Georgien vor, während und nach den Parlamentswahlen 2024
Ein Drittel der Bevölkerung Georgiens lebt in Tbilisi, der Hauptstadt. Fast 60 % der Menschen wohnen in modernen Städten – mal größer, mal kleiner. Der Rest lebt auf dem Land, weit entfernt von den georgischen Ballungszentren, oft in Abgeschiedenheit und auf Selbstversorgung angewiesen – oder in der Hoffnung auf Touristen, die es in die abgelegenen Gegenden verschlägt.
Wenn man durch die Straßen Georgiens läuft, dann spürt man förmlich die Spannungen, die in der Luft liegen. In den Städten scheint der Fortschritt fast greifbar, während sich die ländlichen Gebiete von dieser Entwicklung immer weiter entfernen. Eine tiefe wirtschaftliche Kluft tut sich zwischen den städtischen und ländlichen Regionen auf.
Aber auch in den großen Städten existiert trotz des sichtbaren Wohlstands ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Gefälle. In Tbilisi sieht man immer wieder Menschen, die in schäbigen Wohnungen leben, in kleinen Cafés arbeiten oder an Straßenecken betteln, um über die Runden zu kommen. Gleichzeitig sind die städtischen Eliten, die oft über Geschäftsbeziehungen zu internationalen Unternehmen und Investoren verfügen, in der Lage, sich (westliche) Luxusprodukte zu leisten. Doch das Bild ist nicht so einheitlich. Es gibt viele Menschen, die sich bemühen, in einer Welt des schnellen Wandels, ihren Platz zu finden.
Diese skizzierten Phänomene spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, die politischen Meinungen, Entscheidungen und Geschehnisse in diesem Land verstehen zu wollen.
Es ist nun fast genau einen Monat her, dass am 26. Oktober 2024 die Parlamentswahlen in Georgien stattfanden. Sowohl die pro-russische Regierungspartei „Georgischer Traum“ als auch die pro-europäischen Oppositionsparteien beanspruchten den Wahlsieg für sich. Die offizielle Wahlkommission bestätigte den Sieg der Regierungspartei mit weniger als 54 % der Stimmen. Es wurde von Wahlbetrug gesprochen. Die Deutsche Botschaft in Tbilisi und das Auswärtige Amt warnten vor bald anstehenden Demonstrationen.
Die Hauptstadt und das ganze Land hielt den Atem an – aber nicht nur sie. Auch die großen Weltmächte wie die USA, Deutschland, Russland und die Europäische Union schauten gespannt auf das kleine Land Georgien, das zu all diesen Ländern enge wirtschaftliche (Handels-)Beziehungen pflegt. Seit dem Dezember 2023 führte die EU Beitrittsverhandlungen mit Georgien. Doch nachdem im Juni 2024 Gesetze verabschiedet wurden, die denen Russlands ähneln – wie das Agentengesetz und das Gesetz zum „Schutz von Familienwerten und Minderjährigen“, das gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Strafe stellt – wurden die Verhandlungen auf Eis gelegt. Die Lage und die diplomatischen Beziehungen sind angespannt.
Nach den Wahlen hatte man vieles erwartet. Man hatte sich auf das Schlimmste vorbereitet – nur nicht auf die Stille, das Vakuum, das dann tatsächlich entstand. Oder war gerade das das Schlimmste?
Eine gespenstische Stille legte sich über Georgiens Hauptstadt. An diesem Sonntag war noch weniger los, als es bereits an den üblichen Sonntagen der Fall war. Nichts auf den Straßen, nichts auf den großen Hauptplätzen der Stadt, nichts vor dem Parlament. Einzelne Demonstranten mischten sich mit wenigen Polizisten und Journalisten. Ich erkannte Reporter vom ORF aus Österreich. An den Ecken des Parlaments standen weiße, verdunkelte Limousinen. Meine Verwunderung war groß. Zu diesem Zeitpunkt besuchte mich mein Vater aus Deutschland und wir hatten bereits um unsere Sightseeing-Tour durch Tbilisi gebangt, weil ich große Proteste erwartet hatte. Doch es kam alles anders. Es schien, als würde die größte Stadt Georgiens stillstehen. Wie Betäubt. Zu geschockt.
Erst ganze drei Tage später, am Tag seiner Abreise, rief die pro-europäische Präsidentin Salome Surabischwili, die in Paris aufgewachsen ist und dort Politikwissenschaften studiert hat, über die sozialen Medien zum Protest auf. Tausende gingen abends auf die Straße, um für Europa und ein freies Georgien zu kämpfen. Die Europa-Hymne „Freude schöner Götterfunke“ von Beethoven erklang. Georgien-, EU-, USA-, Ukraine- und NATO-Flaggen wurden geschwenkt. Der Himmel erstrahlte in den Farben eines Regenbogens als Feuerwerke in den Himmel schossen. Aus allen Straßen strömten die Menschen ins Stadtzentrum und es war ein überwältigender Anblick, als sie sich alle auf den Straßen versammelten.
In den sozialen Medien wurde viel gepostet, geliked, geteilt. Auch große Nachrichtenquellen wie die „Tagesschau“ und der „Guardian“ berichteten über die Wahlen und Demonstrationen. Ein Bild, das auf Instagram die Runde machte, zeigte einen jungen Mann vor dem Parlament, der ein Schild hielt mit der Aufschrift: „INTERNATIONAL SOCIETY, DON’T LEAVE US ALONE“. Ich sprach mit einigen der demonstrierenden Studenten und erzählte ihnen, dass die Unterstützung in den Medien Europas, vor allem in Deutschland, sehr groß sei. Einer von ihnen meinte, dass der internationale Beistand das Wichtigste und Einzige sei, das sie hätten. Die Georgier wollen nicht vergessen, nicht zurückgelassen werden. Diese Worte trafen mich tief.
Am nächsten Tag war alles wie vorher. Auf dem Weg zur Arbeit sah alles gleich aus. „Warum sollte es auch nicht?“, fragte ich mich. Nur die vermehrten Polizeiautos ließen ansatzweise erahnen, was am Abend zuvor auf den Straßen Tbilisis los war. Einen Tag später fragte mich einer meiner Schüler aus der 11. Klasse, was es Neues aus Georgien gäbe. Ich – überfordert mit der Frage – stellte ihm die Gegenfrage. Er war der Einzige, der mir bis zu diesem Zeitpunkt von dem politischen Chaos und der Verwirrung im Land erzählte. Vielleicht auch nur, weil ich ihn explizit danach gefragt hatte. Oder er mich.
Als Freiwillige aus Deutschland bekomme ich neben den Demonstrationen auf den Straßen nicht viel von den politischen Einstellungen und Ängsten der Menschen mit. Die Schule ist der einzige Ort, an dem ich mit den lokalen Menschen in Kontakt komme, die mir von ihren Eindrücken und Erfahrungen erzählen.
In Georgien ist die Schule ein politisch neutraler Raum. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es hier das Fach „Politik und Wirtschaft“ nicht, das sich mit den politischen Verhältnissen im In- und Ausland auseinandersetzt und das Argumentieren sowie das kritische Hinterfragen fördert. Die Lehrer sprechen nicht viel über die nationale Politik. Außerdem dürfen sie sich nicht gegen die Regierungspartei äußern. An meiner Schule gibt es seit diesem Jahr eine neue Schulleiterin. Die vorherige Schulleiterin war mehr als sieben Jahre an dieser Schule tätig, bis sie gegen die Regierungspartei Stellung nahm und sich auf der Seite der Oppositionsparteien positionierte. Daraufhin wurde sie durch die jetzige neue Schulleiterin ausgetauscht. Damit ist die Entscheidung, die Schule als einen politikfreien Raum zu gestalten, letztendlich auch nur eine politische Entscheidung gewesen.
Es gibt eine Sache, die ich mir vor meiner Reise nach Georgien bereits ansatzweise vorgestellt, jedoch weit unterschätzt habe: der starke Einfluss der georgisch-orthodoxen Kirche. Sie stellt eine der größten Gegenpole zu der fortschrittlichen Bewegung der Jugend und Studenten dar – besonders, wenn es um die sexuelle Freiheit und Geschlechter-Identität geht. Ich sehe, wie Dekolletés mit Kreuz-Ketten geschmückt werden. Orthodoxe Feiertage prägen den georgischen Jahreskalender. Viele Menschen gehen immer noch regelmäßig in die Kirche. Das wird ihnen von Grund auf durch die Eltern beigebracht und ist ein fester Bestandteil der georgischen Kultur. Viele Menschen machen dreimal das Kreuzzeichen, wenn sie Kirchen passieren. Auf dem Land gibt es viele Klöster, doch auch in der Stadt findet man zahlreiche orthodoxe Kirchen, deren Innenräume mit Heiligenbildern verziert sind.
Eine zusätzliche Sache fällt einem besonders ins Auge. Als aufmerksame Beobachterin – als die ich mich selbst bezeichne, weil sechs Monate lang genug sind, um die Vorgänge in diesem Land ansatzweise verstehen zu können – bemerke ich Dinge, die in Deutschland sehr ungewöhnlich sind. An vielen Häusern, Hotels, Schulen, Geschäften, Restaurants und Autos wehen georgische Flaggen. Patriotismus. Nationalstolz. Hier in Georgien völlig normal und gerne gesehen. Doch nicht nur das: Graffiti-gemalte EU-Flaggen glänzen auf den alten Stadtmauern und mischen sich mit den Bildern von Ukraine- und NATO-Flaggen. Auf den Wänden der großen Rundbögen steht schwarz auf weiß: „FUCK PUTIN“. Die Hauptstadt ist politisch aufgeladen – liberal, fortschrittlich, divers, frei. Man entziffert Aufschriften wie „HEROES DON’T DIE“ und „NO RUSSIAN LAW“.
Die Russenfeindlichkeit scheint groß. Noch größer seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs, nach dem viele Russen hierher geflüchtet sind. Sie werden dafür verantwortlich gemacht, dass sich das Leben der Georgier mit dem vielen Geld aus Russland immens verteuert hat – vor allem in den großen Städten wie Tbilisi, Batumi und Kutaissi. Die Preise für Mieten, Lebensmittel, Dienstleistungen und das alltägliche Leben sind seitdem in die Höhe geschossen. Für den gewöhnlichen Georgier, der ein durchschnittliches Monatseinkommen von 400 $ erhält, unbezahlbar.
Vielleicht verzerren solche Bilder die tatsächliche politische Stimmung im Land: „Eine laute Minderheit kann die leise Mehrheit zum Schweigen bringen“. Der Diskrepanz zwischen Stadt und Land kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. In ländlichen Gebieten erlangte der „Georgische Traum“ fast 100 % der Stimmen wie in dem abgelegenen Dorf Stepantsminda, auch bekannt als Kazbegi. Die Entfernung von Stepantsminda zur russischen Grenze beträgt weniger als 8 km. Da könnte man meinen, dass gerade die Nähe zu Russland ein Faktor dafür ist, gegen eine pro-russische Partei zu stimmen – doch genau das Gegenteil ist der Fall.
Diese Unstimmigkeit hat mich lange beschäftigt. Aber sie klärt sich, wenn man sich vor der Parlamentswahl ganz genau in den Städten und Dörfern umgesehen hat. Alle verfügbaren Flächen waren von Wahlplakaten bedeckt. Es waren primär Wahlplakate der Nummer 41 – die Nummer des „Georgischen Traums“ auf dem Wahlzettel. Links des Plakats ist ein großes Schwimmbad zu sehen. Gefüllt mit Wasser, ausgestattet mit ordentlichen Sprungbrettern und mit genügend Platz für viele Bahnen. Die Farben sind leuchtend und kraftvoll. Rechts ist ein Bild, das genau denselben Bildausschnitt zeigt. Die Farben sind schwarz, weiß und grau. Das Schwimmbad ist zerstört. Unter Trümmern liegt das leere Becken vergraben. Da ist niemand mehr, der schwimmt und niemand mehr, dem das Schwimmbad Freude bereiten kann. Darunter steht etwas auf georgisch geschrieben. Es wird ein Vergleich zwischen dem Konflikt der Ukraine mit Russland und dem Konflikt Georgiens mit Russland gezogen. Der „Georgische Traum“ vertritt die Ansicht, dass nur eine Annäherung an Russland verhindert, von Russland angegriffen zu werden, wie es bei der Ukraine der Fall war.
Noch ein Plakat mit der Nummer 41 . „Mit Würde und Wohlstand aus der EU“. Daneben das Bild einer geteilten Flagge. Auf der linken Seite der Flagge das Zeichen des „Georgischen Traums“ und rechts daneben das der Europäischen Union. Die Teilung der beiden visualisiert so viele Unstimmigkeiten, Gegensätze und Diskrepanzen. Das macht doch alles gar keinen Sinn. Und doch – denke ich mir gleichzeitig – macht das ganz viel Sinn. Stadt-Land-Gefälle, historische Traumata, internationale Einflüsse aus den USA, Russland, der EU, Jung und Alt, Tradition und Moderne, Kirche, Wirtschaft, Gesellschaft. All diese Themen spielen eine zentrale Rolle im Leben der Georgier – und somit auch bei dieser Wahl. Alle haben ihre eigenen Träume und Ängste. So nah an Russland – politisch, gesellschaftlich, territorial – ist die alltägliche Angst, auf einen Schlag überrannt zu werden, allgegenwärtig. Undenkbar – aber dennoch nicht unwahrscheinlich. Die Solidarität für die Ukraine ist groß. Genauso wie die Angst, dass es ihnen genauso ergehen könnte, wenn sie sich für einen westlichen Kurs entscheiden würden.
Die historische Wunde sitzt tief im kollektiven Gedächtnis der Georgier und bestimmt nach wie vor Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Infolge des fünftägigen russisch-georgischen Krieges im Jahr 2008 gerieten die pro-russischen abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien unter russische Kontrolle, indem sie von Russland als unabhängige Staaten anerkannt wurden. Vor Ort werden russische Pässe ausgestellt und in den Schulen ist die Unterrichtssprache Russisch. Von dort existiert seitdem nur noch eine Exilregierung in Tbilisi. Damit verlor Georgien im Jahr 2008 mehr als 20 % seines Staatsgebietes – was gerade für so ein kleines Land wie Georgien eine unfassbar große Fläche ist.
Dies ist einer der Gründe, warum meine georgischen Schüler und viele Jugendliche in Georgien kein Russisch sprechen und lernen wollen. An den Türen einiger Cafés und Restaurants hängen Zettel, auf denen steht, dass sie die „Sprache der Kolonisten“ (in dem Fall Russland) nicht sprechen und keine Kunden bedienen, die die Souveränität und Unabhängigkeit freier Länder nicht anerkennen (in Bezug auf den Ukraine-Krieg).
Schon immer hat sich Georgien für seine Unabhängigkeit gegen andere Großmächte durchsetzen müssen. Im ganzen Land findet man noch kulturelle, religiöse, sprachliche, kulinarische und architektonische Überbleibsel der damaligen Besatzer: das Persische Reich, das Byzantinische Reich, die Mongolen, das Osmanische Reich, das russische Zarenreich, die Sowjetunion.
In Georgien herrscht trotz der politischen Angespanntheit in den Städten eine große Politik-Verdrossenheit im Rest des Landes. Die Wahlbeteiligung dieses Jahr lag bei ca. 50 %. Während die Oppositionsparteien für den Verlust der beiden abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien 2008 verantwortlich gemacht werden, beschuldigen die Menschen den „Georgischen Traum“, eine Blockade für den Beitritt zur Europäischen Union darzustellen. Denn 90 % der Georgier fordern den EU-Beitritt – auch diejenigen, die den „Georgischen Traum“ gewählt haben, dessen Gesetze die EU-Beitrittsverhandlungen auf Eis gelegt haben.
Eine Person spielt in der politischen Landschaft Georgiens eine essenzielle Rolle. Der reichste und damit einflussreichste Georgier ist Gründer des „Georgischen Traums“ und Ex-Premierminister Bidzina Ivanishvili. Einige bezeichnen ihn als den Mann, „der ein ganzes Land gekauft hat“ (POLITICO). Mit einem Vermögen von 7,6 Milliarden Dollar ist das fast ein Viertel des georgischen BIPs. Seine russenfreundliche Politik wird damit begründet, dass er sein gesamtes Geld in Russland gemacht hat. Nach dem Zerfall der Sowjetunion etablierte er neue Geschäfte in verschiedenen Sektoren wie Banking, Öl und Gas, Metall und Nachrichtentechnik. Die Politik, die er in Georgien betreibt, betreibt er wie die Politik in einem seiner Unternehmen. Im Hintergrund ziehen er und seine Partei die Fäden. Zusätzlich verlieren die Oppositions-Parteien an Rückhalt, indem sie sich zerstreiten und sich nicht auf einen gemeinsamen Kurs einigen können. Keine Partei scheint geeignet, um das zerstrittene Land zu vereinen und in eine gemeinsame Zukunft zu steuern.
Inmitten dieser hochkomplexen Lage gibt es einen ausschlaggebenden Indikator für die Zustände in diesem Land. Die georgische Bevölkerung schrumpft konstant seit dem Beginn der 90er Jahre – von 5,5 Millionen Menschen 1989 auf 3,8 Millionen 2023. Das liegt vor allem daran, dass nach der Öffnung Georgiens für den Westen, viele georgische Studenten – besonders in den letzten Jahren – zunehmend nach Europa und in die USA gegangen sind, um dort zu studieren. Im „Westen“ erhofft man sich die Chancen und Perspektiven für eine sichere und stabile Zukunft, die einem dieses Land nicht zu bieten scheint. Gleichzeitig bleiben sie auch tief in ihrer georgischen Heimat verwurzelt. In den Gesprächen mit meinen Schülern und Lehrern wurde mir klar, dass für sie die Frage nach der europäischen Zukunft nicht nur eine politische, sondern auch eine existenzielle ist. Wer sind wir als Georgier? Und wo wollen wir hin?
Georgien ist ein gespaltenes Land. Die Entscheidung für die Zukunft Georgiens – sie liegt am Scheideweg. Durch die Wahlen ist die Entscheidung gefallen. Die Regierungspartei will nach dem Sieg die Oppositionsparteien verbieten lassen, da sie dem Vaterland schaden würden. Die Zukunft Georgiens – sie ist ungewiss.
Bei all den politischen Spannungen und Unsicherheiten gibt es viele Georgier, die sich Hoffnungen auf eine bessere Zukunft machen. Eine Zukunft, die mit dem Beitritt zur EU und einer verstärkten westlichen Orientierung verbunden sein könnte. Doch die Realität ist nicht so einfach. In den Gesprächen, die ich in Georgien führe, spiegelt sich immer wieder eine tiefe Sehnsucht nach Frieden und Stabilität wider. Viele Georgier wünschen sich eine Zukunft ohne die ständige Bedrohung durch äußere Mächte – sei es Russland oder der Westen. Diese Haltung scheint in vielen Teilen der Gesellschaft verbreitet zu sein – nicht nur bei den politischen Entscheidungsträgern, sondern auch in den alltäglichen Gesprächen, die ich mit den Menschen führe. Die geopolitischen Interessen kollidieren mit den historischen Erfahrungen und der tief verwurzelten Kultur des Landes, die ein starkes Streben nach Unabhängigkeit mit sich bringt.
In dieser Gemengelage zeigt sich die politische Landschaft Georgiens als ein ständiger Balanceakt zwischen dem Wunsch nach europäischen Werten und der tiefen Angst vor einer Rückkehr unter den Einfluss Russlands. Der politische Aufschwung der letzten Jahre wurde von einer Vielzahl von Initiativen begleitet, die das Land für westliche Investitionen öffnen wollten – während gleichzeitig die traditionelleren Kräfte die alte russische Verbindung bewahrten. Diese ambivalente Haltung gegenüber Russland und dem Westen zeigt sich nach wie vor – und gerade in dieser Zeit des Umbruchs – nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch im Alltagsleben der Menschen.
Georgien bleibt ein Land zwischen den Welten. Einerseits strebt es nach Integration in den westlichen Raum und nach einer engen Bindung an die europäische Gemeinschaft, andererseits ist sich das Land uneinig über das zukünftige gemeinsame Vorgehen sowohl in Bezug auf den Westen als auch auf Russland. Die Herausforderung für die kommenden Jahre wird darin bestehen, diese beiden Welten miteinander zu versöhnen und eine politische Stabilität zu erreichen, die es dem Land ermöglicht, sowohl im Inneren als auch nach außen hin als unabhängige, souveräne Nation zu bestehen.
Es gibt keine einfache Lösung für die Herausforderungen, vor denen Georgien steht. Aber es gibt eine tiefe Überzeugung, dass das Land in der Lage ist, seine Zukunft selbst zu gestalten. Das Streben nach Unabhängigkeit, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und der Glaube an den Fortschritt sind stärker als je zuvor. Die Georgier stehen an einem Wendepunkt, an dem die Wahl, welchen Weg sie einschlagen wollen, von entscheidender Bedeutung sein wird – sowohl für das Land selbst als auch für seine Position in der Weltpolitik.
In Georgien stehe ich mitten in der Geschichte, in der das Streben nach mehr Demokratie auf die Tendenz zu autoritären Strukturen trifft, die die Gesellschaft spalten. Demokratie kommt nicht von selbst – man muss für sie kämpfen. Wenn man nicht selbst die Initiative ergreift, wird es jemand anderes für einen tun. Schlussendlich ist Georgien auch ein Exempel für die Weltgeschichte. Das, was sich hier abspielt, spielt sich auch in anderen Ländern ab. An diese Erfahrungen und Eindrücke werde ich zukünftig noch lange zurückdenken und davon erzählen.
Was wird aus Georgien, dieser Brücke zwischen Europa und Asien, zwischen Europa und Russland, zwischen einer Welt voller Einflüsse? Wird Georgien Teil Europas oder zieht es auf lange Sicht zu seinem Nachbarn Russland?
Am Ende bleibt Georgien ein Land, das zwischen der Vergangenheit und der Zukunft steht – ein Land, das sowohl stolz auf seine Geschichte als auch voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist. Wie es weitergeht, bleibt abzuwarten. Aber eines ist sicher: Die politische Landschaft Georgiens wird sich weiter verändern und die Menschen werden sich weiterhin bemühen, einen Weg zu finden, der sowohl ihre Unabhängigkeit wahrt als auch den Herausforderungen des globalen Wettbewerbs standhält.
Georgien zwischen Stillstand und Fortschritt – Ein Land auf der Suche nach seiner Zukunft.