Liebe Leserschaft,
2016 kommt viel auf uns alle zu, hoffen wir auf unvergessliche Momente, spannende Reisen und natürlich kulturweite Projekte 🙂 Mein Aufenthalt in Georgien ist bald schon wieder vorbei, was genau danach kommt, ist bis auf das Nachbereitungsseminar und einen Besuch bei den Eltern noch nicht ganz klar. Diesen Eintrag möchte ich aber nutzen, um nicht vor- sondern zurückzublicken auf meine bisherige Zeit hier. Da ich den Blog leider sehr vernachlässigt habe und viele, viele Leute mich immer fragen, wie das Leben hier ist und mein Arbeitsalltag aussieht, wird es genau darum in diesem Beitrag gehen. Der nächste wird endlich den zweiten Teil meines Kurzurlaubs im Oktober (!!) abdecken. Versprochen!
Ich wohne seit Anfang November in einer Maisonette-Wohnung-WG mit einer Medizinstudentin aus Suriname und zu Beginn mit noch einer anderen Medizinstudentin aus Polen, die aber nach 3 Wochen urplötzlich und sich auf merkwürdige Argumente für diesen Auszug beziehend auszog. Nach kurzer Suche fanden wir einen neuen Mitbewohner: Ein Deutscher, der zu Fuß die Welt bereist und hier überwintert. Wen sein Abenteuer näher interessiert, der kann gerne auf Facebook seinen Blog verfolgen: rico’s long walk. Die Wohnung ist sehr gemütlich, wenn auch mit einigen Macken ausgestattet, und das Leben in der WG sehr angenehm. Wir kochen ab und zu zusammen, so z.B. an Weihnachten oder an Geburtstagen – zufällig sind wir alle drei Dezembergeburtstagskinder, also wurde die kleine Küche letzten Monat besonders oft gemeinsam frequentiert 😉 Wenn es sich ergibt, gehen wir zusammen aus oder schauen fern, beispielsweise, wenn Rico versucht, uns Starwars doch noch lieben zu lehren, was nicht wirklich erfolgreich war 😀
Die Wohnung ist in einem langen, grauen Gebäude untergebracht, das nicht vermuten lässt, dass sich im Innern gemütliche Wohnungen befinden. Gegenüber unserer Wohnung ist ein kleiner Tante-Emma-Laden, der von einer älteren Frau geführt wird. Man muss klingeln, damit sie sich von ihrem Fernseher im Hinterzimmer losreißt und zur Tür kommt 😀 Das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, so wird’s gemacht! In einer angrenzenden Straße ist ein traditioneller Bäcker, der Tag für Tag beinahe tonnenweise „Tonnenbrot“ backt, indem er den fertigen Teig an die Innenwände der „Tone“, einem Ofen in Form eines Brunnens, klebt, wo er dann gar wird. Das Brot ist für ein süßes Frühstück etwas zu salzig, aber ich kann nicht genug davon essen! 10 Gehminuten ist schließlich der große Basar entfernt, bei dem man wirklich alles für kleine Preise kaufen kann. Man muss jedoch Lust haben auf Gedränge, enge Gänge, eventuelles ÜberdenTischgezogenwerden und Reizüberflutung aufgrund von zu viel Angebot auf engem Raum. Wer feilschen kann, ist hier auf jeden Fall richtig 😉
Blick von unserer Wohnungstür aus. Hinter der braunen Tür unten rechts befindet sich der Tante-Emma-Laden 🙂
Hier wird Tag für Tag Brot gebacken. Auf dem Schild steht auf Georgisch „Tone“.
Zur Arbeit gelange ich aufgrund des immer dichten Verkehrs in dieser Stadt am schnellsten mit der Metro, welche umgerechnet 20 Cent für unbegrenztes Fahren kostet. Die Waggons sind oft voll bis in die letzte Ecke und zu Stoßzeiten hat man Glück, wenn man gerade noch so reinpasst. Dafür sorgt aber meist schon ein Pulk an Menschen, der hinter einem steht und ohne Rücksicht auf Verluste gegen einen drückt und schiebt, was das Zeug hält. Diese Angewohnheit wie auch die des Menschenmauerbildens vor den sich öffnenden Türen der Metro, die ein Durchkommen der aussteigenden Passagiere erheblich erschwert, musste ich erstmal kennenlernen, aber eventuell schiebe ich inzwischen auch etwas mit…
Wenn ich aus dem Metroausgang trete, laufe ich am Rustaveli-Denkmal vorbei und einen gepflasterten Berg nach oben, bis ich beim Büro des DAAD, das im Souterrain des Geothe-Instituts untergebracht ist, ankomme. Unterwegs treffe ich oft auf einen lieben, wuscheligen Straßenhund, der ganz entspannt die Morgensonne genießt und über das Leben nachzusinnen scheint:
Im Büro angekommen, winke ich in die Runde und setze mich an meinen großen Tisch, auf dem meist alles erstmal abgestellt wird, weil es der größte Tisch ist, der auch noch direkt am Eingang steht. Ich habe einen eigenen Laptop und einen ganz persönlichen Papierwolf, der sich oft schon mal überfrisst an den gut gemeinten Mengen an Papier, die wir ihm zu fressen geben. Der IC-Leiter und die beiden georgischen Mitarbeiterinnen sind meist schon in ein Gespräch über gestrige Vorkommnisse, das Büroinventar oder die Restaurantwahl für den Besuch der Kommission vertieft. Kurz zu meinen KollegInnen: Nino ist eher ruhig und bedacht, kann aber auch sehr viel reden – ihr Handy klingelt im Minutentakt – und lacht oft herzhaft. Sie erzählt gerne Anekdoten von früheren Praktikanten und Freiwilligen und scheint sich jedes Detail und jede witzige Situation zu merken. Tamu redet und lacht ebenso gerne, jedoch um einiges lauter 😀 Sie sorgt allgemein im Büro immer für gute Stimmung und hat uns oft bei Ausflügen begleitet oder uns Taxis organisiert. Der bayrische IC-Leiter und der Lektor sind zwei, die sich gefunden haben und gerne ihre Witze unter Männern austauschen. Auch zwischen dem Lektor und Tamu fliegen die frechen, aber lieb gemeinten Sprüche nur so hin und her und bringen uns alle oft zum Lachen. Die Atmosphäre ist demnach mehr als familiär und wirklich perfekt, um entspannt zu arbeiten. Selbst, wenn viel zu tun ist, wird Hand in Hand gearbeitet und einander geholfen, bis alles erledigt ist. Ein Pläuschen im schönen Innenhof des Café Goethe mit Blick auf das Restaurant und das Riesenrad am Mtatsminda („Heiliger Berg“) ist auch bei viel Stress immer drin.
Komme ich damit endlich zu meinen Aufgabenbereichen, die viele soo sehr interessieren 😉 Die Tätigkeiten sind vielfältig und ermöglichen mir Einblicke in verschiedene Bereiche.
Im September und Oktober standen direkt zwei Fachkurse an, die GermanistInnen aus Georgien, Armenien und Aserbaidschan die Möglichkeit bieten, bei einem eigens für den Kurs angereisten deutschen Dozenten etwas über ausgewählte Themen wie die Sprache des Rechts u.a. zu lernen. Diese Kurse dauern fünf Tage. Hier habe ich Vorbereitungen getroffen, indem ich die Bewerbungen durchgeschaut und mit dem IC-Leiter besprochen, Teilnehmerlisten, Zertifikate und Namensschilder erstellt sowie den Raum vorbereitet und Unterlagen für die TeilnehmerInnen zusammengestellt habe. Beim Mittagessen im Café Goethe habe ich mich gerne mit den GermanistInnen unterhalten und über ihre teils sehr guten Deutschkenntnisse gestaunt. Während in internationalen Kontexten üblicherweise Englisch gesprochen wird, haben sich hier ArmenierInnen, AserbaidschanerInnen und GeorgierInnen auf Deutsch untereinander verständigt, was ich amüsant aber auch sehr sympathisch fand. Im Büro hört man übrigens auch viele Sprachen: Hauptsächlich natürlich Deutsch und Georgisch, aber auch Russisch, Englisch und Französisch werden hier angewandt, um miteinander zu kommunizieren.
In den ersten Wochen meines Aufenthalts fanden einige Informationsveranstaltungen an den vielen Universitäten in und um Tbilisi und, wie im letzten Beitrag erwähnt, auch in Batumi und Kutaisi statt. Bei den meisten bin ich mitgekommen und habe dabei geholfen, das Info-Material auszulegen, und für Fragen zur Verfügung gestanden. Der IC-Leiter hat mithilfe einer PowerPoint-Präsentation das Programm und die Teilnahmebedingungen vorgestellt und eine der beiden Mitarbeiterinnen hat dies oft nochmal auf Georgisch wiederholt und Fragen beantwortet. Es war immer interessant, die Universitäten von innen zu besichtigen und zu sehen, wer bei der Veranstaltung mutig genug war, vor dem Plenum Fragen auf Deutsch zu stellen. Ähnliche Aufgaben habe ich bei einer Messe im September übernommen und werde ich auch auf einer Messe im Februar noch einmal ausführen.
Nach und nach verstrich eine Abgabefrist nach der anderen und so häuften sich bald die Bewerbungen für die verschiedenen Stipendien – wo wohl? – auf meinem Tisch. Ich war auch in erster Linie dafür verantwortlich, sie durchzusehen und anhand einer Checkliste, die ich für die verschiedenen Stipendienarten vorher jeweils erstellt oder aktualisiert habe, festzustellen, ob alle wichtigen Dokumente vorhanden sind. Damit man später schnell findet, was oder wen man sucht, habe ich innerhalb einer Bewerbung für die immer gleiche Reihenfolge der Dokumente und im Schrank für zunächst fächerorientierte Ordnung gesorgt. Fehlte etwas, so habe ich einer Kollegin Bescheid gesagt, die dann den oder die BewerberIn anrief, um das Dokument noch rechtzeitig zu bekommen.
Als alles durchgesehen, gecheckt und sortiert war, reiste die Kommission, bestehend aus mehreren deutschen Professoren und/oder Doktoren Anfang Dezember an, um Interviews mit den Kandidaten zu führen, die in die engere Auswahl gekommen waren. Auch für diesen Besuch und die Auswahlgespräche musste im Vorfeld einiges getan werden. Ich habe Bewerberlisten erstellt, aktualisiert, erweitert, nochmal aktualisiert…, die Räume etwas vorbereitet und den Kommissionsmitgliedern wichtige Unterlagen zusammengestellt. Als die Interviews, für die 1 1/2 Tage angedacht waren, anfingen, fragte ich, ob ich mich eventuell mal dazu setzen könnte, und mein Chef bejahte. Nachdem ich von einem Professor beim Betreten des Interviewraums beinahe doch noch rausgeschmissen wurde, weil er mich fälschlicherweise für die Freundin des Bewerbers hielt, konnte ich ein paar Interviews verfolgen, was ich sehr spannend fand. Mir taten die Bewerber beinahe leid, deren Köpfe immer röter und Hände immer schwitziger wurden, während die Antworten jedoch meist souverän und selbstsicher in recht gutem Deutsch oder Englisch geliefert wurden.
Nach Beendigung des Interviewmarathons galt es noch, Protokolle und Gutachten auszufüllen, unterschreiben zu lassen und nach Bonn zu schicken. Teil des Besuchs der Kommission war auch ein Ausflug nach Kachetien zum Museum in Tsinandali (s. mein zweiter Beitrag), in dem wir die gleiche Führung mit der gleichen Frau machten, wie ich damals mit Julia. Auch dieses Mal im Eiltempo, was jedoch auch dem knappen Zeitplan des Ausflugs zuzuschreiben war. Weiter ging es zur Weinprobe und Führung durch die Weinkeller, zu einem georgischen Restaurant und schließlich noch zu einer Klosteranlage. Dort sollen die Menschen unter den einfachsten Bedingungen leben, was uns sehr beeindruckte – bis einer der Kommissionsmitglieder gleich zwei WLAN-Anschlüsse auf seinem Handy angezeigt bekam 😉 Vielleicht haben sie sich also doch etwas an das 21. Jahrhundert angepasst.
Die Arbeit mit den Bewerbungen zog sich vom Oktober bis zu den Weihnachtsferien hin und gilt somit als meine Hauptaufgabe hier. Für manche scheint es etwas eintönig zu wirken, Tag für Tag Bewerbungen durchzusehen und zu sortieren, aber ich fand es sogar sehr spannend zu sehen, wie viel manche Menschen in ihren jungen Jahren teilweise schon geschafft haben und wie gut sie schon Deutsch sprechen. Es war eine Aufgabe, die ich allein, in Ruhe und in meinem Tempo erledigen konnte, und oft war ich froh, nicht an der Stelle meiner Kolleginnen zu sein, die im überfüllten Beratungsraum die immer gleichen Fragen beantworten mussten. Ich rechne es ihnen jedoch hoch an, dass sie immer die Ruhe bewahrt und geduldig geblieben sind und bei all dem Stress trotzdem Zeit für Witzeleien mit dem georgischen Fahrer und ein Schwätzchen über büroexterne Themen hatten.
Für die Auswahl der Bewerber für Hochschulsommerkurse (wie der Name schon sagt, ein Kurs, der im Sommer an einer deutschen Hochschule im Zeitraum von maximal einem Monat stattfindet) wurde das IC für zwei Tage Mitte Dezember geschlossen, damit die kleine Kommission, bestehend aus Mitarbeitern des PAD, Goethe-Instituts, der Bosch-Stiftung und natürlich des DAAD, in Ruhe die Bewerbungen besprechen und Punkte vergeben konnte. Auch hier durfte ich mich dazu setzen und die Gespräche verfolgen. Danach sortierte ich die Bewerbungen und füllte wiederum Protokolle aus, um sie unterschreiben zu lassen.
Sonstige Aufgaben beinhalten die Bearbeitung einer Citavi-Datei, in der alle im Büro verfügbaren Medienträger wie Bücher, Kassetten und Sprachlernhefte zu finden sind und aus der ich alles entfernen sollte, was der IC-Leiter aussortiert hatte, weil es etwas veraltet war. Außerdem habe ich die Abrechnung eines Fachkurses unter Aufsicht meines Chefs erledigt, bei Kommunikationsproblemen auf Englisch ausgeholfen und die Büroräume aufgeräumt.
Das sind jetzt zumindest die meisten Aufgaben, die ich hier erledigt habe. Zur Zeit helfe ich bei der Jahresabrechnung mit und dann bald bei den Vorbereitungen für die Messe kurz vor meiner Ausreise.
So happy bin ich übrigens immer bei der Arbeit… 😀 :
Um 18 Uhr ist bei uns Feierabend. Manchmal gehen wir von der Arbeit direkt zusammen in ein Restaurant, zu einer Ausstellungseröffnung, einem Geburtstag oder auch ins Kino während des internationalen Filmfestivals. Ich finde es toll, dass ich auch nach der Arbeit oder am Wochenende etwas mit meinen Kollegen unternehmen kann und so ein gutes Verhältnis zu ihnen habe. Kollegin Nino hat für die Sprachassistentin und mich einmal eine Tour durch die Altstadt gemacht und uns Karten für das bekannte Puppentheater Gabriadze organisiert. Mit Tamu werden wir diese Woche zu einer Tanzveranstaltung des berühmten Sukhishvili-Ensembles gehen. Sie war auch beim Ausflug mit der Kommission dabei und beantwortet immer gerne Fragen zu Kultur, Sprache, Traditionen und Lebensweisen der Georgier. Oft begleitet von persönlichen Anekdoten und Lachanfällen 🙂
Nach der Arbeit gehe ich ansonsten entweder zum Sprachkurs, in die Stadt oder direkt nach Hause. Die Sprache lerne ich zusammen mit einer anderen kulturweit-Freiwilligen bei einer Georgierin, die sonst u.a. Diplomaten von der schwedischen Botschaft Unterricht gibt. Sie ist eine sehr gute Lehrerin, geduldig, witzig und immer um unser Wohl bemüht.
Während des Weihnachtsurlaubs habe ich mit meinem Freund auch einige Retrocafés in der etwas touristischen, aber schön hergerichteten, farbenfrohen Innenstadt abgeklappert und gerne zum wiederholten Male die Schwebebahn genommen, um von verschiedenen Aussichtspunkten die Stadt von oben zu bewundern. Im Schwefelbad haben wir es uns gut gehen und mit einem grobmaschigen Lappen Schmutz unter der Haut entfernen lassen. Den Jahreswechsel haben wir ebenfalls von einem Aussichtspunkt bei der Statue „Mutter Georgiens“ erlebt und ein fantastisches Feuerwerk aus allen Winkeln der Stadt gesehen.
Insgesamt habe ich mich ganz gut eingelebt, auch wenn ein partieller Kulturschock meine Zeit hier manchmal unterbricht. Wenn ich aber mal durch die Straßen laufe, die schöne Architektur mit den Balkonen anschaue, georgische Gesänge und Tänze sehe und ein erfolgreiches Gespräch auf Georgisch mit einem Taxifahrer führe, lässt mich das die Seiten an Georgien, an die ich mich noch nicht gewöhnt habe, schnell vergessen 😉
Auch Ausflüge aufs Land, das so vielseitige Landschaften bietet, vom Meer über Canyons, Berge und steppenartige, weitläufige Ebenen, drängen Sorgen schnell in den Hintergrund:
Ich hoffe, ich konnte Euch einen kleinen Eindruck meines Lebens hier verschaffen. Freut Euch auf den Beitrag zu unserem Trip in die Berge!
Bis dahin, macht’s gut! Danke für’s Lesen 🙂
Amélie



















