Zwischen Stillstand und Fortschritt: Ein Land im Umbruch – oder doch Aufbruch?

Georgien vor, während und nach den Parlamentswahlen 2024

Ein Drittel der Bevölkerung Georgiens lebt in Tbilisi, der Hauptstadt. Fast 60 % der Menschen wohnen in modernen Städten – mal größer, mal kleiner. Der Rest lebt auf dem Land, weit entfernt von den georgischen Ballungszentren, oft in Abgeschiedenheit und auf Selbstversorgung angewiesen – oder in der Hoffnung auf Touristen, die es in die abgelegenen Gegenden verschlägt.

Wenn man durch die Straßen Georgiens läuft, dann spürt man förmlich die Spannungen, die in der Luft liegen. In den Städten scheint der Fortschritt fast greifbar, während sich die ländlichen Gebiete von dieser Entwicklung immer weiter entfernen. Eine tiefe wirtschaftliche Kluft tut sich zwischen den städtischen und ländlichen Regionen auf.

Aber auch in den großen Städten existiert trotz des sichtbaren Wohlstands ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Gefälle. In Tbilisi sieht man immer wieder Menschen, die in schäbigen Wohnungen leben, in kleinen Cafés arbeiten oder an Straßenecken betteln, um über die Runden zu kommen. Gleichzeitig sind die städtischen Eliten, die oft über Geschäftsbeziehungen zu internationalen Unternehmen und Investoren verfügen, in der Lage, sich (westliche) Luxusprodukte zu leisten. Doch das Bild ist nicht so einheitlich. Es gibt viele Menschen, die sich bemühen, in einer Welt des schnellen Wandels, ihren Platz zu finden.

Diese skizzierten Phänomene spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, die politischen Meinungen, Entscheidungen und Geschehnisse in diesem Land verstehen zu wollen.

Es ist nun fast genau einen Monat her, dass am 26. Oktober 2024 die Parlamentswahlen in Georgien stattfanden. Sowohl die pro-russische Regierungspartei „Georgischer Traum“ als auch die pro-europäischen Oppositionsparteien beanspruchten den Wahlsieg für sich. Die offizielle Wahlkommission bestätigte den Sieg der Regierungspartei mit weniger als 54 % der Stimmen. Es wurde von Wahlbetrug gesprochen. Die Deutsche Botschaft in Tbilisi und das Auswärtige Amt warnten vor bald anstehenden Demonstrationen.

Die Hauptstadt und das ganze Land hielt den Atem an – aber nicht nur sie. Auch die großen Weltmächte wie die USA, Deutschland, Russland und die Europäische Union schauten gespannt auf das kleine Land Georgien, das zu all diesen Ländern enge wirtschaftliche (Handels-)Beziehungen pflegt. Seit dem Dezember 2023 führte die EU Beitrittsverhandlungen mit Georgien. Doch nachdem im Juni 2024 Gesetze verabschiedet wurden, die denen Russlands ähneln – wie das Agentengesetz und das Gesetz zum „Schutz von Familienwerten und Minderjährigen“, das gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Strafe stellt – wurden die Verhandlungen auf Eis gelegt. Die Lage und die diplomatischen Beziehungen sind angespannt.

Nach den Wahlen hatte man vieles erwartet. Man hatte sich auf das Schlimmste vorbereitet – nur nicht auf die Stille, das Vakuum, das dann tatsächlich entstand. Oder war gerade das das Schlimmste?

Alarmierend ruhig und gespenstisch leer ist der Platz vor dem Parlament am Wahl-Abend.

Eine gespenstische Stille legte sich über Georgiens Hauptstadt. An diesem Sonntag war noch weniger los, als es bereits an den üblichen Sonntagen der Fall war. Nichts auf den Straßen, nichts auf den großen Hauptplätzen der Stadt, nichts vor dem Parlament. Einzelne Demonstranten mischten sich mit wenigen Polizisten und Journalisten. Ich erkannte Reporter vom ORF aus Österreich. An den Ecken des Parlaments standen weiße, verdunkelte Limousinen. Meine Verwunderung war groß. Zu diesem Zeitpunkt besuchte mich mein Vater aus Deutschland und wir hatten bereits um unsere Sightseeing-Tour durch Tbilisi gebangt, weil ich große Proteste erwartet hatte. Doch es kam alles anders. Es schien, als würde die größte Stadt Georgiens stillstehen. Wie Betäubt. Zu geschockt.

Wo am Sonntag niemand stand, stehen am Montag Tausende.

Erst ganze drei Tage später, am Tag seiner Abreise, rief die pro-europäische Präsidentin Salome Surabischwili, die in Paris aufgewachsen ist und dort Politikwissenschaften studiert hat, über die sozialen Medien zum Protest auf. Tausende gingen abends auf die Straße, um für Europa und ein freies Georgien zu kämpfen. Die Europa-Hymne „Freude schöner Götterfunke“ von Beethoven erklang. Georgien-, EU-, USA-, Ukraine- und NATO-Flaggen wurden geschwenkt. Der Himmel erstrahlte in den Farben eines Regenbogens als Feuerwerke in den Himmel schossen. Aus allen Straßen strömten die Menschen ins Stadtzentrum und es war ein überwältigender Anblick, als sie sich alle auf den Straßen versammelten.

Heutzutage ist der Einfluss von Social Media auf Protestbewegungen nicht mehr wegzudenken.

In den sozialen Medien wurde viel gepostet, geliked, geteilt. Auch große Nachrichtenquellen wie die „Tagesschau“ und der „Guardian“ berichteten über die Wahlen und Demonstrationen. Ein Bild, das auf Instagram die Runde machte, zeigte einen jungen Mann vor dem Parlament, der ein Schild hielt mit der Aufschrift: „INTERNATIONAL SOCIETY, DON’T LEAVE US ALONE“. Ich sprach mit einigen der demonstrierenden Studenten und erzählte ihnen, dass die Unterstützung in den Medien Europas, vor allem in Deutschland, sehr groß sei. Einer von ihnen meinte, dass der internationale Beistand das Wichtigste und Einzige sei, das sie hätten. Die Georgier wollen nicht vergessen, nicht zurückgelassen werden. Diese Worte trafen mich tief.

Am nächsten Tag war alles wie vorher. Auf dem Weg zur Arbeit sah alles gleich aus. „Warum sollte es auch nicht?“, fragte ich mich. Nur die vermehrten Polizeiautos ließen ansatzweise erahnen, was am Abend zuvor auf den Straßen Tbilisis los war. Einen Tag später fragte mich einer meiner Schüler aus der 11. Klasse, was es Neues aus Georgien gäbe. Ich – überfordert mit der Frage – stellte ihm die Gegenfrage. Er war der Einzige, der mir bis zu diesem Zeitpunkt von dem politischen Chaos und der Verwirrung im Land erzählte. Vielleicht auch nur, weil ich ihn explizit danach gefragt hatte. Oder er mich.

Als Freiwillige aus Deutschland bekomme ich neben den Demonstrationen auf den Straßen nicht viel von den politischen Einstellungen und Ängsten der Menschen mit. Die Schule ist der einzige Ort, an dem ich mit den lokalen Menschen in Kontakt komme, die mir von ihren Eindrücken und Erfahrungen erzählen.

In Georgien ist die Schule ein politisch neutraler Raum. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es hier das Fach „Politik und Wirtschaft“ nicht, das sich mit den politischen Verhältnissen im In- und Ausland auseinandersetzt und das Argumentieren sowie das kritische Hinterfragen fördert. Die Lehrer sprechen nicht viel über die nationale Politik. Außerdem dürfen sie sich nicht gegen die Regierungspartei äußern. An meiner Schule gibt es seit diesem Jahr eine neue Schulleiterin. Die vorherige Schulleiterin war mehr als sieben Jahre an dieser Schule tätig, bis sie gegen die Regierungspartei Stellung nahm und sich auf der Seite der Oppositionsparteien positionierte. Daraufhin wurde sie durch die jetzige neue Schulleiterin ausgetauscht. Damit ist die Entscheidung, die Schule als einen politikfreien Raum zu gestalten, letztendlich auch nur eine politische Entscheidung gewesen.

Es gibt eine Sache, die ich mir vor meiner Reise nach Georgien bereits ansatzweise vorgestellt, jedoch weit unterschätzt habe: der starke Einfluss der georgisch-orthodoxen Kirche. Sie stellt eine der größten Gegenpole zu der fortschrittlichen Bewegung der Jugend und Studenten dar – besonders, wenn es um die sexuelle Freiheit und Geschlechter-Identität geht. Ich sehe, wie Dekolletés mit Kreuz-Ketten geschmückt werden. Orthodoxe Feiertage prägen den georgischen Jahreskalender. Viele Menschen gehen immer noch regelmäßig in die Kirche. Das wird ihnen von Grund auf durch die Eltern beigebracht und ist ein fester Bestandteil der georgischen Kultur. Viele Menschen machen dreimal das Kreuzzeichen, wenn sie Kirchen passieren. Auf dem Land gibt es viele Klöster, doch auch in der Stadt findet man zahlreiche orthodoxe Kirchen, deren Innenräume mit Heiligenbildern verziert sind.

Eine zusätzliche Sache fällt einem besonders ins Auge. Als aufmerksame Beobachterin – als die ich mich selbst bezeichne, weil sechs Monate lang genug sind, um die Vorgänge in diesem Land ansatzweise verstehen zu können – bemerke ich Dinge, die in Deutschland sehr ungewöhnlich sind. An vielen Häusern, Hotels, Schulen, Geschäften, Restaurants und Autos wehen georgische Flaggen. Patriotismus. Nationalstolz. Hier in Georgien völlig normal und gerne gesehen. Doch nicht nur das: Graffiti-gemalte EU-Flaggen glänzen auf den alten Stadtmauern und mischen sich mit den Bildern von Ukraine- und NATO-Flaggen. Auf den Wänden der großen Rundbögen steht schwarz auf weiß: „FUCK PUTIN“. Die Hauptstadt ist politisch aufgeladen – liberal, fortschrittlich, divers, frei. Man entziffert Aufschriften wie „HEROES DON’T DIE“ und „NO RUSSIAN LAW“.

Die Hauptstadt Georgiens ist politisch aufgeladen. Graffiti-Botschaften wie diese findet man überall in Tbilisi.

Die Russenfeindlichkeit scheint groß. Noch größer seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs, nach dem viele Russen hierher geflüchtet sind. Sie werden dafür verantwortlich gemacht, dass sich das Leben der Georgier mit dem vielen Geld aus Russland immens verteuert hat – vor allem in den großen Städten wie Tbilisi, Batumi und Kutaissi. Die Preise für Mieten, Lebensmittel, Dienstleistungen und das alltägliche Leben sind seitdem in die Höhe geschossen. Für den gewöhnlichen Georgier, der ein durchschnittliches Monatseinkommen von 400 $ erhält, unbezahlbar.

Vielleicht verzerren solche Bilder die tatsächliche politische Stimmung im Land: „Eine laute Minderheit kann die leise Mehrheit zum Schweigen bringen“. Der Diskrepanz zwischen Stadt und Land kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. In ländlichen Gebieten erlangte der „Georgische Traum“ fast 100 % der Stimmen wie in dem abgelegenen Dorf Stepantsminda, auch bekannt als Kazbegi. Die Entfernung von Stepantsminda zur russischen Grenze beträgt weniger als 8 km. Da könnte man meinen, dass gerade die Nähe zu Russland ein Faktor dafür ist, gegen eine pro-russische Partei zu stimmen – doch genau das Gegenteil ist der Fall.

Diese Unstimmigkeit hat mich lange beschäftigt. Aber sie klärt sich, wenn man sich vor der Parlamentswahl ganz genau in den Städten und Dörfern umgesehen hat. Alle verfügbaren Flächen waren von Wahlplakaten bedeckt. Es waren primär Wahlplakate der Nummer 41 – die Nummer des „Georgischen Traums“ auf dem Wahlzettel. Links des Plakats ist ein großes Schwimmbad zu sehen. Gefüllt mit Wasser, ausgestattet mit ordentlichen Sprungbrettern und mit genügend Platz für viele Bahnen. Die Farben sind leuchtend und kraftvoll. Rechts ist ein Bild, das genau denselben Bildausschnitt zeigt. Die Farben sind schwarz, weiß und grau. Das Schwimmbad ist zerstört. Unter Trümmern liegt das leere Becken vergraben. Da ist niemand mehr, der schwimmt und niemand mehr, dem das Schwimmbad Freude bereiten kann. Darunter steht etwas auf georgisch geschrieben. Es wird ein Vergleich zwischen dem Konflikt der Ukraine mit Russland und dem Konflikt Georgiens mit Russland gezogen. Der „Georgische Traum“ vertritt die Ansicht, dass nur eine Annäherung an Russland verhindert, von Russland angegriffen zu werden, wie es bei der Ukraine der Fall war.

Vor der Wahl findet man überall in der Stadt Wahlplakate mit der Nummer 41 des „Georgischen Traums“.

Noch ein Plakat mit der Nummer 41 . „Mit Würde und Wohlstand aus der EU“. Daneben das Bild einer geteilten Flagge. Auf der linken Seite der Flagge das Zeichen des „Georgischen Traums“ und rechts daneben das der Europäischen Union. Die Teilung der beiden visualisiert so viele Unstimmigkeiten, Gegensätze und Diskrepanzen. Das macht doch alles gar keinen Sinn. Und doch – denke ich mir gleichzeitig – macht das ganz viel Sinn. Stadt-Land-Gefälle, historische Traumata, internationale Einflüsse aus den USA, Russland, der EU, Jung und Alt, Tradition und Moderne, Kirche, Wirtschaft, Gesellschaft. All diese Themen spielen eine zentrale Rolle im Leben der Georgier – und somit auch bei dieser Wahl. Alle haben ihre eigenen Träume und Ängste. So nah an Russland – politisch, gesellschaftlich, territorial – ist die alltägliche Angst, auf einen Schlag überrannt zu werden, allgegenwärtig. Undenkbar – aber dennoch nicht unwahrscheinlich. Die Solidarität für die Ukraine ist groß. Genauso wie die Angst, dass es ihnen genauso ergehen könnte, wenn sie sich für einen westlichen Kurs entscheiden würden.

Die historische Wunde sitzt tief im kollektiven Gedächtnis der Georgier und bestimmt nach wie vor Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Infolge des fünftägigen russisch-georgischen Krieges im Jahr 2008 gerieten die pro-russischen abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien unter russische Kontrolle, indem sie von Russland als unabhängige Staaten anerkannt wurden. Vor Ort werden russische Pässe ausgestellt und in den Schulen ist die Unterrichtssprache Russisch. Von dort existiert seitdem nur noch eine Exilregierung in Tbilisi. Damit verlor Georgien im Jahr 2008 mehr als 20 % seines Staatsgebietes – was gerade für so ein kleines Land wie Georgien eine unfassbar große Fläche ist.

Große Regionen Georgiens sind nur noch formell auf dem Papier ein Teil der Kaukasus-Republik.
(Quelle: Deutsche Welle)

Dies ist einer der Gründe, warum meine georgischen Schüler und viele Jugendliche in Georgien kein Russisch sprechen und lernen wollen. An den Türen einiger Cafés und Restaurants hängen Zettel, auf denen steht, dass sie die „Sprache der Kolonisten“ (in dem Fall Russland) nicht sprechen und keine Kunden bedienen, die die Souveränität und Unabhängigkeit freier Länder nicht anerkennen (in Bezug auf den Ukraine-Krieg).

Schon immer hat sich Georgien für seine Unabhängigkeit gegen andere Großmächte durchsetzen müssen. Im ganzen Land findet man noch kulturelle, religiöse, sprachliche, kulinarische und architektonische Überbleibsel der damaligen Besatzer: das Persische Reich, das Byzantinische Reich, die Mongolen, das Osmanische Reich, das russische Zarenreich, die Sowjetunion.

In Georgien herrscht trotz der politischen Angespanntheit in den Städten eine große Politik-Verdrossenheit im Rest des Landes. Die Wahlbeteiligung dieses Jahr lag bei ca. 50 %. Während die Oppositionsparteien für den Verlust der beiden abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien 2008 verantwortlich gemacht werden, beschuldigen die Menschen den „Georgischen Traum“, eine Blockade für den Beitritt zur Europäischen Union darzustellen. Denn 90 % der Georgier fordern den EU-Beitritt – auch diejenigen, die den „Georgischen Traum“ gewählt haben, dessen Gesetze die EU-Beitrittsverhandlungen auf Eis gelegt haben.

Gründer des „Georgischen Traums“ und Ex-Premierminister Bidzina Ivanishvili zieht im Hintergrund die Fäden der georgischen Politik.

Eine Person spielt in der politischen Landschaft Georgiens eine essenzielle Rolle. Der reichste und damit einflussreichste Georgier ist Gründer des „Georgischen Traums“ und Ex-Premierminister Bidzina Ivanishvili. Einige bezeichnen ihn als den Mann, „der ein ganzes Land gekauft hat“ (POLITICO). Mit einem Vermögen von 7,6 Milliarden Dollar ist das fast ein Viertel des georgischen BIPs. Seine russenfreundliche Politik wird damit begründet, dass er sein gesamtes Geld in Russland gemacht hat. Nach dem Zerfall der Sowjetunion etablierte er neue Geschäfte in verschiedenen Sektoren wie Banking, Öl und Gas, Metall und Nachrichtentechnik. Die Politik, die er in Georgien betreibt, betreibt er wie die Politik in einem seiner Unternehmen. Im Hintergrund ziehen er und seine Partei die Fäden. Zusätzlich verlieren die Oppositions-Parteien an Rückhalt, indem sie sich zerstreiten und sich nicht auf einen gemeinsamen Kurs einigen können. Keine Partei scheint geeignet, um das zerstrittene Land zu vereinen und in eine gemeinsame Zukunft zu steuern.

Inmitten dieser hochkomplexen Lage gibt es einen ausschlaggebenden Indikator für die Zustände in diesem Land. Die georgische Bevölkerung schrumpft konstant seit dem Beginn der 90er Jahre – von 5,5 Millionen Menschen 1989 auf 3,8 Millionen 2023. Das liegt vor allem daran, dass nach der Öffnung Georgiens für den Westen, viele georgische Studenten – besonders in den letzten Jahren – zunehmend nach Europa und in die USA gegangen sind, um dort zu studieren. Im „Westen“ erhofft man sich die Chancen und Perspektiven für eine sichere und stabile Zukunft, die einem dieses Land nicht zu bieten scheint. Gleichzeitig bleiben sie auch tief in ihrer georgischen Heimat verwurzelt. In den Gesprächen mit meinen Schülern und Lehrern wurde mir klar, dass für sie die Frage nach der europäischen Zukunft nicht nur eine politische, sondern auch eine existenzielle ist. Wer sind wir als Georgier? Und wo wollen wir hin?

Für die Georgier ist der Beitritt zur EU nicht nur eine politische Entscheidung, sondern auch eine existenzielle. Im Vordergrund stehen die Bewahrung der Unabhängigkeit und der eigenen Kultur. Zu den EU-Flaggen werden deswegen immer auch georgische Flaggen geschwenkt.

Georgien ist ein gespaltenes Land. Die Entscheidung für die Zukunft Georgiens – sie liegt am Scheideweg. Durch die Wahlen ist die Entscheidung gefallen. Die Regierungspartei will nach dem Sieg die Oppositionsparteien verbieten lassen, da sie dem Vaterland schaden würden. Die Zukunft Georgiens – sie ist ungewiss.

Bei all den politischen Spannungen und Unsicherheiten gibt es viele Georgier, die sich Hoffnungen auf eine bessere Zukunft machen. Eine Zukunft, die mit dem Beitritt zur EU und einer verstärkten westlichen Orientierung verbunden sein könnte. Doch die Realität ist nicht so einfach. In den Gesprächen, die ich in Georgien führe, spiegelt sich immer wieder eine tiefe Sehnsucht nach Frieden und Stabilität wider. Viele Georgier wünschen sich eine Zukunft ohne die ständige Bedrohung durch äußere Mächte – sei es Russland oder der Westen. Diese Haltung scheint in vielen Teilen der Gesellschaft verbreitet zu sein – nicht nur bei den politischen Entscheidungsträgern, sondern auch in den alltäglichen Gesprächen, die ich mit den Menschen führe. Die geopolitischen Interessen kollidieren mit den historischen Erfahrungen und der tief verwurzelten Kultur des Landes, die ein starkes Streben nach Unabhängigkeit mit sich bringt.

In dieser Gemengelage zeigt sich die politische Landschaft Georgiens als ein ständiger Balanceakt zwischen dem Wunsch nach europäischen Werten und der tiefen Angst vor einer Rückkehr unter den Einfluss Russlands. Der politische Aufschwung der letzten Jahre wurde von einer Vielzahl von Initiativen begleitet, die das Land für westliche Investitionen öffnen wollten – während gleichzeitig die traditionelleren Kräfte die alte russische Verbindung bewahrten. Diese ambivalente Haltung gegenüber Russland und dem Westen zeigt sich nach wie vor – und gerade in dieser Zeit des Umbruchs – nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch im Alltagsleben der Menschen.

Georgien bleibt ein Land zwischen den Welten. Einerseits strebt es nach Integration in den westlichen Raum und nach einer engen Bindung an die europäische Gemeinschaft, andererseits ist sich das Land uneinig über das zukünftige gemeinsame Vorgehen sowohl in Bezug auf den Westen als auch auf Russland. Die Herausforderung für die kommenden Jahre wird darin bestehen, diese beiden Welten miteinander zu versöhnen und eine politische Stabilität zu erreichen, die es dem Land ermöglicht, sowohl im Inneren als auch nach außen hin als unabhängige, souveräne Nation zu bestehen.

Es gibt keine einfache Lösung für die Herausforderungen, vor denen Georgien steht. Aber es gibt eine tiefe Überzeugung, dass das Land in der Lage ist, seine Zukunft selbst zu gestalten. Das Streben nach Unabhängigkeit, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und der Glaube an den Fortschritt sind stärker als je zuvor. Die Georgier stehen an einem Wendepunkt, an dem die Wahl, welchen Weg sie einschlagen wollen, von entscheidender Bedeutung sein wird – sowohl für das Land selbst als auch für seine Position in der Weltpolitik.

In Georgien stehe ich mitten in der Geschichte, in der das Streben nach mehr Demokratie auf die Tendenz zu autoritären Strukturen trifft, die die Gesellschaft spalten. Demokratie kommt nicht von selbst – man muss für sie kämpfen. Wenn man nicht selbst die Initiative ergreift, wird es jemand anderes für einen tun. Schlussendlich ist Georgien auch ein Exempel für die Weltgeschichte. Das, was sich hier abspielt, spielt sich auch in anderen Ländern ab. An diese Erfahrungen und Eindrücke werde ich zukünftig noch lange zurückdenken und davon erzählen.

Was wird aus Georgien, dieser Brücke zwischen Europa und Asien, zwischen Europa und Russland, zwischen einer Welt voller Einflüsse? Wird Georgien Teil Europas oder zieht es auf lange Sicht zu seinem Nachbarn Russland?

Am Ende bleibt Georgien ein Land, das zwischen der Vergangenheit und der Zukunft steht – ein Land, das sowohl stolz auf seine Geschichte als auch voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist. Wie es weitergeht, bleibt abzuwarten. Aber eines ist sicher: Die politische Landschaft Georgiens wird sich weiter verändern und die Menschen werden sich weiterhin bemühen, einen Weg zu finden, der sowohl ihre Unabhängigkeit wahrt als auch den Herausforderungen des globalen Wettbewerbs standhält.

Georgien zwischen Stillstand und Fortschritt – Ein Land auf der Suche nach seiner Zukunft.

Der Alltag für die Georgier in den Wochen nach der Wahl sind geprägt von Straßenblockaden und großem Polizei-Aufmarsch.

Die Massendemonstrationen versperren den Weg für Busse und Autos. Oft kommen die Schüler nicht mehr zur Schule.

Bilder wie diese prägen die Zukunft Georgiens. Sie werden in die georgische und internationale Geschichte eingehen.

Das „Las Vegas am Schwarzen Meer“: Casinos, Hotels, Luxus – und doch so viel mehr als nur das

Ein durchwachsenes Wochenende in der Küstenstadt Batumi

Anfang Oktober haben wir eine Freiwillige besucht, die nicht in Tbilisi wohnt, sondern in Batumi.

Batumi leuchtet von innen heraus.

Batumi. Eine große touristische Stadt im Westen Georgiens, direkt am Schwarzen Meer, in der Nähe der türkischen Grenze. Auch bekannt als das „Las Vegas am Schwarzen Meer“, verschmelzen hier Tag und Nacht miteinander. Die Küstenstadt leuchtet und strahlt mit ihren vielen Casinos, Hotels, Apartments, Werbeanzeigen, Clubs und Bars um die Wette. Die Hauptstraßen sind stark befahren – mit schnellen Motorrädern, lauten Autos und sich beeilenden Rollern. Die Menschen tummeln sich an den Uferpromenaden, baden im Meer, gehen in den riesigen Shopping-Malls einkaufen, amüsieren sich an den Spielautomaten oder fahren mit dem bunten Riesenrad am Hafen und genießen den Ausblick auf die dann doch so klein erscheinende Stadt unter ihnen.

Nur nicht fernab der Saison. Anfang Oktober, zum Zeitpunkt unseres Besuchs, war genau das der Fall. Zunächst dachten wir, ein sonniges und warmes Oktoberwochenende erwischt zu haben – und das war es anfangs auch.

Der Ausblick auf das Schwarze Meer und Batumis Uferpromenaden.

Nachdem wir am Freitag direkt nach der Schule mit der Bahn der „Georgian Railway“ fünf Stunden von Tbilisi nach Batumi über Kutaissi, einmal quer durch Georgien, gefahren sind, haben wir uns in das Ein-Zimmer-Apartment der besuchten Freiwilligen einquartiert. Im 25. Stock hatte man einen wunderbaren Ausblick auf das Schwarze Meer, die Uferpromenaden und die breite Hauptstraße, an der sich die vielen Hotels und Casinos mit ihren bunt aufblinkenden Werbeanzeigen reihten.

Am Abend gehen wir in die Altstadt, etwas abseits des hektischen Stadtzentrums. Die Altstadt schlummert regelrecht im Gegensatz zur Innenstadt – mit ihren hübschen und gepflegten Straßen sowie kleinen Gassen. Es gibt leckere Restaurants mit nationalen Gerichten und liebevoll dekorierte Plätze mit Palmen und Lilien-Bäumen. Wir gelangen an eine große Kreuzung mitten in der Altstadt, an dessen vier Straßen eine Bar nach der anderen folgt. In Einer beschließen wir bei Essen und Trinken die Planung für den nächsten Tag. Wir wollen zum Botanischen Garten, der uns von vielen in Tbilisi empfohlen wurde. Doch die Einheimischen vor Ort in den Bars raten uns davon ab. Es ist wohl immer dasselbe mit den Touristen-Hotspots – egal, ob in Deutschland oder Georgien. Der Botanische Garten in Batumi ist der zweitgrößte in ganz Georgien und unserer Meinung nach ganz sicher einen Besuch wert. Einen ganzen Tag sollte man für die lange Wanderung durch die Landschaften des Gartens auf jeden Fall einplanen.

Sommer, Sonne, Kaktus am Schwarzen Meer – und es ist angenehm warm.

Am nächsten Tag stehen wir zu spät auf. Der Botanische Garten ist gestrichen. Stattdessen verbringen wir den gesamten Tag am Strand – oder zumindest das, was vom Tag noch übrig war nachdem wir verschlafen hatten. Wir badeten im Schwarzen Meer, das wärmer war als gedacht. Zwei Freiwillige haben sich Stand-Up-Paddel ausgeliehen und erkundeten die Weiten des Meeres, während die anderen unter der Sonne einschliefen. Es war ruhig und wenig los. Um uns herum hören wir Mütter auf Russisch nach ihren Kindern rufen. Der Hund einer Dame legt sich zu uns.

Zwei weitere Freiwillige aus Tbilisi sind verspätet zu uns gestoßen. Sie waren in der Nacht von Freitag auf Samstag nach Batumi gekommen, weil der frühere Zug, den wir noch am Freitag Nachmittag genommen hatten, bereits ausverkauft war. Chaotisch, mag man meinen – war es auch –, aber das gehört doch zum Leben eines Freiwilligen in einem fremden Land dazu, nicht? Spontanität gepaart mit Lebenslust. Diese Kombination an Eigenschaften möchte ich auch unbedingt in Deutschland beibehalten.

Die Georgischen Tänzer und Tänzerinnen ziehen die Belegschaft des Restaurants mit ihren rhythmischen und schwungvollen Bewegungen in ihren Bann.

An diesem Abend zieht es uns ein weiteres Mal in die Altstadt. Dort setzen wir uns in ein georgisches Restaurant. Es gibt Live-Musik und sogar Live-Tanz. Typische georgische Tänze werden in traditionellen Kleidern von einer Frau und zwei Männern der internationalen Belegschaft vorgeführt. Ein ganz klares Highlight, das die Aufmerksamkeit des ganzen Restaurants auf sich zieht. Das Essen ist sehr lecker. Wir probieren neue Gerichte aus, bestellen, essen, quatschen und lachen viel. Es ist ein schönes Beisammensein. In diesem Moment fühle ich mich sehr glücklich und ein wohliges Gefühl des Angekommen-Seins macht sich in mir breit.

Eine georgische Spezialität sind die gefüllten Teigtaschen „Khinkali“.


Wir bleiben in der Altstadt, weil es hier gemächlicher und ruhiger zugeht als an der Uferpromenade und in der touristischen Innenstadt. In einer Bar, an derselben Kreuzung wie die Nacht davor, lernen wir Jugendliche kennen. Wir bekommen kostenlos Pizza ausgegeben, die Drinks schmecken gut, eine kraftvolle Frauenstimme singt, begleitet von einer von Männerhand geführten Gitarre. Das Wetter ist angenehm. Wir gehen spät, aber glücklich und beschwingt nach Hause.

Der Botanische Garten war nun für Sonntag angesetzt. Doch noch in der Nacht von Samstag auf Sonntag fängt es an, zu schütten. Schnell schließen wir die Fenster, die wir zum Lüften geöffnet hatten. Ein Sturm zieht auf und dicke Regentropfen prasseln gegen die Fenster, gepaart mit starkem Wind, der das Hochhaus zum Erzittern bringt.

Während eines Sturms sieht man die Hand vor den Augen nicht.

Am nächsten Morgen ist es schwül und kalt. Die Luft liegt schwer über der Stadt. Wie eine Wand sehen wir, wie der Regen innerhalb von einer halben Stunde über das Meer zieht und auf uns zukommt. Wir beobachten, wie ein paar Meter von unserem Hochhaus entfernt, Menschen unter Bäume rennen, im Schlamm ausrutschen und hinfallen. Den Regen hören und spüren wir selbst dabei nicht. Dann übermannt auch uns die Regenwand. Wir geraten in den Sturm und schließen wieder die Fenster. Nach einer Stunde entscheiden wir uns gegen den Botanischen Garten. Zu rutschig, zu nass, zu ungemütlich. Als der Regen aufhört, riecht es in der ganzen Stadt, sogar vom 25. Stockwerk des Hochhauses, nach frisch gefallenem Regen. Die Sicht ist glasklar und die Farben leuchten. Der Regen hat die Stadt gereinigt – von den vielen Stoffen und Partikeln, die in der Luft schweben und die Stadt ausbleichen.

Im tröpfelnden und dann doch strömenden Regen laufen wir in ein nahegelegenes Café, um erstmal etwas zu essen und dann noch zu entscheiden, was wir machen wollen. „Auf leeren Magen werden keine guten Entscheidungen getroffen.“ Wir probieren zum ersten Mal ukrainische Pancakes, die aus Quark gemacht werden – auch bekannt als Quarkkäulchen. Sie sind nicht so süß wie die klassischen Pancakes in Deutschland, und nicht für jeden das Richtige. Mir haben sie aber geschmeckt.

Wir bummeln durch die Stadt und schauen uns die Hotels an. In einem hatte die Freiwillige vor Ort für einen Monat als Übergangslösung gewohnt. Wir betreten also eines der „Orbi Twin Tower“, als ob es völlig normal wäre, dass wir hier alle ein Zimmer haben, und fahren mit dem Aufzug in den höchsten Stock. Alle lassen uns vorbei. Wir fallen nicht auf. Es gibt einen Empfang und ein luxuriös aussehendes Foyer mit Marmor-Toiletten und edlem dunkelgrünem sowie goldenem Interieur. Der Aufzug und die Gänge in den einzelnen Stockwerken sehen auch noch vielversprechend aus. Wir können zwar in kein Zimmer rein, aber die Freiwillige, die dort gewohnt hatte, erzählte uns von ihren selbst gemachten Erfahrungen.

„Nicht alles, was glänzt, ist aus Gold.“ Auf den ersten Blick glänzt alles, aber wenn man genauer hinschaut, erkennt man, was ganz typisch für Batumi ist. Schimmel an den Decken, Dreck in den Ecken, teuer aussehende, aber sich billig anfühlende Sofas und Betten. Die Wände sind undicht. Das rasant wechselnde, tropische Wetter hinterlässt seine Spuren. Insgesamt werden eher die Symptome als die Ursachen bekämpft, wenn es darum geht, die Zustände zu beheben. Wenigstens haben wir am Ende des Ganges ein großes Fenster gefunden, das geöffnet werden konnte. Und so reckten die, die keine Höhenangst hatten, ihre Köpfe aus dem Fenster und ließen die Aussicht auf die Stadt unter ihnen auf sich wirken. Hochhäuser an Hochhäusern, Nachbarschaften an Nachbarschaften, Innenhöfe an Innenhöfe, Wohnkomplexe an Wohnkomplexen. Batumi ist in so vielen Aspekten so viel anders als Tbilisi – die eigentliche Hauptstadt Georgiens, neben Batumi aber eher wie ein Dorf wirkt. Hier ist es viel touristischer, überlaufener, größer, schneller, weiter.

Batumi ist eine Stadt im Aufbau.

Am Abend schauen wir im Kino einer riesigen Shopping-Mall den Film „Joker 2“ auf Englisch – auch deswegen, weil wir keinen besseren auf Englisch finden konnten. Ausgestattet mit Tickets und salzigem Popcorn – es gab kein süßes (!?) – setzen wir uns in den halb gefüllten Saal. Ein sehr interessanter Film und wir konnten sogar viele Parallelen zu Georg Büchners „Woyzeck“ ziehen! Obwohl der Film in den sozialen Medien eher in der Luft zerrissen als gefeiert wurde, fanden wir ihn alle eigentlich gar nicht so schlecht. Im Nachhinein konnten wir uns sogar bei Wendys Burger über die Themen im Film unterhalten, was sehr interessant war, weil jeder etwas anderes im Film erkannt und gedeutet hatte.

Wir wären nicht wir, wenn wir uns nicht dafür entschieden hätten, nach Hause zu laufen anstatt mit dem BOLT zu fahren – obwohl es bereits erste Anklänge von Regen gab. Das war der Fehler. Die kleinen, langsam fallenden Tropfen wandelten sich bald in nicht aufhörende Ströme von schwerem Regen, der uns völlig durchnässte. Ein paar gut vorbereitete Freiwillige zückten ihre Regenschirme, und wir drängelten uns darunter. Auch das konnte uns vor dem Regen nicht mehr retten und so rannten wir mit schnellen Schritten zurück zur Wohnung. Eine rutschte im Schlamm aus, was uns – selbst in Anbetracht des gewaltigen Regens – einen großen Lacher bescherte. Zurück in der Wohnung herrschte erstmal Stille und Erschöpfung. Das war alles zu viel für uns. Wir duschten nacheinander und legten uns dann ins Bett. Um 22 Uhr machten sich eine Freiwillige und ich auf den Weg in einen nahegelegenen Laden, der 24/7 geöffnet hat. Wir kauften Snacks und Wein und stießen zurück in der Wohnung auf den verrückten Tag an – im Dunkeln, damit keine Mücken auf die Idee kamen, uns bei unserem Fest zu stören. Um 24 Uhr verließen uns die zwei Freiwilligen, die bereits am Samstag-Morgen verspätet zu uns gestoßen waren. Sie hatten ihren Zug um 1 Uhr morgens gebucht gehabt – alles andere war bereits ausgebucht. Chaotisch wie eh und je. Und so machten sie sich in nassen Klamotten auf den Weg zum Zug, während wir uns in trockenen Klamotten auf den Weg ins Bett machten.

In der Touristenstadt ist alles viel höher und weiter als in der Hauptstadt.

Am Montag blieben wir in Batumi. Es war ein verlängertes Wochenende für uns alle – dank eines georgischen Feiertages. Obwohl wir einen Ausflug in die umliegenden Nationalparks geplant hatten, fiel auch dieser aufgrund des Wetters wortwörtlich ins Wasser. Zwar regnete es nicht mehr in Strömen wie an den Tagen zuvor, aber es nieselte – was fast noch ekliger und unangenehmer ist als richtiger Regen. In einer Regenpause liefen wir die wie ausgestorbene Uferpromenade auf und ab. Wir trafen auf keine Menschenseele, außer auf zwei deutsche Familien – und das unabhängig voneinander! Für uns alle gilt anscheinend: „Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung.“ Wir aßen in einem israelischen Restaurant mit Falafel, Hummus und Shakshuka zu Mittag und machten uns dann auf den Weg zu unserem Bus.

Der starke Kontrast zwischen Stadt und Land fällt einem auf dem Weg nach Tbilisi mit der Bahn durch die Dörfer auf. Die Häuser in der Provinz wirken verlassen und verfallen.

Auf dem sechsstündigen Heimweg fuhren wir an kleinen Dörfern vorbei – abgelegen und abgeschottet -, aber alle von ihnen haben ihren eigenen Charme. Wir durchquerten tropische, gemäßigte, kontinentale und alpine Klimazonen und kamen nachts, in der Dunkelheit und bei 10 Grad Celsius, in Tbilisi an. Es war ein langes und trotz des Wetters ereignisreiches Wochenende.

Batumi hat seinen ganz eigenen Charme. Es ist so ganz anders als Tbilisi. Touristischer und voller. Abseits der Saison jedoch ruhiger und verlassener. Es ist aufgeräumter und sauberer als Tbilisi. Die Straßen sind hübscher und an den Seiten wachsen Palmen, Oleander, Lilien, Granatäpfel. Es ist nicht ganz so traditionell und einheimisch, auch weil Batumi ein großes Reiseziel für Russen, Türken, Armenier und Europäer ist. Die Altstadt ist jedoch liebenswert und charmant. Es gibt viele Kirchen und Museen zu entdecken. Das Meer ist im Sommer ein Traum – ganz abgesehen vom Steinstrand – „aua“. Die Hochhäuser wachsen um die Wette, genauso wie das Leuchten der Casinos, Hotels und Werbeanzeigen.

Die opulenten Eingänge verschleiern, was sich dahinter verbirgt.

Batumi hat aber auch den Anschein einer Stadt, die für den „schnellen“ Tourismus existiert. Es werden immer neue Projekte für Hotels und teure Apartments angegangen, ohne dass das vorherige Projekt abgeschlossen wurde. Von außen blättert der Putz von den Wänden ab. Die Wände wurden nie verkleidet, man sieht noch überall den Beton. Die Eingänge der Wohnkomplexe sind aus Marmor und dekoriert mit riesigen griechischen Säulen. Dahinter verbirgt sich aber ein Ort, der nach Unfertigkeit regelrecht schreit. Die Treppenhäuser haben keine Fenster, es ist kalt. Die Wände sind mit Graffiti besprüht. Hier und dort erkennt man ein Hakenkreuz. Und dann noch eins, das aber mit noch mehr Graffiti überschmiert wurde. An den Wänden ist Schimmel. Überdeckt mit Tapeten und Farbe – als ob die den Schimmel verschwinden lassen würden. Lichtschalter funktionieren nicht. Der Aufzug wackelt bedrohlich. Nichts ist fertiggestellt – immer nur angefangen. Stattdessen erwachsen immer neue Hochhäuser aus dem Boden. Große, luxuriöse Hotelketten haben sich hier niedergelassen: Ramada, Radisson Blu, Sheraton, Hilton, Wyndham, JRW Welmond, Best Western, Marriott. Sie alle ziehen eine exklusive, internationale Kundschaft an und verführen Touristen nach Batumi.

Batumi ist ein spannender Ort, der eine Mischung aus glamourösem Urlaubsziel und noch nicht ganz ausgereifter Stadtentwicklung bietet. Die Kontraste zwischen den glitzernden Hochhäusern und den teils maroden Gebäuden, die unter der Oberfläche immer noch an „Unvollständigkeit“ leiden, gehören zum Flair der Stadt. Das Bild dieser Stadt ist geprägt von modernen Hotels und Gebäuden, die von westlichen Unternehmen betrieben werden, während gleichzeitig der Charme der alten georgischen Architektur nicht verloren gegangen ist.

Batumi ist ein Abenteuer und ein Ort, der Erinnerungen hält: an die kleinen, persönlichen Momente – wie dem gemeinsamen Abendessen, den unerwarteten Begegnungen oder der Schönheit der Natur nach einem Sturm. Noch immer in einer Übergangsphase steckend – sowohl in Bezug auf ihre touristische Entwicklung als auch auf ihre Identität – muss man sich auf die Mischung aus Glanz und Unvollständigkeit einlassen, um diese Stadt wirklich verstehen zu können.

Denn es hält viele ungeahnte Schätze bereit – für die, die bereit sind, diese zu entdecken.

1 Stadt, 100 Geschichten, 1.000 Facetten – Die faszinierende Atmosphäre des urbanen Zentrums Georgiens

Ein persönlicher Rundgang durch die Hauptstadt Tiflis

გამარჯობა! Gamarjoba! Hallo aus Tiflis!

Von den Russen und Europäern „Tiflis“ genannt, um es leichter aussprechen zu können, nennen die Georgier ihre Lieblings-Hauptstadt „Tbilisi“.

Tbilisi ist die Hauptstadt des Kaukasus-Landes Georgien. Die ehemalige Sowjetrepublik, angrenzend an Armenien und Aserbaidschan, liegt an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien und erstreckt sich über die Gebirgsregion des Kaukasus.

Kazbegi an der russischen Grenze im Winter bei -15 Grad Celsius.

Mit insgesamt sieben Klimazonen birgt das relativ kleine Land – mit einer Fläche so groß wie Bayern (die Deutschland-Vergleiche werden wohl nie enden) – eine unerwartet große Vielfalt. Vom alpinen Klima im Norden – nur wenige Kilometer von der russischen Grenze entfernt – über mediterranes und kontinentales bis hin zu tropischem Klima im Osten entlang des Schwarzen Meeres. Je weiter man Richtung Nordost geht, desto kälter wird es.

Batumi am Schwarzen Meer im Sommer bei +30 Grad Celsius.

Nichtsdestotrotz liegen die Temperaturen in Tbilisi im angenehmen Bereich. „Tbili“ bedeutet auf Georgisch „warm“ – das haben wir im Georgisch-Unterricht gelernt. Die heißen Quellen rund um und unter Tbilisi halten die Hauptstadt Georgiens wärmer als den Rest der Umgebung – vor allem im Winter, wenn die Temperaturen gerade so um den Gefrierpunkt pendeln.

Tbilisi ist die größte Stadt Georgiens. Mit 1,26 Millionen Einwohnern macht sie bereits ein Drittel der gesamten 3,81 Millionen Bevölkerung aus. Dabei war die Hauptstadt Georgiens nicht immer dieselbe wie jetzt. In Mzcheta, nur wenige Kilometer nördlich von Tbilisi, leben heute nur noch weniger als 8.000 Menschen. 1.000 Jahre lang war Mzcheta eine der wichtigsten Handelsstädte zwischen dem Kaspischen und Schwarzen Meer. Bis ins 6. Jahrhundert war sie die Hauptstadt des iberischen Reiches – einem Vorgängerstaat des heutigen Georgien – und ein wichtiger Knotenpunkt der historischen Seidenstraße, die Georgien mit China und dem asiatischen Raum sowie dem Mittelmeer und Europa verband.

Der Weg zur Metro durch die Rolltreppe dauert lange und erinnert an alte sowjetische Bunker.

Obwohl Tbilisi viele Einwohner hat, ist die Stadt dennoch überschaubar und relativ klein. Es gibt nur zwei Metro-Linien: eine rote von Nord nach Süd und eine grüne von Ost nach West – und das auch unter dem Fluss „Kura“ hindurch, welcher die Stadt genau in der Mitte trennt. Zu den Stoßzeiten sind die Metros oft voll, aber im Gegensatz zur Deutschen Bahn verspäten sie sich fast nie und kommen alle paar Minuten. An den Ein- und Ausgängen der Metro-Stationen hört man abends, wenn die Menschen von der Arbeit kommen, Musik und Gesang. Eine E-Gitarre hier, eine klangvolle Stimme dort. Auf den Fußgängerwegen neben der Hauptstraße verkaufen ältere georgische Männer und Frauen Schmuck, Souvenirs, Kunst und traditionell georgische Klamotten wie Handschuhe, Schuhe und Mützen aus wärmender Schafwolle.

Die Metro in Tbilisi.

Der Verkehr über der Erdoberfläche ist hingegen sehr gewöhnungsbedürftig. Die Busse sind oft überfüllt und der Verkehr stockt. Die Autofahrer fahren wie wild und jeden Tag wundere ich mich aufs Neue, dass ich bisher so wenige Unfälle beobachten konnte. Fahrradfahrer gibt es nur wenige – genauso wenig wie Fahrradwege. Es gibt kaum vernünftige Fußgängerwege, die nicht kaputt oder zugeparkt sind. Als Fußgänger bist du ein Überlebender im Kampf auf den Straßen. Die Autofahrer schauen so, als ob sie direkt durch dich hindurch schauen würden – und doch schlängeln sie sich jedes Mal präzise genug an dir vorbei. Die Taxifahrer sind hektisch und gestresst. Auf den Straßen hört man viel zu laute und sieht man viel zu protzige Motorräder. Die Autos drängeln sich aneinander vorbei. Die Straßen viel zu klein für so viele hetzende Autos. Abgesehen vom Verkehr geht es hier im täglichen Umgang miteinander dennoch irgendwie gelassener zu als in Deutschland. Ob das auch damit zusammenhängt, dass hier Schule und Arbeit erst um 9:00 Uhr beginnen und alles insgesamt ein wenig lockerer angegangen wird?

Tbilisi eignet sich perfekt zum Second-Hand-Shoppen.

Die liberale Jugend floriert in der Hauptstadt. Fast alle sprechen fließend Englisch. An jeder Ecke hört man bekannte TikTok-Sounds, zu denen getanzt wird. Klänge von Punk, Rock, Heavy Metal und Jazz schweben durch die großen Straßen und kleinen Gassen. Die Jugendlichen sind entweder elegant oder baggy gekleidet. Longchamp-Taschen und lange Mäntel mischen sich mit schweren Lederjacken kombiniert mit Dr. Martens. An kleinen Ecken und in versteckten Kellern gibt es Vintage- und Secondhand-Läden. Schallplatten werden gesammelt, gekauft, verkauft. In der Luft liegt ein schwerer Geruch: Zigaretten. Wo in Deutschland große Tabakfirmen Standorte wegen der fallenden Nachfrage schließen müssen, fällt in Tbilisi auf, dass vergleichsweise viele Menschen rauchen – jung und alt. Es ist ein Lifestyle, eine Lebenseinstellung, irgendwie „en vogue“.

In den Musik-Läden werden noch Schallplatten zum Selbst-Anhören angeboten.

In genau diesem Moment läuft eine Gruppe von Jugendlichen an mir vorbei – wahrscheinlich auf dem Weg zur Uni. Ihre Art, sich zu kleiden, ihre Art, zu gehen, ihre Art, zu schauen – unverwechselbar die Art von modischen Kunst- oder rebellischen Musik-Studenten. Alle 5 mit einer halb abgebrannten Kippe in der Hand. Qualmend, im schnellen Schritt an mir vorbeilaufend. Ich schaue ihnen hinterher.

Die Techno-Szene in der Stadt ist so groß, dass sogar DJs aus dem Berghain in den großen Clubs der Stadt auflegen. Der größte und bekannteste Club Georgiens ist das „Bassiani“, welches ein ehemaliges Schwimmbad unter dem Fußballstadion der Stadt ist. Tagsüber wird über der Erdoberfläche Sport getrieben und gejubelt. Nachts wird unter der Erdoberfläche die Nacht zum Tag und dumpfe Bässe und scharfe Beats durchschneiden die stickige, rauchige Luft. Im Nebel erkennt man die Umrisse von schwitzenden Körpern und tanzenden Silhouetten, die sich im hypnotischen Rhythmus verlieren, während der Bass wie ein mächtiger kollektiver Herzschlag durch die Luft dröhnt und die Dunkelheit in eine pulsierende Ekstase taucht. Das Schlagen des Herzes und das Schlagen des Basses werden eins. Der Puls der Musik scheint mit jedem Schlag die Wände des alten, kühlen Kellers zum Vibrieren zu bringen. Die Luft ist dicht, fast greifbar, durchzogen von Nebelschwaden, die aus den Maschinen in den Ecken des Raumes quellen.

Im „Bassiani“ verschmelzen Menschen aus allen Ecken der Welt zu einer Einheit, vereint im Rhythmus der Musik. Hier geht es nicht nur um den Tanz, sondern um ein Gefühl der Befreiung, um das Erleben von Freiheit, Individualität und Kollektivität zugleich. Der Club ist ein Zentrum für die elektronische Musikszene Georgiens und hat sich über die Jahre zu einem Symbol für die Jugendkultur und die Freiheit des Ausdrucks entwickelt. In einem Land, das noch immer von den Schatten seiner Vergangenheit geprägt ist, bietet das „Bassiani“ einen Raum, in dem sich Politik, Kultur und Musik miteinander verweben.

Die DJs, die hier auflegen, sind mehr als nur Musiker – sie sind Meister ihrer Kunst, die das Publikum durch ihre Sets auf eine Reise mitnehmen. In dieser unterirdischen Welt, fernab der hektischen Oberflächenrealität, gibt es nur den Moment und die Musik. Es ist ein Ort, an dem die Zeit stillzustehen scheint, wo das Aufeinandertreffen von Energie und Klang eine nahezu magische Wirkung entfaltet.

Doch der Club steht nicht nur für das Erleben von Musik. Es hat auch eine politische Dimension. Es ist ein Ort der Freiheit, an dem verschiedene Identitäten, sexuelle Orientierungen und Kulturen in einem harmonischen Miteinander koexistieren. In einer Gesellschaft, die sich in Bezug auf Demokratie und Menschenrechte weiterhin in einem Transformationsprozess befindet, ist der Club ein Symbol für Widerstand und eine Art der Rebellion – ein Ort, an dem das Leben gefeiert wird, so wie es ist.

„Bassiani“ ist mehr als nur ein Club. Es ist ein Kulturzentrum, ein politischer Raum. Ein Sinnbild, eine Metapher, eine Personifikation der gesamten Jugend-Bewegung in Tbilisi und in Georgien.

Viele Gassen sind alt, verlassen, zerfallen. Aber alles hat seinen Charme.

Das Morbide, Zerfallene, Alte, Sowjetische mischt sich mit dem neuen Duft von Aufbruch, Europa, Freiheit, Modernität und Veränderung. In Tbilisi wird die Verbindung zwischen der alten und der modernen Welt Wirklichkeit. Von den sowjetischen Überbleibseln bis hin zu den neuen, frischen Strömungen. Die Stadt bietet einem eine kulturelle, historische, persönliche, wirtschaftliche, gesellschaftliche Dimension, die so typisch für eine Stadt an der Schnittstelle von Tradition und Aufbruch ist.

Geografisch lässt sich Tbilisi gut mit Lissabon vergleichen. Die Berge machen das Schlendern durch die Straßen zu einer sportlichen Herausforderung – die sich für die Herausgeforderten aber definitiv lohnt! Es gibt eine Standseilbahn, die im Gegensatz zu Lissabon nicht knallgelb, sondern strahlend rot ist. Zwei Seilbahnen lassen die Besucher mit Gondeln über die Stadt schweben und transportieren sie auf die Bergspitzen rund um Tbilisi.

Den bunte Leuchtturm auf dem Berggipfel über der Stadt erkennt man von überall in der Stadt.

Auf einem der Hügel thront der Freizeitpark „Mtatsminda Park“, der mit seinem leuchtenden Fernsehturm und buntem Riesenrad fast die Funktion eines Leuchtturms übernimmt, der den gestrandeten Schiffen – in diesem Fall den Besuchern und Einwohnern der Stadt – den rechten Weg weist. Vor allem nachts bietet der Park wunderschöne Aussichten auf die Lichter der Stadt, und man staunt immer wieder, wie groß Tbilisi von oben erscheint. Im Freizeitpark gibt es Sitzmöglichkeiten und Restaurants, die zum Verweilen einladen. Für die Aktiven stehen eine Achterbahn, ein Freifall-Turm, ein Karussell und ein Autoscooter zur Verfügung. Der Weg zurück in die Stadt ist entweder zu Fuß, mit der Gondel oder der Standseilbahn möglich. Der Fußweg ist etwas versteckt und nicht ausgeleuchtet – also nichts für schwache Nerven. Man weiß sich mit Handy-Taschenlampe und einem langsamen Schritt die Stufen hinab, zu helfen.

Die Sameba-Kathedrale entdeckt man auch von weit oben an ihrem Leuchten.

Die berühmten Schwefelbäder riecht man schon von Weitem.

In der Altstadt, weit im Süden, reihen sich Bars, Cafés und Restaurants aneinander. Es gibt versteckte Gassen mit zerfallenen Häusern. Der Putz blättert von den hohen Wänden der Wohnungen, Häuser, Geschäfte, Schulen ab. Ab und zu liegt der süßliche Geruch von Baumstriezel und Popcorn in der Luft.

Während Ungarn für seine Thermalbäder weltberühmt ist, gelten die georgischen Schwefelbäder in der Altstadt als Geheimtipp für jeden Reisenden. Dort kann man in privaten Baderäumen mit je einem warmen und einem kalten Becken entspannen – und das alles ganz für sich alleine. Ganz billig ist es nicht und mit Karte kann man auch nicht zahlen – eine Erfahrung, die ich persönlich machen musste, als ich leider keinen Bankautomaten in der Nähe fand. Im Bad kommt aber jeder Besucher auf seine Kosten, einschließlich der klassischen Massagen, bei denen man abwechselnd mit kaltem und warmem Wasser abgerieben wird. Und das nicht gerade sanft, aber definitiv effektiv!

Die Friedensbrücke verbindet Ost mit West auf majestätische Art und Weise.

Über die Friedensbrücke – eine große, gläserne, überdachte Brücke im Süden des Flusses – gelangt man auf die andere Seite der Stadt. Der Fluss verläuft quer durch Tbilisi, weshalb wir oft vom „Osten“ oder „Westen des Flusses“ sprechen. Auf der Brücke hat man eine wunderschöne Aussicht auf die Hänge des hügeligen Tbilisis. Auf der Spitze ragt die große Glaskuppel des ehemaligen Präsidentenpalastes im klassizistischen Stil hervor – fast wie der Reichstag in Berlin.

Mit der Glaskuppel hat der ehemalige Präsidenten-Palast große Ähnlichkeit mit dem Reichstag in Berlin.

Das warme Leuchten verleiht der Kathedrale eine majestätische Anmut.

Abends erleuchtet die große Sameba-Kathedrale den Osten der Stadt. Wenn man sie oben vom Berg aus betrachtet, wirkt es, als würde sie von den Häusern drumherum eingekesselt werden. Sie hat aber vielmehr eine majestätische Ausstrahlung. Die Kathedrale – eine der größten Kirchen der Georgischen Orthodoxen Apostelkirche – ist überraschend jung. Sie wurde vor gerade mal 20 Jahren fertiggestellt. Ein Fußmarsch von der Altstadt auf den Hügel zur Kirche ist sehr empfehlenswert, vor allem entlang der versteckten Gassen, wo die Menschen abseits der Hauptstraßen wohnen. So kann man die Atmosphäre vom ursprünglichen Tbilisi noch intensiver und realitätsnah erleben.

So viele Farben!

Wenn wir schon auf der östlichen Seite des Flusses sind, dann möchte ich für den Dezerter Bazaar eine ganz besondere Empfehlung aussprechen – für alle, die noch nie auf einem riesigen Markt waren, oder auch für diejenigen, die denken, sie hätten es schon getan! Anfangs erkennt man nur die großen Hallen, wo frisches Obst und Gemüse, Nüsse, Gewürze, Fisch und Fleisch, Käse und georgische Spezialitäten angeliefert werden. Doch wenn man sich hinter die Hallen begibt, erahnt man schon bald die wahre Größe des Marktes. Hunderte von Läden reihen sich dicht an dicht aneinander und präsentieren Klamotten, Schuhe, Taschen, Bücher zum Lesen und Lernen, Haushaltswaren, Tabakwaren, Tee, Kaffee, Spielzeug, Süßigkeiten und vieles mehr. Für wenig Geld kann man hier alles finden, was das Herz begehrt – oder auch Dinge, von denen man noch nicht wusste, dass man sie begehren würde. Es gab sogar einen Laden extra für Einmachgläser aller Art!

So viele Gerüche!

20.000 Schritte und ganze fünf Stunden später beendeten mein Vater, der mich aus Deutschland besuchen kam, und ich den ursprünglich angedachten „kleinen Spaziergang auf dem Markt“ am Abend als es schon dunkel war. Uns blieben nur noch sechs Worte voller Erstaunen und Fassungslosigkeit übrig: „Das kann’s doch gar nicht geben.“

Das war mein persönlicher Rundgang durch Tbilisi. Unvollständig, aber gespickt mit vielen persönlichen Erfahrungen, die ich auf meinen Erkundungstouren gemacht habe. Es ist klar, dass ich nie alles von dieser faszinierenden Stadt entdecken und verstehen werde, aber es ist ein Anfang. Es macht so viel Spaß, jedes Mal an neue Orte zu gelangen, wenn man einfach losläuft.

Tbilisi ist eine Stadt, die für Entdeckungen offen ist, für das Abenteuer und die Überraschungen, die einem bei jedem Schritt begegnen können. Die Stadt bietet immer wieder neue Facetten, wenn man sich darauf einlässt.

Man muss nur den mutigsten Schritt wagen. Nämlich den ersten.

Denn genau das ist der Charme dieser Stadt.

Der Herbst hält mit bunten Farben Einzug in Tbilisi und die Alleen sehen fast so aus wie in Berlin.

Tbilisi hält viele Wunder und Geheimnisse für Besucher bereit, die neugierig sind. Man muss es nur entdecken wollen!

Vorwort

Die ersten Worte des Blogs „Sophie entdeckt Georgien“ – Eine Geschichte von Unschlüssigkeit und Entschlossenheit

Jetzt sitze ich hier.

In einem Café.

In Tiflis.

Meine Finger schweben über den Tasten meines Laptops. Unschlüssig, ob sie sich bewegen sollen oder nicht.

Schon lange sitze ich hier. Mein Brunch verputzt, mein Latte ausgetrunken. Eine Tüte Zucker angebrochen. Die Sonne scheint durch die Fenster, und die Sonnenstrahlen wärmen den beigen Holz-Tisch. Nur mich nicht. Ich habe eiskalte Finger. Vielleicht genau aus dem Grund, dass sie sich nicht bewegen.

Es ist ein frischer und kalter Herbsttag Ende Oktober. Genau einen Tag vor Halloween, welches hier in Georgien so „richtig offiziell“ nicht gefeiert wird, wie wir es traditionell in Deutschland tun. Die Sonne trügt. Die Temperaturen sind eisig. Eigentlich zeigt mir mein Handy 15 Grad Celsius an, aber das glaube ich nicht. Es fühlt sich zumindest nicht so an. Denn nichtsdestotrotz ist mir kalt.

Neben mich setzt sich ein Mann. Er unterhält sich auf Russisch mit der georgischen Café-Besitzerin. Im Hintergrund läuft ein Song auf Englisch, gesungen von einer französischen Indie-Sängerin. So divers wie dieser unbedeutende Augenblick in diesem kleinen Café ist, so divers ist tatsächlich auch ganz Georgien.

Ich gucke zu dem Mann neben mir – noch immer unschlüssig, in den nächsten paar Minuten etwas zu schreiben. Auch seine Finger schweben über den Tasten seines Laptops. Aber dann bewegen sie sich und zaubern magische Wörter auf den Bildschirm – wie sie es bei mir nicht tun.

Ich denke über meinen Blog nach. Über den Entwurf, den Aufbau, den Titel, das Hintergrundbild, die Farbe, die Überschrift, den Inhalt. Soll es ein erzählender oder ein informierender Blog sein? Worüber soll ich schreiben? Eigentlich interessiert sich doch niemand dafür, was ich schreibe, denke, meine? Schreibe ich ihn eher für mich oder für die anderen? Warum möchte ich eigentlich so unbedingt einen Blog schreiben?

Vielleicht, weil das schon immer ein kleiner Traum von mir gewesen ist, meinen Gedanken einen Ort zu geben, wo sie sich ausdrücken können. Schriftlich. Auf Papier – mehr oder weniger.

Und dann ist da diese Unschlüssigkeit.

Obwohl da gerade noch so viel Entschlossenheit war, jetzt endlich diesen Blog zu schreiben. Deswegen habe ich mich doch extra in dieses Café gesetzt! Ob sich J.K. Rowling beim Schreiben von Harry Potter genauso unschlüssig gefühlt hat?

Die Uhr tickt. In zwei Stunden muss ich nach Hause und duschen. Danach geht es mit den anderen kulturweit-Freiwilligen aus Tiflis zum Georgisch-Unterricht bei einer Georgierin, die bei der österreichischen Botschaft für die Wirtschafts-Delegation arbeitet, und – wie viele andere Menschen hier in Tiflis – mehrere Jobs gleichzeitig ausübt, um die sich rasant erhöhten Lebenshaltungskosten finanzieren zu können.

Gestern Abend habe ich mich sehr auf den Unterricht gefreut. Ganz ungeachtet dessen, dass ich das Verb „arbeiten“ noch immer nicht konjugieren kann. Nach dem Verb „sein“ war es das erste Verb, das wir gelernt haben. Schon amüsant, dass gerade das das erste Verb war, das wir lernen sollten – abseits aller Stereotype ;). Da hat sich unsere Lehrerin einen kleinen Spaß erlaubt.

Ich habe mit dem Gedanken gespielt, den anderen vorzuschlagen, nach dem Unterricht gemeinsam Abendessen zu gehen. Georgisch, asiatisch, orientalisch. Eins davon wird es schon werden. Wir machen das oft zusammen. Wir gehen auch Bar- oder Café-Hopping und probieren uns mit Köstlichkeiten, Delikatessen und nationalem Essen durch die ganze Stadt durch. Vollständigkeit wird es dabei nie erreichen – soll es auch gar nicht. Dafür ist das kleine Tiflis zu vielfältig und verwinkelt – an jeder Ecke gibt es etwas Neues zu entdecken.

Heute könnten wir uns über unseren Ausflug nach Kachetien unterhalten. Die Region im Westen von Georgien, nur 1 ½ Stunden von der Hauptstadt entfernt, ist bekannt für seinen Weinanbau und leckeren Wein, der in Deutschland teuer gehandelt wird. Für das Zwischenseminar, das für alle Freiwilligen online stattfindet, wollten wir aus der Stadt in die Natur. Davon gibt es rund um Tiflis auch reichlich, aber wenn man schon die Möglichkeit hat, zu verreisen, dann sollte man sie auch nutzen!

Und so habe ich dann doch etwas geschrieben. Ohne die vorherige Intention, genau das auch schreiben zu wollen. Vielleicht macht genau das auch einen Blog aus – vor allem den ersten Beitrag. Ich empfinde meine Texte mehr als eine Art Tagebuch, welche ich in meinem bisherigen Leben noch nie länger als drei Tage ernsthaft durchgezogen habe. Die zwingende Verbindlichkeit, jeden Tag etwas der Vollständigkeit halber schreiben zu müssen, hat mich immer von langen und nachhaltigen Texten abgehalten. Vielleicht ist genau deswegen ein Blog genau das Richtige für mich – alles ist freier.

Also schreibe ich erstmal ein paar Sätze auf, die mir spontan in den Kopf kommen – sich sicher, sie im Nachhinein zu einem harmonischen Gesamtgefüge zusammenzusetzen.

Also fange ich nochmal an:

Jetzt sitze ich hier in einem Café in Tiflis …

Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich im Verlauf des Schreibens doch ziemlich abgedriftet bin, sodass ich mich dafür entscheide, den von mir geschriebenen Gesamttext in mehrere Einzeltexte zu teilen.

Ich kann auch sagen, dass ich mich drei Stunden später dazu entschließe, zu zahlen, obwohl ich mit dem Schreiben noch nicht fertig bin und eigentlich auch nicht gehen möchte – aus Angst davor, nicht noch einmal in den Schreibfluss zu finden.

Der Mann vom Anfang sitzt noch immer neben mir. Er hat in der Zwischenzeit mehr Raucherpausen eingelegt, als er tatsächlich gearbeitet hat – vermutlich. Vielleicht hat auch er Probleme damit, die richtigen Worte für das zu finden, was er eigentlich ausdrücken möchte – genau wie ich.

Und so mache ich mich eine halbe Stunde später als geplant auf den Heimweg.

Schreiben kann doch so viel Spaß machen.

Mein Brunch an einem kalten Herbsttag Ende Oktober in einem Café in Tiflis.
Auf der Rechnung stand: „Your hopes and plans will come true beyond all expectations.“