Ein persönlicher Rundgang durch die Hauptstadt Tiflis
გამარჯობა! Gamarjoba! Hallo aus Tiflis!
Von den Russen und Europäern „Tiflis“ genannt, um es leichter aussprechen zu können, nennen die Georgier ihre Lieblings-Hauptstadt „Tbilisi“.
Tbilisi ist die Hauptstadt des Kaukasus-Landes Georgien. Die ehemalige Sowjetrepublik, angrenzend an Armenien und Aserbaidschan, liegt an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien und erstreckt sich über die Gebirgsregion des Kaukasus.
Mit insgesamt sieben Klimazonen birgt das relativ kleine Land – mit einer Fläche so groß wie Bayern (die Deutschland-Vergleiche werden wohl nie enden) – eine unerwartet große Vielfalt. Vom alpinen Klima im Norden – nur wenige Kilometer von der russischen Grenze entfernt – über mediterranes und kontinentales bis hin zu tropischem Klima im Osten entlang des Schwarzen Meeres. Je weiter man Richtung Nordost geht, desto kälter wird es.
Nichtsdestotrotz liegen die Temperaturen in Tbilisi im angenehmen Bereich. „Tbili“ bedeutet auf Georgisch „warm“ – das haben wir im Georgisch-Unterricht gelernt. Die heißen Quellen rund um und unter Tbilisi halten die Hauptstadt Georgiens wärmer als den Rest der Umgebung – vor allem im Winter, wenn die Temperaturen gerade so um den Gefrierpunkt pendeln.
Tbilisi ist die größte Stadt Georgiens. Mit 1,26 Millionen Einwohnern macht sie bereits ein Drittel der gesamten 3,81 Millionen Bevölkerung aus. Dabei war die Hauptstadt Georgiens nicht immer dieselbe wie jetzt. In Mzcheta, nur wenige Kilometer nördlich von Tbilisi, leben heute nur noch weniger als 8.000 Menschen. 1.000 Jahre lang war Mzcheta eine der wichtigsten Handelsstädte zwischen dem Kaspischen und Schwarzen Meer. Bis ins 6. Jahrhundert war sie die Hauptstadt des iberischen Reiches – einem Vorgängerstaat des heutigen Georgien – und ein wichtiger Knotenpunkt der historischen Seidenstraße, die Georgien mit China und dem asiatischen Raum sowie dem Mittelmeer und Europa verband.
Obwohl Tbilisi viele Einwohner hat, ist die Stadt dennoch überschaubar und relativ klein. Es gibt nur zwei Metro-Linien: eine rote von Nord nach Süd und eine grüne von Ost nach West – und das auch unter dem Fluss „Kura“ hindurch, welcher die Stadt genau in der Mitte trennt. Zu den Stoßzeiten sind die Metros oft voll, aber im Gegensatz zur Deutschen Bahn verspäten sie sich fast nie und kommen alle paar Minuten. An den Ein- und Ausgängen der Metro-Stationen hört man abends, wenn die Menschen von der Arbeit kommen, Musik und Gesang. Eine E-Gitarre hier, eine klangvolle Stimme dort. Auf den Fußgängerwegen neben der Hauptstraße verkaufen ältere georgische Männer und Frauen Schmuck, Souvenirs, Kunst und traditionell georgische Klamotten wie Handschuhe, Schuhe und Mützen aus wärmender Schafwolle.
Der Verkehr über der Erdoberfläche ist hingegen sehr gewöhnungsbedürftig. Die Busse sind oft überfüllt und der Verkehr stockt. Die Autofahrer fahren wie wild und jeden Tag wundere ich mich aufs Neue, dass ich bisher so wenige Unfälle beobachten konnte. Fahrradfahrer gibt es nur wenige – genauso wenig wie Fahrradwege. Es gibt kaum vernünftige Fußgängerwege, die nicht kaputt oder zugeparkt sind. Als Fußgänger bist du ein Überlebender im Kampf auf den Straßen. Die Autofahrer schauen so, als ob sie direkt durch dich hindurch schauen würden – und doch schlängeln sie sich jedes Mal präzise genug an dir vorbei. Die Taxifahrer sind hektisch und gestresst. Auf den Straßen hört man viel zu laute und sieht man viel zu protzige Motorräder. Die Autos drängeln sich aneinander vorbei. Die Straßen viel zu klein für so viele hetzende Autos. Abgesehen vom Verkehr geht es hier im täglichen Umgang miteinander dennoch irgendwie gelassener zu als in Deutschland. Ob das auch damit zusammenhängt, dass hier Schule und Arbeit erst um 9:00 Uhr beginnen und alles insgesamt ein wenig lockerer angegangen wird?
Die liberale Jugend floriert in der Hauptstadt. Fast alle sprechen fließend Englisch. An jeder Ecke hört man bekannte TikTok-Sounds, zu denen getanzt wird. Klänge von Punk, Rock, Heavy Metal und Jazz schweben durch die großen Straßen und kleinen Gassen. Die Jugendlichen sind entweder elegant oder baggy gekleidet. Longchamp-Taschen und lange Mäntel mischen sich mit schweren Lederjacken kombiniert mit Dr. Martens. An kleinen Ecken und in versteckten Kellern gibt es Vintage- und Secondhand-Läden. Schallplatten werden gesammelt, gekauft, verkauft. In der Luft liegt ein schwerer Geruch: Zigaretten. Wo in Deutschland große Tabakfirmen Standorte wegen der fallenden Nachfrage schließen müssen, fällt in Tbilisi auf, dass vergleichsweise viele Menschen rauchen – jung und alt. Es ist ein Lifestyle, eine Lebenseinstellung, irgendwie „en vogue“.
In genau diesem Moment läuft eine Gruppe von Jugendlichen an mir vorbei – wahrscheinlich auf dem Weg zur Uni. Ihre Art, sich zu kleiden, ihre Art, zu gehen, ihre Art, zu schauen – unverwechselbar die Art von modischen Kunst- oder rebellischen Musik-Studenten. Alle 5 mit einer halb abgebrannten Kippe in der Hand. Qualmend, im schnellen Schritt an mir vorbeilaufend. Ich schaue ihnen hinterher.
Die Techno-Szene in der Stadt ist so groß, dass sogar DJs aus dem Berghain in den großen Clubs der Stadt auflegen. Der größte und bekannteste Club Georgiens ist das „Bassiani“, welches ein ehemaliges Schwimmbad unter dem Fußballstadion der Stadt ist. Tagsüber wird über der Erdoberfläche Sport getrieben und gejubelt. Nachts wird unter der Erdoberfläche die Nacht zum Tag und dumpfe Bässe und scharfe Beats durchschneiden die stickige, rauchige Luft. Im Nebel erkennt man die Umrisse von schwitzenden Körpern und tanzenden Silhouetten, die sich im hypnotischen Rhythmus verlieren, während der Bass wie ein mächtiger kollektiver Herzschlag durch die Luft dröhnt und die Dunkelheit in eine pulsierende Ekstase taucht. Das Schlagen des Herzes und das Schlagen des Basses werden eins. Der Puls der Musik scheint mit jedem Schlag die Wände des alten, kühlen Kellers zum Vibrieren zu bringen. Die Luft ist dicht, fast greifbar, durchzogen von Nebelschwaden, die aus den Maschinen in den Ecken des Raumes quellen.
Im „Bassiani“ verschmelzen Menschen aus allen Ecken der Welt zu einer Einheit, vereint im Rhythmus der Musik. Hier geht es nicht nur um den Tanz, sondern um ein Gefühl der Befreiung, um das Erleben von Freiheit, Individualität und Kollektivität zugleich. Der Club ist ein Zentrum für die elektronische Musikszene Georgiens und hat sich über die Jahre zu einem Symbol für die Jugendkultur und die Freiheit des Ausdrucks entwickelt. In einem Land, das noch immer von den Schatten seiner Vergangenheit geprägt ist, bietet das „Bassiani“ einen Raum, in dem sich Politik, Kultur und Musik miteinander verweben.
Die DJs, die hier auflegen, sind mehr als nur Musiker – sie sind Meister ihrer Kunst, die das Publikum durch ihre Sets auf eine Reise mitnehmen. In dieser unterirdischen Welt, fernab der hektischen Oberflächenrealität, gibt es nur den Moment und die Musik. Es ist ein Ort, an dem die Zeit stillzustehen scheint, wo das Aufeinandertreffen von Energie und Klang eine nahezu magische Wirkung entfaltet.
Doch der Club steht nicht nur für das Erleben von Musik. Es hat auch eine politische Dimension. Es ist ein Ort der Freiheit, an dem verschiedene Identitäten, sexuelle Orientierungen und Kulturen in einem harmonischen Miteinander koexistieren. In einer Gesellschaft, die sich in Bezug auf Demokratie und Menschenrechte weiterhin in einem Transformationsprozess befindet, ist der Club ein Symbol für Widerstand und eine Art der Rebellion – ein Ort, an dem das Leben gefeiert wird, so wie es ist.
„Bassiani“ ist mehr als nur ein Club. Es ist ein Kulturzentrum, ein politischer Raum. Ein Sinnbild, eine Metapher, eine Personifikation der gesamten Jugend-Bewegung in Tbilisi und in Georgien.
Das Morbide, Zerfallene, Alte, Sowjetische mischt sich mit dem neuen Duft von Aufbruch, Europa, Freiheit, Modernität und Veränderung. In Tbilisi wird die Verbindung zwischen der alten und der modernen Welt Wirklichkeit. Von den sowjetischen Überbleibseln bis hin zu den neuen, frischen Strömungen. Die Stadt bietet einem eine kulturelle, historische, persönliche, wirtschaftliche, gesellschaftliche Dimension, die so typisch für eine Stadt an der Schnittstelle von Tradition und Aufbruch ist.
Geografisch lässt sich Tbilisi gut mit Lissabon vergleichen. Die Berge machen das Schlendern durch die Straßen zu einer sportlichen Herausforderung – die sich für die Herausgeforderten aber definitiv lohnt! Es gibt eine Standseilbahn, die im Gegensatz zu Lissabon nicht knallgelb, sondern strahlend rot ist. Zwei Seilbahnen lassen die Besucher mit Gondeln über die Stadt schweben und transportieren sie auf die Bergspitzen rund um Tbilisi.
Auf einem der Hügel thront der Freizeitpark „Mtatsminda Park“, der mit seinem leuchtenden Fernsehturm und buntem Riesenrad fast die Funktion eines Leuchtturms übernimmt, der den gestrandeten Schiffen – in diesem Fall den Besuchern und Einwohnern der Stadt – den rechten Weg weist. Vor allem nachts bietet der Park wunderschöne Aussichten auf die Lichter der Stadt, und man staunt immer wieder, wie groß Tbilisi von oben erscheint. Im Freizeitpark gibt es Sitzmöglichkeiten und Restaurants, die zum Verweilen einladen. Für die Aktiven stehen eine Achterbahn, ein Freifall-Turm, ein Karussell und ein Autoscooter zur Verfügung. Der Weg zurück in die Stadt ist entweder zu Fuß, mit der Gondel oder der Standseilbahn möglich. Der Fußweg ist etwas versteckt und nicht ausgeleuchtet – also nichts für schwache Nerven. Man weiß sich mit Handy-Taschenlampe und einem langsamen Schritt die Stufen hinab, zu helfen.
In der Altstadt, weit im Süden, reihen sich Bars, Cafés und Restaurants aneinander. Es gibt versteckte Gassen mit zerfallenen Häusern. Der Putz blättert von den hohen Wänden der Wohnungen, Häuser, Geschäfte, Schulen ab. Ab und zu liegt der süßliche Geruch von Baumstriezel und Popcorn in der Luft.
Während Ungarn für seine Thermalbäder weltberühmt ist, gelten die georgischen Schwefelbäder in der Altstadt als Geheimtipp für jeden Reisenden. Dort kann man in privaten Baderäumen mit je einem warmen und einem kalten Becken entspannen – und das alles ganz für sich alleine. Ganz billig ist es nicht und mit Karte kann man auch nicht zahlen – eine Erfahrung, die ich persönlich machen musste, als ich leider keinen Bankautomaten in der Nähe fand. Im Bad kommt aber jeder Besucher auf seine Kosten, einschließlich der klassischen Massagen, bei denen man abwechselnd mit kaltem und warmem Wasser abgerieben wird. Und das nicht gerade sanft, aber definitiv effektiv!
Über die Friedensbrücke – eine große, gläserne, überdachte Brücke im Süden des Flusses – gelangt man auf die andere Seite der Stadt. Der Fluss verläuft quer durch Tbilisi, weshalb wir oft vom „Osten“ oder „Westen des Flusses“ sprechen. Auf der Brücke hat man eine wunderschöne Aussicht auf die Hänge des hügeligen Tbilisis. Auf der Spitze ragt die große Glaskuppel des ehemaligen Präsidentenpalastes im klassizistischen Stil hervor – fast wie der Reichstag in Berlin.
Abends erleuchtet die große Sameba-Kathedrale den Osten der Stadt. Wenn man sie oben vom Berg aus betrachtet, wirkt es, als würde sie von den Häusern drumherum eingekesselt werden. Sie hat aber vielmehr eine majestätische Ausstrahlung. Die Kathedrale – eine der größten Kirchen der Georgischen Orthodoxen Apostelkirche – ist überraschend jung. Sie wurde vor gerade mal 20 Jahren fertiggestellt. Ein Fußmarsch von der Altstadt auf den Hügel zur Kirche ist sehr empfehlenswert, vor allem entlang der versteckten Gassen, wo die Menschen abseits der Hauptstraßen wohnen. So kann man die Atmosphäre vom ursprünglichen Tbilisi noch intensiver und realitätsnah erleben.
Wenn wir schon auf der östlichen Seite des Flusses sind, dann möchte ich für den Dezerter Bazaar eine ganz besondere Empfehlung aussprechen – für alle, die noch nie auf einem riesigen Markt waren, oder auch für diejenigen, die denken, sie hätten es schon getan! Anfangs erkennt man nur die großen Hallen, wo frisches Obst und Gemüse, Nüsse, Gewürze, Fisch und Fleisch, Käse und georgische Spezialitäten angeliefert werden. Doch wenn man sich hinter die Hallen begibt, erahnt man schon bald die wahre Größe des Marktes. Hunderte von Läden reihen sich dicht an dicht aneinander und präsentieren Klamotten, Schuhe, Taschen, Bücher zum Lesen und Lernen, Haushaltswaren, Tabakwaren, Tee, Kaffee, Spielzeug, Süßigkeiten und vieles mehr. Für wenig Geld kann man hier alles finden, was das Herz begehrt – oder auch Dinge, von denen man noch nicht wusste, dass man sie begehren würde. Es gab sogar einen Laden extra für Einmachgläser aller Art!
20.000 Schritte und ganze fünf Stunden später beendeten mein Vater, der mich aus Deutschland besuchen kam, und ich den ursprünglich angedachten „kleinen Spaziergang auf dem Markt“ am Abend als es schon dunkel war. Uns blieben nur noch sechs Worte voller Erstaunen und Fassungslosigkeit übrig: „Das kann’s doch gar nicht geben.“
Das war mein persönlicher Rundgang durch Tbilisi. Unvollständig, aber gespickt mit vielen persönlichen Erfahrungen, die ich auf meinen Erkundungstouren gemacht habe. Es ist klar, dass ich nie alles von dieser faszinierenden Stadt entdecken und verstehen werde, aber es ist ein Anfang. Es macht so viel Spaß, jedes Mal an neue Orte zu gelangen, wenn man einfach losläuft.
Tbilisi ist eine Stadt, die für Entdeckungen offen ist, für das Abenteuer und die Überraschungen, die einem bei jedem Schritt begegnen können. Die Stadt bietet immer wieder neue Facetten, wenn man sich darauf einlässt.
Man muss nur den mutigsten Schritt wagen. Nämlich den ersten.
Denn genau das ist der Charme dieser Stadt.