Tempelumzug

Zum Abendessen lande ich in einem Dosa-Restaurant; nach Aussage meiner Begleitung werden dort die besten Dosas Keralas serviert. Wir essen und als wir gerade wieder aufbrechen wollen, hören wir Trommelrhythmen vor der Tür. Wir treten auf die Straße und werden Teil einer Menschenmasse. Ich bleibe auf dem Bürgersteig stehen. An mir gehen ungefähr zwanzig Musiker vorbei. Sie tragen alle einen weißen Lungi, eine Art Wickelrock und die traditionelle Männerkleidung Südindiens. Die Hälfte von ihnen tragen Perkussionsinstrumente und ich mache vor allen diverse Trommeln und verschiedene Becken und Gongs aus. Die andere Hälfte spielt eine Art Trompete, die ich tatsächlich noch nie vorher gesehen habe. Sie sind lang, kreisförmig nach hinten gebogen und die Trichter sind nach hinten gebogen. Die Musiker bleiben stehen und stellen sich in zwei Reihen gegenüber auf, und so ist der Schall direkt auf die Zuschauer gerichtet. Die Perkussionsinstrumente und die Trompeten zusammen sind ohrenbetäubend.Tempelumzug

Ich schaue nach links und mir bleibt erstmal der Mund offen stehen. Da kommen langsam drei Elefanten auf mich zu. Auch sie bleiben stehen und so stehe ich nun ziemlich genau zwischen der Musikergruppe und den Elefanten.Tempelumzug

TempelumzugEs sind Tempelelefanten; sorgfältig geschmückt, mit Reitern auf den Rücken, ihren Trainern neben sich und mit Kette an den Füßen. Diese Tiere sind weder frei noch sehen sie besonders glücklich aus. Aber ich komme in diesen Minuten nicht aus dem Staunen heraus, die dieses Erlebnis in mir auslöst; und so schiebe ich meine Tierschutzgedanken erstmal zur Seite.Tempelumzug

Meine Begleitung schreit mir ein paar Erklärungen ins Ohr. Es ist ein Tempelumzug eines Brahmanen-Tempels. Die Kaste der Brahmanen stellte in der Vergangenheit die Priester und war bzw. ist (je nachdem, ob der Mensch, den du fragst, das Kastensystem ernst nimmt oder nicht) die höchste Kaste des Systems. (Und aus solch oberflächlichen Infos setzt sich mein Wissen über das Kastensystem derzeit zusammen Sehr viel mehr weiß ich nicht. Das Einzige, was ich mit Bestimmtheit sagen kann, ist, dass es ein sehr sensibles Thema ist. Ich würde wahnsinnig gerne mehr darüber wissen, möchte aber gleichzeitig nicht nachfragen, da die doch sehr wenigen vier Monate, die ich bislang in Indien bin, mich bei weitem nicht dazu berechtigen solch ein sensibles Thema anzusprechen. In solchen Momenten merke ich, wie wenig ich von der Gesellschaft hier verstehe und auch auf absehbare Zeit nicht verstehen werde, weil mir unter anderem schlichtweg ein umfassendes sozio-politisches und geschichtliches Wissen fehlt. Ich arbeite dran.)

Warum bleiben sie ausgerechnet hier stehen, frage ich. Meine Begleitung zuckt die Achseln und meint dann, dass vielleicht der Besitzer des Restaurants ein Unterstützer des Tempels sei. Und tatsächlich verteilt genau dieser Mann zwischenzeitig heißen Masala-Tee an die Musiker und Priester. An der These ist meiner Meinung nach also etwas dran.Tempelumzug

Die Trompeter machen immer wieder Pausen und ich sehe den Schweiß über ihre Oberkörper rennen. Es ist auch um 20.00 Uhr noch unbeschreiblich heiß und die Instrumente sehen aus, als müssten sie mit viel Zwerchfellunterstützung gespielt werden. Kurz gesagt: Das Ganze sieht sehr anstrengend aus. Immer bei der gleichen musikalischen Phrase halten die Jungen auf den Rücken der drei Elefanten ihre weißen Puschel in die Höhe (und lösen damit bei mir die Assoziation mit Cheerleadern aus).Tempelumzug

Nach einer halben Stunde setzt sich der Zug wieder in Bewegung. Langsam gehen die drei Elefanten an mir vorbei. Ich schaue ein wenig sprachlos an diesen Tieren hinauf. Einige der Menschen neben mir berühren sie leicht mit der Hand, als müssten sie sich vergewissern, dass sie tatsächlich existieren. Ich schaue ihnen hinterher. In meinen Ohren klingelt es, ein nachträglicher Effekt der Musik, und ich weiß selber nicht genau, was ich empfinde. Vielleicht eine Art Sprachlosigkeit und vielleicht auch eine wenig Erfurcht angesichts einer Tradition, die sich vermutlich so oder in sehr ähnlicher Form seit hunderten von Jahren gestaltet.Tempelumzug

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In Karnataka (der Bundesstaat, in dem ich lebe) ist das Halten von Tempelelefanten übrigens aus Gründen des Tierschutz gesetzlich verboten. Ich habe so das dumpfe Gefühl, dass sich dieses Gesetz in den nächsten Jahren nicht in Kerala durchsetzten wird. Dazu erschien mir dieser Umzug zu sehr Teil des religiösen Alltags. Ich weiß nicht, wie der gesetzliche Rahmen in den anderen Staaten Indiens aussieht.