Die Kunst des Unerwarteten

Manchmal laufe ich in Dinge rein, die ich überhaupt nicht erwartet habe. Rangolie Metro Art CenterAn diesem Samstag möchte ich mir die Mahatma Gandhi Road anschauen. Die MG Road gehört vielleicht zu den Hotspots dieser Stadt, es finden sich viele Geschäfte, Restaurants, Cafés und nicht zuletzt Bars in direkter Nähe. Rangoli Metro Art CenterIch trete aus der Metro Station. Was ich erwarte, sind zuerst einmal viele Leute, Autos und Lärm, Hotspot und so, ihr wisst schon. Das alles stimmt auch. Aber Geschäfte suche ich erst einmal vergebens, ich bin nämlich auf der Seite des Rangoli Metro Art Centers herausgekommen und stehe plötzlich mitten in einer Open Air Kunstgalerie. Rangoli Metro Art Center

Das habe ich so gar nicht erwartet. Ich lache deswegen ein bisschen, eigentlich möchte ich ja nicht erwarten oder interpretieren und natürlich tue ich es trotzdem.Rangoli Metro Art CenterSicher, die Autos inklusive Hupen und Abgasen sind noch präsent, doch durch die Bepflanzung breitet sich in mir irgendwas wie Ruhe aus. Viele Menschen schlendern herum, unter ihnen auffallend viele Schüler*innen. Eine Kindergartengruppe geht in ein kleines Seitengebäude um sich die dort ausgestellten Gemälde anzuschauen. Ich freue mich vor allem über die Außeninstallationen.

Interaktive Kunst: Weave a Web of Friendship. Jeder darf sich beteiligen und ein Band an die Wand knoten.

Interaktive Kunst: Weave a Web of Friendship. Jeder darf sich beteiligen und ein Band an die Wand knoten.

Ich habe ja ganz ehrlich keine Ahnung von Kunst. Aber ich freue mich über die Kreativität, die sich in jeder Ecke zeigt. Dabei fällt mir auf, wie wenig Kunst ich bislang auf den Straßen gesehen habe. Und wie schön ich diese freie Galerie finde, die für jeden offen ist. Rangoli Metro Art Center

Rikscha fahren

An meinem ersten vollständigen Tag in Bangalore habe ich meine erste Rikscha-Erfahrung gemacht. Eigentlich wollten wir zu einem bestimmten Shop. Ich schreibe eigentlich, denn wir sind dort nie angekommen. Stattdessen landeten wir mitten im Ganesha-Festival, aber das ist eine andere Geschichte.Rikscha

An diesem Tag also nahmen wir eine Rikscha. Persönlich finde ich Rikscha fahren ja ziemlich cool. Deshalb freute ich mich auch ein wenig, als wir uns gegen ein Taxi entscheiden. Ein Taxi sollte man nämlich immer bei einem bekannten Unternehmen bestellen, lerne ich und das hätte dann eine halbe Stunde Wartezeit bedeutet. Also stimmen wir für eine Rikscha.

Dass die Herausforderung beim Rikscha fahren vor allen Dingen im Ankommen-Am-Richtigen-Ort liegt, tja, das hätte ich nicht erwartet. Mein Tipp wäre ja eher das Beim-Preis-Nicht-Komplett-Abgezogen-Werden gewesen. Man lernt nie aus. An diesem Tag kamen wir also nicht beim geplanten Punkt an und in den nächsten Tagen drückte ich mich vor den Verhandlungen mit den Fahrern.Rikscha

Bis heute. Irgendwann muss man (read: ich) mal selbstständig werden. Außerdem bin ich an einem Tempel verabredet, der gute zehn Kilometer entfernt ist und die schaffe ich sicherlich nicht in den dreißig Minuten, die mir noch bleiben. Ich gehe zur nächsten großen Straße und winke die erstbeste Rikscha heran, die mir entgegen kommt.

Die erste Rikscha ist ein Griff ins Klo, der zweite Rikscha-Fahrer erweist sich dagegen als Lottogewinn. Er kennt nicht nur den Tempel, sondern verweist bei der Geldfrage sofort auf seinen Taxometer. Innerlich tanze ich einen Happy-Dance und steige ein.Rikscha

Wir fahren los. Rikscha fahren ist ein bisschen wie Achterbahn fahren, nur ohne Looping. Der Zustand der Straßen lässt sich ungefähr mit denen meines Heimatdorfes vergleichen und so fahren die Rikschafahrer hier einen Slalom nach dem nächsten um Straßenlöcher, andere Rikschas, Motorräder oder Fußgänger.

Nach fünf Minuten macht mein Fahrer Bollywood-Musik auf seinem Handy an. Ich feier ihn dafür und tanze nun innerlich Bollywood (äußerlich kann ich das nicht). Kurz darauf fahren wir an der ersten Kuh der Fahrt vorbei. Sie steht gemütlich auf dem breiten Zwischenstreifen und gut ein wenig dümmlich. Bis zum Tempel zähle ich noch eine Einzelkuh, eine Kuhfamilie bestehend aus drei großen Kühen und einem Kalb und zwei Ziegen.

Etwas verschwommen, aber definitiv Kuh.

Etwas verschwommen, aber definitiv Kuh.

Während wir an einer Ampel stehen, sehe ich eine Reklame gegen Rauchen. So sehr ich auch Maßnahmen für die Gesundheit unterstütze, so zynisch empfinde ich diese Werbung in Anbetracht der Feinstaubbelastung, der so ein Rikschafahrer sicherlich im Laufe seines Arbeitslebens ausgesetzt ist. Am Ende des Tages werde ich mit Kopfschmerzen ins Bett gehen, ich komme mit den Abgasen (noch) nicht klar.

Den Straßenverkehr in Bangalore empfinde ich weiterhin als eine große Herausforderung. Einmal hält ein Bus rechts neben uns an der Ampel und die aussteigende Passagiere umrunden die Rikscha um auf die linke Seite zu kommen. Dann werden wir links von einer vierköpfigen Familie auf einem Motorrad überholt. Diese in meinen Augen akrobatische Meisterleistung ist sehr alltäglich, schmälert aber nicht meine Bewunderung dafür. Generell haben alle Verkehrsteilnehmenden meinen größten Respekt, denn obwohl es für mich chaotisch aussieht, so funktioniert alles dank gegenseitiger Rücksichtsnahme. Nur vor den Bussen habe ich doch noch Respekt Angst, sie stehen in der Nahrungskette ganz oben.

Ich habe kein Busbild, dafür kann ich mit Rollern, Motorrädern und Rikschas dienen.

Ein Busbild habe ich nicht. Dafür Roller, Motorräder und Rikschas in Lauerstellung an einer Ampel.

Anfang

Es ist zehn Uhr abends. Nach einem gemeinsamen Abendessen verabschieden sich meine Schwester und ihr Freund von mir. Am nächsten Morgen wird mein Flug gehen. „Du kannst sicher heute Nacht vor Aufregung nicht schlafen“, sagt der Freund meiner Schwester. „Ach was“, sage ich, „so müde, wie ich bin, wird das kein Problem.“ Es wird zugestimmt, dass ich wirklich fertig aussehe (ähm, danke) und der Abschied folgt.

Leider sollte er Recht behalten, diese Nacht schlafe ich tatsächlich sehr wenig. Das hängt aber weniger mit meiner Aufregung zusammen, sondern vielmehr mit meiner Angst, den Wecker zu überhören und zu verschlafen (alles schon passiert).

Wir fahren um vier Uhr los und kommen um fünf Uhr am Flughafen an. Viel zu früh, könnte man denken, wer ist um diese Uhrzeit schon da? Jede Menge andere Menschen, soviel ist klar, als wir die die Flughafenhalle betreten und wir stehen gute 20 Minuten um das Gepäck abzugeben.

Ich fliege mit Air France. Eigentlich wäre das mal die Chance, mein Französisch anzuwenden, aber ich traue mich nicht. Die Stewardess spricht zu meinem Glück Komfort gutes Englisch – anders als der Pilot, von dessen englischer Ansprache ich ungefähr genauso viel verstehe wie von seiner französischen. Lustiger weise aber genau die Stellen, die ich in der anderen Sprache nicht mitbekomme, so setzt sich dann die Ansage in ihrer Fülle gänzlich zusammen.

In Paris angekommen wechsle ich das Terminal. Dabei wird mein Pass kontrolliert. Mir ist der Grund nicht ganz klar, aber vielleicht hat gerade jemand Lust auf kontrollieren.

CDG Paris

Ich warte auf das Flugzeug, um mich herum wird es immer indischer (Bewertungsgrad: Kleidung der Frauen um mich herum). Ich gucke neugierig in die Gegend und werde genauso neugierig beguckt. Es sind nur wenige alleinreisende Frauen unterwegs, dafür aber auffällig viele alleinreisende Männer. Ich fange an über mögliche Gründe nachzudenken und ärgere mich dann über mich selber. Für die nächsten zwei Wochen nehme ich mir vor, nur Beobachter zu sein und nach Möglichkeit nicht alles sofort und ohne allzu großen Einblick zu interpretieren.

Im Flugzeug finde ich meinen Sitz und stelle fest, dass mein Sitznachbar ein wenig mehr Platz benötigt als der Sitz bietet. Ich klicke mich durch das Medien-Angebot und finde eine großartige Aufnahme von Schostakowitsch Cellokonzert. Ich bin versöhnt mit der Welt.

Mein Sitznachbar schläft ein. In der Mitte des Hobbits gehe ich auf die Toilette. Als ich wiederkomme, besetzt mein Sitznachbar 1 ½ Sitzplätze. Ich setzte mich dennoch wieder. Ich bin leider zu dick für einen halben Sitzplatz. Ich überlege, in Indien so viel Yoga zu machen, dass mir auf dem Rückflug ein halber Sitz genügt.

Der Hobbit und die Zwerge laufen zum wiederholten Mal durch irgendwelche Landschaften. Mein Sitznachbar schnarcht.

Kurz nach dem Überflug der pakistanisch-indischen Grenze fliegt das Flugzeug in eine Gewitterfront. Wir werden gebeten, uns anzuschnallen. Das Flugzeug wird durchgeschüttelt. Ich überlege kurz, ob ich nicht lieber wieder Schostakowitsch anmachen sollte, dann würde ich wenigstens stilvoll sterben. Dann lache ich mich wegen meiner eigenen Melodramatik aus und schaue meinen Hollywoodfilm weiter (mittlerweile bin ich bei The Artist angelangt).

In Bangalore landen wir kurz nach Mitternacht. Der Flughafen ist leer. Mit dem ausgefüllten Immigration Zettel, dessen Sinn sich mir nicht erschließt, gehe ich zum Immigration Schalter. Zettel abgeben, Fragen beantworten, müdemüdemüde, ich darf weiter gehen. Ich komme zu einer Sicherheitsschleuse, mein Handgepäck wird durchleuchtet und ich muss durch so einen Pieprahmen gehen. Ich wundere mich.

Ich finde meinen Koffer und möchte den Flughafen verlassen. Dafür muss aber noch ein Zollzettel ausgefüllt werden. Ich frage mich gar nicht mehr nach dem Warum und kann meine Passnummer schon fast auswendig.

Draußen suche ich nach dem Fahrer, der mich abholen soll. Ich bin müde und überfordert. Ich bleibe mitten im Ausgang stehen und suche nach meinem Namen. Zwanzig Sekunden starre ich sicherlich umher, sodass mir ein Flughafenangestellter schon helfen möchte. Dann finde ich den Fahrer, ich bin erleichtert. Wir gehen zu seinem Wagen, es sind 26°C und ich sehe Palmen. Ich bin in Indien. Großes Kino.

Dies ist ein Schummel-Bild. Es zeigt zwar durchaus eine Palme in Bangalore, allerdings ist es ein paar Tage später entstanden und die Palme steht nicht am Flughafen.

Dies ist ein Schummel-Bild. Es zeigt zwar durchaus  Palmen in Bangalore, allerdings ist es ein paar Tage später entstanden und die Palmen stehen nicht am Flughafen.