Es ist der 5.3., also der 5.Seminartag. Dem sehr intensiven Thementag „Rassismus, Kolonialismus und Ich“ folgte ein diskussionsreicher, aber alles in allem recht entspannter Tag in unserer Mikrogruppe. So sollte es heute Morgen weiter gehen, doch zunächst: Außerordentliche Vollversammlung in der Sporthalle. Folgendes war passiert: Auf den Aushang für einen Workshop einer Trainerin wurde ein Hakenkreuz gemalt, ebenso auf das Wegweiser Schild zum Empowerment-Raum (ein Raum, der allen, die selber Erfahrungen mit Rassismus gemacht haben, einen geschützten Ort für Austausch bietet)! Geschockte Gesichter. Raum zur freien Äußerung. Wahnsinnig mutige Menschen, die uns beschreiben, wie sehr sie diese Tat verletzt. Viele weinen. Viele sind wütend. Und ich? Zunächst ist da Erleichterung: keiner ist gestorben, keiner im Krankenhaus. Nur ein Hakenkreuz. Nur ein Hakenkreuz… Ein Hakenkreuz wie wir es schon oft an Hauswänden gesprüht gesehen haben. Tz, diese Rechten, ist dann der Gedanke. Aber hier? In dieser für Rassismus sensibilisierten Gruppe? Nur ein Hakenkreuz ist mein erster Gedanke. Fühlt sich gar nicht so schlimm an. Betrifft mich ja auch irgendwie nicht, oder? Ich bin ja kein Nazi. Und ein Rassist bin ich auch nicht. Jedenfalls nicht so, mein Alltagsrassistendasein habe ich ja schon mehr oder minder akzeptiert, bzw. beginne ich da ja grade erst mit der Selbstreflexion, aber dazu in einem anderen Artikel mehr.
Also warum nimmt mich das so mit? Warum weine ich? Mit welchem Recht weine ich? Habe ich das Recht emotional verletzt zu sein, obwohl mich das Hakenkreuz als weiße Person doch gar nicht angreift?
Viele meiner Mitfreiwilligen sind entsetzt und fragen sich, wie jemand so etwas machen kann! Komischerweise oder vielleicht auch nicht komischerweise geistert diese Frage eher weniger in meinem Kopf herum. Viel eher denke ich an meine Position bei dem Ganzen. Klar habe ich mit den Hakenkreuzsymbolen in erster Linie nichts zu tun. Sie greifen nicht mich an. Aber zu sehen, wie sehr andere davon verletzt wurden und die ganze Komplexität dieses Ausdrucks von Rassismus (und dann noch in diesem Rahmen!) direkt, live und ungefiltert mitzubekommen, macht mir doch sehr zu schaffen. Schon während des Zusammentreffens kann ich meine Tränen kaum zurück halten und als alle aufstehen, um in ihre Mikrogruppen zurück zu kehren, ist es ganz vorbei mit meiner Fassung. Aber warum? Klar, die letzten Tage waren super intensiv, so viele Menschen auf so kleinem Raum und dann ständig Programm. Eine Fülle von Eindrücken und Informationen, aber vor allem von Denkanstößen, die bisher für mich alle kein oder wenn dann ein untergeordnetes Thema waren. Keine 3 Tage ist es her, dass ich in Kwesis Vortrag saß und mitgeschrieben habe, weil ich gar nicht fassen konnte, wie engstirnig ich bisher durchs Leben gegangen war. Gleichzeitig hatte man das Thema Rassismus aber auch schon fast über, nachmittags nochmal ein Workshop zu Rassismus und Weiß-Sein?! Und abends dann nochmal alles reflektieren?! Wie ätzend… Doch heute hat sich der Alltagsbezug zu dieser Problematik von seiner krassesten Seite gezeigt. Aber mit welchem Recht weine ich? Ich bin in meinem Leben noch nie rassistisch behandelt worden oder durch feindliche Äußerungen verletzt worden. Geht ja auch gar nicht, schließlich bin ich weiß! (Jedenfalls kam das teilweise so rüber im Workshop, in dem wir der Frage nachgegangen sind, was unsere weiße Sozialisierung so alles bewirkt.) Zum einen haben mich die einzelnen emotionalen Reaktionen von Betroffenen heute Vormittag sehr berührt, ich bin nah am Wasser gebaut und sehr emotional. Zum anderen aber stellt sich mir mehr und mehr die Frage, in wie weit ich selber rassistisch bin und damit andere verletzt habe? So langsam beginne ich zu erkennen, was mit harmlosen Fragen wie „Woher kommst du? Ich meine, woher stammt deine Familie ursprünglich?“ beim Gegenüber ankommen kann. In der Mikrogruppe sprach eine meiner Mitfreiwilligen mir aus der Seele, als sie sagte, sie fühle sich so schuldig. Schuldig weiß zu sein, schuldig andere durch ihre weiße Sozialisierung ungewollt zu verletzen, schuldig rassistische Denkweisen und Verhaltensmuster unbewusst übernommen zu haben und weiterzutragen. Bei mir kommt noch ein Gefühl der Hilflosigkeit dazu. So eine große Problematik und was kann ich als kleine Person schon unternehmen? Und warum zum Teufel werde ich hier die letzten Tage mit Dingen konfrontiert und regelrecht bombardiert, von denen ich bis dato keine Ahnung hatte, mit Problematiken, mit denen ich mich noch nie wirklich beschäftigt hatte? Was ist da falsch gelaufen in meiner Erziehung, in meiner Sozialisierung? Bitte nicht falsch verstehen, ich gebe keinem die Schuld an irgendwas, es ist für mich nur aktuell ein sehr sehr großer Schock zu erkennen, dass ich nicht ansatzweise so weltoffen und aufgeklärt bin, wie ich von mir selber dachte.
Und natürlich stellt sich die Frage: Und nun? Wie gehen wir weiter damit um? Brechen wir das Seminar ab? Was sind die Konsequenzen für mich persönlich nach diesem schockierenden und bewegenden Ereignis?
Zunächst möchte ich eine Trainerin zitieren, die heute Vormittag sinngemäß sagte: Der Rechtsextremismus, der sich in diesem Hakenkreuzsymbol äußert, ist nur die Spitze des Eisberges. Der größte Teil dieses Eisberges liegt unter der Wasseroberfläche verborgen und betrifft eben nicht nur Rechtsextreme, sondern dieser Rassismus ist ein ganz wesentlicher Teil unserer weiß geprägten Gesellschaft. (Hierzu kurz Kwesis Worte: Weiß sein ist keine biologische oder kulturelle Identität, sondern ein gesellschaftliches Konstrukt.) Man sollte keine Angst vor kalten Händen haben, oder in wärmere Gefilde schwimmen, nur um diesem kalten Eisberg zu entgehen.
Diese Verbildlichung gefällt mir sehr. Ich habe das Gefühl, ich beginne grade erst mich diesem enormen Eisberg zu nähern, habe aber schon mächtig kalte Hände und Füße und muss mich anstrengen auf Kurs zu bleiben und mich nicht an herumschwimmende Eisschollen zu klammern und vom Thema abgetrieben zu werden.
Über eure Kommentare, Sichtweisen und weitere Denkanstöße würde ich mich sehr freuen!
Liebe Tabea,
Ich würde in solch einer Situation wohl ähnlich reagieren. Mit Entsetzen, Wut und auch Trauer. Wenn ich persönlich im Alltag, was wirklich nicht häufig vorkommt, dem Hakenkreuz in Form einer Schmierei im öffentlichen Raum begegne, so finde ich dies lächerlich und vermute indirekt unwillkürlich gewählt. Dieses Zeichen ist so politisch und für mich vor allem emotional aufgeladen, dass ich den Urhebern der „Schmiererei“ kein Macht zusprechen kann oder vielleicht auch möchte. Ich mag es auch ganz simple einfach nicht, dass dieses alte Symbol missbraucht wurde und bis dato für etwas steht, was nicht annähernd dessen Ursprungs Intention gleicht. Ich möchte keinem Symbol, solch eine negative Macht zusprechen. Aber dennoch trägt es diese in Sich und durch da Kollektiv wird diese verschärft, sei es dass man wie in deinem Fall ergriffen ist und emotional überwältig wird. Aus der Distanz betrachtet empfinde ich die Aktion als pure Provokation und im Rahmen eures Seminars betrachtend noch viel mehr. Ich bin mit der Umstände, der Beteiligten nicht bewusst, aber ich gehe davon aus das die Teilnehmer, aus freiem Willen in dieser Situation sind und kann demnach diese Tat nur als bewusste Provokation deuten. Daher finde ich es zum einem lächerlich, dass jemand aus eurer Runde so unreflektiert ist und diesen Zeichen hinterlassen hat. Dennoch finde ich es auch irgendwie beeindruckend zu sehen, was es im Kollektiv bewirkt. Im Alltag ist dies keine gemeinschaftliche Erfahrung, über die sich ausgetauscht wird, in eurer Situation hingegen ist es eine außerordentlich einberufene Vollversammlung. Persönlich wünsche ich mir für die Zukunft, dass dieses Symbol seinen Urhebern anerkannt wird und die Deutung im nationalsozialistischen ab-anerkannt wird. Doch davon sind wir Meilenweit entfernt. Die Reaktionen zeigen, dass damit „heute“ niemand distanziert umgehen kann und wohl auch an einem Morgen nicht. Die Emotion ist zu scharf geladen.
Zuerst einmal kann ich dich beruhigen: kulturweit hat ein sehr großes Talent darin, einen auf den Seminaren mit Rassismus-Themen die Ohren vollzuquasseln, bis man es nicht mehr hören kann. Es kommt natürlich auf die Einsatzstelle und auch auf das Einsatzland an, aber ich persönlich habe nach einem halben Jahr vor Ort die Erfahrung gemacht: das Thema ist gar nicht soooo wichtig.
Noch dazu kommt meiner Meinung nach: niemand braucht sich schuldig zu fühlen, nur weil er weiß ist. Schuldig fühlen kann man sich nur für eine Tat, die man aktiv begangen hat, aber nicht für etwas, was reiner Zufall in der Geburtenlotterie dieser Welt ist. Ich als Individuum bin nicht „schuld“ daran, dass ich weiß bin, genauso wenig daran, dass ich „weiß sozialisiert“ worden bin, denn Schuld setzt immer eine aktive Handlung voraus. Würde unser Strafrecht nach Schuldgefühlen bestrafen und nicht nach nachweisbaren Straftaten, so wäre dies ungerecht. Kein Urteil ohne nachweisbare Straftat, also keine Schuld ohne vorher begangene Tat, ist ein Grundprinzip unseres Rechtswesens seit den Römern. Alles andere wäre Sippenhaft oder Kollektivstrafe: man kann nicht pauschal alle Weißen für die Taten einiger weniger zur Rechenschaft ziehen.
Eine ähnliche Diskussion gibt es in der deutschen Geschichte: man kann nicht alle Deutschen, die heute leben, pauschal für alle Verbrechen der Nazis für schuldig erklären bis in alle Ewigkeit. Fühlst du dich schuldig an den Verbrechen, die deine (Ur)Großeltern 1933-45 begangen haben mögen? Die Generation, die heute lebt, ist eine andere, die diese Verbrechen begangen hat.
Etwas anderes ist es mit der Verantwortung, und das ist die Antwort, die mein alter Geschichtslehrer auf all diese Fragen gegeben hat: Die Deutschen, die heute leben, können nicht mehr schuldig sein für das, was ihre Vorfahren verbrochen haben. Sehr wohl aber tragen sie eine Verantwortung im Sinne unseres Grundgesetzes, dass solche Verbrechen nie mehr geschehen. Eine Verantwortung, sich für Frieden, Freiheit und Demokratie einzusetzen, und das weltweit (ob wir dieser gerecht werden, ist eine andere Frage). Genauso ist es mit dem Rassismus: solange wir nicht selbst eine konkrete rassistische Tat begehen, sind wir nicht schuldig daran, weiß zu sein, weil wir dafür nichts können. Wir sind aber sehr wohl in der Verantwortung, die Verbrechen, die unsere Vorfahren mit ihrer weißen Hautfarbe zu legitimieren versuchten, nicht wiederholen zu lassen, sondern auf unsere Mitmenschen zuzugehen und die Hand zur Versöhnung zu reichen. Dazu sollte kulturweit einen Beitrag leisten. Aber nicht dazu, uns irgendwelche falschen Schuldgefühle einzureden.
Die Frage nach der persönlichen Herkunft eines Gesprächspartners finde ich übrigens nicht per se rassistisch. Eine Herkunft kann auch Teil einer Identität sein. In meinem Falle erzähle ich gerne, dass mein Großvater vor Jahrzehnten als „Gastarbeiter“ aus Italien nach Deutschland kam. Für mich ist das Teil meiner europäischen Identität, meines Selbstverständnisses als Europäer. Wenn mich hier in Uruguay beim ersten Kontakt einer darauf anspricht, dass mein Nachname offenkundig nicht deutscher Herkunft sei, erkläre ich stolz: nein, denn ich bin auch kein Deutscher. Ich bin Europäer.
Wenn also eine solche Person nicht mehr erklären darf, wo sie herkommt, kann auch das eine Entwurzelung dieser Person bedeuten, ein Ausreißen eines Teils ihrer Identität, ein Verleugnen ihrer Wurzeln: das darf nicht sein, du bist jetzt Deutscher, über deine Vergangenheit reden wir nicht. Wenn ein in Deutschland geborener Schwarzer, der sich als Deutscher fühlt und Deutsch spricht, auf seine Herkunft in angesprochen sagt: ich bin Deutscher, aber ich liebe dieses und jenes afrikanische Gericht, das meine Großmutter immer gekocht hat, warum ist das dann rassistisch? Rassistisch wird es erst, wenn diese Aussage abgewertet wird, nach dem Motto: pah, was können die Afrikaner denn schon groß kochen? Oder wenn man diese Person allein auf ihre einzige Eigenschaft als Schwarze reduziert und alle anderen Eigenschaften, die ihre Identität ausmachen, ignoriert. Ein kultureller Austausch und eine Bereicherung ist es aber, wenn man sagt: ist ja interessant, erzähl. Nur, wer seine Vergangenheit kennt, kann auch eine Zukunft haben.
Die modernen Linken aber haben (und die Linken hatten eigentlich immer) insbesondere bei den Themen Rassismus und Gender (auch dazu könnte ich noch einiges schreiben), eine Tendenz zu gut gemeinten Denkverboten, zu „Gutsprech“, falls dir George Orwell etwas sagt. Ich habe oben gerade ganz bewusst das Wort „Schwarzer“ verwendet, gerade weil ich die ganze Diskussion außenrum kenne und sage: sie ist letztlich sinnlos, weil nicht zielführend. Wir können jetzt alle Menschen außer den Weißen „People of Color“ nennen und mit „_innen“ schreiben, deswegen wird aber niemand gleicher behandelt und kein Vorurteil beendet. Das ist eine rein weiße Luxusdiskussion, die wir uns hier leisten. kulturweit lebt da auf seinen Seminaren ein Stück weit in seiner eigenen Blase aus political correctness und großen, schlauen Reden, bei denen letztlich nichts dabei herauskommt. Kennst du Harald Martensteins Kolumne im ZEITMagazin? Dort macht er sich regelmäßig über dieses linke Gutdenken lustig, und weder er selbst noch die ZEIT noch ich sind bei Gott keine Rechten, sondern liberale Demokraten, die sagen: eins darf es bloß nicht geben: Denkverbote. Und die Schere im Kopf.
Toll geschrieben! Schade dass sowas beu euch passiert! Und bei uns hießen die mikrogruppen noch homezones:)