Die Sache mit den Motorradhelmen

Das ARD-Studio in Delhi produziert unter anderem einen Videoblog über aktuelle Themen in der Stadt. Darüber bin ich gestolpert und möchte einen der letzten Beiträge gerne aufgreifen. Er spricht eine Thematik an, die wohl den meisten in Deutschland geprägten Menschen auffällt: Die Sache mit den Motorradhelmen.

Hier kann das Video angesehen werden und weil der Rest dieses Beitrags Bezug darauf nimmt, wäre das auch eine gute Idee: Wann ist ein Helm ein Helm?

 Wer auch nur fünf Minuten in Bangalore verbringt, dem fällt sicherlich schnell auf, dass viele Scooter- bzw. Motorradfahrer einen Helm tragen. Allerdings nur die Fahrer. Die Beifahrer nicht. Und das ist doch zumindest auf den ersten Blick etwas verwirrend.

Als ich in der Grundschule war, hatte ich den obligatorischen Verkehrsunterricht. Wir haben uns ein Video angeguckt, in dem der berühmte Versuch mit der Melone gezeigt wurde. Eine Wassermelone wurde ohne einen Helm aus zwei Meter Höhe auf den Asphalt fallen gelassen und sie zerplatzte zu Wassermelonenmatsch. Eine zweite Wassermelone wurde aus der gleichen Höhe mit einem Helm fallen gelassen. Sie war nach dem Fall noch ganz.

Nun frage ich mich, wie man es anstellen soll, in Bangalore zu leben und nicht irgendwann irgendwo mal auf einem Two-wheeler mitzufahren. Ich jedenfalls habe ich das ganze vier Wochen vermeiden können und saß dann doch hinter einem Freund auf seinem Motorrad.

Viele, viele Two-wheelers.

Viele, viele Two-wheeler. Mit und ohne Helm.

Ich bleibe mal ehrlich: Ich hatte selten in meinem Leben so sehr Angst wie auf diesem Ausflug. Als wir mit 70 km/h über die Straßen bretterten, sah ich vor meinem inneren Auge meinen Kopf bei einem Unfall zerplatzen wie die Melone aus der Grundschule.

(Spoiler: Ich habe überlebt.)

Auf diesem Trip habe ich aber auch ein bisschen über die Gesetzteslage gelernt. Und die ist nämlich so: Die Fahrenden müssen einen Helm tragen. Punkt. Dieses Gesetzt ist nur bedingt beliebt, unter einem Helm wird es nämlich recht schnell warm und hier in Bangalore ist es eh schon warm und die Frisur wird außerdem auch zerstört. Ihr versteht. Und so reißen sich die meisten Fahrer*innen schon nicht sehr darum einen Helm zu tragen. Für die Beifahrenden gibt es keine Vorschrift und so erfreuen sich gefühlte 99% des Windes in den Haaren.

Tatsächlich ist es schon so, dass – sofern ein Mann und eine Frau auf einem Two-wheeler sitzen – zumeist der Mann fährt und somit derjenige ist, der den Helm trägt. Aber das liegt eben nicht daran, dass Männer laut Gesetz einen Helm aufhaben müssen.

Und so ist es – im Gegensatz zu der Behauptung im Video – natürlich nicht so, dass Männer einen Helm tragen müssen/dürfen und Frauen nicht. Wie auch immer die Macher dieses kleinen Filmes auf diese doch etwas hahnebüchernde Idee gekommen sind. Die Regelung besagt (zumindest in Bangalore, in Delhi scheint es sich ja jetzt geändert zu haben) eben nur, dass der*die Fahrer*in einen Helm tragen muss – natürlich (!) unabhängig von seinem*ihrem Geschlecht.

Vor dem Gesetzt sind Mann und Frau in Indien übrigens generell gleichgestellt. Es gibt sogar ein gesetzlich anerkanntes drittes Geschlecht, sollte sich jemand nicht einen der beiden traditionellen Geschlechtern zuordnen wollen. Ob das in der Gesellschaft wiederum anerkannt ist, ist dann doch eine andere Diskussion, aber von der gesetzlichen Verankerung eines dritten Geschlechts ist Deutschland beispielsweise noch sehr weit entfernt.

Warum ist mir das jetzt so wichtig? Als ich bekannt gab, dass ich in Indien ein Praktikum machen würde, sah mich jeder an und sagte: „Aber pass auf dich auf, ja?“ Natürlich passe ich auf mich auf, genau wie ich in Europa auf mich aufpasse und dort wurde mir der Satz (mit diesem ganz bestimmten Blick) nie gesagt. Aber ich bin ja eine Frau und Frauen haben es in Indien schwer, das wissen wir doch, Vergewaltigung und so, haben wir in den Nachrichten gelesen. Naja. Es gibt hier schon vieles, was ich als schwierig betrachte. Aber umso wichtiger ist es, korrekt und präzise zu berichten. Und das ist in diesem Beitrag… hm, sagen wir mal, nicht ganz richtig umgesetzt worden.