Die ersten Worte des Blogs „Sophie entdeckt Georgien“ – Eine Geschichte von Unschlüssigkeit und Entschlossenheit
Jetzt sitze ich hier.
In einem Café.
In Tiflis.
Meine Finger schweben über den Tasten meines Laptops. Unschlüssig, ob sie sich bewegen sollen oder nicht.
Schon lange sitze ich hier. Mein Brunch verputzt, mein Latte ausgetrunken. Eine Tüte Zucker angebrochen. Die Sonne scheint durch die Fenster, und die Sonnenstrahlen wärmen den beigen Holz-Tisch. Nur mich nicht. Ich habe eiskalte Finger. Vielleicht genau aus dem Grund, dass sie sich nicht bewegen.
Es ist ein frischer und kalter Herbsttag Ende Oktober. Genau einen Tag vor Halloween, welches hier in Georgien so „richtig offiziell“ nicht gefeiert wird, wie wir es traditionell in Deutschland tun. Die Sonne trügt. Die Temperaturen sind eisig. Eigentlich zeigt mir mein Handy 15 Grad Celsius an, aber das glaube ich nicht. Es fühlt sich zumindest nicht so an. Denn nichtsdestotrotz ist mir kalt.
Neben mich setzt sich ein Mann. Er unterhält sich auf Russisch mit der georgischen Café-Besitzerin. Im Hintergrund läuft ein Song auf Englisch, gesungen von einer französischen Indie-Sängerin. So divers wie dieser unbedeutende Augenblick in diesem kleinen Café ist, so divers ist tatsächlich auch ganz Georgien.
Ich gucke zu dem Mann neben mir – noch immer unschlüssig, in den nächsten paar Minuten etwas zu schreiben. Auch seine Finger schweben über den Tasten seines Laptops. Aber dann bewegen sie sich und zaubern magische Wörter auf den Bildschirm – wie sie es bei mir nicht tun.
Ich denke über meinen Blog nach. Über den Entwurf, den Aufbau, den Titel, das Hintergrundbild, die Farbe, die Überschrift, den Inhalt. Soll es ein erzählender oder ein informierender Blog sein? Worüber soll ich schreiben? Eigentlich interessiert sich doch niemand dafür, was ich schreibe, denke, meine? Schreibe ich ihn eher für mich oder für die anderen? Warum möchte ich eigentlich so unbedingt einen Blog schreiben?
Vielleicht, weil das schon immer ein kleiner Traum von mir gewesen ist, meinen Gedanken einen Ort zu geben, wo sie sich ausdrücken können. Schriftlich. Auf Papier – mehr oder weniger.
Und dann ist da diese Unschlüssigkeit.
Obwohl da gerade noch so viel Entschlossenheit war, jetzt endlich diesen Blog zu schreiben. Deswegen habe ich mich doch extra in dieses Café gesetzt! Ob sich J.K. Rowling beim Schreiben von Harry Potter genauso unschlüssig gefühlt hat?
Die Uhr tickt. In zwei Stunden muss ich nach Hause und duschen. Danach geht es mit den anderen kulturweit-Freiwilligen aus Tiflis zum Georgisch-Unterricht bei einer Georgierin, die bei der österreichischen Botschaft für die Wirtschafts-Delegation arbeitet, und – wie viele andere Menschen hier in Tiflis – mehrere Jobs gleichzeitig ausübt, um die sich rasant erhöhten Lebenshaltungskosten finanzieren zu können.
Gestern Abend habe ich mich sehr auf den Unterricht gefreut. Ganz ungeachtet dessen, dass ich das Verb „arbeiten“ noch immer nicht konjugieren kann. Nach dem Verb „sein“ war es das erste Verb, das wir gelernt haben. Schon amüsant, dass gerade das das erste Verb war, das wir lernen sollten – abseits aller Stereotype ;). Da hat sich unsere Lehrerin einen kleinen Spaß erlaubt.
Ich habe mit dem Gedanken gespielt, den anderen vorzuschlagen, nach dem Unterricht gemeinsam Abendessen zu gehen. Georgisch, asiatisch, orientalisch. Eins davon wird es schon werden. Wir machen das oft zusammen. Wir gehen auch Bar- oder Café-Hopping und probieren uns mit Köstlichkeiten, Delikatessen und nationalem Essen durch die ganze Stadt durch. Vollständigkeit wird es dabei nie erreichen – soll es auch gar nicht. Dafür ist das kleine Tiflis zu vielfältig und verwinkelt – an jeder Ecke gibt es etwas Neues zu entdecken.
Heute könnten wir uns über unseren Ausflug nach Kachetien unterhalten. Die Region im Westen von Georgien, nur 1 ½ Stunden von der Hauptstadt entfernt, ist bekannt für seinen Weinanbau und leckeren Wein, der in Deutschland teuer gehandelt wird. Für das Zwischenseminar, das für alle Freiwilligen online stattfindet, wollten wir aus der Stadt in die Natur. Davon gibt es rund um Tiflis auch reichlich, aber wenn man schon die Möglichkeit hat, zu verreisen, dann sollte man sie auch nutzen!
Und so habe ich dann doch etwas geschrieben. Ohne die vorherige Intention, genau das auch schreiben zu wollen. Vielleicht macht genau das auch einen Blog aus – vor allem den ersten Beitrag. Ich empfinde meine Texte mehr als eine Art Tagebuch, welche ich in meinem bisherigen Leben noch nie länger als drei Tage ernsthaft durchgezogen habe. Die zwingende Verbindlichkeit, jeden Tag etwas der Vollständigkeit halber schreiben zu müssen, hat mich immer von langen und nachhaltigen Texten abgehalten. Vielleicht ist genau deswegen ein Blog genau das Richtige für mich – alles ist freier.
Also schreibe ich erstmal ein paar Sätze auf, die mir spontan in den Kopf kommen – sich sicher, sie im Nachhinein zu einem harmonischen Gesamtgefüge zusammenzusetzen.
Also fange ich nochmal an:
Jetzt sitze ich hier in einem Café in Tiflis …
Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich im Verlauf des Schreibens doch ziemlich abgedriftet bin, sodass ich mich dafür entscheide, den von mir geschriebenen Gesamttext in mehrere Einzeltexte zu teilen.
Ich kann auch sagen, dass ich mich drei Stunden später dazu entschließe, zu zahlen, obwohl ich mit dem Schreiben noch nicht fertig bin und eigentlich auch nicht gehen möchte – aus Angst davor, nicht noch einmal in den Schreibfluss zu finden.
Der Mann vom Anfang sitzt noch immer neben mir. Er hat in der Zwischenzeit mehr Raucherpausen eingelegt, als er tatsächlich gearbeitet hat – vermutlich. Vielleicht hat auch er Probleme damit, die richtigen Worte für das zu finden, was er eigentlich ausdrücken möchte – genau wie ich.
Und so mache ich mich eine halbe Stunde später als geplant auf den Heimweg.
Schreiben kann doch so viel Spaß machen.