Jaani und Vilnius

Montag, 1. Juli 2013

Ein paar Tage sind seit meinem letzten Beitrag schon vergangen aber ich habe mich dazu entschlossen nur noch dann zu schreiben, wenn es etwas zu erzählen gibt, dass euch vielleicht interessieren könnte. Viele Dinge haben sich eingespielt und mein Leben in Tallinn wird langsam alltäglich. Trotzdem sind meine Tage in der estnischen Hauptstadt gezählt und der Umstand, dass ich die Stadt diese Woche für 17 Tage verlassen werde verkürzt meine Zeit in Estland auf noch ca. 4 Wochen. Kaum zu glauben wie schnell die Zeit vergehen kann. Schon letzte Woche hat die Phase der Verabschiedung begonnen. Astghik, meine armenische Mitbewohnerin, hat ihren Freiwilligendienst bereits beendet und ist letzte Woche wieder zurück nach Yerevan geflogen. Mit der Vergabe der Abiturzeugnisse haben nun auch für die Lehrer und Lehrerinnen endgültig die Ferien begonnen und so habe ich den meisten auch schon „auf Wiedersehen“ oder „nägemiseni“ sagen müssen. Wenn ich von meiner Reise in den Balkan nach Ungarn, Serbien und wer weiß wohin zurück komme werde ich in meiner Wohnung nur noch mit Dragan und Alex wohnen. Aber nun genug von der Zukunft, ich möchte ein bisschen von meinen vergangenen Tagen erzählen.

Fangen wir bei einem Tag besser gesagt/geschrieben einer Nacht an, die in Estland sehr bedeutend ist. Einer der wichtigsten Feiertage hier ist der Jaanipäev. Der 24. Juli. Die vorherige Nacht wird hier in etwa so gefeiert wie die Mitsommernacht in den skandinavischen Ländern. Traditionell werden große Feuer angezündet, über die man dann springt und sich etwas wünschen kann. Ich wusste zwar, dass das Fest hauptsächlich auf dem Lande stattfindet, da die meisten Esten in ihre Sommerhäuser oder in die von Bekannten fahren, trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen, dass in der Hauptstadt Tallinn nicht auch gefeiert wird. Leider bestätigten sich die vorhersagen der anderen und in der Innenstadt war fast niemand unterwegs. Ein Jaanifeuer haben wir dennoch erlebt und somit kann ich wenigstens diese Erinnerung mitnehmen.

An diesem Wochenende war ich dann wieder auf Reisen. Pier Paolo und ich sind am Freitag Abend in den Nachtbus ins ca. 600 km südlichere Vilnius gestiegen. Etwas müde sind wir aus diesem dann um 7:00 in der litauischen Hauptstadt ausgestiegen. Die Stadt mit 542.932 Einwohnern liegt im Süden des Landes, nahe der Grenze zu Belarus. Nach einem kurzen Besuch bei der Touristen Information hatten wir unser Programm für das Wochenende aufgestellt. Samstag: Selbstgeführte Stadttour zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Neben der barocken Vilniusser Kathedrale, dem alten Gediminas Turm und einigen Kirchen übertraten wir die Grenzen zur unabhänigen Republik Užupis. Die von Künstlern gegründete Republik hat ihre eigene Flagge, ihren Präsidenten und eine eigene Verfassung, die in vielen verschiedenen Sprachen öffentlich ausgestellt ist:

 

  • Jeder Mensch hat das Recht, beim Fluss Vilnia zu leben, und der Fluss Vilnia hat das Recht, an jedem vorbei zu fließen.
  • Jeder Mensch hat das Recht auf heißes Wasser, Heizung im Winter und ein gedecktes Dach.
  • Jeder Mensch hat das Recht zu sterben, aber das ist keine Pflicht.
  • Jeder Mensch hat das Recht, Fehler zu machen.
  • Jeder Mensch hat das Recht, einzigartig zu sein.
  • Jeder Mensch hat das Recht zu lieben.
  • Jeder Mensch hat das Recht, nicht geliebt zu werden, aber nicht notwendigerweise.
  • Jeder Mensch hat das Recht, gewöhnlich und unbekannt zu sein.
  • Jeder Mensch hat das Recht, faul zu sein.
  • Jeder Mensch hat das Recht, eine Katze zu lieben und für sie zu sorgen.
  • Jeder Mensch hat das Recht, nach dem Hund zu schauen, bis einer von beiden stirbt.
  • Ein Hund hat das Recht, ein Hund zu sein.
  • Eine Katze ist nicht verpflichtet, ihren Besitzer zu lieben, aber muss in Notzeiten helfen.
  • Manchmal hat jeder Mensch das Recht, seine Pflichten nicht zu kennen.
  • Jeder Mensch hat das Recht auf Zweifel, aber das ist keine Pflicht.
  • Jeder Mensch hat das Recht, glücklich zu sein.
  • Jeder Mensch hat das Recht, unglücklich zu sein.
  • Jeder Mensch hat das Recht, still zu sein.
  • Jeder Mensch hat das Recht zu vertrauen.
  • Niemand hat das Recht, Gewalt anzuwenden.
  • Jeder Mensch hat das Recht, für seine Unbedeutsamkeit dankbar zu sein.
  • Niemand hat das Recht, eine Ausgestaltung der Ewigkeit zu haben.
  • Jeder Mensch hat das Recht zu verstehen.
  • Jeder Mensch hat das Recht, nichts zu verstehen.
  • Jeder Mensch hat das Recht zu jeder Nationalität.
  • Jeder Mensch hat das Recht, seinen Geburtstag nicht zu feiern oder zu feiern.
  • Jeder Mensch sollte seinen Namen kennen.
  • Jeder Mensch kann teilen, was er besitzt.
  • Niemand kann teilen, was er nicht besitzt.
  • Jeder Mensch hat das Recht, Brüder, Schwestern und Eltern zu haben.
  • Jeder Mensch kann unabhängig sein.
  • Jeder Mensch ist für seine Freiheit verantwortlich.
  • Jeder Mensch hat das Recht zu weinen.
  • Jeder Mensch hat das Recht, missverstanden zu werden.
  • Niemand hat das Recht, jemand anderen die Schuld zu geben.
  • Jeder hat das Recht, individuell zu sein.
  • Jeder Mensch hat das Recht, keine Rechte zu haben.
  • Jeder Mensch hat das Recht, keine Angst zu haben.
  • Lass dich nicht unterkriegen!
  • Schlag nicht zurück!
  • Gib nicht auf!

 

Neben den Sehenswürdigkeiten vielen uns verhältnismäßig viele Hochzeiten auf. In nahezu jeder Kirche, die wir passierten, gab sich ein Brautpaar das JA-Wort und auch auf der Straße begegneten wir einigen Hochzeitswägen oder Brautpaaren beim Fotoshooting. (Falls mir jemand sagen kann, was an diesem Samstag so besonders war, freue ich mich über einen Kommentar 🙂 ) Nach einer schlaflosen Nacht in einem Vilniusser Nachtclub fuhren wir am Sonntag mit einem Zug in das 40 Minuten entfernte Trakai. Hier steht eine kleine, sehr gut erhaltene Burg auf einer kleinen Insel, deren Besichtigung wir uns auch noch für unsere Kurzreise vorgenommen hatten. Zurück in Vilnius bot sich uns noch der Blick auf eine Parade in der Innenstadt. Am späten Abend fuhr uns erneut ein Nachtbus in unsere Hauptstadt. Als Fazit konnten wir uns beide darauf einigen, dass Vilnius zwar eine schöne, sehenswerte Stadt ist, Tallinn uns jedoch noch besser gefällt. Es ist immer wieder schön festzustellen wie gut man es selbst doch hat.

Kaum ist die eine Reise rum stelle ich mich mental schon wieder auf die nächste vor. Budapest, Ungarn – Belgrad, Serbien. So lautet die Route, die wir uns vorgenommen haben. Die kulturweit-Fahrradkarawane steht an. Nicht nur auf dieser Strecke sondern auch in Zagreb und Bukarest starten insgesamt mehr als 60 Radler zum gemeinsamen Ziel Belgrad. Bei hoffentlich gutem Wetter und hohen Temperaturen strampeln wir uns in fünf Etappen zur serbischen Hauptstadt. Währenddessen könnt ihr die Tour auf dem eigens dafür aufgesetzten Karawanen-Blog verfolgen. Nach der Karawane werde ich noch eine Woche weiter durch den Balkan und Ungarn reisen. In dieser Zeit wird es hier wahrscheinlich auch eher still. Wer weiß ob ich genug Zeit habe zwischendurch einige Zeilen zu schreiben. Schaut einfach ab und zu mal rein.

Nägemiseni!

 

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