meiner Kleidung ziehen und betteln. Eine Kuh, mit einem Rücken der aussah als trüge sie ganz Indien auf den Schultern, wogte langsam schreitend vorbei. Der Schweiß stand auf meiner Stirn, meine Ohren waren voll, es roch nach Blumen und vergammelten Eiern, bunte Farben rankten sich über Frauenkörper während ich mittendrin stand und den Smog der Straße inhalierte. „Alltag.“  sagte Hannes. Mein Lächeln fror fest und ich sagte die nächsten zwei Stunden nichts mehr.

(An dieser Stelle möchte ich erwähnen dass Gespräche zuweilen dezent modifiziert sind, auch besteht potentiell die Möglichkeit, dass es sich nicht hundertprozentig so zugetraDSC07480gen hat und die Kuh erst ein paar Tage später an mir vorbeiwogte. Man möge mir verzeihen.)

Die Woche danach wurde zu einem Kampf. Ich stemmte mich mit aller Kraft gegen Delhi und Delhi stemmte zurück. Das Kräftemessen forderte seine Opfer. Ich schrie einen Rickschafahrer an und fluchte beim Einkaufen, beim Schlendern und in Gesprächen. Ich kämpfte mit Krallen und Zähnen, ich fauchte und wischte mir die Tränen aus den Augen.

Doch so kam ich nicht weiter.

Jedes Entgegenstemmen ließ mich abends erschöpft ins Bett fallen, während Delhi nie die Kraft ausging. Eine Stadt wie ein Tier durch dessen Blutbahnen ich immer weiter geschleust werde.

IMG_20151003_161014Und ich lernte die erste Lektion: Hingeben ist nicht gleich aufgeben.

Nach Tagen des Aufstands kündigte ich meine Kapitulation an. Ich atmete tief durch und oh, wie gut Delhi auch riechen kann, nachts, wenn man an blütenschweren Tempeln vorbeifährt. Jede Situation wurde nun angenommen und ich gab mich hin. Lehnte mich zurück in der Autoricksha und betrachtete das bunte Treiben. Trank im Regen Chai während der Bus neu verschweißt wurde. Atmete in der Yoga-Stunde in mich hinein. Hingeben ist nicht gleich aufgeben. Go with the flow, raten alle Indienkundige, und wie leicht man sich fühlen kann wenn man dies endlich tut.

Die zweite Lektion die ich lernte war simpel und wartete auf mich in den menschenvollen Gassen Old Delhis, lauerte auf den tosenden Straßen: Gehe immer weiter. Bleib nicht stehen, niemals, gehe ohne Zögern voran. Wenn du dies tust wirst du plötzlich Teil der Bewegung und fließt durch die Straßen. Deine Hände streichen über bunten Stoff, hinter jeder Tür und jedem Fenster erwartet dich eine neue Szenerie wie ein ewiges Straßentheater. Du lässt dich treiben und staunst und staunst und staunst.

P1010378

Old Delhi steht stetig unter Strom.

Das ist auch die dritte Lektion. Die ersten Wochen pulsierte in meinem Kopf ein einziger Satz: „Wie funktioniert dieses Land?“ Menschenmassen und Kühe und Ziegen schieben sich durch Gassen, Hochzeitgesellschaften tauchen mitten auf der Straße auf, so bunt dass ich nicht weiß wie ich hinsehen soll. Ich fülle tausend Dokumente aus um mich in Delhi registrieren zu lassen, ich sehe Kleinkinder auf Motorrädern sitzen und frage verwirrt und verwundert: „Wie funktioniert dieses Land? Wie, wie, wie?!“ Welch bescheuerte Frage. Irgendwie, in all dem Chaos, funktioniert es. Du wirst nie das „Wie“ beantworten können. Lehn dich zurück. Wundere dich. Staune.

Nach ein paar Wochen in meiner Wohnung beschloss ich, dass es Zeit wird auszuziehen. Ohne Mitbewohner und ohne Internet las ich mein zehntes Buch durch und starrte meinen Ventilator an. In der hinteren Ecke des Zimmers lauerte das Heimweh. Ich brauchte Gesellschaft. Und wie in Indien die Dinge manchmal laufen fiel alles in seinen Platz. Ich zog in eine internationale WG im seltsam-künstlichen Partyviertel Delhis, bei dem die Neonröhren mir abends den Weg nach Hause leuchten und immer eine gewisse Aufregung auf die Nacht in der Luft liegt. Wir trinken Bier im Wohnzimmer, sitzen bei spontanen Jamsessions auf dem Rooftop, graben die Finger in selbstgekochtes Essen und frühstücken auf alten Gemäuern. Ich schaue den Mond an und den Stern der sich den Weg durch den Smog gekämpft hat, während Delhis Gerüche und Geräusche um mich fliegen.

Weitergehen. Hingeben. Wundern.

P1010389

Neue Hood.

Permalink

1

Die Zwei-Welten-Theorie

„Welcome to India“ sagte mein Sitznachbar, was ich mit einem hysterischen Lachen quittierte. Der Gedanke an die 240 kulturweit-Freiwilligen, mit denen ich 10 Tage verbracht habe, mit denen ich Weingläser geschwenkt und Vorurteile aufgedröselt habe, half. 240 Rucksäcke werden grade umgeschnallt, Herzen beruhigt, Abenteuer begonnen.

Mein Abenteuer schlug mir sofort in die Magengrube, Indien attackierte meine Sinne wie ein träges Tier das mich in seinen Verdauungstrakt befördert hatte. Es riecht anders (würzig? fruchtig? tief?) und ist so schwül, dass meine stete Schweißschicht Salzkristalle auf meinen Poren bildet. Ich lag in der ersten Nacht im Bett und lauerte auf das Heimweh, das mich damals, mit 16, in einem Holzhaus in Amerika liegen ließ und mir die Kehle zuschnürte. Es musste irgendwo sein, in den steten Hupgeräuschen, den nächtlichen Straßenkämpfen streunender Hunde, in den Rotiergeräuschen meines Ventilators. Es starrte mich sicher an, bereit in der Fremde mit Gedanken an Lieblingsmenschen loszuschlagen und mich auch aus den Augen schwitzen zu lassen. Doch nichts. Stille. Weiteres Hupen. Das Heimweh blieb still, so wie es in allen Städten in denen ich nach dem Abi meine Zelte aufschlug still blieb, als hätte ich es 16jährig wie eine einmalige Krankheit überwunden und wurde nun mit lebenslanger Immunität belohnt. Fast trauerte ich ihm ein bisschen hinterher (denn die Lieblingsmenschen fehlen doch. Immer.)

Es ist alles so sehr anders als ich es gewohnt bin, dass ich dem Ganzen mit einer seltsamen Entspanntheit gegenüberstehe. Kaffee am Morgen spare ich mir, die Fahrt in der Autorickshaw tut es auch. Während ich mich beim ersten Mal an die Stäbe klammerte und flehentlichen Blickkontakt mit dem Bild eines hinduistischen Gottes aufnahm, das in der Front auf einem kleinen Altar thronte, sitze ich mittlerweile lässig da und strecke die Füße von mir (während ich in Gedanken immer wieder ein beruhigendes Mantra wiederhole). Die Hupe fährt stets mit, man muss nicht bremsen, blinken, ranfahren, wie ein empörter Löwenschrei reitet sie voran und macht den Weg frei. Meine aufgerissenen Augen fahren hinterher.

Und so bin ich in den letzten Tagen in zwei Welten angekommen. Warme indische Wohnung, staubige Straßen, grüne Gewächse ist die erste Welt. Voll mit Regeln die ich nicht kenne, Wörtern die ich nicht weiß, Aufgaben die an Banalität kaum zu übertreffen sind (Welcher Obsthändler ist okay? Wie viel ist ein Bund Bananen wert? Wo zur Hölle bin ich grade?). Die zweite Welt umschließt mich wenn mein Arbeitstag beginnt, ich die klimatisierte Bibliothek des Goethe Instituts betrete und an Deutschlernenden vorbei zu meinem Computer schlendere. Hände werden geschüttelt. Deutsch wird gewechselt. Kafka und Frau Sibylle blinzeln mich aus den Regalen an. Ich blinzle zurück. „Ihr ollen Haudegen“, flüstere ich. „Auch hier?“ Sie schweigen (aus unterschiedlichen Gründen).

„Welcome to India“ sagte meine Vermieterin und reicht mit einen Chai. Ob ich denn schon etwas in der Hindi-Stunde gelernt habe? „Aber ja“, sage ich und nicke eifrig. „(ich kraxel mich durch ein paar Laute und schaue sie stolz an).“ Meine Sätze: „Mein Name ist Ariane. Ich bin glücklich.“

Mal schauen was ich in der zweiten Stunde lerne.

Permalink

2

Packendes über die Packliste

Es ist Sommer, Finger kleben an der Tastatur während ich mich durch mein letztes Uni-Semester schiebe. Und irgendwann, dann, sehr bald sogar, soll ich nach Indien fliegen. Vergesse ich immer. Muss ich zuweilen dran denken. Der Blick schweift immer am Schreiben der Hausarbeit vorbei auf Seiten, die Bilder und Infos über New Delhi bieten. Und mich verwirren. Um nicht vollends unvorbereitet loszustarten, straffte ich meine Schultern und legte in meinem Handy eine Notiz an: „Packliste, a.k.a. Dinge an die ich unbedingt denken muss.“

Nach drei Wochen finden sich genau zwei Punkte auf ihr wieder:

– Tampons
– Moskitonetz

Tampons, weil mir ein paar verschämte Mädchenmünder zuflüsterten, dass es ja dort eher diffizil sei, sich solch ein hygienisches Produkt zuzulegen. Zudem las ich diesen Artikel und dachte: Mensch, wie aktuell und gesellschaftlich relevant, da zeigen meine lässig mitgenommenen Tampons wie informiert ich bin. Es ist zwar nicht sexy, aber wann ist gesellschaftliche Relevanz das schon! Ha! Der erste Punkt auf meiner Packliste vibriert also schonmal vor gewissenhafter Vorbereitung.

Das Moskitonetz steht dort, weil es sich sehr exotisch anfühlt. Mit sämtlichen existierenden Impfungen die mir durch die Blutbahn rauschen kann man trotzdem nicht vorsichtig genug sein, und so sage ich manchmal betont zerstreut „Oh ja, das Moskitonetz, das brauche ich auch noch…man weiß ja nie…“ und alle erstarren vor meinem Fernreisemut, der mich in ein Land führt, in dem sogar die kleinsten Lebewesen gefährlich um einen herumschwirren können. Ich lächle entspannt und nicke.

Wenn mich also Menschen in letzter Zeit fragen, wie es denn so mit meinen Vorbereitungen aussieht, könnte ich panisch und ehrlich antworten: „Ich hoffe, dass alles mit dem Visum klappt, denn ich habe irgendwie den Überblick darüber verloren und ich bin ein bisschen verunsichert von diesem Land, in dem ich noch nie war, das irgendwie anders sein soll und ich freu mich aber auch, doch dann denke ich auch: ‚Wah! Was für eine seltsame Idee ich da hatte!‘, und dann denke ich wieder…“
Das sage ich natürlich nicht. Stattdessen rufe ich: „Auf meiner Packliste stehen Tampons und ein Moskitonetz!“ und laufe weg.

Manchmal muss man die Leute einfach von seiner Fernreisekompetenz beeindruckt stehen lassen.

Zur Werkzeugleiste springen